9 FORSCHEN & HEILEN der Halle ist davon nichts zu hören. Nach all den Therapien und Gesprächen ist Shiatsu eine Oase der Stille. Die Ärzte und Therapeuten versuchen, die Krankheit der Patienten in den Griff zu bekommen. Shiatsu soll helfen, darüber hinaus den Blick weit werden zu lassen. „Das ist eine Bereicherung für alle Elke Werner Beteiligten der Station“, sagt Elke Werner. Nach den Worten von Dr. Martina Monninger profitiert ein Großteil der Jugendlichen von dieser achtsamen Körperarbeit. „Shiatsu unterstützt unser therapeutisches Konzept“, sagt die Leiterin. So zum Beispiel bei Jugendlichen mit Essstörungen, die Probleme haben, „ihre Körperdimension richtig einzuschätzen“. „Die Körpermitte ist das Gehirn der Gefühle“, erklärt die Shiatsu-Lehrerin am Europäischen Shiatsu Institut. Wenn sie Julias Nacken behandelt, ist der ganze Körper der 46-Jährigen in Bewegung. „Patienten erfahren über sanfte und zugleich tiefe Berührung eine Harmonisierung ihrer Lebenskraft“, erklärt Elke Werner. Diese Kraft durchströme jeder Zelle und verbinde alles. Zugang bietet der Shiatsu-Therapeutin das Meridiansystem, das auch aus der Aku- punktur bekannt ist. Die Gesellschaft für Shiatsu in Deutschland beschreibt Zuwendung und Berührung als wirksamen Weg, die Lebenskraft anzuregen, Körper und Seele zu balancieren, den Fluss der Energie zu erspüren. „Shiatsu berührt achtsam und respektvoll, tief und einfühlsam. Energie wird erspürt, willkommen geheißen, besänftigt, angeregt und verteilt.“ Shiatsu fängt da an, wo Worte aufhören. Die Berührung biete eine Möglichkeit, die Jugendlichen zu erreichen und zu begleiten. Ähnlich wie bei einem Paar, das sich nach einem Streit in die Arme nimmt, weil alles gesagt ist. Elke Werner berichtet von Sitzungen, nach denen die Jungen und Mädchen anfangen zu erzählen. Sie scheinen Vertrauen in sich und andere zu gewinnen, ziehen Zuversicht aus der Behandlung, die viel Raum für die eigene Erfah- In einer Turnhalle auf der Czerny-Station werden die Patienten behandelt. rung lässt. Kein Wunder: Wann hat man das schon mal, dass einer jemandem 50 Minuten seiner totale Aufmerksamkeit schenkt? Einige Patienten machen zum ersten Mal in ihrem Leben die Erfahrung, dass Berührungen auch angenehm oder heilsam sein können. Unabhängig von erbrachter Leistung Zuwendung zu er- »Shiatsu unterstützt unser therapeutisches Konzept.« Dr. Martina Monningger fahren, sei im Alltag vieler Jugendlichen ein großes Geschenk. Die Shiatsu-Therapeutin nimmt Jugendliche oft als weise wahr, als besonders empfindsam, teilweise extrem durchlässig. „Sie nehmen wahr, dass irgendetwas im System nicht stimmt.“ Das Modell, das ihnen viele Erwachsene vorle- Dr. Martina Monninger waren sie ein wichtiger Bestandteil der Behandlung auf der Czerny-Station. Fotos: Wilfried Gerharz ben, erscheint ihnen unattraktiv oder macht ihnen sogar Angst. Julia aus Hörstel hat die Zeit in der Klinik und die Shiatsu-Behandlung seit zwei Jahren in guter Erinnerung. Auf die Frage, worum es denn im Leben alles gehen könnte, sagt sie auch: „Spaß haben“. Darauf wäre sie vor vier Jahren nie gekommen.
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