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Ergänzende Informationen zur Arbeit von Kirchenregierung und Kollegium
durch Landesbischof Dr. Christoph Meyns am 24.11.2016
Hohe Synode, liebe Schwestern und Brüder,
Ich möchte in Ergänzung der Berichte über einen Sachverhalt informieren, der aufgrund seiner
Aktualität nicht mehr in das einfließen konnte, was Ihnen über die Arbeit von Kirchenregierung
und Kollegium schriftlich zugegangen ist. Es geht um die öffentliche Berichterstattung zu den
Vorwürfen gegen den ehemaligen Braunschweiger Propst Armin Kraft.
Unsere Kirche hat den Auftrag, das Evangelium von der Liebe Gottes in Jesus Christus zu bezeugen. Sie lebt davon, dass alle, die an diesem Auftrag mitwirken, sei es als hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sei es neben- oder ehrenamtlich, diesen Auftrag integer und
glaubwürdig wahrnehmen. Menschen messen den Wahrheitsgehalt dessen, was wir predigen, mit
Recht daran, wie wir leben. Wie es im 1. Johannesbrief heißt: „Wenn jemand spricht: Ich liebe
Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er
sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht. Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer
Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.“ (1. Joh 4,20f) Ich bedaure es außerordentlich und
es trifft mich persönlich sehr, wenn Äußerungen oder Verhalten kirchlicher Mitarbeitender Anlass bieten, daran zu zweifeln, dass wir diesem Auftrag nach Kräften zu entsprechen suchen.
Kirchenleitende Instanzen auf Ebene von Propsteien und Landeskirchen haben im Rahmen ihrer
Aufsicht die Aufgabe, entsprechende Vorwürfe zu überprüfen, aufzuklären und daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Dabei sind sie an staatliches und kirchliches Recht gebunden.
Besteht der Verdacht, dass Pfarrerinnen und Pfarrern gegen ihre Amtspflichten verstoßen haben,
wird ein Disziplinarverfahren auf Grundlage des Disziplinarrechts der EKD eingeleitet. Ein solches Verfahren folgt rechtsstaatlichen Prinzipien. Beschuldigte dürfen sich durch einen Rechtsbeistand vertreten lassen. Dabei müssen sowohl belastende als auch entlastende Umstände ermittelt werden. Die rechtliche Würdigung hat auf Grundlage der Unschuldsvermutung zu erfolgen:
Nicht Behauptungen oder Verdächtigungen, sondern nur zweifelsfrei, im Rahmen eines ausführlichen Ermittlungsverfahrens erhobene Tatsachen bilden die Grundlage für eine disziplinarische
Bewertung und Ahndung des Verhaltens von Pfarrerinnen oder Pfarrern. Die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen müssen dabei gewahrt werden. Dem wird durch die Vertraulichkeit des
Verfahrens Rechnung getragen; weder Verlauf noch Ergebnis eines Disziplinarverfahrens dürfen
im Detail öffentlich gemacht werden. Es gilt die Fürsorgepflicht des Dienstherren, auch in einem
solchen Verfahren. Gegen die Entscheidungen nach Beendigung des Verfahrens können
Rechtsmittel eingelegt werden.
Werden Äußerungen oder Verhaltensweisen von Pfarrerinnen und Pfarrern, gegen die ein Disziplinarverfahrens geführt wird, Gegenstand medialer Berichterstattung, müssen Leitungsorgane
bei der öffentlichen Kommunikation abwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an Transparenz, dem Schutz der Glaubwürdigkeit des kirchlichen Handelns und der Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten. Eine solche Abwägung führt Leitungsorgane in ein ethisches
Dilemma, das sich nicht auflösen lässt.
Berücksichtigen sie einseitig den Schutz der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten und verweigern Stellungnahmen zum konkreten Fall, könnte der Eindruck entstehen, sie wollten Verfahren verschleppen oder Fehlverhalten gar vertuschen. Auf diese Weise würde die Glaubwürdigkeit der Kirche beschädigt, die davon lebt, dass infrage stehende Verhaltensweisen oder Äußerungen kirchlicher Mitarbeitender überprüft und gegebenenfalls geahndet werden.
Folgen Leitungsorgane dagegen einseitig dem Wunsch der Öffentlichkeit nach Transparenz,
drohen Rechtsgrundsätze verletzt zu werden, an die sie gebunden sind.
Ich habe in den vergangenen Tagen immer wieder den Wunsch wahrgenommen, die Kirchenlei1/2
tung möge deutlich erklären, dass das mögliche Fehlverhalten eines Einzelnen zu trennen sei
vom grundsätzlichen Verhalten kirchlicher Amtsträgerinnen und Amtsträger. Aber auch hier gibt
es eine Ambivalenz: Erklären Leitungsorgane, es handle sich um einen Einzelfall, insgesamt
würde die überwiegende Mehrheit der kirchlichen Mitarbeitenden ihrem Auftrag jedoch gerecht
- was sicherlich richtig ist - kann ihnen vorgeworfen werden, sie wollten die Sachlage beschwichtigen und müssten das Selbstverständliche nun offenbar als Besonderheit betonen. Sagen
sie nichts, kann in der Mitarbeiterschaft der Eindruck entstehen, unter Generalverdacht zu stehen
und von der Leitung nicht genügend geschützt zu werden.
Bewertet die Leitung den konkreten Fall über die rechtlichen Aspekte hinaus in den Medien auch
moralisch, mag das den Bedürfnissen der Öffentlichkeit nach einem klaren Urteil entsprechend.
Damit verletzt sie jedoch die Fürsorgepflicht, die sie auch gegenüber Mitarbeitenden hat, die
einem Disziplinarverfahren unterliegen.
Nur in extremen Fällen wird man einem dieser Aspekte den Vorrang geben. In der Regel muss
zwischen ihnen abgewogen werden. Damit wird es jedoch zugleich unmöglich, ihnen allen vollständig gerecht zu werden.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen lässt sich zum konkreten Fall so viel sagen: Wir
kennen die im NDR und in der Braunschweiger Zeitung öffentlich gemachten Vorwürfe gegen
Propst i. R. Armin Kraft seit gut einem Jahr. Die Kirchenregierung hat nach ihrem Bekanntwerden unverzüglich ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Im Rahmen dieses Verfahrens hat sie die
erhobenen Vorwürfe sachgerecht und professionell untersucht, um eine angemessene rechtliche
Bewertung vorzunehmen. Liegen disziplinarische Verfehlungen nicht klar auf der Hand, sondern
muss erst ermittelt werden, ob Vorwürfe berechtigt sind, brauchen derartige Verfahren Zeit.
Zugleich sind Ermittlungsführer dabei in der Lage, Hintergründe zu untersuchen und zu bewerten, die der breiten Öffentlichkeit unzugänglich bleiben und auch bleiben müssen. Im Ergebnis
hat die Kirchenregierung das Disziplinarverfahren eingestellt, weil eine Disziplinarmaßnahme
aus rechtlichen Gründen nicht mehr ausgesprochen werden kann. Die Stimmung war in den vergangenen Wochen aufgeregt. Ich möchte deshalb an dieser Stelle noch einmal alle, die an der
öffentlichen Diskussion mitwirken, um Augenmaß und um Respekt vor der Würde aller Beteiligten, auch des Beschuldigten, bitten.
Äußerungen und Verhalten kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zur Botschaft des
Evangelium im Widerspruch stehen, müssen rechtlich überprüft, bewertet und ggf. geahndet
werden. Sie können jedoch für uns in der Kirche kein Anlass für Häme gegenüber den Betroffenen oder für moralische Überlegenheitsgesten sein. „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“, sagt Jesus in der Überlieferung des Matthäusevangeliums (Mt 7,1). Sie sind vielmehr Anlass zur kritischen Selbstprüfung. Das betrifft nicht nur Pfarrerinnen und Pfarrer, sondern alle
haupt-, neben- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Diese Selbstprüfung bezieht sich nicht nur
auf Dienstpflichten, sondern beginnt bereits mit dem alltäglichen Verhalten. Das Vertrauen in
die Botschaft des Evangeliums wird etwa auch dort erschüttert, wo in Pfarrerschaft und im Kreise der Mitarbeitenden geringschätzig übereinander geredet wird, wo man in einer Kirchengemeinde im Konfliktfall nicht die Lösung von Problemen, den Ausgleich und die Beilegung von
Streitigkeiten sucht, sondern in Dauerstreit und gegenseitiger Abwertung verharrt. Vertrauensverlust beginnt auch dort, wo Kirchengemeinden den Ängsten und Nöten der ihnen anvertrauten
Menschen gleichgültig gegenüber stehen.
Wir können an dieser Stelle, wo wir uns in der Tagesordnung bei den "Informationen aus dem
Landeskirchenamt" befinden, aufgrund der Geschäftsordnung nicht in eine Debatte eintreten. Ich
hielt es dennoch für richtig, Sie schon zu Beginn unserer Tagung über meine Gedanken zum
Geschehen der letzten Wochen in Kenntnis zu setzen.
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