20 MEINUNG www.kg-koeniz.ch | DEZEMBER 2016 Asylsuchende lernen schnell VEREIN OFFENES SCHERLI: «Ohne das Engagement der Geburtlichkeit: Unvoreingenommen wie ein Kind Neues erleben. Geburtlichkeit wagen Sie treffen nach langer Zeit den ehemaligen Schulkollegen Max. Damals haben Sie ihn als besserwisserisch und unsensibel wahrgenommen.Im Gespräch mit ihm sind Sie sicher: Der hat sich ja überhaupt nicht verändert, wieder dieselbe alte Leier! Solche Situationen passieren selbst dann, wenn wir in neue Kontexte mit unbekannten Personen geraten. Denn auch dort schreit unser Hirn nach kurzer Zeit: «Wie langweilig! Ich kenne das und weiss, wie es weitergeht.» Aus früheren Erfahrungen bilden sich Erwartungen. Wir bugsieren das, was wir erleben, in kleine, vorgefertigte Schubladen. «Langweiler» steht da etwa drauf, oder «Achtung, Gefahr, sich zu blamieren!». Alles, was ein neuer Moment bringt, hat es schon gegeben – das will uns zumindest unser geschäftiges Hirn vermitteln. Um diese an sich verständliche, aber einschränkende Verhaltensweise zu überwinden, kann «die Geburtlichkeit» ins Spiel gebracht werden, ein von der Philosophin Hannah Arendt geprägter Begriff. Sie begründete ihr Denken von der Geburt des einzelnen Menschen her: Mit der Geburt beginnt immer die Möglichkeit, einen Anfang zu machen. «Von Glaube und Hoffnung kann man nur reden, wenn man sich das Geborensein immer wieder vor Augen hält. Geburt ist immer die Möglichkeit, neu anzufangen. Ist man sich dieser Möglichkeit bewusst, ist ein Neuanfang – eine Geburt – auch im Leben möglich», schrieb sie im Buch «Vita activa». Den ständigen Neuanfang drückte Herrmann Hesse im Gedicht «Stufen» aus: «Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und hilft zu leben.» Genau dieses zauberhafte Neue, das Unverbrauchte – die Geburt im symbolischen Sinne – kann man in den eigenen Alltag integrieren. Ist es tatsächlich so, dass Max aus der Primarschule ganz der Alte ist? Nein, auch er wird sich verändert haben. Vielleicht braucht es einen offeneren Blick, um dies zu erkennen. Eine fast «kindliche» Unvoreingenommenheit, um jeden Tag neu zu erleben. Gerade zur Weihnachtszeit passt die Thematik der Neuanfänge. Hannah Arendt dazu: «Dass man in der Welt Vertrauen haben kann, das ist vielleicht nirgends schöner und knapper ausgedrückt als in den Weihnachtsoratorien: Uns ist ein Kind geboren.» Text und Bild: Meret Hasler IMPRESSUM «Reformiert.» kann schriftlich abbestellt werden: Verlag reformiert., Abos, Gaswerkstrasse 56, 4900 Langenthal. [email protected] Kirche hätten wir nichts, vor allem keine passenden Räume», sagt Präsident Jürg Schneider. Ein Gespräch zur Geburt, den erstaunlich breiten Aktivitäten und den Raumproblemen des Vereins. Breite Unterstützung Für Jürg Schneider ist klar: Viele der Personen sind der Kirche nahe, die im Verein «offenes Scherli» in echtem christlichen Verständnis mitmachen. Im Vorstand sind sowohl die reformierte und die katholi- Tätigkeiten Verein «Offenes Scherli» Die Kleidergruppe sammelt Kleider und betreibt in der Notunterkunft ein Kleiderlager. Die Sportgruppe organisiert mit den Flüchtlingen Lauftrainings, Fussball, Floorball, Unihockey. Sprachgruppe: Jeweils zwei Personen geben zweimal pro Woche eine Doppellektion in diversen Niveaus. Die Kochgruppe kocht mit den Flüchtlingen und hilft, günstig einzukaufen. Jedem Flüchtling steht Fr. 9.45 pro Tag zur Verfügung. Die Musik- und Tanzgruppe singt und musiziert mit den Flüchtlingen. Das Begegnungscafé im Bistro chiuche egge vis-à-vis der Post Niederscherli bietet am Mittwochvormittag Begegnungsmöglichkeiten mit der Dorfbevölkerung. «Geburt» des Vereins Als im Herbst 2015 die Gemeinde Köniz zusammen mit der Betreiberin Heilsarmee die Einwohner über die bevorstehende unterirdische Notunterkunft (NUK) in Niederscherli informierte, war das Interesse riesig. «Gegen 150 Leute kamen», erinnert sich der 72-jährige Schneider, der seit 30 Jahren in Niederscherli wohnt. Schnell wurde sichtbar, dass die Menschen etwas zum guten Zusammenleben zwischen der Ortsbevölkerung und den Flüchtlingen beitragen wollten. Die Liste der Interessierten füllte sich und bald entstand der Verein «offenes Scherli». Ein Verein benötige zwar einen Vorstand und Präsidenten, aber Hierarchien oder gar Machtpositionen sind nicht erwünscht. «Wir möchten vermeiden, dass die engagierten Personen an der Front das Gefühl bekommen, sie würden von oben dirigiert», so Jürg Schneider. «Die Arbeit in den Gruppen funktioniert einwandfrei.Wir verstehen uns mehr als Animatoren.» Der pensionierte Dozent für Volks- und Betriebswirtschaftslehre der Fachhochschule Nordwestschweiz unterrichtet mit seiner Ehefrau eine Klasse in Präsident Peter Schneider will… Deutsch. «Die Asyl- … das gute Zusammenleben der Ortsbevölkerung mit den suchenden lernen Flüchtlingen fördern. erstaunlich schnell und mittlerweile funktioniert auch die ten belegt und demnächst umgebaut. Die Pünktlichkeit.» Er sei grundsätzlich positiv Schule Niederscherli war für die Flüchtdenkend und möchte so viel wie möglich linge bisher nicht benutzbar, und verfügdazu beitragen, dass die Integration der bare Räume in der Gewerbezone wolle der meist jungen Männer optimal gelinge. Kanton nicht finanzieren. «Wir fühlen uns vom Kanton und teilweise auch von der Gemeinde zu wenig unterstützt», bemängelt der Präsident. Vor allem in der Winterzeit sei ein oberirdischer Begegnungsraum wichtig für die Flüchtlinge. Zudem sei wegen mangelnder Räume der Deutschunterricht gefährdet. Aber so schnell will der «Sind wir doch ehrlich, mindestens 60% Verein nicht aufgeben. Ein Gespräch mit der Schule Niederscherli steht an und der Flüchtlinge werden hier bleiben.» Schneider hofft auf Bewegung seitens der Probleme und Widerstände Gemeinde und der Schule. Geeignete Räume für die Aktivitäten zu finBild und Text: Monica Wieser den gestaltet sich zunehmend schwierig. Das Kirchgemeindehaus wird vor allem in Informationen der Weihnachtszeit mit anderen Aktivitä- www.offenes-scherli.ch «Viele machen im Verein ‹offenes Scherli› in echt christlichem Verständnis mit.» Tanz – Spiegel der Seele CHIUCHE BEWEGT / Am 21. Oktober wurde im Saalbau Gasel ein kirchliches Tanzprojekt geboren. Ein Augenschein mit Bewegung. Unwillkürlich muss ich lachen.Ich fahre gerade durch Gasel, wo ich aufgewachsen bin. Noch nie in meinem Leben bin ich hier an eine Tanzveranstaltung gegangen! Doch jetzt ist im Saalbau Gasel «Chiuche bewegt» angesagt: «Disco – Tanz –Schwof. Von Oldies bis Today. Mit Speis und Trank», so steht’s auf der Flugschrift. Verantwortlich zeichnen Sozialdiakon Marc Bloesch und Team, für’s Kulinarische sorgt Brigitte Müller. Das Projekt hat sich «Tanz als Spiegel der Seele» auf die Fahne geschrieben. Im Raum Bern finden Tanzvergnügen aller Marc Bloesch begrüsst mich erfreut. Zuerst einmal tanze ich mich warm. Schon fast «klassische» Rock’n’Roll-Stücke aus den 70er- und 80er-Jahren oder Hits aus aktuelleren Zeit bringen mich in Fahrt. Leicht erhitzt komme ich meinen journalistischen Pflichten nach: Ich frage die Jüngste im Saal (25–30-jährig), warum sie hier sei. Sie verweist auf ihren Partner. Dieser wiederum verweist auf eine Frau, die sich wie ich im besten Alter befindet. Es stellt sich herausstellt, «Wir wollen eine Disco für Leute vor Ort und fürs mittlere Alter.» Marc Bloesch Art statt: Oldies, Worldmusic, Ü30- und Ü40-Parties, Disco, Rock’n’Roll, Barfussdisco… Die Konkurrenz ist also gross. Ich bin gespannt, wie viele Leute kommen! Vor dem Saalbau zähle ich 15 Autos, aber das muss nichts heissen. Drinnen hat es – positiv gesehen – viel Platz zum Tanzen. Rund ein Dutzend Leute sind anwesend, die meisten zwischen 40- und 60-jährig. Keine Kasse – der Eintritt ist kostenfrei. dass sie mit mir zur Schule gegangen ist. Ihr Grund der Anwesenheit: Marc Bloesch. Wir haben es hier also mit Clicken zu tun. Weitere Recherchen bestätigen es: Nur ein oder zwei Personen sind ausschliesslich aufgrund des Flyers gekommen. Ich stelle dem «Chiuche bewegt»-Initianten Marc Bloesch Fragen: freepik Du tanzt hier nicht gar so wild wie in anderen Discos. Warum? Ich kann hier nicht ganz in die Musik eintauchen, weil ich auch Disjockey und Gastgeber bin. Aber das ist schon gut so. Ich habe gesehen, dass du auch Wünsche aufnimmst. Ich spiele gerne alten Sound in verschiedenen Stilrichtungen. Anwesende wünschten sich noch mehr Disco-Stücke, was ich teilweise erfüllen kann. Jetzt spielen Deep Purple gerade das grossartige Stück «Black Night». Toll! Frage: Es gibt viele Discos. Warum jetzt noch eine Kirchen-Disco? Wir wollen eine Disco für die Leute hier vor Ort und fürs mittlere Alter. Es geht um Begegnung, weshalb wir auch Kulinarisches anbieten. ADRESSEN KIRCHGEMEINDE KÖNIZ Präsident Kirchgemeinderat Bruno Sigrist, 031 978 03 30, [email protected] Ev.-ref. Kirchgemeinde Köniz Tel. 031 971 30 30, Fax: 031 971 30 35 Ritterhuus Schloss Köniz, Muhlernstrasse 5, Postfach 589, 3098 Köniz [email protected], www.kg-koeniz.ch Redaktion «reformiert.» Köniz (S. 15–20): Alfred Arm,Tel. 031 974 19 74 E-Mail: [email protected] Redaktionsschluss allg. Teil Jan.-Nr: Mi. 23. November. Redaktionsschluss Kreise Jan.-Nr: Mi. 30. November, 12 Uhr. sche Kirche als auch des Ortsvereins vertreten. Trotzdem, so Jürg Schneider, sei der Verein politisch und religiös neutral. Schnappschuss des geselligen Teils von «Chiuche bewegt» im Saalbau Gasel: «Von Disco, Tanz und Schwof ermüdet...» Tanz sei «Spiegel der Seele», schreibt ihr. Tanz kann aber auch «Spiegel der Persönlichkeit» sein und z.B. Hemmungen aufzeigen. Tanzen ist eine Kunstform: Uns geht es darum, Inneres auszudrücken. Musik drückt Gefühle aus und hier kann man dies in Bewegung umsetzen. Zudem fin- den auch beim Tanzen Begegnungen statt. Tanz kann auch den Zeitgeist ausdrücken. Musik aus verschiedenen Zeiten erinnert uns auch an unsere eigenen Lebensstadien. Das soll und darf auch hier geschehen. Ich teste noch die kulinarischen Fähigkeiten von «Frau Saalbau», von Brigitte Müller, die den Saalbau Gasel seit über 20 Jahren betreut. Ich bestelle bei ihr Kartoffelsalat mit Hamme und muss sagen: «Voll in Ordnung». Inzwischen haben sich alle Anwesenden an einen verlängerten Tisch gesetzt. Der gesellige Teil – Gespräche und Wein – sind angesagt. Für längere Zeit tanzt niemand mehr, was mir nicht so ganz behagt. Nach 22 Uhr verlassen etliche Damen den Saal und ich befürchte, dass die Veranstaltung nun abstirbt. Doch gegen 23 Uhr trifft eine grössere Gruppe von Nachtschwärmern ein. Die Party kann weitergehen. Text: Alfred Arm Bild: Melanie Siegenthaler Chiuche bewegt Infos: www.kirche-niedercherli.ch. Marc Bloesch, 079 786 02 38. Ort/Zeit/Termine: Saalbau, Kleinfeldweg 9, Gasel. 19 – 0.30 Uhr, Fr. 11. Feb., Fr. 24. März, Sa. 20. Mai.
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