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Management
„Ich setze auf freiwillige
Tierwohl-Initiativen“
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt fordert tiergerechtere Haltungsbedingungen für Nutztiere. Dabei setzt er zunächst auf die Ideen der Wirtschaft. Bleiben
Fortschritte aus, droht er mit schärferen gesetzlichen Vorgaben.
der Nutztierhaltung. Damit betritt
die Branche Neuland.
top agrar: Herr Minister, Sie haben
Ihre Initiative „Eine Frage der Haltung
– Neue Wege für mehr Tierwohl“ vorgestellt. Torpedieren Sie damit nicht die von
der Branche getragene „Initiative Tierwohl“ bzw. das von Ihrem Haus geförderte Label des Deutschen Tierschutzbundes
„Für mehr Tierschutz“?
Schmidt: Nein. Beide Initiativen
umfassen nur Schweine und Hähnchen. Mit meinem Projekt dagegen will
ich auch bessere Bedingungen für Versuchs- sowie Haus- und Begleittiere durchsetzen. Zudem setze ich
eine Koalitionsvereinbarung von
CDU/CSU und SPD um.
Mein Ziel ist, dass Tierwohl und
Tierschutz als eine Art politische
und gesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe verstanden werden, nicht
gegen, sondern mit Tierhaltern, Handel
und den Verbrauchern.
top agrar: Wer sitzt bei Ihrem „Kompetenzkreis Tierwohl“ mit am Tisch? Welche
Aufgaben hat er und nach welchen Regeln
werden dort Entscheidungen gefällt?
Schmidt: Den Vorsitz hat der ehemalige niedersächsische Landwirtschaftsminister Gert Lindemann übernommen. Er ist ein allseits anerkannter
Experte, der weiß, wie man den Tier-
zung politischer Maßnahmen und die
Mitglieder werden Tierwohl-Indikatoren erarbeiten. Nach welchem Prinzip
Entscheidungen getroffen werden, legt
der Kompetenzkreis selbst fest.
top agrar: Für serienmäßig hergestellte
Stalleinrichtungen soll es künftig ein
Typenzulassungsverfahren geben. Was
heißt das konkret?
Schmidt: Künftig muss der Hersteller
einer Stalleinrichtung diese vor dem
Inverkehrbringen umfassend
unter dem Gesichtspunkt des
Tierschutzes prüfen lassen, dabei
muss die Einrichtung den Anforderungen des Tierschutzes genügen. Wichtig auch: Bei der Prüfung handelt es sich nicht um einen
klassischen TÜV, bei dem ein Fahrzeughalter sein Auto in regelmäßigen
Abständen überprüfen lassen muss.
Die Prüfung selbst wird im Rahmen
eines gesetzlich geregelten Zulassungsverfahrens stattfinden. Starten will ich
zunächst mit der Legehennenhaltung.
In Kürze besprechen wir die Eckpunkte mit den betroffenen Verbänden, und im ersten Halbjahr 2015 legen
wir den Entwurf für eine Rechtsverordnung vor.
„Freiwillige Initiativen müssen
Ergebnisse liefern.“
S 4
top agrar 11/2014
Foto: Thomas Koehler/photothek/BMEL
top agrar: Was halten Sie von den
Initiativen der Wirtschaft?
Schmidt: Ich setze große Hoffnungen
in die freiwilligen Vereinbarungen der
Wirtschaft. Sie sollen ihre Chance
bekommen. Ich werde aber genau verfolgen, ob die freiwilligen Initiativen
wirklich zu messbaren Fortschritten
führen. Wenn die Branche in puncto
Tierwohl nicht liefert, behalte ich mir
auch Gesetzesinitiativen vor.
Die Einführung des Tierschutzlabels
des Deutschen Tierschutzbundes war
aus meiner Sicht ein erster wichtiger
Schritt für mehr Transparenz und
Wahlfreiheit. Verbraucher können
sich mithilfe des Labels bewusst
für Produkte entscheiden, bei deren
Erzeugung hohe Tierschutzstandards
eingehalten wurden. Und im Rahmen
der Brancheninitiative arbeiten Erzeuger, Verarbeiter und der LEH gemeinsam an neuen Tierwohlstandards in
schutz in landwirtschaftlichen Betrieben praktikabel umsetzen kann. Darüber hinaus sitzen Vertreter aus der
Wirtschaft und Wissenschaft sowie
aus den Bereichen Handel und Tierschutz mit am Tisch. Dazu zählen
u. a. Thomas Schröder, Präsident des
Deutschen Tierschutzbundes, sowie
Roger Fechler vom Deutschen Bauernverband. Auch Verbraucherschützer
sind dabei.
Die Experten unterstützen mein
Ministerium bei der Folgenabschät-
Bundeslandwirtschaftsminister
Christian
Schmidt will mit
seiner Initiative
erreichen, dass
das Tierwohl in
Deutschland
verbessert wird.
Foto: Arden
top agrar: Wer prüft und spricht die
Zulassung aus?
Schmidt: Im Tierschutzgesetz ist vorgesehen, dass die Bundesanstalt für
Landwirtschaft und Ernährung die
Zulassungsstelle sein soll. Die Prüfungen sollen Einrichtungen übernehmen,
die über das Fachwissen verfügen.
top agrar: Für das Kupieren der Ferkelschwänze verlangen Sie von der Wirtschaft verbindliche Ausstiegsvereinbarungen. Wann soll Schluss sein?
Schmidt: Ich lege mich auf kein
konkretes Datum fest. Denn es
kann nicht sein, dass wir ein
Kupierverbot erlassen und die
Landwirte wegen zunehmender
Bissverletzungen wieder mehr
Antibiotika einsetzen müssen. Damit
ist niemandem gedient.
Mein Ziel ist, bis Ende 2015 gemeinsam mit der Wirtschaft Vereinbarungen zu treffen, wie und wann wir das
Schwänzekupieren beenden können.
top agrar: Und wenn sich der Berufsstand dazu nicht in der Lage sieht?
Schmidt: Ich bin zuversichtlich, dass
wir mit dem Berufsstand einen für alle
Seiten akzeptablen Zeitraum vereinbaren können, sofern Einigkeit über
das Ziel besteht. Dabei müssen wir uns
natürlich an den Fortschritten in Wis-
senschaft und Praxis orientieren. Wenn
die Branche nicht vorankommt, werde
ich rechtliche Maßnahmen prüfen.
top agrar: In Demonstrationsbetrieben
sollen bis Ende 2015 besondere Tierschutzbestimmungen in der Praxis getestet werden. Was genau ist geplant? Welche finanziellen Beihilfen stehen bereit?
Schmidt: Schwerpunktmäßig werden
wir uns mit Maßnahmen beschäftigen,
die z. B. den Verzicht auf nicht-kurative
Eingriffe, die Reduzierung des Einsat-
„Wir investieren 21 Mio. €
in den Tierschutz.“
zes von Antibiotika und die Optimierung von Haltungsbedingungen vorsehen. Konkret für die Schweinehaltung
suchen wir nach Ansätzen, wie wir
das Problem Schwanzbeißen lösen
können und wie sich die Gruppenhaltung in der Säugeperiode bzw. im
Deckzentrum umsetzen lässt. Die
Demonstrationsbetriebe werden untereinander vernetzt.
Für das gesamte Modell- und
Demonstrationsvorhaben Tierschutz
nehmen wir bis zum Jahr 2018 rund
21 Mio. € in die Hand. Davon sind
5 Mio. € für 2015 vorgesehen.
top agrar: Künftig brauchen alle Personen, die mit Nutztieren umgehen, einen
Sachkundenachweis, große Tierhaltungsanlagen sogar einen Tierschutzbeauftragten. Sind die Landwirte nicht gut genug
ausgebildet?
Schmidt: Es gilt, die Ausbildung von
allen, die mit Nutztieren umgehen, in
Bezug auf den Tierschutz zu verbessern. Hier gibt es noch zu viele Defizite.
Zu berücksichtigen ist auch, dass nicht
alle Tierhalter eine landwirtschaftliche
Ausbildung haben. Im Blick haben
wir außerdem ungelernte Hilfskräfte, Fängerkolonnen usw.
top agrar: Zusätzliche Tierschutzauflagen in Deutschland
kosten Geld. Werden Sie diese
Kosten ausgleichen?
Schmidt: Ich werde keine Auflagen
erlassen, ohne zuvor die Auswirkungen
auf die Wirtschaftlichkeit zu berücksichtigen. Es geht mir um eine nachhaltige Zukunft der Tierhaltung in
Deutschland. Weder den Tieren, noch
den Erzeugern oder den Verbrauchern
wäre gedient, wenn wir künftig mehr
tierische Produkte aus anderen Ländern importieren müssten, deren Tierschutzstandards wir kaum beeinflussen
können.
Das Interview führte
top agrar-Redakteur Marcus Arden
top agrar 11/2014
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