Inwiefern sich der Kapitalismus nicht verändert hat

Inwiefern sich der Kapitalismus nicht
verändert hat
(deutsch.llco.org)
„Sollen sie doch Kuchen essen!“ Diese Reaktion auf die Feststellung, dass es dem
Volk an Brot mangle, wurde angeblich von der letzten französischen Monarchin
vor der bürgerlichen Revolution 1789 geäußert. Dieser Ausspruch kann als
Ignoranz interpretiert werden, erzeugt durch das abgeschottete Leben einer
Adligen, der Ausspruch kann aber auch von der Ignoranz zeugen, die in vielen von
uns steckt, nämlich dass stets von sich und der eigenen Situation ausgegangen
und diese auf den Rest der Menschheit projiziert wird. Man neigt in unseren
Gefilden oftmals dazu, sich selbst für den Durchschnittsmenschen zu halten,
obwohl das genaue Gegenteil der Fall ist. Jeder, der in Deutschland, den USA
oder in einem anderen Erstweltland lebt, gehört einer Minderheit an, die nicht
mehr als 10% der Menschheit ausmacht. Der wirkliche Durchschnittsmensch hat
z.B. ein Einkommen von weniger als 2 bis 3 Dollar pro Tag, und das können die
Wenigsten in der Ersten Welt von sich behaupten. Durch diese Verwechslung
wird man gezwungenermaßen auch auf falsche Schlüsse kommen. Viele
Apologeten des Kapitalismus setzten ihre Argumente genau auf diesen wackligen
Stuhl. Sie vergleichen den Frühkapitalismus, wie er von Marx untersucht und
beschrieben worden ist, mit der heutigen Phase des Imperialismus-Kapitalismus.
Sie erkennen zwar die Schrecken und das Leid, das jene Form des Kapitalismus
über die Welt gebracht hat:
„Der junge Kapitalismus zeigte sich als eine ruchlose Veranstaltung, die für den
Profit Massenelend und Massensterben hinnahm.“
Diese Beschreibung des „schrankenlosen Kapitalismus“ ist natürlich richtig, dabei
wird aber immer impliziert, dass sich der Kapitalismus in diesem Punkt geändert
habe. Es herrscht die Meinung, dass der Kapitalismus des Massenelends
verschwunden sei. Und für 10% der Menschheit, welche dieses Gefühl teilen,
gelten tatsächlich andere Bedingungen. Und die Bürgerlichen können uns sogar
sagen, wie das zustande gekommen ist:
„Die Nachkriegszeit begann mit einer Sozialdemokratisierung in Europa. In der
Bundesrepublik regierte zwar lange die CDU, aber sie entwickelte mit den
Unternehmen den „rheinischen Kapitalismus“, der ein sozialdemokratisch
gezähmter Kapitalismus war. Politik und Wirtschaft sorgten dafür, dass sich der
Wohlstand relativ gleichmäßig verteilte.“
Der Autor des zitierten Spiegel-Artikels hat scharfsinnig erfasst, dass sich die
bürgerlichen Parteien in der Nachkriegszeit der sozialdemokratischen Politik
annehmen mussten. Und warum? Einerseits, weil es „hinter der Mauer“ eine
Alternative zum Kapitalismus gab, andererseits „hatte die Wirtschaft ein großes
Interesse an einer zufriedener Bevölkerung und an einem stabilen Staat, der der
Bedrohung aus dem Osten widerstehen konnte“. Was nun aber gerne
ausgeklammert wird, ist, dass diese Entwicklung nicht auf der ganzen Welt
stattgefunden hat. Das Elend hat nicht generell abgenommen, im Gegenteil. Vor
dem Zweiten Weltkrieg gab es 2 Milliarden Menschen, heute sind es bereits 7
Milliarden. Die Weltbevölkerung hat sich also mehr als verdoppelt, gleichzeitig
hat sich damit aber auch das Elend vervielfacht. Es hungern derzeit 1 Milliarde
Menschen, 8.8 Millionen Menschen sterben pro Jahr an Hunger. Und noch immer
leiden und sterben Millionen Menschen an heilbaren Krankheiten. Für den
Durchschnittsmenschen herrschen noch immer dieselben elenden
Lebensumstände wie zu Marx’ Zeiten. Das Verhältnis von neun Zehnteln der
Gesellschaft, die für das Wohl des anderen Zehntels ausgebeutet und in Armut
leben, besteht noch immer. Und es muss bestehen. Der Kapitalismus braucht
diese Ungleichheit. Jedem Bürgerlichen ist das vollends bewusst:
„Ein Grundprinzip des Kapitalismus ist der Wettbewerb, also das Streben nach
einem Unterschied, nach Ungleichheit.“
Laut demselben Autor ist das „Grundprinzip der Demokratie die Gleichheit“. Das
Witzige dabei ist, dass, obwohl sich so gesehen Demokratie und Kapitalismus
widersprechen müssten, an einem Miteinander der beiden festgehalten wird. Es
wird gar fantasiert, dass „der Kapitalismus den Wohlstand von Vielen“ schaffen
könne. Auf eine Weise, die nicht von ihm intendiert wurde, hat der Autor damit
Recht. Mit der Zunahme der Weltbevölkerung und damit der Zunahme des Elends
hat auch die Zahl der Begüterten zugenommen. Durch die geografische
Verschiebung des Elends in die Dritte Welt konnte ein Wohlstand für Viele
entstehen, aber nur in der Ersten Welt und dadurch nur für 10% der Menschheit.
Wer in der Ersten Welt lebt, lebt in einem Umfeld, das vom Kapitalismus profitiert
hat. Die Situation der heutigen Generation in der Ersten Welt hat sich im
Vergleich zur Situation ihrer Großeltern dramatisch verbessert. Dieser höhere
Lebensstandard hat aber einen Preis, der nicht von den Profiteuren gezahlt wird.
Dass die Bevölkerung der Dritten Welt im gleichen Zeitraum derart angestiegen
ist, kann kein Zufall sein. Das Elend der Dritten Welt, das direkt vergleichbar ist
mit dem Elend der Arbeiterklasse zu Marx’ Zeiten, hat sich dabei auf eine
ungeheuer große Bevölkerungsmasse ausgedehnt. Im Gegensatz dazu hat sich
das Los der Arbeiter in der Ersten Welt dank dem Imperialismus, der sie an der
Ausbeutung der Dritten Welt teilhaben lässt, und der Sozialdemokratie, die den
gestohlenen Reichtum einigermaßen gleichmäßig aufteilt, spürbar verbessert.
Der Kapitalismus verlangt Ausbeutung und Ungleichheit. Demokratie ist dabei
nur unter den Gleich-Reichen möglich. An Wohlstand für wirklich alle ist im
Kapitalismus nicht zu denken. Die kommunistische Bewegung ist an ihren
Tiefpunkt angelangt. Der Sozialismus ist dennoch nicht gescheitert. Die Leitenden
Lichter haben die sozialistische Theorie weiterentwickelt, wodurch die
Veränderungen des gegenwärtigen kapitalistischen Systems erfasst werden
können. Wir können uns wieder selbstbewusst Kommunisten nennen. Wir stehen
hinter einer wissenschaftlichen Theorie. Die nächste Welle der Revolution steht
bevor. Machen wir uns bereit. Sei dabei. Werde ein Leitendes Licht.
Quellen:
Dirk Kurbjuweit: „Rückkehr der Ruchlosen“, Der Spiegel 52/2011 (Alle Zitate
stammen aus diesem Artikel)
Karl Popper: „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Band II: Falsche
Propheten. Hegel, Marx und die Folgen“, Mohr Siebeck 2003
Karl Marx/Friedrich Engels: „Das Manifest der Kommunistischen Partei“, 1848
http://de.wikipedia.org/wiki/Welthunger
http://de.wikipedia.org/wiki/Weltbev%C3%B6lkerung