faulheit & arbeit Sonnabend/Sonntag, 3./4. Dezember 2016, Nr. 283 n Drucksachen n Schwarzer Kanal n Reportage n XYZ Die Dauerkrise des Kapitalismus. Antonio Gramsci über die gesellschaftliche Entwicklung seit 1914. Marxisten Die Transparenzoffensive. Wie FAZ und »Panorama« den 60. Gründungstag des BND begehen. Von Arnold Schölzel Fidel lebt. Abschied von einem Befreier, der schon vor seinem Tod zur Legende wurde. Von Volker Hermsdorf Über jene gewisse Verschwommenheit. Vorwort zum Aufsatz über »Ästhetische Kultur« (1913). Von Georg Lukács REUTERS/AJAY VERMA »Mit HIV kann man alt werden und ein erfülltes Leben führen« Gespräch Mit Silke Klumb. Über das gesellschaftliche Rollback und die Notwendigkeit einer anderen Drogenpolitik, um die Zahl der HIV-Neuinfektionen einzudämmen PRIVAT A m 1. Dezember wird traditionell der WeltAIDS-Tag begangen. So war es auch am vergangenen Donnerstag. Welche Gruppen sind aktuell am meisten von der Immunschwächekrankheit betroffen? Nach wie vor sind Männer, die Sex mit Männern haben, am stärksten betroffen, gut zwei Drittel der HIV-Neuinfektionen entfallen auf diese Gruppe. Die gute Nachricht: Die Neuinfektionen gehen hier seit einigen Jahren leicht zurück. Bei anderen Gruppen sind sie dafür etwas gestiegen, knapp ein Viertel der Übertragungen geschehen bei heterosexuellem Geschlechtsverkehr. Einen Anstieg gab es auch bei den Menschen, die intravenös Drogen konsumieren, die etwa acht Prozent derjenigen ausmachen, die sich 2016 angesteckt haben. Insgesamt infizieren sich jedes Jahr etwa 3.200 Menschen mit HIV. Das ist im europäischen Vergleich sehr wenig, ein Er- Silke Klumb … ist Geschäftsführerin der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) folg der Präventionsarbeit. Aber natürlich wäre es schön, wenn sich noch weniger Menschen infizieren würden. Was müsste geschehen, um dieses Ziel zu erreichen? Wir müssten in Deutschland alle nachweislich wirksamen Möglichkeiten der HIVPrävention konsequent zum Einsatz bringen. Dazu gehört zum Beispiel auch die medikamentöse Präexpositionsprophylaxe. Dabei nehmen Menschen mit besonders hohem Risiko HIV-Medikamente vorbeugend ein. Die Kassen zahlen zur Zeit nicht dafür, der Hersteller ruft unverschämt hohe Preise auf. Wer hat schon 800 Euro pro Monat übrig? Die Folge sind vermeidbare Infektionen. Ebenso in Deutschlands Gefängnissen: Dort gibt es viele Drogen konsumierende Menschen mit HIV und dem Hepatitis-Erreger HCV, aber keine sauberen Spritzen. Das ist Irrsinn. Und noch etwas ist wichtig: Wir müssen Menschen, die ein Risiko hatten, den Weg zum Test erleichtern. Wer nichts von der Infektion weiß, kann nicht therapiert werden und HIV auch unwissentlich weitergeben. Eine HIV-Infektion endet heutzutage hier nicht mehr mit dem baldigen Tod. Was hat sich verbessert? Medizinisch: alles. Sozial: noch zu wenig. Mit HIV kann man heute alt werden und ein erfülltes Leben führen. Job, Sexualität, Familie – alles ist möglich. Die Medikamente verhindern das Fortschreiten der Erkrankung, indem sie das Virus im Körper an der Vermehrung hindern. Wenn die Therapie dauerhaft gut funktioniert, ist auch keine Übertragung beim Sex mehr möglich. Frauen mit HIV können sogar auf natürlichem Wege nicht infizierte Kinder zur Welt bringen. Eine Heilung ist allerdings noch nicht möglich, Menschen mit HIV müssen dauerhaft Medikamente einnehmen, um das Virus in Schach zu halten. Erreger und Therapie sind trotz allem eine HIV-Infizierte werden weltweit noch immer stark benachteiligt. Hierzulande ist trotz Diagnose, dank moderner Medikamente, ein langes Leben möglich. Allerdings müssen sich Menschen dafür testen lassen. Auch dazu rufen Aktivisten rund um den Welt-AIDS-Tag immer wieder auf Rollback Ein Gespräch mit Silke Klumb über den gesellschaftlichen Marsch zurück und die Notwendigkeit einer anderen Politik, um die Zunahme von HIV-Neuinfektionen einzudämmen. Außerdem: Fidel lebt. Abschied von einem Befreier, der schon vor seinem Tod zur Legende wurde n Fortsetzung auf Seite zwei ACHT SEITEN EXTRA GEGRÜNDET 1947 · SA./SO., 3./4. DEZEMBER 2016 · NR. 283 · 1,90 EURO (DE), 2,10 EURO (AT), 2,50 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT WWW.JUNGEWELT.DE Gegenkräfte Geheimdienstkonfetti Grundlinien Geburtstag 3 4 9 12 Auszeichnung der Internationalen Liga für Menschenrechte geht an Flüchtlingshelfer. Interview NSU-Ausschuss: Neues vom Schreddern und zum V-Mann-Führer Temme. Von Claudia Wangerin Der russische Präsident Putin skizziert Am 3. Dezember wäre der Liedermadie Wirtschaftspolitik seines Lancher Franz Josef Degenhardt des. Von Reinhard Lauterbach 85 geworden. Von Ingar Solty Jobrettung hat ihren Preis Dein Abo Zeit. zur rechten Edeka und Rewe einigen sich über Zukunft von Kaiser’s Tengelmann. Arbeitsplätze werden dadurch nur kurzfristig nicht abgebaut. Von Claudia Wrobel Z Doch der Verkauf von Kaiser's Tengelmann (KT) an Edeka, der dann einen Teil der Filialen an Rewe veräußern wird, bedeutet langfristig eine Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel, die noch viel mehr Arbeitsplätze kosten wird. So gibt es nun zwar eine Einigung mit den Gewerkschaften ver.di und Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) über die Einbindung der KT-Betriebsräte in die bestehenden Strukturen. Doch die Beschäftigungsgarantie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist endlich. Betriebsbedingte Kündigungen und Änderungskündigungen sind nur für fünf Jahre ausgeschlossen. Im Falle einer Übertragung an selbständige Einzelhändler gilt dies für bis zu sieben Jahre. Vereinbart wurde nach Angaben der Gewerkschaften auch, dass weder Rewe noch Edeka eigene Mitarbeiter entlassen dürfen, um die Eingliederung geräuschlos vollziehen zu können. Dennoch wurde durch den Deal die Marktmacht der Riesen im Lebensmittelhandel erneut verstärkt. Das wurde – vorbei an den Kartellbehörden – nur möglich durch eine Intervention von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Beim Einkauf werden die Konzerne nun für sich noch bessere Preise diktieren können. Langfristig werden außerdem sowohl Edeka als auch Rewe ihr Filialnetz ausdünnen, statt KT-Geschäfte in Nachbarschaft der eigenen zu betreiben. Welche Zukunft die anderen KT-Bestandteile wie Fleischereien und Lagerhäuser haben werden, ist zudem vollkommen ungewiss. Sie waren in den Verhandlungen ungeliebte Rangiermasse und werden kaum eine Zukunft über diejenige hin- aus haben, die die Gewerkschaften den Unternehmen abtrotzen konnten. Trotzdem überwiegt bei den Beschäftigtenvertretern momentan Zweckoptimismus: »Es ist uns gelungen, den Erhalt der Arbeitsplätze bei Kaiser’s vertraglich zu vereinbaren und den Beschäftigten qualitativ gute, tarifgebundene Arbeitsbedingungen zu sichern«, sagte die ver.di-Verhandlungsführerin für Berlin Brandenburg, Erika Ritter, als der den Weg für die Einigung ebnende Tarifvertrag am Mittwoch unterschriftsreif war. Verständlich ist das Aufatmen der Mitarbeiter, ziehen sich die Verhandlungen zwischen KT-Eigentümer Karl-Erivan Haub und Edeka und Rewe doch mittlerweile über mehr als zwei Jahre. Mehrmals drohten sie zu scheitern. Der Spatz in der Hand ist dadurch immer attraktiver geworden. Verkehrswegeplan: Autos bevorzugt Von 270 Milliarden Euro für Straßen, Schienen und Wasserwege entfällt die Hälfte auf erstere S traßen, Schienen und Wasserwege in ganz Deutschland sollen in den kommenden Jahren mit mehr als 270 Milliarden Euro in Schuss gehalten und ausgebaut werden. Das sieht der neue Bundesverkehrswegeplan bis 2030 vor, den der Bundestag am Freitag mit den Stimmen der großen Koalition verabschiedet hat. Die Hälfte aller Mittel ist für Bundesstraßen und Autobahnen vorgesehen, 40 Prozent gehen an Bahnprojekte, der Rest an Flusswege und Kanäle. Die Opposition kritisierte, das Konzept setze zu sehr auf den Autoverkehr und Straßenbau. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sagte, der Plan stärke nach Jahren des Verschleißes Infrastruktur und Mobilität, die Deutschland stark machten. Erstmals gebe es für die Vorhaben auch eine klare Finanzierungsperspektive. »Das Nadelöhr sind nicht mehr die Finanzen, das Nadelöhr sind die Planungen.« Daher sollten die bisher teils bei den Ländern liegenden Zuständigkeiten für die Fernstraßen in einer geplanten zentralen Gesellschaft beim Bund gebündelt werden. SPD-Fraktionsvize Sören Bartol sagte, investiert werde dort, »wo Pendler täglich im Stau stehen«. Für den neuen Plan wurden mehr als 2.000 Vorhaben angemeldet und nach Kosten, Nutzen und Umweltfolgen bewertet. Daraus resultieren nun gut 1.000 Projekte des »vordringlichen Bedarfs«, die bis 2030 finanzierbar sein sollen. Rund 70 Prozent des Geldes sollen in den Erhalt fließen, 87 Prozent in überregional wichtige Achsen. Beseitigt werden sollen 2.000 Kilometer Engpässe auf Autobahnen und 800 Kilometer auf Bahnstrecken. Brecht-Interpretin Gisela May gestorben INA FASSBENDER/DPA-BILDFUNK Die Beschäftigten von Kaiser’s Tengelmann wissen nun zumindest, wie lange sie noch einen Job haben werden umindest das bange Warten der Beschäftigten hat nun ein Ende: Edeka und Rewe haben sich geeinigt, wie sie den Konkurrenten Kaiser’s Tengelmann unter sich aufteilen. Am Freitag teilten die Nummern eins und zwei im deutschen Lebensmittelhandel gemeinsam mit, dass der Kaufvertrag zur Weitergabe von Filialen im Rahmen der Ministererlaubnis nun fertig sei und noch am selben Tag dem Bundeswirtschaftsministerium zur Prüfung vorgelegt werde. Sobald auch mit dem Bundeskartellamt alles geklärt ist, hat Rewe angekündigt, seine Klage beim Oberlandesgericht Düsseldorf gegen die Ministererlaubnis zurückzunehmen. Zum Kaufpreis machten die Konzerne keine Angaben. Damit sind rund 15.000 Jobs im Einzelhandel vorerst gerettet. Siehe Seite 16 Grünen-Verkehrsexpertin Valerie Wilms kritisierte, der neue Plan sei schlecht für Umwelt und Klima und »schlicht nicht bezahlbar«. Nötig seien mehr kluge Vernetzungen und ein stärkeres Verlagern von Verkehr auf die umweltfreundliche Schiene. Linke-Verkehrspolitikerin Sabine Leidig warb für mehr Mobilität für alle, aber ohne mehr Verkehr. Nötig sei auch eine bessere Bürgerbeteiligung bei Bauprojekten. Preissteigerungen im Baugewerbe sind nach einem Bericht der Welt bisher nicht im Verkehrswegeplan einkalkuliert. (jW) Berlin. Gisela May ist am Freitag im Alter von 92 Jahren in Berlin gestorben. Das teilte das Berliner Ensemble (BE) mit, dem die Schauspielerin und Sängerin von 1962 bis 1992 angehörte. 13 Jahre lang spielte sie am BE die Titelrolle von Brechts »Mutter Courage«. Weltberühmt wurden ihre mit Hanns Eisler und Paul Dessau erarbeiteten Interpretationen von Brecht-Songs. May nahm mehr als 20 Alben mit Liedern nach Texten von Kurt Tucholsky, Erich Kästner, Peter Hacks oder solchen von Jacques Brel auf. Ihr Debüt beim Film gab sie 1951 in »Das Beil von Wandsbek«. Jahrelang hatte sie im DDR-Fernsehen eine eigene Sendereihe (»Die Pfundgrube«). Nach dem Mauerfall trat sie in der Krimisatire »Adelheid und ihre Mörder« als »Muddi« auf. (jW) Nachruf folgt BRD verspricht Hilfe für Aleppo Damaskus. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat im Rahmen eines Kurzbesuchs im Libanon am Freitag den Menschen in der umkämpften syrischen Stadt Aleppo weitere 50 Millionen Euro für Nahrung, Unterkünfte und medizinische Hilfe zugesagt. Zehntausende sind zuletzt nach UN-Angaben vor den Kämpfen aus dem Osten von Aleppo geflohen. Bewohner beschuldigten die Rebellen, sie an der Flucht gehindert zu haben. Auch die Vereinten Nationen haben Vorwürfe bestätigt, dass bewaffnete Gruppen Menschen von der Flucht abhalten. (dpa/jW) Gegen ist nicht rechts genug Sozialis tisc Alternati he erkämpf ven en Heute in jW: Flyer zur RosaLuxemburg- XXII. Intern ationale Rosa Lux Konferenz Konfereemburg nz 2017 14. Januar 2017 | Mercu Stephanstr. re-Hotel MO 41, 10559 Berl in, Einlass: A 10 Uhr, Beg inn: 11 Uhr wird herausgegeben von 1.959 Genossinnen und Genossen (Stand 2.12.2016) n www.jungewelt.de/lpg
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