Abteilung 6 | Gesundheit und Gesellschaft Nicole Viktoria Przytulla 29.11.2016 Meritokratie Universität Behinderung Schlüssel oder Barriere? Meritokratie Universität Behinderung Schlüssel oder Barriere? Bedeutung Etymologisch: Merit (lat.: Meritum) = Verdienst; kratie (griech.: Kratein) = herrschen Leistungsprinzip: Die Belohnung richtet sich nach dem Verdienst/ der Leistung des einzelnen Menschen (u.a. Bolte 1979) Keine moderne Erfindung… Neues Testament: Gleichnis von den Talenten (Matthäus 25, 14:30) Chinesische Beamtenprüfung während der Qing-Dynastie (606 – 1905 n. Chr.) Meritokratie der Moderne Michael Young (1958). The Rise of Meritocracy: 1870-2033. An Essay on Education and Equality. Deutscher Titel: Es lebe die Ungleichheit. Auf dem Wege zur Meritokratie. (1961) Konstituierende Merkmale der Meritokratie (Goldthorpe 1996) Verteilung von verantwortlichen Positionen anhand von bewiesenen Kompetenzen; An die natürlichen Fähigkeit (ability) angepasste Bildungsangebote; ‚Leistung‘ als Basis für soziale Ungleichheit. Die aufgrund von Begabung und Leistung entstehende soziale Ungleichheit wird als legitim erachtet. Kritikpunkte • Bewiesene Kompetenzen (Walzer 1992) • Natürliche Fähigkeiten (der Freitag vom 16.11.2016; Solga 2005) • Leistungsbegriff (Distelhorst 2014) Frage Was versteht die Universität unter Leistung? Meritokratie Universität Behinderung Schlüssel oder Barriere? Unternehmerische Universität Universitäten stehen in Konkurrenz zueinander: • Der Kampf um die „besten Köpfe“ • Steigerung der Effizienz • Drittmittel Hegemoniale Universität Ausrichtung der Rahmenbedingungen an den Lebensbedingungen von nichtbehinderten, deutschen, finanziell abgesicherten, aus bildungsnahen Familien stam- menden jungen, ungebundenen, heterosexuellen Männern (vgl. Heitzmann & Klein 2012) Das Leistungsprinzip an der Universität Das meritokratische Prinzip erfordert ein Examenswesen (Walzer 1992) : Examensnoten + Menge an Zertifikaten (x Art + Ort der Zertifikate) - Benötigte Zeit = Leistung (frei nach Münch 2015) Durch Nachweise belegte Leistungen • Wiedergabe des vermittelten theoretischen Wissens • Theoretische und/ oder praktische Anwendung des Wissens • Eigenständiges wiss. Arbeiten Wirksame Prinzipien bei den Leistungsnachweisen • Kultureller und Wissenshintergrund sowie Handlungskompe-tenzen der Lehrenden/ Professor*innen • Bewertungsnorm der Lehrenden/ Professor*innen • Individuelle Präferenzen der Lehrenden/ Professor*innen Zur Wahrung der „Gleichbehandlung“ Gleiche Prüfung für alle Standardisierung der Prüfungen und Bewertungen Blackbox-Leistungen und -fähigkeiten Alltagsführung: Haushaltsführung, Familienarbeit, Kontaktpflege, Tagesstruktur Kommunikation: Zuhören, Sehen, Sprechen, PC-Nutzung, in Kontakt gehen Mobilität: Karten lesen, Nutzung des ÖPNV, Fahrrads, Autos, Rollstuhls, Rollators, Beine und Füße; Weg finden/ Orientierung, in Gebäude und Räume kommen Selbstfürsorge: Körperpflege, Psychohygiene, gesundheitliche Prävention, gesundheitliche Intervention Wissensaufnahme: Stillsitzen, Stillsein, Sehen, Zuhören, Lesen, PC-Nutzung, Konzentration, Ausdauer, Verstehen, Schreiben, Fragen stellen, Lern- und Arbeitsorganisation, Auswendiglernen Wissensreproduktion: Schreiben, PC-Nutzung, Referieren, Fragen beantworten Zeit: 8-10 Stunden frei stellen für die Uni … Meritokratie Universität Behinderung Schlüssel oder Barriere? Wer wird als behindert klassifiziert? Klassifizierung nach der „International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) (2005) • Schädigung (impairment) • Beeinträchtigung der Aktivitäten (limitation) • Teilhabebeeinträchtigung (restriction of participation) • Umweltfaktoren (enviromental factors) Umweltfaktor Universität „Teilnahmslose Vernunft“ (Bonet/Jantzen 2014: 6) • Hegemoniale Universität • Blackbox-Leistungen Teilnahmebeeinträchtigung Meritokratie Universität Behinderung Schlüssel oder Barriere? Meritokratische Versprechen 1. Nicht die Behinderung steht im Vordergrund, sondern die Fähigkeiten und Begabungen 2. Schaffung einer Umgebung, die Fähigkeiten und Begabungen fördert und sie zu Tage treten lässt 1. Versprechen (Nicht die Behinderung steht im Vordergrund, sondern die Fähigkeiten und Begabungen) Was dafür spricht… • Veränderung des Behinderungsdiskurses • Veränderung der Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft • Capacity-Ansatz 1. Versprechen (Nicht die Behinderung steht im Vordergrund, sondern die Fähigkeiten und Begabungen) Aber…. • Nichtbehinderte, männliche etc. Fähigkeits- und Begabungsstandards • Hoher Beweisdruck: Behinderung versus Leistung • Tabuierung von Grenzen -> Konstruktion und Erzeugung von Behinderung/ Erkrankungen? • Weiterhin Vorurteile und Diskriminierung seitens Lehrenden und Professor*innen • Pränatal Medizin/ Präferenzen für leistungsstarke Kinder? 2. Versprechen (Schaffung einer Umgebung, die Fähigkeiten und Begabungen fördern und sie zu Tage treten lassen) 2. Versprechen (Schaffung einer Umgebung, die Fähigkeiten und Begabungen fördern und sie zu Tage treten lassen) Ansätze zur Schaffung einer behindertenfreundlichen Umgebung: • • • • • • Barrierefreiheit Nachteilsausgleiche Prüfungsmodifikationen Assistenz und Tutor*innen Technische Hilfsmittel Sensibilisierungsmaßnahmen 2. Versprechen (Schaffung einer Umgebung, die Fähigkeiten und Begabungen fördern und sie zu Tage treten lassen) Aber…. • Ansätze sind Teil der sozialen und menschenrechtlichen Prinzipien, welche in der neoliberalen Merito-kratie eine Abwertung erfahren. • Die meisten Leistungen sind individualisiert und nur durch Antrag sowie individuelle Klassifizierung nutzbar. • Gefahr der Disqualifizierung im neoliberalen, meritokratischen Denkschema Kausalkette Meritokratie - Behinderung Meritokratische Standardisierung Produktion von Behinderung Notwendigkeit der Klassifikation von ‚behindert‘ Meritokratische Disqualifikation Schlussfolgerungen Das Leistungsprinzip ändert nichts an der hegemonialen Ausrichtung der Universitäten und deren ‚Teilnahmslosen Vernunft‘; schafft eine ‚Leistungs-Blackbox‘ kann eine andere Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung unterstützen, produziert aber vorwiegend Behinderung; wird dazu benutzt Diversity orientierte Maßnahmen abzuwerten bzw. in Frage zu stellen. Meritokratie Alternativen? Universität Behinderung Schlüssel oder Barriere? Mögliche Alternativen? Hegemonie und Hierarchie Demokratie Konkurrenzorientierung Kooperation Standardisierung Vielfalt Leistungsprinzip VerantwortungsKooperationsPrinzip Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Literatur (1) Aguiló Bonet, A. J. , Jantzen, W. (2014): Inklusvie Erziehung und Epistemiologie des Südens. Beiträge zur Behindertenpädagogik, in: Behindertenpädagogik, (1), S. 4-29. Bolte, K. W. (1979): Leistung und Leistungspronzip. Zur Konzeption, Wirklichkeit und Möglichkeit eines gesellschaftlichen Gestaltungsprinzips. Opladen: Leske + Budrich. Distelhorst, L. (2014): Leistung. Das Endstadium der Ideologie. Bielefeld: transcript. Goldthorpe, J. H. (1996): Problems of Meritocracy, in: R. J. Erikson, Jan O. (Hrsg.) Can Education Be Equalized? Boulder CO: Westview. S. 255-287. Heitzmann, D. , Klein, U. (2012): Zugangsbarrieren und Exklusionsmechanismen an deutschen Hochschulen, in: U. Klein & D. Heitzmann (Hrsg.) Hochschule und Diversity. Theoretische Zugänge und empirische Bestandsaufnahme. Weinheim: Beltz Juventa. S. 11-45. Kramer, B. (2016): So ein Dusel, in: der Freitag vom 16.11.2016 Literatur (2) Münch, R. (2015): Mehr Bildung, größere Ungleichheit. Ein Dilemma der Aktivierungspolitik, in: S. Mau & N. M. Schöneck (Hrsg.) (Un-) Gerechte (Un)Gleichheiten. Berlin: Suhrkamp. S. 65-73. Solga, H. (2013): Meritokratie die moderne Legitmation ungleicher Bildungschancen: Weinheim u.a. : Beltz Juventa Walzer, M. (1992): Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit. Frankfurt a.M/New York: Campus. World Health Organization (WHO). (2008): International classification of functioning, disability and health: ICF (Large print format for the visually impaired Aufl.). Geneva: World Health Organization Young, M. (1958): The Rise of Meritocracy: 1870-2033. An Essay on Education and Equality. London: Thames and Hudson. Young, M. (1961): Es lebe die Ungleichheit. Auf dem Wege zur Meritokratie. Düsseldorf: Econ. Bildernachweis Folie 1: Mit freundlicher Genehmigung von Thomas Braun, Bremen. Folie 5 (oben): Matthäus XXV. Holzschnitt, 1712 Unbekannt - A Woodcut from Historiae celebriores Veteris Testamenti Iconibus representatae, http://www.textweek.com/art/parables.htm Folie 5 (unten):Imperial Civil Service Examination in Song Dynasty, Contemporary illustration (11th century) https://de.wikipedia.org/wiki/Chinesische_Beamtenprüfung_während_der_QingDynastie Folie 11: http://blogsimages.forbes.com/rodgerdeanduncan/files/2014/07/Excellence.jpg Folie 12: Lichthof der LMU München - mit freundlicher Genehmigung von Cordula Maier, München http://www.cordulamaier.de/?p=2127 Folie 22: Malu Dreyer bei der Vereidigung zur Ministerpräsidentin am 18. Mai 2016 im Landtag https://de.wikipedia.org/wiki/Malu_Dreyer#/media/File:180516-Silz-044.jpg Folie 25: Verfasser unbekannt http://scienceblogs.com/startswithabang/2012/06/20/make-the-next-school-yearamazing-for-yourstudents/302328_10150308437403204_645593203_7843713_489771687_n/
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