Manuskript Beitrag: Zwangsadoptionen in der DDR – Gestohlene Kinder Sendung vom 29. November 2016 von Stella Könemann und Dana Sümening Anmoderation: Stellen Sie sich vor, der Staat stiehlt Ihnen die Familie. Das ist in der DDR geschehen. Wer nach Einschätzung der Behörden nicht in der Lage war, die Kinder zu sozialistischen Persönlichkeiten zu erziehen, dem wurden sie genommen. Zwangsadoptionen. Viele Betroffene haben es lange verdrängt, aber dann, Jahrzehnte nach dem Mauerfall, kommen die Fragen. Wo ist mein Kind? Wer ist meine Mutter? Doch auf der Suche nach den Antworten fühlen sie sich im Stich gelassen, diesmal von der Bundesrepublik. Stellen Sie sich vor, der Staat stiehlt Ihnen die Familie ein zweites Mal und sehen Sie den Bericht von Stella Könemann und Dana Sümening. Text: O-Ton Petra Döbler, Adoptivtochter: Der Wunsch nach meiner Herkunft, also herauszufinden, wo sind meine Wurzeln, wer hat mich geboren, wer sind meine Eltern, warum haben sie mich weggegeben. Das war bis heute eigentlich für mich noch immer ein Thema. Haben ihre leiblichen Eltern sie freiwillig weggeben? Warum wurde sie adoptiert? Petra Döbler sucht nach Antworten. O-Ton Petra Döbler, Adoptivtochter: Hier bin ich wahrscheinlich vier Monate alt. Das muss so das erste Foto gewesen sein, was von mir entstanden ist, nachdem ich in die Familie meiner Adoptiveltern gekommen bin. 1963 wird sie in der DDR geboren. Ihre Adoptiveltern erziehen Petra streng im Sinne des Staates. Sozialistische Namensweihe, Pionierzeit, Jugendweihe. O-Ton Petra Döbler, Adoptivtochter: Ich hatte als Kind wenig Freunde. Meine Eltern meinten halt immer, sie müssten die für mich aussuchen, also, hatten da immer ganz ihr Augenmerk drauf, mit wem ich jetzt spielen durfte und mit wem nicht. Wer mir also gut tut und wer weniger mir gut täte. Erst mit 16 erfährt Petra Döbler: Sie wurde adoptiert. Ihre Cousine hatte das Familiengeheimnis gelüftet. Die Adoptiveltern weichen ihren Fragen aus. Der Vater sei im Gefängnis gewesen, über die Mutter erzählen sie nichts. Erst nach dem Mauerfall kann sie auf die Suche gehen. Sie erhält ihre Abstammungsurkunde, bekommt die Adresse ihrer Mutter heraus und trifft sie. Doch die Begegnung ist zu viel für sie. O-Ton Petra Döbler, Adoptivtochter: Es war ein kurzer Besuch von circa zehn Minuten. Das einzige, was ich erfuhr, ist, dass ich zwei Geschwister habe. Ansonsten war das ein sehr ernüchternder Besuch. Und ich glaube heute, ich stand unter Schock, ich hätte tausend Fragen gehabt. Auch ihre wichtigste Frage hat Petra Döbler nicht gestellt: Wurden ihre leiblichen Eltern gezwungen, sie abzugeben? Allein zwischen 1973 und 1990 nehmen DDR-Behörden in rund 7.400 Fällen Eltern gegen deren Willen ihre Kinder weg. Häufig ist das politisch motiviert. O-Ton Uwe Hillmer, Forschungsverbund SED-Staat, Freie Universität Berlin: Irgendwelche Auffälligkeiten, die natürlich vom Staat oder der Partei definiert sind, werden gemeldet. Das heißt, die Kinder werden im Kindergarten schon beobachtet in ihren Leistungen, in ihrem Sozialverhalten, und so weiter. Und es fällt relativ schnell auf, wenn da was im Sinne der Partei schiefläuft. Was Viola Greiner-Willibald falsch gemacht hat, weiß sie bis heute nicht. 1983, mit 19, bringt sie ihren Sohn Michael zur Welt. Ihr Lebensgefährte ist damals beim Wehrdienst, deshalb wird die einjährige Tochter in der Wochenkrippe betreut. Ihr zweites Kind, Michael, muss als Frühchen in der Klinik bleiben, als seine Mutter entlassen wird. O-Ton Viola Greiner-Willibald, Mutter: Ganz normal. Es war nichts, überhaupt gar nichts. Auch morgens, wie ich entlassen wurde. Ich habe ihn noch gestillt, habe noch Milch abgepumpt, damit er nachmittags noch was hat. Also, für mich war überhaupt nicht klar, dass da irgendwas passieren könnte. Am selben Tag will die Mutter ihre Tochter Mandy aus der Krippe abholen. Doch die Leiterin lässt sie nicht zu ihr. Sie solle ins Büro kommen und unterschreiben. O-Ton Viola Greiner-Willibald, Mutter: Da habe ich gefragt, was ist das? Na, das sind Papiere für die Adoption. Entweder Sie unterschreiben das jetzt hier für den Michael oder Sie kriegen die Mandy nicht mit nach Hause. Ja, ich war 19, ich wusste überhaupt nicht, was die Frau von mir wollte. Warum, wieso? Habe ich gefragt: Warum? Nein, Sie unterschreiben das jetzt oder Sie kriegen die Mandy nicht mit. In ihrer Verzweiflung unterschreibt sie, hofft, dass alles nur ein Irrtum ist. Doch am nächsten Tag lässt man sie nicht in die Klinik. Sie sieht ihren Sohn Michael nie wieder. Aus Angst, auch ihre Tochter an den Staat zu verlieren, stellt sie keine Fragen, versucht, bloß nicht aufzufallen. Die Beziehung zu Michaels Vater zerbricht, sie stellt einen Ausreiseantrag und darf 1985 gemeinsam mit Mandy in den Westen. O-Ton Viola Greiner-Willibald, Mutter: Hat mein ganzes Leben kaputt gemacht. Das hat mir die Seele total kaputt gemacht, man leidet ja immer. Das geht nicht weg. Das geht überhaupt nicht weg, das ist immer wieder da. Es dauert gut zwei Jahrzehnte, bis sie den Mut hat, nach ihrem Sohn zu suchen. Im Internet erfährt sie: Kindesentzug war in der DDR keine Seltenheit. In einer Beratungsstelle für Zwangsadoptionen macht man ihr nur wenig Hoffnung. Es ist schwierig für leibliche Eltern, ihre verlorenen Kinder zu finden. O-Ton Katrin Behr, Union Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft: Die leiblichen Eltern haben auf der Adoptionsvermittlungsstelle, wenn die jetzt Nachfragen zu ihrem Kind haben und Kontakt wünschen oder wissen wollen, was dokumentiert wird, ist null, null Rechte. Viola Greiner-Willibald will das nicht akzeptieren. Sie kämpft um Aufklärung, macht ihren Fall öffentlich. Mit Hilfe von Journalisten findet sie die Frau, die sie damals zwang, in der Wochenkrippe die Adoptionspapiere zu unterschreiben. Die erklärt gegenüber Viola Greiner-Willibald, sie sei asozial gewesen. Asozial - ein dehnbarer Begriff im DDR-Recht, um Kindesentzug zu begründen. O-Ton, Gedächtnisprotokoll: Ich wurde gefragt, wie die häuslichen Verhältnisse bei ihnen sind. Und die waren so, dass wir gesagt haben, die sind nicht tragbar. Dass man sie dann gedrängelt hat, das Kind zur Adoption frei zu geben, leuchtet mir heute ein. Aber beteiligt war ich nicht. Damit habe ich nichts zu tun. Zu Adoptionen wurde ich nicht abgefragt. Ich musste nur Bericht abgeben, wie ist es gelaufen. Und das war leider zu ihren Ungunsten. O-Ton Viola Greiner-Willibald, Mutter: Die war einmal so zur Hauskontrolle, also, ob ich auch alles habe für die Kinder, hat da nur festgestellt, dass die Wohnung eben sehr klein ist, mit zwei Kindern ist sie doch ein bisschen eng. Aber ansonsten bin ich mir keiner Schuld bewusst. Nach weiteren Recherchen gelingt es tatsächlich, Kontakt zu ihrem Sohn zu bekommen – allerdings nur indirekt. Übers Jugendamt lässt Michael ihr einen Brief zukommen. O-Ton Viola Greiner-Willibald, Mutter: Mir geht es in meiner Familie sehr gut. Kontakt zu Ihnen würde mein Leben, wie es im Moment ist, komplett zerstören. Nichts wäre mehr so, wie es einmal war. Mit freundlichem Gruß, Michael. O-Ton Viola Greiner-Willibald, Mutter: Für mich ist es eigentlich, dieser Brief, man hat mir mein Kind das zweite Mal genommen – also, einmal damals und jetzt. Verlorene Kinder – vor 26 Jahren verpasste die Politik die Chance, diese Schicksale aufzuklären. Im Einigungsvertrag von 1990 wurde systematischer Kindesentzug durch die DDR nicht als Unrecht anerkannt. So werden betroffene Mütter und Väter bis heute rechtlich so behandelt wie Eltern, die ihre Kinder freiwillig abgegeben haben. O-Ton Uwe Hillmer, Forschungsverbund SED-Staat, Freie Universität Berlin: Leider beschäftigt uns das bis heute. Denn diese Adoptionen gegen den Willen der Eltern in der DDR sind nicht im Einigungsvertrag als schwere Menschenrechtsverletzung festgeschrieben worden. Das heißt, es gibt für die Mütter, meistens sind es die Mütter, die ihre Kinder suchen, keinen legalen Weg diese Kinder wieder aufzufinden. Professor Eckhart Pick saß damals für die SPD im Bundestag. Er setzte sich für die Aufarbeitung von Zwangsadoptionen ein, aber das Thema fand zu wenig Beachtung. O-Ton Prof. Eckhart Pick, SPD, ehemaliges MdB: Es wär sicher notwendig gewesen, dass man eine seriöse Aufarbeitung dieses Themas macht. Und eine rechtzeitige Untersuchung des Ganzen hätte sicher auch Sinn gemacht. Und insofern bedauere ich natürlich, dass man das nicht gemacht hat. O-Ton Uwe Hillmer, Forschungsverbund SED-Staat, Freie Universität Berlin: So hat die Politik entschieden, dass sie damit Menschen herabwürdigt, herabsetzt, das in Kauf zu nehmen. Das wird auch immer mit Zahlen argumentiert: die Wenigen, das waren 17 Millionen Leute und diese paar Fälle – egal. So rennen Betroffene mitunter jahrelang von Amt zu Amt, auf der Suche nach Antworten. Ohne Rechtsanspruch auf Auskunft sind sie auf den guten Willen von Behördenmitarbeitern angewiesen – die mitunter schon zu DDR-Zeiten auf ihren Posten saßen. Petra Döbler auf dem Weg zur Adoptionsstelle ihres Heimatortes. Sie hat einen Termin bekommen und die Chance endlich herauszufinden, warum sie nicht bei ihren leiblichen Eltern aufgewachsen ist. O-Ton Petra Döbler, Adoptivtochter: Ich hab in den letzten Wochen viele Recherchen angestellt, die blieben bisher erfolglos - und deshalb heute für mich der entscheidende Schritt, dieses Amt, diese Adoptionsvermittlungsstelle aufzusuchen, persönlich dort vorzusprechen. Und ich hoffe, dass ich dort jetzt endlich Informationen bekomme. Zwei Stunden darf Petra Döbler ihre Adoptionsakte einsehen. Doch ihre Frage, ob ihre Eltern sie freiwillig weggeben haben, wird nicht beantwortet. O-Ton Frontal 21: Und, wie war’s? O-Ton Petra Döbler, Adoptivtochter: Sehr anstrengend, eine Fülle von Informationen. Eine Fülle von Informationen. Es ist erst mal eine ganz normale Akte, die ist aber sehr dünn, es könnte sein, dass man was rausgenommen hat. Es fehlt die Unterschrift. Es ist halt nur ein offizieller Stempel vom Notar. Auch der Notar hat unterschrieben, vor Gericht, aber sie selber haben beide nicht unterschrieben. Petra Döbler wird weitersuchen. Wie so viele Mütter, Väter, Kinder, will auch sie ihr Schicksal verstehen - auch 26 Jahre nach der Wiedervereinigung. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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