Makro Osteuropa

OSTEUROPA
Der neue US-Präsident Trump bringt auch für Osteuropas
aufstrebende Volkswirtschaften Neues – vor allem neue
Unsicherheiten. Während Russland profitieren könnte,
leidet die türkische Volkswirtschaft schon jetzt.
21. November 2016
Währungsreaktionen nach Trump-Wahl
-8
-6
-4
-2
0
Russischer Rubel
Trump hat zwar noch nicht viel Konkretes zu seiner zukünftigen
Politik gesagt. Doch sogar dieses Nichts-sagen wirkte sich bereits
auf Schwellenländer aus – vor allem solche, die am US-Dollar
hängen oder solche, die geopolitische Bedeutung haben.
Die von Trump angekündigten Infrastrukturinvestitionen und
Steuerreformen könnten das amerikanische Wirtschaftswachstum
etwas erhöhen. Ferner hat Präsident Trump in der Außen- und
Handelspolitik relativ großen Spielraum. Aufgrund der zum Teil
schrillen Äußerungen Trumps ist vieles weiter unklar. Doch
könnten die USA in Zukunft deutlich weniger offen für freien
Handel auftreten. Schlimmstenfalls droht das Auslaufen von
Handelsabkommen wie dem NAFTA und ein Handelskrieg gegen China. Zu den realistischeren Szenarien gehört, dass Trumps
protektionistische Agenda vor allem im Kleingedruckten der USHandelspolitik auftauchen wird, sodass die Amerikaner angereizt
werden, mehr amerikanische Produkte zu kaufen. Das ist wiederum schlecht für die exportorientierten aufstrebenden Wirtschaften.
Darüber hinaus ließen die etwas besseren Wachstumsaussichten
den US-Dollar nach einem kurzen Schlag aufwerten, was vor
allem die Emerging Markets trifft, die stark vom US-Dollar bzw.
Krediten in dieser Währung abhängig sind. Mit ihrem Leistungsbilanzdefizit von etwa 5 % des BIP und immer wieder turbulenten politischen Schlagzeilen ist die Türkei deshalb neben Mexiko
und Südafrika eine der von Trumps Wahlsieg am stärksten getroffenen Volkswirtschaften. Die Lira stand zwischenzeitlich auf
einem 30-Jahrestief.
Trumps geopolitische Ideen sind weiter sehr vage. Sollte
Washington in Zukunft eine freundlichere Haltung zu Russland
einnehmen, könnte Trump die Krim-Annexion Russlands neu
bewerten. So preisten viele Investoren die Perspektive auf ein
früheres Ende der westlichen Russland-Sanktionen und damit
eine etwas schnellere Erholung ein. Entsprechend reagierte der
Rubel relativ positiv auf den Sieg Trumps. Dass der Rubel aber
dennoch abschwächte lag vor allem an Trumps Äußerungen zum
Öl – dem Hauptexportprodukt Russlands: Davon sollen die USA
in Zukunft mehr produzieren und es soll wieder billiger werden.
Welche Wirkungen Trumps Politik am Ende wirklich haben wird,
bleibt aber vorerst unklar.
Türkische Lira
Polnischer Zloty
Ungarischer Forint
Tschechische Krone
Jeweilige Wechselkurse gegenüber dem US-Dollar vom 8. November bis zum 18. November.
Quelle: Bloomberg.
BIP-Prognosen
2016
2017
2018
-0,6
1,0
1,8
Türkei
2,9
2,8
3,3
Polen
2,9
3,3
3,4
Russland
In % gegenüber Vorjahr. Quelle: Berenberg
Inhaltsverzeichnis
Russland
Trumps Wahl erhöht Chancen auf Sanktionsende
Seite 2
Türkei
Die Lira fällt und die „Säuberungen“ gehen weiter
Seite 3
Polen
Die Politik geht in die falsche Richtung
Seite 4
Osteuropa | 21. November 2016
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RUSSLAND
Trumps Wahl erhöht Chancen auf Ende der Sanktionen
Die russische Wirtschaft erholt sich weiter. Im letzten Quartal
verzeichnete das Russische Statistikamt ein Minuswachstum von
„nur noch“ 0,4 % – etwas besser als erwartet. Positiv ist auch,
dass die Inflationsrate etwas schneller fällt als erwartet. So kann
die Notenbank durchaus noch im Dezember die Zinsen unter
10 % fallen lassen (aktuell: 10 %). Auch die Ratingagentur Fitch
ändert ihren Ausblick von „negativ“ auf „stabil“ und belässt das
Rating bei dem niedrigsten Investment Grade-level: BBB–. Vor
allem die Industrie profitiert von den Sanktionen, die Importe
nach Russland behindern bzw. verhindern. So ließen Mangel und
ausbleibender Wettbewerb Teile der Wirtschaft neu erblühen –
Importsubstitution aus dem Lehrbuch. Doch viele dieser Blüten
werden nach dem Ende der Sanktionen (mehr unten) unter internationalem Wettbewerb wieder eingehen. Die Produktivität fiel
zuletzt stark, außerdem macht der schwache Rubel Importe teuer
– und der Verbrauch bleibt weiter im Keller.
Immerhin stabilisieren die zuletzt wieder etwas gestiegenen Ölpreise die Erholung; Öl ist weiter das Hauptexportprodukt Russlands. So treffen sich Vertreter Moskaus am 30. November mit
den OPEC-Staaten, um zu besprechen, ob nach einer losen Interessenbekundung im September die Ölfördermengen nun ernsthaft reduziert werden sollen. Ziel: Den Ölpreis – und damit das
Wachstum der Petrowirtschaften – wieder ankurbeln. Doch
Moskau gibt sich undurchsichtig. Geringere Fördermengen bedeuten höhere Einnahmen pro Fass aber auch weniger verkaufte
Mengen. Außerdem ließe sich jede Vereinbarung nur unzureichend überwachen – ganz zu schweigen vom Verhalten der
nicht beteiligten Ölproduzenten. Der Kreml wird deshalb wohl
höchstens eine Förderobergrenze anbieten, mehr aber nicht.
Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USAspielt hier,
wie auf Seite 1 bereits erwähnt, ebenfalls eine Rolle. Trump will
billiges Öl, was Russlands Interessen widerspricht. Andererseits
könnte sich Washington viel Russland-freundlicher verhalten, als
dies unter Obama (oder Clinton) möglich gewesen wäre. Deshalb
könnten die USA im nächsten Jahr ihre Einschätzung des russischen Engagements in der Ukraine revidieren und die Sanktionen
gegenüber Russland lockern. Trotz etwaiger MiniAnpassungsrezession (siehe oben) bedeutete ein Ende der Sanktionen für Russlands Wirtschaft unter dem Strich eine nachhaltigere Erholung; ausländischer Wettbewerb würde die Produktivität wieder anziehen lassen. An diesen Perspektiven ändert sodann
auch die fortbestehende politische Repression nichts, selbst wenn
Verhaftungen immer wieder als Machtinstrument genutzt werden. Jüngstes Opfer war hier Wirtschaftsminister Uljukajew, der
zum wirtschaftsliberalen Fraktion im Kreml gehört und wegen
angeblicher Korruption festgenommen und entlassen wurde.
Inflation, Lebensmittel- und Kerninflation
25
20
15
10
5
0
Jan 14
Jun 14
Nov 14
Apr 15
Sep 15
Inflation
Lebensmittelinflation
Feb 16
Jul 16
Kerninflation
Zentralbankziel
In % gegenüber Vorjahr. Quelle: Bloomberg.
US-Dollar in Rubel
30
45
60
75
Dez 13
Mai 14
Okt 14
Mrz 15
Aug 15
Jan 16
Jun 16
Invertierte Achse. Quelle: Bloomberg
Prognosen
2016
2017
2018
-0,6
1,0
1,8
Inflation
7,0
4,9
5,2
Haushalt
-4,0
-2,9
-2,5
Arbeitslosigkeit
6,5
6,2
6,3
Leistungsbilanz
3,1
3,3
3,6
BIP
In % gegenüber Vorjahr, Haushalt und Leistungsbilanz in % des BIP. Quelle: Berenberg.
Osteuropa | 21. November 2016
2/5
TÜRKEI
Die Lira fällt und die „Säuberungen“ gehen weiter
Die türkische Wirtschaft kriegt mit dem Sieg Trumps einen außenwirtschaftlichen Schlag ins Kontor. Die Unsicherheit über
den zukünftigen Kurs der Trump-Administration sowie die Perspektiven auf etwas höheres US-Wachstum haben die Lira und
einige andere Schwellenlandwährungen gegenüber dem USDollar fallen lassen – doch die Lira fiel nun auf ein 30-Jahrestief.
Das Timing für den neuesten Lira-Verfall ist schlecht. Die Türkei
leidet unter ausbleibendem Tourismus, langsam steigenden Ölpreisen und unter sowieso schon teuren Importen. Eine schwächere Lira ist andererseits gut für die türkischen Exporteure.
Diese könnten in Zukunft ihre Produkte günstiger im Ausland
verkaufen. Während Ankara das z.B. durch Verhandeln neuer
Handelsverträge zu forcieren versucht, zeigen die Exportdaten
der vergangenen Jahre, dass die billige Lira – bislang zumindest –
bloß einen moderaten Schub für türkische Exporteure brachte.
Grund: die Spannungen im Irak (zeitweise zweitwichtigster Handelspartner der Türkei) und Syrien ließe die Nachfrage nach türkischen Produkten fallen. In Anbetracht dieser Umstände erwarten wir, dass sich die Leistungsbilanz in den kommenden Jahren
wieder mehr ins Negative entwickeln wird (je negativer, desto
größer die Abhängigkeit von ausländischen Kapitalzuflüssen).
Die Regierung übertrumpft sich derweil selbst mit weiteren „Säuberungen“, die zunehmend dem Schneeballprinzip folgen. Seit
Mitte Juli wurden über 100 000 Menschen entlassen, angeklagt
oder verhaftet. Jüngste Opfer waren Abgeordnete der oppositionellen pro-kurdischen Partei, u.a. deren Vorsitzender und ehemaliger Präsidentschaftskandidat, sowie Mitarbeiter großer Tageszeitungen. Als nächstes dürfte die größte Oppositionspartei CHP
dran sein. Erdogan will mithilfe der nationalistischen MH-Partei
die Verfassung ändern, um aus der Türkei eine Präsidialrepublik
zu machen. Die MHP will dafür aber die Wiedereinführung der
Todesstrafe. Hinzu kommt die zunehmende Verstimmung mit
der EU. Am Ende könnte es im Frühjahr zu einem Referendum
kommen: Über die EU, die Todesstrafe und die Präsidialrepublik.
Letztere wird dann wohl eher russisch als französisch. Dazu
kommt, dass Wirtschaftsminister Simsek – und leider nicht die
Notenbank! – beschlossen hat, dass die Notenbank ab 2017 nur
noch acht anstatt zwölf Zinsentscheidungen treffen und nur noch
einen Zins nutzen wird. Diese Vereinfachung ist zwar gut, aber
dass sie nicht von der Bank selbst kommt ist bedenklich. Weiteres
Lira-Abrutschen ist wahrscheinlich.
Inflation, Lebensmittel- und Kerninflation
15
12
9
6
3
Jan 14 Jun 14 Nov 14 Apr 15 Sep 15 Feb 16
Jul 16
Inflation
Kerninflation
Lebensmittelinflation
Zentralbankziel
0
Dez 16
In % gegenüber Vorjahr. Quelle: Bloomberg.
US-Dollar in Lira
2.0
2.3
2.6
2.9
3.2
3.5
Dez 13 Mai 14
Okt 14 Mrz 15 Aug 15
Jan 16
Jun 16
Invertierte Achse. Quelle: Bloomberg
Prognosen
2016
2017
2018
BIP
2,9
2,8
3,3
Inflation
8,0
8,3
8,3
Haushalt
-2,1
-2,1
-2,1
Arbeitslosigkeit
11,0
11,3
11,2
Leistungsbilanz
-5,0
-5,4
-5,8
In % gegenüber Vorjahr, Haushalt und Leistungsbilanz in % des BIP. Quelle: Berenberg.
Immerhin hat Ankara ein paar Maßnahmen zur Flexibilisierung
des Arbeitsmarktes beschlossen. So wurde Kurzarbeit gesetzlich
besser verankert, außerdem wurde der Wiedereinstieg von Frauen
in den Arbeitsmarkt nach der Geburt eines Kindes erleichtert.
Osteuropa | 21. November 2016
3/5
POLEN
Die Politik geht in die falsche Richtung
Die polnische Wirtschaft wuchs zuletzt langsamer als erwartet.
Im dritten Quartal legte das BIP im Vergleich zum Vorjahr nur
um 2,5 % zu. Dahinter steckt ein hinter den Erwartungen zurückbleibender privater Verbrauch. Darüber hinaus hat die Regierung dieses Jahr verhältnismäßig wenig EU-Gelder zugewiesen
bekomme, weshalb sie auch weniger ausgeben konnte. Das
schwächte die Investitionen unerwartet stark. Trotz aller Rhetorik
gegen Brüssel sind nämlich die Gelder von dort immer noch eine
sehr wichtige Wachstumsgrundlage für das Land.
Inflation, Lebensmittel- und Kerninflation
3.0
1.5
0.0
-1.5
-3.0
Die polnische Regierung bleibt weiter auf stramm nationalpopulistischem Kurs und verschlimmbessert die ganze Makrosituation. Jan 14 Jun 14 Nov 14 Apr 15 Sep 15 Feb 16 Jul 16
Sie beschloss, das Renteneintrittsalter auf 65 für Männer und 60
Inflation
Kerninflation
für Frauen zu erhöhen – und revidiert damit die Rentenreform
Lebensmittelinflation
Zentralbankziel
der Vorgängerregierung, die noch ein höheres Eintrittsalter be- In % gegenüber Vorjahr. Quelle: Bloomberg.
schlossen hatte. Die Reform wird erst ab Oktober 2017 wirksam,
aber die Ratingagentur Moody’s beziffert die Kosten dieser MaßEuro in Zloty
nahme auf jährlich rund 10 Mrd. Zloty (etwa 2,3 Mrd. Euro).
-4.5
4.00
Die Maßnahme kommt zwar gut bei großen Teilen der polnischen Bevölkerung an, aber volkswirtschaftlich ist sie kontraproduktiv: Ähnlich wie in Deutschland entwickelt sich die Demographie auch in Polen: Die Menschen bekommen immer weniger
Kinder. Die Reform verschärft die Folgen dieses Trends und
wird die Rentenkassen noch stärker unter Druck setzen. Dazu
kommt aber noch eine weitere nun eingeführte Maßnahme: Die
Anfang des Jahres eingeführte Kindergelderhöhung wurde nun
auch über die erstgeborenen Kinder hinaus ausgeweitet. Das
niedrigere Renteneintrittsalter und das höhere Kindergeld werden
vor allem Frauen den Anreiz geben, daheim zu bleiben anstatt am
Arbeitsmarkt teilzunehmen. Keine gute Perspektive für Polens
Wirtschaft. Entsprechend schwächelte der Zloty zuletzt übermäßig stark.
Die Gerüchteküche um die polnische Notenbank brodelt während alledem weiter. Auf der einen Seite argumentieren Einige,
dass die Notenbank zu Beginn des nächsten Jahres den Zins
senken wird, um die schwächelnde Wirtschaft etwas zu beleben.
Schließlich wäre die Notenbank nicht die erste formell neutrale
Institution des Landes, die auf Regierungslinie gebracht wird. Wir
folgen allerdings einer anderen Argumentationslinie: Die Preise
erholen sich langsam wieder, Polen verlässt langsam aber sicher
die Deflation, die Lebensmittelpreise stiegen bereits wieder ganz
leicht. Zumal sich die Notenbank in den letzten Monaten viel
zurückhaltender gegeben hat, als man es im aktuellen politischen
Klima Polens erwarten würde. Insofern erwarten wir vorerst
keine Änderung und wenn, dann wohl eher eine Zinserhöhung
Mitte nächsten Jahres.
4.15
4.30
4.45
Dez 13 Mai 14 Okt 14 Mrz 15 Aug 15 Jan 16 Jun 16
Invertierte Achse. Quelle: Bloomberg
Prognosen
2016
2017
2018
2,9
3,3
3,4
Inflation
-0,7
0,7
1,8
Haushalt
-2,1
-3,0
-3,2
Arbeitslosigkeit
9,0
8,3
7,9
Leistungsbilanz
-0,7
-1,5
-2,2
BIP
In % gegenüber Vorjahr, Haushalt und Leistungsbilanz in % des BIP. Quelle: Berenberg.
Osteuropa | 21. November 2016
4/5
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