SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
Mit Glanz und Franz und Gloria:
Habsburgs k.u.k. Weltuntergang
Teil V: Österreicher
Von Katharina Eickhoff
Sendung:
Freitag 25. November 2016
Redaktion:
Bettina Winkler
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
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SWR2 Musikstunde mit Katharina Eickhoff
Mit Glanz und Franz und Gloria: Habsburgs k.u.k. Weltuntergang 5
SWR 2, 21. November - 25. November 2016, 9h05 – 10h00
Teil V: Österreicher
Indikativ
In Joseph Roths Roman “Radetzkymarsch” ist es der alte Kaiser selbst, der sich,
auf Manöverbeobachtung irgendwo an einem äußeren Zipfel seines Reichs,
Gedanken über das Ende macht, noch bevor die anderen es kommen sehen.
“Durch den Feldstecher sah Franz Joseph die Bewegungen jedes einzelnen
Zuges, ein paar Minuten lang fühlte er Stolz auf seine Armee und ein paar
Minuten auch Bedauern über ihren Verlust. Denn er sah sie schon zerschlagen
und verstreut, aufgeteilt unter den vielen Völkern seines weiten Reiches. Ihm ging
die große goldene Sonne der Habsburger unter, zerschmettert am Urgrund der
Welten, zerfiel in mehrere kleine Sonnenkügelchen, die wieder als selbständige
Gestirne selbständigen Nationen zu leuchten hatten. Es passt ihnen halt nimmer,
von mir regiert zu werden” dachte der Alte.
Da kann man nix machen! fügte er im Stillen hinzu. Denn er war ein Österreicher.“
CD
T. 1
Ralph Benatzky, Im Weißen Rössl, S ist einmal im Leben so
Hans Putz, Münchner Rundfunkorchester, Willy Mattes
Warner 2499517
2’27
„Es war sehr schön. Es hat mich gefreut.“ – Das war Kaiser Franz Josephs
Standardsatz in jeder repräsentativen Lebenslage, und damit tröstet er dann
doch tatsächlich auch die Wirtin Josepha in Ralph Benatzkys Operette „Im
Weißen Rössl“.
Das war 1930, da hat nämlich in Österreich die Sehnsucht nach der guten alten
Habsburgerzeit schon wieder fröhliche Urständ gefeiert, der Kaiser war nicht mehr
der unbarmherzige Militarist, der eine ganze Generation in den Abgrund
getrieben hat, sondern ein lieber, lebensweiser Onkel, der als Deus ex machina
am Wolfgangsee auftaucht und Tröstendes in seinen Kaiserbart murmelt.
Ein alter Mann ist Kaiser Franz Joseph in den Jahren nach der Jahrhundertwende
tatsächlich gewesen, und vielleicht war er auch ein bisschen altersweise, genug
Schicksalsschläge hat er ja schließlich abgekriegt: 1889 hat sich sein Sohn und
Thronfolger das Leben genommen, und Rudolf, dem seine militaristische
Zwangserziehung nicht gut bekommen ist, hat diesen Selbstmord als einen
dezidiert gegen den kaiserlichen Vater gerichteten Skandal inszeniert. Und knapp
zehn Jahre später wird dann Franz Josephs schwierige, immer abwesende, aber
trotzdem innig von ihm geliebte Frau, Elisabeth, genannt Sisi, von einem
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italienischen Anarchisten ermordet. „Mir bleibt auch nichts erspart“, hat er dann
gesagt.
Der alte Kaiser ist nach all dem zu müde, um auf seine späten Tage nicht liberal
zu sein. Deshalb lieben ihn alle, und vermutlich hat gerade deshalb seine Person
als einziges die völlig disparaten Teile des Habsburger Vielvölkerstaats noch
zusammengehalten.
Nicht zuletzt für die vielen Juden im Reich ist Franz Joseph eine Identifikationsfigur.
Ab der Jahrhundertwende grassiert schon verstärkt der Antisemitismus, dem ja
dann auch öffentliche Figuren wie der vermeintlich so mächtige
Hofoperndirektor Gustav Mahler zum Opfer fallen, aber für diese teils schon wüste
Juden-Hetze ist der Kaiser kaum anfällig. An den allseits beliebten
Beschimpfungen beteiligt er sich nicht, und er weigert sich auch lang, den
antisemitischen Populisten Karl Lueger zum Bürgermeister von Wien zu ernennen,
obwohl Lueger die Stimmenmehrheit hat. Von den innenpolitischen Turbulenzen,
zum Beispiel dem ständig und immer schneller wechselnden Personal der
Regierung, kriegen die meisten Untertanen kaum etwas mit, sie kennen nur den
Kaiser, den freundlichen Herrn mit Backenbart, der in ihren Wohnzimmern und
Amtsstuben an der Wand hängt und Obacht gibt, dass alles so bleibt, wie es ist.
Das “Gott erhalte Franz den Kaiser” singen sie alle mit Inbrunst, ob nun der
Dorfbürgermeister in Galizien, der Metzger aus Spittal an der Drau oder der
dandyhafte Künstler mit Wohnsitz Kaffeehaus in Wien. Wobei die Zitate der guten
alten Kaiserhymne in so manchem Musikstück ganz unmerklich schon einen sacht
ironischen Unterton annehmen. Der hätte misstrauische Reichshüter stutzig
machen müssen – aber die gab es ja zum Glück nicht.
Da schreibt zum Beispiel der aufstrebende Jungkomponist Franz Schreker im Jahr
1908 zur Feier des 60-jährigen Thronjubiläums seiner Majestät einen Festwalzer, der
das altbekannte Haydn’sche Thema unbotmäßigerweise in den verschiedensten
Rhythmen bis hin zum Walzer erscheinen lässt – und gleich in den ersten Takten
dieses vorgeblichen Kaiserbejubelungs-Stücks erscheint die Tonfolge in ziemlich
dubiosem, bzw. wenig zukunftsfrohem Licht: Das “Gott erhalte” steht in Moll.
AMS
M0279491(AMS)
01-001
7'56
Franz Schreker, Festwalzer und Walzerintermezzo für Orchester
...mit Franz Schrekers Version von einem Kaiserwalzer, in dem das altvertraute
“Gott erhalte” schon auf Abwege gerät.
Die Künstler und Intellektuellen haben Seismographensinn genug, um zu spüren,
dass langsam, aber unaufhaltsam eine große Epoche zu Ende geht – ihr
beschauliches Leben in “Kakanien”, wie Robert Musil das k.u.k.-Reich genannt
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hat, in Prag, Budapest und vor allem natürlich in Wien beeinträchtigt das aber
nicht wirklich. Genaugenommen will fast niemand von ihnen die neue Zeit
haben, die sich da ankündigt.
Robert Musil hat erst 1921, also nach dem Krieg, mit seinem Hauptwerk, dem
„Mann ohne Eigenschaften“ begonnen, und rausgekommen ist es erst 1940, aber
es spielt im Jahr 1913, und es liefert eine unglaublich brillante Analyse der
überintellektualisierten Ratlosigkeit und Lähmung, die damals herrschte – und die
einem heute irgendwie auch wieder bekannt vorkommt:
„Was ist abhanden gekommen?“, fragt Musil: „Etwas Unwägbares. Ein
Vorzeichen. Eine Illusion. Wie wenn ein Magnet die Eisenspäne loslässt und sie
wieder durcheinandergeraten. Wie wenn Fäden aus einem Knäuel
herausfallen....Wie wenn ein Orchester falsch zu spielen anfängt...Personen
ernteten Ruhm, die man früher nicht für voll genommen hätte...Unabhängige
zollten dem Beifall Zugeständnisse, der schon gebildete Geschmack erlitt von
neuem Unsicherheiten. Die scharfen Grenzen hatten sich allenthalben verwischt,
und irgend eine neue, nicht zu beschreibende Fähigkeit, sich zu versippen, hob
neue Menschen und Vorstellungen empor....
Es fehlt nicht an Begabung noch an gutem Willen, ja nicht einmal an
Charakteren. Es fehlt bloß ebensogut an allem wie an nichts; es ist, als ob sich das
Blut oder die Luft verändert hätte, eine geheimnisvolle Krankheit hat den kleinen
Ansatz zu Genialem der früheren Zeit verzehrt, aber alles funkelt von Neuheit, und
zum Schluß weiß man nicht mehr, ob wirklich die Welt schlechter geworden sei
oder man selbst bloß älter. Dann ist endgültig eine neue Zeit gekommen.“
CD
T. 2
Béla Bartók, Allegro Barbaro
Béla Bartók
Pearl GEMM CD 9166
2’20
....So klang sie zum Beispiel, die neue Zeit: Bela Bartok, Untertan seiner kaiserlichen
und königlichen Majestät, spielte da sein „Allegro Barbaro“ aus dem Jahr 1911,
bahnbrechende zweieinhalb Minuten, in denen mit den Mitteln der ungarischen
Folklore ein völlig neuer Ton in der Musik angeschlagen wird: verwirrende, aber
alles bestimmende Rhythmen, eine unterschwellige Andeutung von Gewalt,
etwas Unkontrollierbares und Rätselhaftes, ein radikaler Gegenentwurf zu den
Lehár’schen Walzern, nach deren Pfeife zu dem Zeitpunkt noch in Wien getanzt
wird.
Die Musiker sind damals diejenigen, die ihrer Zeit voraus sind – siehe Gustav
Mahler, der ja in seinen lang vor dem Krieg geschriebenen Sinfonien die am
Horizont stehende Urkatastrophe so klar vorweggenommen hat, dass allen, die
Ohren hatten zu hören, angst und bange hätte werden müssen. Die Literaten
dagegen verlegen sich im bröckelnden Vielvölkerstaat zum allergrößten Teil aufs
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Aussitzen und Ruhebewahren. In den Kaffeehäusern residieren sie und lassen das
Kaiserreich in Zigarettenqualm und friedfertiger Ironie aufgehen. Höchstens ein
gewisser Bronstein, der im Wiener Café Central Schach spielt und sich später
Trotzki nennen wird, hat wirklich umstürzlerische Ideen. Die anderen opponieren
nicht gegen die Herrschenden und die herrschenden Zustände.
Dazu macht man’s ihnen ja auch viel zu gemütlich und dazu hätschelt man sie
viel zu sehr. Und so versuchen sie alle, so gut es eben geht, diese gemeinsam
bewohnte Welt zu bewahren, von der die meisten doch zumindest geahnt
haben, wie gefährdet sie war.
Aber selbst ein Gustav Mahler sitzt, derweil er in seiner Musik die Welt untergehen
lässt, als Hofoperndirektor noch in aller Seelenruhe im Café Imperial, liest in den
Zeitungen die Kritiken seines letzten Auftritts nach und ärgert sich über die
Gifteleien, die Karl Kraus über ihn schreibt. Kraus, der im Café Griensteidl seine
bissigen Artikel verfasst, bezeichnet Wien zwar als “Versuchsstation des
Weltuntergangs”, aber nicht einmal er hat so richtig was gegen den Kaiser, und
Schnitzler und Hofmannsthal am Nebentisch sowieso nicht. Die Griensteidler
nennen sich als Clique “Jung-Wien”, außer Schnitzler, Hofmannsthal und Kraus
gehören unter anderen auch Peter Altenberg und Felix Salten dazu, der
Schriftsteller Hermann Bahr ist der Wortführer, und zusammen versucht man
zwischen Einspänner und Kleinem Braunen, sich, wie es Alfred Polgar ausdrückte,
“auch das Schwere leicht zu machen.”
Aus der ironischen Betrachtung dieser Denkungsart entspringt dann später
Österreichs große Literatur, von Robert Musil über Horváth bis zu Joseph Roth, die
allesamt die Kunst beherrschten, mit größtmöglicher Eleganz und einem kleinen
Schulterzucken traurig zu sein.
“Wir sollen von einer Welt Abschied nehmen, bevor sie zusammenbricht. Viele
Menschen wissen das bereits, und ein unbeschreibliches Gefühl lässt sie alle zu
Dichtern werden.” – Das schrieb Hugo von Hofmannsthal damals, und keiner hat
ja in jenen frühen Jahren des 20. Jahrhunderts die Melancholie des Abschieds so
erlesen in Worte gefasst wie er. Alexander von Zemlinsky, ein anderer
Kaffeehaussitzer jener Tage, hat Hofmannsthals berühmte “Terzinen über
Vergänglichkeit” vertont.
AMS
M0300987(AMS)
01-006
2'08
Alexander von Zemlinsky, Noch spür' ich ihren Atem. Lied für Singstimme und
Klavier
Ruth Ziesak, Cord Garben
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Seine Kaiserliche und Königliche Apostolische Majestät
Kaiser Franz Joseph I.,
von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich,
König von Ungarn und Böhmen, von Dalmatien, Kroatien, Slawonien, Galizien
und Lodomerien, Illyrien, Lombardo-Venetien;
König von Jerusalem etc.;
Erzherzog von Österreich;
Großherzog von Toskana und Krakau;
Herzog von Lothringen, von Salzburg, Steiermark, Kärnten, Krain und der
Bukowina;
Großfürst von Siebenbürgen, Markgraf von Mähren;
Herzog von Ober- und Niederschlesien, von Modena, Parma, Piacenza und
Guastalla, von Auschwitz und Zator, von Teschen, Friaul, Ragusa und Zara;
Gefürsteter Graf von Habsburg und Tirol, von Kyburg, Görz und Gradisca;
Fürst von Trient und Brixen;
Markgraf von Ober- und Niederlausitz und Istrien;
Graf von Hohenems, Feldkirch, Bregenz, Sonnenberg etc.;
Herr von Triest, von Cattaro und auf der windischen Mark;
Großwojwode der Wojwodschaft Serbien
etc., etc.
Das ist die Kurzfassung des Titels, den Kaiser Franz Joseph ein halbes Kaiserleben
lang hinter sich herschleppt, und diese Aufzählung völlig unterschiedlicher
Himmelsrichtungen und Kulturkreise sagt schon viel über die letztlich erwiesene
Unmöglichkeit des Reiches aus.
Der gepriesene Vielvölkerstaat ist am Ende ein Pulverfass:
Ein unnatürlich aufgeblasenes, in sich uneiniges Monster-Reich, dem auch die
1867 proklamierte “Religions- und Gewissensfreiheit” nicht weitergeholfen hat. Die
vielen verschiedenen Völker, ihre nationalen Befindlichkeiten, Mentalitäten und
Traditionen, hier die Ungarn, dort Böhmen und Mähren, oben Polen, unten die
Kroaten, die Italiener, Slowenen und Serben, um bloß mal einige wenige zu
nennen, sind einander nicht grün und werden unterschiedlich stark bevorzugt,
und am allertollsten und sozusagen natürlich überlegen fühlen sich die DeutschÖsterreicher, was beim Rest des Flickenteppichs zusätzlich schlechte Stimmung
macht. Überall gibt es nationalistische Bestrebungen, Autonomiewünsche,
Unabhängigkeitsträume, panslawistische Ideen - jede Gruppe hängt ihren
eigenen Parolen nach, und das hätte den Herrscher, hätte die Regierung schon
früh besorgt stimmen müssen. Aber sie waren ja, wie Joseph Roth das so schön
auf den Punkt brachte, Österreicher. Zum Beispiel fördert die Erhebung Ungarns
zum selbständigen Königreich nicht gerade die Kaisertreue der stiefväterlich
behandelten Böhmen, im Gegenteil - der von der Ungarn-begeisterten Sisi so
heftig betriebene und schließlich stattfindende „Ausgleich“ hat dem
tschechischen Nationalgefühl erst so richtig Auftrieb gegeben.
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Und so wird dann Friedrich Smetanas Orchesterzyklus “Mein Vaterland” zum
Fanal, zur Freiheits-Botschaft eines Jahrhunderte lang fremdbestimmten Volks,
denn mit dem Vaterland ist eben nicht mehr Groß-Österreich gemeint, sondern
nur Tschechien.
Und der Fluss, in den alles mündet und der die Pracht und Herrlichkeit und Macht
des Landes personifiziert, ist jetzt, im Jahr 1874, schon nicht mehr die schöne
blaue Donau. Friedrich Smetanas “Moldau” ist mehr als die klingende
Bildergalerie eines Flusslaufs – sie ist ein politisches Manifest.
AMS
M0289277(AMS)
01-010
10'30
Bedrich Smetana, Die Moldau. Sinfonische Dichtung für Orchester
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, Ferenc Fricsay
So schön kann politischer Widerstand klingen...Bedeutsamer als Spiegel der Zeit
sind aber wohl diejenigen Werke, die die Auflösungstendenzen, Dissonanzen und
Brüche dieser alten Welt dann wirklich hörbar gemacht haben.
In Sachen Musik ist es dann aber eben doch in Wien, diesem Hort bürgerlicher
Tradition und gemütlicher Operettenseligkeit, in Wien, wo man sich gern in seine
überdekorierten Makart-Salons zurückzieht, um ein bisschen Schubert zu spielen,
oder begeistert den neuesten Lehár beklatscht, dass eine Gruppe von
Komponisten anfängt, ständig Streichhölzer in die Luft zu halten und in der
zunehmend aufgeladenen Atmosphäre Detonationen zu provozieren, die den
ruhigen Fluss der Musikgeschichte sprengen.
So ziemlich das Einzige nämlich, was die allgemeine Behaglichkeit der Wiener
kurz nach der Jahrhundertwende stört, sind die musikalischen Abende, die dieser
Arnold Schönberg zusammen mit seinen Schülern Alban Berg und Anton Webern
regelmäßig veranstaltet, und bei denen es genauso regelmäßig zu Tumulten
kommt. Die Musik, die hier von etwa 1905 bis zum Kriegsausbruch 1914 präsentiert
wird, distanziert sich immer deutlicher von der alten Ordnung, in diesem Fall der
alten Ordnung der Töne, was beim Publikum und konservativen Kritikern immer
wieder zu ungeheuren Wutanfällen führt. Dabei sind doch von heute aus
betrachtet vor allem Schönbergs und Bergs Stücke Musik zwischen den Stühlen,
die Gesten und die Dynamik ihrer Kompositionen sind gar nicht so zerstörerisch,
sondern bleiben höchst Wienerisch, also romantisch. Sie waren eben
Österreicher...
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Die Klaviersonate, die Alban Berg 1908 einem empörten Publikum als sein Opus 1
vorstellt, ist ein Beispiel dafür, wie man gleichzeitig zurück- und nach vorn schaut.
Die Tonalität verschwindet da schon hinter den chromatischen Wucherungen,
die klassische Formenlehre muss an dieser Sonate schon verzweifeln – und doch
spricht das Stück in seinen Gesten und Wendungen eigentlich eine altvertraute
Sprache: Kakanisch.
AMS
M0299871(AMS)
01-001
Alban Berg, Sonate für Klavier, op. 1
Dénes Várjon
auf Zeit
Alban Bergs Beziehung zur Donaumonarchie war eine ganz besondere,
genaugenommen war er nämlich Kaisers Schwiegersohn.
Seine Frau Helene ist die Tochter von Anna Nahowski, und die war, offiziell an
einen Strohmann verheiratet, über fünfzehn Jahre lang die Geliebte von Kaiser
Franz Joseph, musste immer fußläufig für Majestät erreichbar sein und, meistens in
den ganz frühen Morgenstunden, für seine Bedürfnisse zur Verfügung stehen – viel
geredet hat er nicht, der Kaiser, aber er hat der Frau Nahowski, nachdem man
sie dann 1889 mit viel Geld abgefunden hat, immerhin ein Souvenir hinterlassen,
in Form ihrer Tochter Helene, die dem kaiserlichen Herrn Papa als erwachsene
Frau auch ziemlich ähnlich sah. Und die dann eben ausgerechnet diesen
seltsamen Komponisten geheiratet hat, mit dessen Kunst, so wie mit aller
modernen Kunst, der alte Kaiser nun weiß Gott überhaupt nichts hat anfangen
können.
“Es war sehr schön. Es hat mich gefreut.” – Diese Worte Kaiser Franz Josephs
waren berüchtigt: Der unmusische Kaiser sagte sie dauernd, auch nach jeder
kulturellen Veranstaltung, jedem Konzert, dem er beiwohnen musste, und alle
wussten, dass der Alte lieber den Armeebericht gelesen hätte.
Und doch haben unter seiner Ägide die Kunst und die Musik und das geistige
Leben eine nie dagewesene und nie wiederkehrende Blüte erlebt. Bis heute
wundern sich die Historiker, dass sowas möglich war: Dass dieser letzte,
unbegabteste aller Habsburgerkaiser über ein so von Kunst überbordendes Reich
herrschen konnte.
Karl Kraus hat nach dem großen Krieg ein Gedicht geschrieben, das im
Nachhinein versucht, aus diesem seltsamen Menschen schlau zu werden, mit
dem das Habsburgerreich unterging:
“Wie war er? War er dumm? War er gescheit?
Wie fühlt' er? Hat es wirklich ihn gefreut?
War er ein Körper? War er nur ein Kleid?
War eine Seele in dem Staatsgewand?
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Formte das Land ihn? Formte er das Land?
Wer, der ihn kannte, hat ihn auch gekannt?
Trug ein Gesicht er oder einen Bart?
Von wannen kam er und von welcher Art?
Blieb nichts ihm, nur das Wesen selbst erspart?
War die Figur er oder nur das Bild?
War er so grausam, wie er altersmild?
Zählt' er Gefallene wie frisches Wild?
Hat er's erwogen oder frisch gewagt?
Hat er auch sich, nicht nur die Welt geplagt?
Wollt' er die Handlung oder bloß den Akt?
Wollt' er den Krieg? Wollt' eigentlich er nur
Soldaten, und von diesen die Montur,
Von der den Knopf nur? Hat er eine Spur
Von Tod und Liebe und vom Menschenleid?
Nie prägte mächtiger in ihre Zeit
Jemals ihr Bild die Unpersönlichkeit.”
Am Mittwoch, dem 22. November 1916, mitten im Krieg, in Wien sind schon die
Kohlen und das Mehl knapp, besteht die erste Seite der Wiener Zeitung nicht aus
Nachrichten, sondern ist eine einzige, überdimensionale Todesanzeige. Da steht:
„Seine k.u.k. apostolische Majestät Franz Joseph I. sind gestern den 21. d.M. um
neun Uhr abends im Schlosse zu Schönbrunn sanft in dem Herrn entschlafen.“
Kakanien, das echte und das imaginierte Reich dieses „letzten Monarchen alter
Schule“, wie er sich selber beschrieben hat, dieses Kakanien ist dann in den
Jahren nach seinem Tod nicht ganz so sanft untergegangen, sondern in
Pulverdampf, Dreck, Blut und Tränen.
Die Kakanier haben ihrem Kaiser aber den üblen Ausgang der Sache nicht
wirklich krumm genommen. Sie waren eben Österreicher.
AMS
M0404519(AMS)
01-009 2'56
Johann Strauß, Unter Donner und Blitz. Polka schnell für Orchester, op. 324
Concertgebouw Orchestra, Nikolaus Harnoncourt