Anhang – Stundenbild Tierethik – MENSCH UND TIER

Anhang – Stundenbild Tierethik – MENSCH UND TIER
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Aus ERDETHIK von Alois Wolkinger
Mensch und Tier
Die Geschichte der Beziehungen zwischen Menschen und Tieren ist uralt, vielfach sehr intensiv,
beiderseits leidvoll und letztendlich existenbedrohend für das Tier – ist sie doch gekennzeichnet
durch massive Versklavung und Ausbeutung des Tieres durch den Menschen als Zug- und Lasttier
sowie als Nahrungslieferant, andererseits dadurch, dass das Tier als Unterhalter für den Menschen in
kranken, alten Tagen fungieren muss, sodass bereits der evangelische Aufklärungstheologe Johann
Georg Hamann (1730 – 1788) berechtigterweise den Vorwurf erheben konnte: „Jede Kreatur ist
wechselweise euer Schlachtopfer oder euer Götze.“
Während in der beginnenden Neuzeit das Tier überhaupt nicht als Lebewesen geachtet, sondern als
Maschine verkannt wurde, während noch Immanuel Kant Tierquälerei lediglich deshalb ablehnte,
weil dadurch „das Mitgefühl am Leiden im Menschen abgestumpft und dadurch eine der Moralität,
im Verhältnisse zu anderen Menschen, sehr diensame natürliche Anlage geschwächt und nach und
nach ausgetilgt wird!“, war es der damalige englische Aufklärungsphilosoph Jeremy Bentham (1748 –
1832), der erstmals für den Schutz des Tieres wegen dessen Leidensfähigkeit eintrat. Erst seitdem
reißt die Kette der Mahnungen zugunsten der Rechte des Tieres nicht mehr ab, die sich vorher nur
sehr sporadisch fanden. Neuerdings beginnen sogar Gesetzgeber zu erkennen, dass Tiere nicht mit
Sachen auf die gleiche Stufe gestellt werden dürfen.
Nach Auskunft der biblischen Schöpfungserzählungen hat Gott seinen Bund mit den Menschen und
allen Lebewesen geschlossen, wie es im Bundesspruch an Noah ausdrücklich zur Sprache kommt (vgl.
Gen 9,10). Interessanterweise haben auch Mensch und Tier den „Lebensatem“ gemeinsam, wie auch
den von beiden vielfach nicht ausschließlich akzeptierten Zuspruch, „alle grünen Pflanzen zur
Nahrung“ (Gen 1,30) zu verwenden. Der beiden gemeinsame Lebensatem bzw. die Seele bewegt
Kohelet später dazu festzustellen, dass auch die Menschen „eigentlich Tiere“ (Koh 3,18) sind, zumal
beide dasselbe Geschick des Sterbens zu erleiden haben. Und er fragt sich, ob sie nicht auch nach
dem Tod das gleiche Schicksal erleiden, „ob der Atem der einzelnen Menschen wirklich nach oben
steigt, während der Atem der Tiere ins Erdreich herabsinkt“ (Koh 3,21). Also erhalten auch die Tiere
wie die Menschen ein Recht auf die Sabbatruhe, zumindest Rind und Esel, die im Dienst des
Menschen stehen (vgl. Ex 23,12), Dtn 5,14). Überhaupt finden sich im Alten Testament zahlreiche
Ermahnungen, die Tiere zu schonen, z. B. Ex 23,5 (vgl. Dtn 22,4): „Wenn du siehst, wie der Esel deines
Gegners unter der Last zusammenbricht, dann lass ihn nicht im Stich, sondern leiste ihm Hilfe“; Ex
23,11: „den Rest (der Ernte) mögen die Tiere des Feldes fressen“; eine Vogelmutter sollte nicht
zusammen mit den Eiern bzw. ihren Jungen aus ihrem Nest geholt werden (vgl. Dtn 22,6); man soll
auch dem Ochsen zum Dreschen keinen Maulkorb anlegen“ (Dtn 25,4; vgl. 1 Tim 5,18); Jungtiere
(Rinder, Schafe, Ziegen) sollen sieben Tage bei der Mutter verbleiben, erst am achten Tag dürfen sie
als Opfertiere geschlachtet werden (vgl. Lev 22,27).
Als Grundregel für den Umgang mit den Tieren gilt: „Der Gerechte weiß, was sein Tier braucht, doch
das Herz der Frevler ist hart.“ (Spr 12,10). Und angesichts der prophetischen Vision einer
endzeitlichen Versöhnung des Menschen mit Gott kommt es auch zu einem universellen Frieden mit
der ganzen Schöpfung: „Dann wohnt der Wolf beim Lamm …, der Säugling spielt vor dem Versteck
der Natter.“ (Jes 11,6-8). Auch das Blut der Tiere darf nicht genossen werden, weil sich im Blut das
Leben bzw. die Seele befindet (vgl. Lev. 17,13f). Aber selbst gegenüber den im alten Judentum wie
auch bei den meisten Völkern der Erde unumstrittenen Tieropfern meldet der Prophet Jesaja
schwerste Vorbehalte an:
Man opfert Rinder – und erschlägt Menschen;
Man opfert Schafe – und erwürgt Hunde;
Man bringt Speiseopfer dar – und auch Schweineblut;
Man spendet Weihrauch – und preist einen Götzen. (Jes 66,3)
Auch Tiernahrung kann demnach in Zukunft nicht mehr als Selbstverständlichkeit angesehen,
sondern muss vielmehr einer ethischen Rechtfertigung unterworfen werden. Denn in den modernen
Zivilisationen wird allzu viel Fleisch konsumiert. Damit einher geht eine höchst tier-unwürdige „TierProduktion“ und Massenhaltung, die durch nichts gerechtfertigt werden kann. Dazu kommen noch
die höchst problematischen Tierversuche im Sinne eines nur vordergründigen Gesundheitsinteresses
am Menschen. Diese Missverhältnisse potenzieren sich neuerdings mit den Möglichkeiten des
gentechnischen Eingriffs in die Pflanzen- und Tierwelt, und zwar keinesfalls nur zum Nutzen und
Vorteil des Menschen.
Lernort Kirche?
Der Verlust des Erkennens von Lebenszusammenhängen mag eine der Hauptursachen für
den Verlust von ethisch gerechtfertigtem und verantwortlichem Handeln sein.
Diesem Verlust zu begegnen ist Aufgabe auch der Kirchen in all ihren Wirkungsbereichen, in der
Verkündigung, einem entsprechenden Alltagsverhalten, ihrem diakonischen Auftrag und in der
Liturgie. Dazu ist eine interdisziplinäre wissenschaftliche Auseinandersetzung ebenso notwendig wie
die Zusammenarbeit mit Umwelt- und Friedensorganisationen und engagierten Vertretern der Politik
und Wirtschaft.
Bewährte kirchliche Initiativen erleiden oft das Schicksal von „Propheten“, doch ihr Protest darf
angesichts der ökologischen Krise nicht überhört werden. Auf den Grundlagen der christlichen
Schöpfungsethik haben sie längst ihren Platz im Weltgeschehen eingenommen. Diese Pioniere gelten
als „religionsproduktives Element“ und sie wirken aufgrund ihrer Authentizität auch anziehend.
Quellen:
RIFKIN Jeremy, Das Imperium der Rinder, 2001
DREWERMANN Eugen, Der tödliche Fortschritt, 1986
MOLTMANN Jürgen, Versöhnung mit der Natur, 1986
WOLKINGER Alois, Erdethik, 1996
ROSENBERGER Michael, Wörterbuch Schöpfungsspiritualität, 2000
KESSLER Hans, Das Stöhnen der Natur. Plädoyer für eine Schöpfungsspiritualität und Schöpfungsethik, 1990
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Zum Verfasser:
Alois Wolkinger
Moraltheologe und Dogmatiker
Seine wissenschaftliche Tätigkeit reicht von moraltheologischer Arbeit, über Fragen der Ökumene,
Friedensethik, des zivilen Ungehorsams, Fragen der medizinischen Ethik bis zur Ökoethik und
Spiritualität