29.11.2016, Die miesen Tricks der Inkassofirmen - In der

Manuskript
Beitrag: Die miesen Tricks der Inkassofirmen –
In der Schuldenfalle
Sendung vom 29. November 2016
von Erik Hane
Anmoderation:
Die Vorweihnachtszeit verlockt zum Geldausgeben. Und wenn die
Konsumenten gerade knapp bei Kasse sind, ködern die
Nullzinsratenzahlung zum Kauf auf Pump. Doch wenn die Kredite
nicht bedient werden, kommen die Inkassofirmen. Und einige
gehen selbst bei Kleinstbeträgen groß auf Beutezug. Rund sieben
Millionen Deutsche sind überschuldet. Ob aus Leichtsinn oder
wegen eines Schicksalsschlages - die Geldeintreiber fragen nicht,
wieso. Sie fordern. Und manche missbrauchen ihre
Mahnungsmacht. Erik Hane über Menschen in der Schulden- und
Inkassofalle.
Text:
Geld war bei Tobias Griesemann und seiner Freundin schon
immer knapp. Als sie ein Kind erwarten, trifft sie das Schicksal
schwer.
O-Ton Tobias Griesemann, Schuldner:
Dann ist uns aber leider fünf Tage vor Geburt unsere Tochter
im Bauch gestorben. Und somit sind wieder Kosten
entstanden für eine Beerdigung.
Die knapp tausend Euro hat das Paar nicht. Griesemann nimmt
einen Kredit auf. Wenig später doch noch Elternglück: zwei
Söhne. Doch der Kredit für die Beerdigung und zwei Kinder - eine
enorme finanzielle Belastung. Übers Internet kauft die Familie
Babysachen für 245 Euro. Das wird ihnen schließlich zum
Verhängnis.
O-Ton Tobias Griesemann, Schuldner:
Wir haben es versucht abzubezahlen, aber es hat einfach
irgendwann nicht mehr funktioniert. Also, ich war ja frisch
ausgelernt, hab nicht viel verdient. Meine Freundin war noch
in der Ausbildung. Und wir hatten nicht sehr viel Geld jetzt zu
zweit zum Leben. Und wenn man zwei kleine Kinder hat, da
ist es normal, dass man da einfach viel mehr Geld braucht.
Weil Griesemann nicht zahlen kann, bekommt er eine Mahnung
vom Inkassounternehmen arvato infoscore - einem Unternehmen
der Bertelsmann Gruppe. Für die Mahnung berechnet arvato
Inkassokosten: 70,20 Euro.
Kurz darauf schon wieder Post: diesmal von den Rechtsanwälten
Haas & Kollegen. Die sitzen quasi Tür an Tür mit arvato,
berechnen noch einmal 70,20 Euro. Griesemanns ursprüngliche
Schulden von 245 Euro haben sich schließlich durch weitere
Nebenkosten fast verdoppelt. Zwei Forderungen zur gleichen
Sache. Auf Nachfrage erklärt das Inkassounternehmen schriftlich,
für arvato
Zitat:
„(…) hat sich die Beauftragung eines Rechtsanwalts (…) als
effektives und kostenadäquates Mittel zur Stärkung der
außergerichtlichen Einigung herausgestellt und ist damit
auch im Interesse des Schuldners.“
Rechtsexperten wie Professor Dieter Zimmermann bezweifeln
das. Die zusätzliche Mahnung durch die Anwaltskanzlei diene nur
einem Zweck: den Schuldner zweimal abzukassieren.
O-Ton Prof. Dieter Zimmermann, Rechtsexperte,
Evangelische Hochschule Darmstadt:
Es wird ein Geschäft mit den Schulden gemacht. Diese
Kostendoppelung ist ein eindeutiger Verstoß gegen die
Schadensminderungspflicht des Gläubigers. Der Gläubiger
muss also den Schaden für den Schuldner so gering wie
möglich halten. Das ist aus unserer Sicht ein Beispiel für
zweite Ernte.
Der Bundestag wollte genau das verhindern. Ein
Verbraucherschutzgesetz sollte überhöhte Mahngebühren
unmöglich machen, doch das Gesetz greift nicht.
O-Ton Prof. Dieter Zimmermann, Rechtsexperte,
Evangelische Hochschule Darmstadt:
Es hat keine klare Grenze für die Inkassokosten gebracht.
Die Inkassobranche glaubt, auch bei kleinen Forderungen
eine Geschäftsgebühr von rund 70 Euro abrechnen zu
dürfen. Und bereits für das erste Schreiben werden bei
solchen kleinen Beträgen 70 Euro in Rechnung gestellt. Der
Gesetzgeber hat an diesem Punkt einfach ungenau
gearbeitet.
Der Bundestag forderte deshalb schon vor drei Jahren:
Justizminister Heiko Maas soll das Gesetz nachbessern. Passiert
ist offenbar nichts. Schriftlich teilt das Ministerium mit,
Zitat:
„Das Bundesministerium der Justiz und für
Verbraucherschutz wird (…) die Neuregelungen des
Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken noch in
diesem Jahr evaluieren.“
Während das Ministerium prüft, geraten Verbraucher weiter in die
Inkassofalle.
Reinhold Schäfer aus Essen war lange arbeitslos, hatte
Schulden. Vor rund 20 Jahren will er mit einem neuen Kredit
seine alten Zinsbelastungen verringern.
O-Ton Reinhold Schäfer, Schuldner:
Super Sache, tolle Sache. Endlich kann ich meine Schulden
bezahlen und so weiter. Hat sich alles gut angehört und ich
hab gedacht, das mach ich.
Geld überweist der Kreditvermittler nie – stattdessen eine
Rechnung. Schäfer soll 32,72 Euro zahlen, obwohl er keinen
Kredit erhalten hat.
O-Ton Reinhold Schäfer, Schuldner:
Ich hab die Bearbeitungsgebühr nicht bezahlt, weil ich es
nicht eingesehen habe, warum soll ich die bezahlen, weil der
Kredit sowieso nicht zustande kommt. Das habe ich einfach
ignoriert, ja.
Das hat Folgen: Die 32,72 Euro fordert jetzt ein
Inkassounternehmen. Und es wird immer teurer: Rund 620 Euro
fordert die Firma für die Einigung zu Ratenzahlungen. Außerdem
Kontoführungskosten – nochmal 726,97 Euro. Die Forderungen
summieren sich schließlich auf insgesamt rund 2.500 Euro.
O-Ton Reinhold Schäfer, Schuldner:
Ich hatte Phasen gehabt, wo ich nachts gar nicht mehr
schlafen konnte. Ich wurde krank. Ich hatte Bluthochdruck
bekommen, Magenschmerzen, unruhige Nächte,
Schweißausbrüche.
Insgesamt soll Schäfer rund das Achtzigfache der
Ursprungsforderung zahlen.
O-Ton Prof. Dieter Zimmermann, Rechtsexperte,
Evangelische Hochschule Darmstadt:
Das ist in meinen Augen klar rechtswidrig, vor allen Dingen
die Einigungsgebühr in dieser Höhe über die vielen Jahre. Da
werden Raten von 20 Euro vereinbart und im Endergebnis
Kosten produziert von fast 300. Das heißt, die ersten 14
Raten, die dieser Mann sich von seinem Arbeitslosengeld II
abspart, die würden allein die zusätzlichen Kosten erst
decken, ohne dass es zu irgendeiner Forderungstilgung
kommt.
Zu den konkreten Vorwürfen will sich die Inkassofirma nicht
äußern. Der Geschäftsführer schreibt Frontal 21,
Zitat:
„Schutzbedürftig sind nicht die zahlungssäumigen
Schuldner, schutzbedürftig sind die Gläubiger.“
Mit den schutzbedürftigen Gläubigern meint Geschäftsführer
Werner J. wohl vor allem sich selbst. Denn er ist nicht nur
Geschäftsführer der Inkassofirma. Er war laut
Handelsregisterauszug auch Geschäftsführer der Firma, die
Schäfer den Kredit angeboten hatte.
Zweifelhafte Forderungen. Das Konto von Reinhold Schäfer
wurde dennoch gepfändet. Der Grund: Er hatte versäumt, bei
Gericht Widerspruch einzulegen gegen die vielen hohen
Nebenkosten. Und so wurden aus ursprünglich 32,72 Euro Schulden von rund 2.500 Euro. Ein Fehler im System.
O-Ton Prof. Dieter Zimmermann, Rechtsexperte,
Evangelische Hochschule Darmstadt:
Das Gericht prüft nicht mehr, inwieweit dem Gläubiger die
Forderung tatsächlich zusteht. Von daher ist es Sache des
Schuldners, vor allen Dingen die Nebenkosten genau zu
überprüfen. Und wenn er das nicht tut, ist die Forderung
praktisch endgültig festgeschrieben. Dagegen noch etwas zu
unternehmen, ist sehr schwer.
Überforderte Schuldner, trickreiche Inkassounternehmen. Tatjana
Halm von der Verbraucherzentrale München macht immer wieder
schlechte Erfahrungen.
O-Ton Tatjana Halm, Verbraucherzentrale Bayern:
Wir haben uns an Aufsichtsbehörden gewandt und haben
uns über Inkassounternehmen beschwert. Wir haben
unterschiedliche Sachverhalte geschildert und wollten mal
schauen, wann und wie handelt die Aufsichtsbehörde, und
mussten leider feststellen, dass nichts weiter passiert ist.
Daran wird sich wohl auch in Zukunft wenig ändern. Das
Bundesjustizministerium weist die Verantwortung von sich, teilt
auf Nachfrage mit,
Zitat:
„Es ist (…) in erster Linie Sache der Länder, zu entscheiden,
ob zur besseren Durchsetzung des Gesetzes weitere
Maßnahmen angezeigt sind (…).“
Dreiste Inkassounternehmen. Behörden und Politiker, die
offensichtlich wegschauen. Reinhold Schäfer muss
Privatinsolvenz anmelden - genauso wie Familienvater Tobias
Griesemann.
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