Kleine Anfrage 5377

LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode
Drucksache
16/13592
25.11.2016
Kleine Anfrage 5377
des Abgeordneten Jens Kamieth CDU
Hat das weitreichende Verbot der Videobeobachtung von Häftlingen durch die rot-grüne
Landesregierung die Verdoppelung der Suizidrate im nordrhein-westfälischen Strafvollzug begünstigt?
Bis zum Inkrafttreten des von der rot-grünen Landesregierung vorgelegten Landesstrafvollzugsgesetzes (StVollzG NRW) am 27.01.2015 (GV. NRW. S. 76) galt in Nordrhein-Westfalen
das Strafvollzugsgesetz des Bundes (StVollzG Bund). Das StVollzG Bund erlaubte eine Beobachtung von Gefangen, auch mit Videokameras, grundsätzlich in allen Hafträumen.
Das StVollzG NRW der rot-grünen Landesregierung hat diese Möglichkeit massiv eingeschränkt. Gemäß § 69 Abs. 4 StVollzG NRW gilt nunmehr Folgendes:
"Eine ununterbrochene Beobachtung von Gefangenen mittels Videotechnik ist nur in besonders gesicherten Hafträumen ohne gefährdende Gegenstände oder in dafür gesondert vorgesehenen Behandlungszimmern im Justizvollzugskrankenhaus zulässig, wenn dies im Einzelfall zur Abwehr von gegenwärtigen Gefahren für das Leben oder gegenwärtigen erheblichen
Gefahren für die Gesundheit von Gefangenen oder Dritten erforderlich ist."
Der Bund der Strafvollzugsbediensteten (BSBD) hatte diese Regelung bereits im Rahmen der
parlamentarischen Beratungen zum StVollzG NRW der rot-grünen Landesregierung scharf kritisiert. In der Stellungnahme 16/1886 des BSBD heißt es dazu auf S. 17 f.:
"Eine derartige Einengung der Anwendung ist nicht praxisgerecht. In den letzten Jahren sind
in vielen Anstalten kameraüberwachte Hafträume, sog. Kameraräume oder Schlichtzellen mit
der Möglichkeit der Videoüberwachung eingerichtet worden, die eine Beobachtung von Gefangenen ermöglichen, die zwar nicht die Indikation für eine Unterbringung im besonders gesicherten Haftraum aufweisen, eine Gefahr hierfür aber gegeben ist, weil sie z.B. hochgradig
alkoholisiert, entzügig oder aggressiv und deshalb auch nicht gemeinschaftsfähig sind. Hier
ist die vorübergehende unausgesetzte Beobachtung mittels Videotechnik ein wesentlich schonenderer Eingriff als die Verbringung in den besonders gesicherten Haftraum. Zudem ist diese
Maßnahme wesentlich effektiver und ressourcenschonender als eine Beobachtung in unregel-
Datum des Originals: 24.11.2016/Ausgegeben: 25.11.2016
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mäßigen Zeitabständen. Die Vorstellung, die Möglichkeiten einer durchgehenden Videoüberwachung bei entsprechender Indikationslage nicht zu nutzen, erscheint weltfremd. Man stelle
sich den Fall vor, dass ein trotz vorhandener Videotechnik nur in unregelmäßigen Zeitabständen beobachteter Gefangener in den unbeobachteten Zwischenzeiträumen zu Schaden
kommt. Die Abschaffung dieser im vollzuglichen Alltag bewährten Praxis würde vielen Anstalten unnötige Probleme bereiten."
Die vom BSBD geäußerten Befürchtungen Probleme haben sich leider auf tragische Weise
bewahrheitet: Unter Geltung des § 69 Abs. 4 StVollzG NRW hat sich die Anzahl der Suizide
von Gefangenen im nordrhein-westfälischen Strafvollzug von 9 im Jahr 2015 auf 18 im laufenden Jahr 2016 verdoppelt (Stand: 23.11.2016).
Angesichts dieser dramatischen Entwicklung haben sich der Leiter der JVA Bielefeld-Brackwede, sowie der Anstaltsarzt in der JVA Werl dafür ausgesprochen, die Möglichkeit der Videobeobachtung im nordrhein-westfälischen Strafvollzug wieder auszuweiten. Auf WDR.de vom
6. Oktober 2016 heißt es dazu:
"Ginge es nach N.-C., dann würde er gern die ständige Videoüberwachung auf andere Zellen
ausweiten. Doch das hat die rot-grüne Regierungskoalition in NRW seit 2015 gesetzlich verboten. 'Wir haben in früheren Zeiten bereits Kameraräume eingesetzt', so der Bielefelder Anstaltschef. So seien auch Suizide vermieden worden. Über einen Zeitraum von zehn Jahren
habe es keinen Selbstmord in der JVA Bielefeld gegeben. Auch J. B., seit 30 Jahren Arzt in
der JVA Werl, befürwortet Kameras in Zellen."
In seinem Bericht für die Rechtsausschusssitzung vom 23.11.2016 hat Justizminister
Kutschaty
erklärt,
dass
im
laufenden
Jahr
2016
„sowohl
bundesweit
wie in NRW eine Erhöhung der Suizidraten festzustellen“ sei. Gleichzeitig kündigte der Minister
eine Änderung des StVollzG NRW an, durch die auch im nordrhein-westfälischen Strafvollzug
wieder „eine unregelmäßige oder ununterbrochene Beobachtung von Gefangenen in Hafträumen, auch mit technischen Hilfsmitteln zugelassen werden“ solle. Bei der Erneuerung oder
der Modernisierung der Kameras solle jedoch "nach Kameratechniken mit Vorwarnfunktion
gesucht werden, die dem zu Beobachtenden anzeigt, wann sich die Kamera im laufenden
Betriebszustand befindet oder in den Beobachtungsmodus umspringt", so Minister Kutschaty
weiter (vgl. Vorlage 16/4485, S. 6 u. 7).
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:
1.
In welchen Bundesländern ist die Anzahl der im Häftlings-Suizide im laufenden Jahr
2016 im Vergleich zum Gesamtjahr 2015 gestiegen? (Bitte die entsprechenden Bundesländer unter Angabe der genauen Suizidzahlen der Jahre 2015 und 2016 sowie der prozentualen Steigerungsrate von 2015 zu 2016 jeweils einzeln auflisten.)
2.
In welchen Bundesländern ist die Anzahl der Häftlings-Suizide im laufenden Jahr 2016
im Vergleich zum Gesamtjahr 2015 nicht gestiegen? (Bitte die entsprechenden Bundesländer unter Angabe der genauen Suizidzahlen der Jahre 2015 und 2016 jeweils einzeln
auflisten.)
3.
In welchen Bundesländern ist die ununterbrochene Videobeobachtung von Häftlingen
derzeit – analog § 69 Abs. 4 StVollzG NRW – auf „besonders gesicherte Hafträume ohne
gefährdende Gegenstände oder in dafür gesondert vorgesehene Behandlungszimmer
im Justizvollzugskrankenhaus“ begrenzt?
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4.
Inwieweit teilt die Landesregierung die Einschätzung, dass die von ihr im Jahr 2015
selbst vorgenommene Beschränkung der ununterbrochenen Beobachtung von Gefangenen mittels Videotechnik gemäß § 69 Abs. 4 StVollzG NRW ein Fehler war? (Falls die
Landesregierung diese Einschätzung nicht teilen sollte, bitte ausführlich begründen, warum diese Beschränkung nunmehr wieder aufgehoben werden soll.)
5.
Inwieweit teilt die Landesregierung Bedenken, wonach der suizidpräventive Nutzen einer
Videobeobachtung ad absurdum geführt wird, wenn dazu Kameratechniken mit Vorwarnfunktion eingesetzt werden, die dem zu Beobachtenden anzeigen, wann sich die
Kamera im laufenden Betriebszustand befindet bzw. in den Beobachtungszustand umspringt?
Jens Kamieth
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