Informationen - Fanprojekt Hannover

Fußball-Kultur-Woche
Eine Veranstaltung des Fanprojekts Hannover
Montag 05. Dezember 2016 bis Freitag 09. Dezember 2016
Beginn: jeweils um 19.00 Uhr
Ort: Fanprojekt Hannover, Herrenstraße 11, 30159 Hannover
Montag, 05. Dezember 2016 / 19.00 Uhr
Dietrich Schulze-Marmeling
Juden und Antisemitismus im deutschen und europäischen Fußball
9. April 1933: In Stuttgart verabschieden die bedeutendsten Fußballvereine Süddeutschlands eine
Erklärung, in der sie dem nationalsozialistischen Regime ihre Mitarbeit anbieten – „insbesondere die
Entfernung der Juden aus den Sportvereinen“ betreffend. Veröffentlicht wird die Erklärung auf der
Titelseite des „Kicker“, in dessen Kopfzeile als Herausgeber noch der Jude Walther Bensemann steht
– der Mann, der den Fußball nach Deutschland brachte.
Unter Deutschlands Fußballpionieren des ausgehenden 19. Jahrhunderts und den Fußballaktivisten
der Weimarer Republik befanden sich eine Reihe deutsch-jüdischer Bürger. Hinzu kamen die
jüdischen Entwicklungshelfer aus den kontinentaleuropäischen Fußballmetropolen Budapest und
Wien, die als Trainer u.a. für den FC Bayern München und den 1.FC Nürnberg arbeiteten.
Viele Jahre war dies alles selbstverständlich. Nun aber wird dieser Konsens durch die
Nationalsozialisten und ihre Kollaborateure im deutschen Fußball mit aller Brutalität und innerhalb
kürzester Zeit zerstört. Die jüdischen Aktivisten werden in die Emigration gedrängt oder ermordet
und aus der Geschichte des deutschen Fußballs herausgeschrieben.
Erst ein gutes halbes Jahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beginnt man sich wieder
der Juden im deutschen Fußball zu erinnern.
Der Referent wird in seinem Vortrag auch die Geschichte von Juden und Fußball in einigen anderen
europäischen Ländern (Ungarn, Österreich, Italien, Niederlande) streifen. Und der Frage nachgehen:
Was ist nach der Shoa vom „jüdischen Fußball“ geblieben?
Dietrich Schulze-Marmeling ist u.a. Autor des Buches „Der FC Bayern und seine Juden –Aufstieg und
Zerschlagung einer liberalen Fußballkultur“ wurde 2011 mit dem Deutschen Fußball-Kulturpreis in der
Kategorie „Fußballbuch des Jahres“ ausgezeichnet. Aktuell arbeitet er u.a. an einem Buch über Juden
und Antisemitismus im europäischen Fußball.
Dienstag, 06. Dezember 2016 / 19.00 Uhr
Dr. Rudolf Oswald
Gewalt und Gemeinschaft: Fußball und Fanatismus in der Zwischenkriegszeit
In den beiden Jahrzehnten, die zwischen dem Ende des Ersten und dem Ausbruch des Zweiten
Weltkrieges lagen, wurde der Fußball in Deutschland immer wieder von enormen Gewaltexzessen
erschüttert. Eine Ursache hierfür war die Bedeutung, die der Sportart bei der Herausbildung von
Stadtteil-Identitäten zukam. Fußballvereine waren Aushängeschilder einzelner Viertel und wurden
vehement gegen außen, d.h. konkurrierende Klubs verteidigt. Die Folge: jeder nur erdenkliche Vorfall
im Match – vom Foulspiel bis hin zur zweifelhaften Schiedsrichterentscheidung – wurde zum Anlass
genommen, um gegen das gegnerische Team, deren Anhang oder den Unparteiischen vorzugehen.
Gewalt im Fußball ist kein ausschließliches Phänomen der letzten Dekaden oder gar der Gegenwart.
Gerade die Entwicklung der Sportart im Deutschland der Zwischenkriegszeit liefert hierfür zahlreiche
Belege. Neben den historischen Wirkungszusammenhängen der Ausschreitungen – bis hinein in den
Bereich der Politik –, sollen im Vortrag einzelne spektakuläre Vorfälle zur Sprache kommen.
Dr. Rudolf Oswald (*1967 in München) ist promovierter Zeithistoriker.
Schon während seines Studiums (1996-2001 in München) der Neuesten Geschichte und der Englischen
Literaturwissenschaften spezialisierte er sich auf sporthistorische Fragestellungen.
Nach einer im Jahr 2001 verfassten Magisterarbeit zum Fußball im Dritten Reich, begann er mit
Recherchen zu einem Dissertationsprojekt, das sich mit dem Rasenspiel in der Zeit zwischen den
beiden Weltkriegen befasste. Im Frühjahr 2007 wurde dieses Projekt abgeschlossen.
Im Laufe seines Promotionsstudiums setzte sich Rudolf Oswald intensiv mit dem Alltag in den
zeitgenössischen Sportklubs auseinander.
Er verfügt über beste Kontakte zu historischen Instituten, Museen und kommunalen Archiven. In
zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen konnte Rudolf Oswald seine Kenntnisse zur Geschichte
des deutschen Sportvereinswesens bereits unter Beweis stellen.
Seit dem Frühjahr 2013 ist Rudolf Oswald Fellow am Institut für Fankultur in Würzburg – einem
interdisziplinären Zusammenschluss zur Erforschung des Fanwesens im Fußball.
Mittwoch, 07. Dezember 2016 / 19.00 Uhr
Frank Willmann
Stadionpartisanen nachgeladen, Fußballfans und Hooligans in der DDR
1990 verschwand ein deutscher Staat, dessen Arbeiter- und Bauernsöhne, behütet vom
‚antiimperialistischem Schutzwall‘ nach Frieden und Fortschritt strebten. Tadellos gescheitelte
Jünglinge, Mädchen in blauer Bluse, Vorstreiter und Visionäre einer glückseligen Weltjugend. Gütige
Mutter die Partei …
… doch die Alte wurde hässlich. Die Söhne dagegen flügge: Jeans, Tramper, Parka, lange Loden.
Später Zotteln ab und Stahlkappengedröhn. Auf ‚Aufbau‘ keinen Bock, sangen sie nonchalant: „Zwei
Apfelsinen im Jahr, zum Parteitag Bananen, alle brüllen hurra, der Kommunist ist da!“ Beim Fußball
bekam die Kuh so richtig vor´n Kopp – und der Rest auf die Fresse. In Berlin, Dresden, in Halle, Jena,
Leipzig, Magdeburg, Rostock … Hinter der Mauer raste der Mob.
„Wir waren rechts, links, Punk, Hippie, Skinhead. Wir waren direkt und provozierend, lieb und böse,
verliebt oder besoffen.“
In STADIONPARTISANEN kommen jene zu Wort, für die ihr Fußballverein Heimat war. Nicht die
DäDÄeR samt SED und deren Komplettprogramm von der Wiege bis zur Bahre. Fans und Rowdys
berichten: Oberliga, Auswärtsfahrten, Europacup, Mode, Schlägereien, Suff und Mädchen.
Leidenschaft und Krawall. Aberwitz und Politik. Romantik und Assiparagraph. Hingabe und Knast.
Frank Willmann wurde 1963 in Weimar geboren. 1984 Ausreise nach Westberlin. Schriftsteller,
Herausgeber, Publizist. Coach der Autonama. Reportagen und Kolumnen, hauptsächlich für Zon,
Spon, 11Freunde und den Tagesspiegel. Letzte Bücher: »Stadionpartisanen nachgeladen. Fans und
Hooligans in der DDR« (Nofb 2013), »Mauerkrieger« (Chr. Linksverlag 2014), „Kassiber aus der
Gummizelle - Geschichten vom Fußball“ (Erzählungen, Kolumnen, Reiseerzählungen, Verlag Die
Werkstatt 2015). Herausgeber der Reihe Fußballfibel - Bibliothek des Deutschen Fußballs bei
CULTURCON medien.
Donnerstag, 08. Dezember 2016 / 19.00 Uhr
Jan Busse
Kämpfen bis zum Sieg? – Der Fußball, die Fans und die Revolution in Ägypten
„Die Ultras haben bei der Revolution in Ägypten eine bedeutendere Rolle gespielt als jede andere
politische Gruppe.“ Auf Grundlage dieser These des ägyptischen Bloggers Ala Abd el-Fattah
präsentiert Jan Busse am 8. Dezember um 19 Uhr die zentralen Zusammenhänge zwischen Fußball
und Politik in Ägypten. Spätestens seit der Stadionkatastrophe von Port Said mit 74 Toten und den
daraus resultierenden Unruhen steht außer Frage, dass der Fußball in Ägypten zutiefst politisch ist.
In seinem Vortrag bringt er die Kultur der ägyptischen Ultras näher und diskutiert die Unterschiede
zwischen der deutschen und der ägyptischen Fanszene. Illustriert wird der Vortrag durch zahlreiche
Videos von den Straßen und aus den Stadien Ägyptens. Die politische Dimension des Fußballs
beleuchtet der Vortrag einerseits historisch im Hinblick auf die Frage, welche Rolle die Globalisierung
für den Fußball in Ägypten gespielt hat. Andererseits setzt sich der Vortrag mit den jüngsten
politischen Spannungen und gesellschaftlichen Konflikten in Ägypten auseinander.
Jan Busse bezeichnet sich selbst als fußballbegeisterten Politikwissenschaftler. Er arbeitet als
wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Internationale Politik und Konfliktforschung der
Universität der Bundeswehr München und hat seine Doktorarbeit über Machtdynamiken in Palästina
verfasst. Er kennt den Nahen Osten durch zahlreiche Aufenthalte.
Freitag, 09. Dezember 2016 / 19.00 Uhr
Andrej Reisin
Sogenannter Journalismus: Die mediale Darstellung von Fußballfans
Es gibt ein erstaunliches Missverhältnis bei der Berichterstattung über Fußballfans: Bei kaum einem
anderen Thema unterscheiden sich das Erleben der vielen Beteiligten und die mediale
Repräsentation der Ereignisse in vielen Fällen derart eklatant.
Zwar bevölkern jede Woche Hunderte von Sportreportern die Pressetribünen der Bundesliga-Arenen,
aber nur eine Handvoll unternimmt den Versuch, tiefer in die Fan(Sub-)kultur einzutauchen oder in
teilnehmender Beobachtung eine Auswärtsfahrt zu einem Risikospiel mitzumachen und damit die
andere Seite der VIP-Logen, Haupttribünen, Presseparkplätze und Polizeiketten kennenzulernen.
Genau das aber wäre die eigentliche journalistische Aufgabe - wenn man denn schon seine
Berichterstattung aufgrund bestimmter Ereignisse vom Spiel auf die Ränge verlagern muss.
Auf der anderen Seite machen viele Fans, gerade aus den Ultra-Szenen, selbst wohlwollenden
Journalisten das Leben sehr schwer: Sie sind schwer zu erreichen und selbst wenn bekommt man
auch mit guten Kontakten selten eine (schnelle) Antwort auf drängende Fragen. Mit der
Geschwindigkeit der medialen Welt, die die meisten Fans in ihrem Alltag durchaus fordern und
nutzen (wer wollte schon länger als 3 Minuten auf Ergebnisse von anderen Plätzen warten ...?),
können und wollen sie in ihrer eigenen Außendarstellung oft nicht mithalten - ganz im Gegensatz zu
Polizei und Verbänden.
So kommt häufig ein sehr einseitiges Bild zustande, das beiderseitige Vorurteile und Feindbilder
bestätigt: "Chaoten und Gewalttäter" auf der einen, "sensationsgeile Ahnungslose" auf der anderen
Seite. Bei vielen Fangruppen wurden "die Medien" in den letzten Jahren immer mehr zum Feindbild
Nummer zwei - neben der Polizei. Dennoch wird der Kampf um die öffentliche Meinung niemals zu
gewinnen sein, wenn man pauschal alle Medien attackiert - und damit jede Chance aufgibt, selbst an
der eigenen Außendarstellung mitzuwirken.
Vortrag und Diskussion sollen vermitteln, wie "Realität" entsteht, wie Medien arbeiten - und auch
wieso Journalismus häufig von niederschmetternder Qualität ist. Gleichzeitig soll aber auch eine
Diskussion darüber stattfinden, was für einen Journalismus Fans und insbesondere Ultras sich
eigentlich wünschen? Einen informierten? Einen fairen? Einen wohlwollenden? Einen unkritischen?
Gar keinen? Und vor allem: Deckt sich die Vorstellung von Berichterstattung über Fußball mit
derjenigen, die man über andere Themen gerne hätte?
Andrej Reisin arbeitet seit 1996 als Freier Journalist, unter anderem für die taz, Spiegel Online und
die Welt. Seit 2002 arbeitet er vor allem im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks (NDR), zunächst
für tagesschau.de, später für NDR Kultur und seit 2009 für die Abteilung Innenpolitik des NDR
Fernsehens, insbesondere für das Politik-Magazin Panorama und das Medienmagazin ZAPP. Er war
außerdem einer der Herausgeber des Weblogs Publikative.org, das 2013 den Alternativen
Medienpreis und den Publikumspreis der Best of Blog Awards (BOBS) der Deutschen Welle gewann,
sowie für den Grimme Online Award nominiert war.