Australien. Indien. Lausitz. Brennpunkte im

Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur
Dossier
Australien. Indien. Lausitz.
Brennpunkte im Kampf um die Kohle
Autoren: Tom Morton und Manuel Waltz
Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr
Produktion: DLF 2016
Erstsendung: Freitag, 18.11.2016, 19.15 Uhr
Manuel Waltz: Andreas Potulski
Tom Morton: der Autor
Sprecherin: Sylvia Systermans
Sprecher 1: Michael Witte
Sprecher 2: Jochen Kolenda
Sprecher 3: Chrisoph Wittelsbürger
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- unkorrigiertes Exemplar -
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O-Ton Tadzio Müller:
„Ich bin Tadzio Müller von der Kampagne Ende Gelände. Wir sind hier mit ein
bisschen mehr als tausend Leuten als ein Teil einer großen Aktion in der Lausitzer
Braunkohlegrube Welzow Süd.
Wenn man sich die Geschichte des zivilen Ungehorsams anschaut, ob in der
Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung, in der Frauenbewegung, in der Bürgerinnenund Bürgerrechtsbewegung in den USA, in der Homobewegung - hat man immer
wieder gesehen, dass, um gesellschaftliche Veränderungen im Grunde anzustoßen,
muss man die Regeln einer ungerechten Gesellschaft auch brechen.“
Ansage:
Australien. Indien. Lausitz.
Brennpunkte im Kampf um die Kohle
Ein Dossier von Tom Morton und Manuel Waltz
Sprecherin:
[Aus dem Abschlussbericht der Aktion „Ende Gelände“, Mai 2016]
„Grandios, rund 4000 Menschen haben sich an den Aktionen zivilen Ungehorsams
beteiligt. Bereits am Freitag haben über 1500 Menschen den Tagebau Welzow Süd
blockiert, indem sie Braunkohlebagger und Verladestation besetzten. Am Samstag
zogen rund 2000 Menschen in Richtung Kraftwerk Schwarze Pumpe und legten die
Versorgung mit Kohle lahm. Daraufhin wurde Block B auf 40% Leistung gedrosselt
und Block A vollständig abgeschaltet - ein voller Erfolg!
Bis Sonntagnachmittag harrten Hunderte auf den Gleisen und Baggern aus. 48
Stunden nach Beginn der ersten Blockade und 24 h nachdem das Kraftwerk vom
Nachschub getrennt wurde, verließ der größere Teil der Aktivist*innen die
Blockadeorte, […]. Auf den Gleisen wurden die letzten Blockierenden, […] von der
Polizei geräumt, während die Blockade der Bagger bis Montag in den frühen
Morgenstunden gehalten wurde.“
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Manuel Waltz:
„Ende Gelände“ hat sich im Jahr 2015 in Deutschland als Zusammenschluss von
Umweltgruppen und Menschen aus der Anti-Atom- und Anti-Kohle-Bewegung
gegründet. Im ersten Jahr blockierte das Bündnis den RWE- Tagebau Garzweiler in
Nordrhein-Westfalen. Im Mai 2016 schlossen sich die Aktivisten der weltweiten
Aktionswoche „Break Free!“ der Bewegung für Klimagerechtigkeit an.
Und am 11. Oktober demonstrierten die „Ende- Gelände- Aktivisten“ in Cottbus. An
diesem Tag konstituierte sich dort der Vorstand des neuen Betreibers der Lausitzer
Braunkohlensparte: Der tschechische Konzern EPH. Auf Druck der rot-grünen
Regierung in Stockholm hatte der Staatskonzern Vattenfall seine deutsche
Braunkohlesparte verkaufen müssen. Die war schlecht fürs Image: Sie stieß mehr
CO2 aus als ganz Schweden.
Ich verfolge den Protest gegen den Braunkohleabbau in Deutschland seit mehreren
Jahren als Journalist.
Bei der spektakulären Aktion von „Ende Gelände“ im Mai in der Lausitz habe ich Tom
Morton getroffen. Tom ist studierter Germanist, Radiojournalist und Hochschullehrer
aus Sydney. Und Forschungsreisender in Sachen Kohle.
Tom Morton:
Vor fünf Jahren habe ich Graham Brown kennengelernt, einen ehemaligen
Bergmann im australischen Hunter Valley. Die Verbindung zwischen Kohle und
Klimawandel wurde ihm auf einer Urlaubsreise in Patagonien bewusst, als er die
schmelzenden Gletscher sah. Nach dem Urlaub gab er seinen Job im Tagebau auf
und wurde Aktivist.
Seine Geschichte hat mich fasziniert. Ich wollte mehr über die Beweggründe der
Menschen wissen, die sich dem Kampf gegen Kohleabbau und für Klimaschutz
anschließen. Ich wurde Mitglied eines internationalen Forschungsteams, das diesen
Kampf auf drei Kontinenten verfolgt. Anfang 2016 war ich in Indien, und Deutschland
interessiert mich, weil es weltweit als „das Land der Energiewende“ gilt. Wenig
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bekannt dagegen ist bei uns in Australien, dass man hier nach wie vor im großen Stil
auf die Braunkohle setzt.
Waltz:
Dieser Widerspruch zwischen politischen Verlautbarungen - zuletzt wieder auf der
Pariser Klimakonferenz - und Realität treibt das Bündnis „Ende Gelände“ um.
Die Aktivisten fordern, und zwar global: Fossile Brennstoffe im Boden zu lassen und
eine neuartige gerechte Wirtschaft mit 100 Prozent erneuerbaren Energien
aufzubauen.
Sie fanden Mitstreiter aus der ganzen Welt, vor allem aus den Kohle fördernden
Ländern - wie diese junge Frau aus Schweden.
O-Ton Schwedische Aktivistin
Sprecherin:
„Wir wollen mit unserem zivilen Ungehorsam deutlich machen, dass wir für eine
bessere Welt kämpfen. Denn durch zivilen Ungehorsam genießen wir heute viele
Rechte, die wir für selbstverständlich halten. Zum Beispiel für mich als Frau, dass ich
hier stehe, für mich selbst spreche und wählen gehen kann, dass ich Hosen trage, all
diese Rechte wurden durch zivilen Ungehorsam erstritten, von Menschen, die
erkannt haben, dass etwas falsch läuft und dass das geändert werden muss.“
Morton:
Während Manuel die Aktivisten im Tagebau befragt, treffe ich Monika
Schulz-Höpfner. Sie ist CDU-Politikerin, ehemalige Bürgermeisterin des Dorfes
Atterwasch, wo sie seit mehr als 30 Jahren lebt. Ihr Haus und Hof soll - mit dem
ganzen Dorf - dem Tagebau Jänschwalde weichen.
Im ihrem Garten spürt man nichts von Kohleabbau oder einer Demo. Sonne, Grün,
Vögel- die Illusion einer Idylle…
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Auf dem Dach ihres Hauses dreht sich ein Windrad, das Strom für ihr Elektroauto
produziert.
O-Ton Monika Schulz-Höpfner:
„Eins ist in den letzten Jahren insgesamt deutlich geworden, dass man mit dieser
Gegenwehr in der Region hier überhaupt nicht gerechnet hat. Man hat gemeint, man
könne so weiter machen wie in den vergangenen Jahrzehnten, wie auch schon in der
DDR. Aber heute lassen sich die Leute so leicht die Heimat nicht mehr streitig
machen. Und, man hat nie so viel Solidarität mit anderen Regionen geübt, wie es
heute der Fall ist.“
Waltz:
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wird in der Lausitz Braunkohle gewonnen. Ihre
Geschichte kennt Professor Rolf Kuhn aus dem Effeff. Der Experte für
Gebietsplanung und Städtebau leitete von 2000 bis 2010 die „Internationale
Bauausstellung Fürst- Pückler- Land“, die Ideen für die Lausitz nach der Kohle
präsentierte. Heute lebt er in Großräschen, am Rande eines riesigen ehemaligen
Tagebaus. Für ihn sind diese gigantischen Löcher Spuren und auch Symbole der
Industrialisierung des Ostens Deutschlands - auch für den Aufstieg Berlins zu einer
Weltmetropole, wo Anfang des 20. Jahrhunderts Konzerne wie Siemens, AEG,
Telefunken oder Osram entstanden.
O-Ton Rolf Kuhn:
„Also, Berlin hätte ohne die Lausitz, ohne diese Braunkohleindustrie, keine Wärme
und auch keinen Strom, also kein Licht gehabt. Wenn man immer dieses Bild vom
glitzernden Berlin der 1920er-Jahren sieht, dann ist dieses Bild ohne die Lausitz nicht
vorstellbar.“
Waltz:
Auch in der Lausitz entwickelten sich wichtige Industrien, Glas- und Textilwerke
beispielsweise entstanden in dieser Zeit reihenweise. In der DDR dann, etwa seit
1950, wurde der Braunkohleabbau im ganz großen Stil gefördert, es war der
wichtigste Energieträger des Arbeiter- und-Bauern-Staates. Damals wurden
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massenweise Menschen umgesiedelt und es gab auch - vorsichtigen - Protest
dagegen.
Morton:
Ich hatte vermutlich den längsten Weg in die Lausitz - aber es waren bei weitem nicht
nur Europäer bei der Aktionswoche von Ende Gelände. Und zeitgleich gab es auf der
ganzen Welt Proteste, koordiniert von der US-amerikanischen
Umweltschutzorganisation 350.org. Der Name verweist auf das Ziel, das die
Weltgemeinschaft auf dem Klimagipfel in Paris beschlossen hat. Denn will die
Menschheit die Erderwärmung wirklich auf maximal zwei Grad begrenzen, dann darf
der Anteil von CO2 in der Atmosphäre nicht mehr als 350 „parts per million“ betragen,
also 350 Kohlendioxidmoleküle zu einer Million anderer Moleküle. In Brasilien,
Neuseeland, Kanada, den USA, Nigeria, den Philippinen, Südafrika, Australien und
weiteren Ländern machten Menschen mit Demonstrationen und Akten zivilen
Ungehorsams auf die Gefahren durch fossile Energien aufmerksam.
O-Ton Kastubh Srkanth
Sprecher 1:
„Wir alle hier sind Teil einer großen, einer globalen Bewegung. Wir wollen keine
neuen Kohleminen.“
Waltz:
Kastubh Srkanth kommt aus Indien. Dort, im Bundesstaat Chattisgarh, wird
Steinkohle gefördert - in riesigen Tagebauen. Mit katastrophalen Folgen für die
Natur.
O-Ton Kastubh Srkanth
Sprecher 1:
„Sehr viele Menschen, die in Indien heute gegen Kohle kämpfen, wurden erst zu
Aktivisten, weil ihre Lebenswelt vom Kohleabbau bedroht wird. Eines der größten
Probleme für diese Menschen ist die massive Umsiedelung.“
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Morton:
Dass Kastubh Srkanth in die Lausitz gereist ist, wundert mich überhaupt nicht. Ich
habe in seiner Heimat Einheimische getroffen, die gegen den indischen
Bergbaukonzern Adani und für den Erhalt ihrer Dörfer kämpfen - und einen wichtigen
Erfolg errangen.
O-Ton Chetu Ram
Sprecher 2:
„Wir sind die Ureinwohner von Indien. Seit vielen Generationen leben wir hier und wir
werden uns nicht so einfach vertreiben lassen.“
Morton:
Chetu Ram ist Stammesältester im Dorf Sahli. Er wurde 1942 geboren, als Indien
noch zum britischen Empire gehörte. Die Dorfbewohner sind Adivasis - ein Volk, das
seit Jahrhunderten in dieser Gegend lebt.
O-Ton Chetu Ram
Sprecher 2:
WWir sind die Könige hier. Dies ist unser Land, wir leben darauf und wir wollen über
dieses Land bestimmen. Wenn uns unser Land genommen wird, dann nimmt man
uns alles, was wir haben.W
Morton:
Sahli liegt in der Region Hasdeo Arand, am Rande des Urwaldes, der hier noch
erhalten geblieben ist. Noch, denn unter den Bäumen und dem Dorf Sahli liegt Kohle.
Das Flöz soll ungefähr eine Milliarde Tonnen umfassen. Dort, wo die Kohle jetzt ist,
unter der Erde, dort soll sie auch bleiben. Dafür kämpft Alok Shukla. Er ist ein junger
Aktivist bei Jan Abhivakti, einer Bürgerinitiative, die sich gegen den Kohleabbau und
für die Rechte der Einheimischen einsetzt.
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O-Ton Alok Shukla
Sprecher 1:
„In Hasdeo Arand gibt es noch wertvollen, dichten Urwald mit einer hohen
Artenvielfalt. Er ist ein wichtiger Lebensraum für viele Wildtiere. Allerdings hat die
Regierung bereits für 30 Tagebaue auf einer Fläche von insgesamt 1.800
Quadratkilometern eine Genehmigung erteilt. Für diese Abbaugebiete soll Hasdeo
Arand verschwinden. Wir suchen derzeit nach Wegen, dies zu verhindern.“
Morton:
Für die Adivasis ist der Wald Existenzgrundlage. Sechs Monate im Jahr sammeln sie
Pflanzen, Samen und Wurzeln, die sie als Heilmittel verkaufen. Die übrigen sechs
Monate betreiben sie Landwirtschaft.
O-Ton Alok Shukla
Sprecher 1:
„Eigentlich hat das Umweltministerium diese Region als No-Go Area für den Bergbau
erklärt. Aber seit kurzer Zeit versucht die Regierung, hier den Abbau der Kohle
durchzusetzen.“
Morton:
300 Millionen Inder - ein Viertel der Gesamtbevölkerung - leben immer noch ohne
Strom. Das will die Regierung unbedingt ändern, erklärt mir Anil Swarup. Er ist der
Chef des Kohleministeriums im 1.000 Kilometer vom Dorf Sahli entfernten Neu Delhi.
O-Ton Anil Swarup
Sprecher 3:
„In den 1970er-Jahren wurde wegen der wachsenden Bedeutung der Kohle ein
eigenes Ministerium dafür gegründet, um das weitere Wachstum der indischen
Wirtschaft sicherzustellen. Um genau zu sein: Wir planen die Kohleproduktion in
Indien in den kommenden fünf Jahren von 500 Millionen Tonnen pro Jahr auf eine
Milliarde Tonnen zu verdoppeln.“
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O-Ton Anil Swarup
Sprecher 3:
„Tatsächlich haben wir keine andere Wahl. Gegenwärtig ist unser Energieverbrauch
pro Kopf so hoch wie in den USA Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Wenn
wir uns irgendwann eine Industrienation nennen wollen, dann brauchen wir eine
Menge Energie. Und wir werden so lange auf Kohle setzen, bis es eine vernünftige
Alternative dazu gibt. Und die sehen wir im Moment nicht.“
Morton:
2012 erteilte Jairem Ramesh, der damalige Umweltminister von der Kongresspartei,
dem Konzern Adani die Erlaubnis für einen Tagebau in der Region Hasdeo-Arand in
Chattisgarh - in genau jener Region, die sein eigenes Ministerium vorher als No-GoArea erklärt hatte.
O-Ton Jairem Ramesh
Sprecher 3:
„Ausschlaggebend für mich war, dass es eine Nachfrage nach der Energie gab und
bereits Kraftwerke in der Region existierten, in denen die Kohle verstromt werden
sollte. Dennoch habe ich strikte Auflagen für den Tagebau erlassen.“
Morton:
Trotz dieser „strikten Auflagen“ bedeutet die Entscheidung des Ministers, dass die
Dörfer und der Urwald abgebaggert werden sollen. Dagegen wehren sich die
Adivasis aus Chattisgarh und die sie unterstützenden Aktivisten. Sie legten
Einspruch beim National Green Tribunal ein. Das indische Umweltgericht ist eines
der mächtigsten seiner Art auf der Welt. 2010 durch das nationale Parlament ins
Leben gerufen, soll es das in der Verfassung verankerte Recht der Bürger auf eine
gesunde Umwelt schützen. Nur noch das Oberste Gericht ist dem Green Tribunal
übergeordnet. Im Kampf gegen Indiens größten Kohlekonzern hatten die Adivasis
einen großen Verbündeten im Urwald, erzählt der Bauer Ram Pravesh aus dem Dorf
Sahli.
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O-Ton Ram Pravesh
Sprecher 1:
„Elefanten wandern jedes Jahr hier durch unser Gebiet. Wenn ihnen ein Haus im
Weg ist, dann zerstören sie es, sie fressen die Früchte auf den Feldern, sie töten
Tiere und Menschen, die sich ihnen in den Weg stellen. Sie haben schon Häuser hier
direkt in meinem Dorf zerstört.“
Morton:
Um die Dörfer in Chattisgarh zu retten, haben die Kläger vor dem Gericht gezeigt,
dass eine Erweiterung des Kohleabbaus in der Region den Elefanten-Korridor stören
würde:
O-Ton Ritwick Dutta
Sprecher 2:
„Elefanten legen weite Strecken zurück und dafür brauchen sie diese Korridore.
Wenn man ihre Wege zerstört, dann provoziert man damit mehr Konflikte zwischen
Menschen und Elefanten. Schon heute sterben viele Menschen durch Elefanten.“
Morton:
Rechtsanwalt Ritwick Dutta von der Legal Initiative for Forest and Environment
führte den Prozess vor dem Umweltgericht.
O-Ton Ritwick Dutta
Sprecher 2:
„Das Green Tribunal hat in diesem Fall einen Grundsatz angewandt, der das
Bedürfnis einer Spezies in den Vordergrund stellt. Elefanten sind eine vom
Aussterben bedrohte Tierart und der Lebensraum der Elefanten würde durch die
Mine erheblich eingeschränkt.“
O-Ton Morton
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Morton:
„Sie sagten, dass der Kohlekonzern Adani bestritten hat, dass es sich überhaupt um
einen Elefantenkorridor handelt. Wie kann das sein?”
O-Ton Ritwick Dutta
Sprecher 2:
„Nicht nur der Konzern, auch staatliche Stellen haben beharrlich bestritten, dass es
dort Elefanten gibt. Aber wir konnten in diesem Fall sehr leicht den Gegenbeweis
erbringen. Denn in der Gegend gab es mehrere Tote durch Angriffe von Elefanten.
Das staatliche Forstamt hat Ausgleichzahlungen für diese Todesfälle geleistet dasselbe staatliche Forstamt, das kurze Zeit später einen Report für den
Kohlekonzern verfasst und darin erklärt hat, dass es keine Elefanten in der
betroffenen Gegend gibt.“
Morton:
2014 stoppte das Umweltgericht den weiteren Abbau von Kohle in der Region
Hasdeo Arand. Nur im einzigen bestehenden Tagebau darf weitergearbeitet werden.
Gegen das Urteil des Umweltgerichts hat Adani vor dem höchsten Gericht des
Landes, dem Indian Supreme Court, Einspruch eingelegt. In den Dörfern von
Chattisgarh geht der Kampf weiter.
Waltz:
Kastubh Srkanth aus Indien sitzt neben mir auf einer Bank am Rande des
Klima-Camps. Die große Wiese vor uns ist von den vielen Menschen plattgetreten.
O-Ton Kastubh Srkanth
Sprecher 1:
„Land für Kohle bedeutet, dass Tausende Menschen ihr Zuhause verlieren. Es
bedeutet auch, dass große Umweltprobleme entstehen, durch den Staub aus den
Tagebauen beispielsweise oder durch Abwässer, die die Fischgründe verseuchen.
Das ist an der indischen Ostküste der Fall. Und all das hat direkte Auswirkungen auf
das Leben und die Gesundheit der Menschen. Deshalb beginnen sie zu protestieren.
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Inzwischen gibt es Netzwerke und Organisationen, die diese lokalen Aktivisten
unterstützen und beraten. Es gibt also eine ziemlich starke Verbindung zwischen den
direkt betroffenen Menschen vor Ort und externen Unterstützern.“
O-Ton Tadzio Müller:
„Und woanders sind noch 500 Leute von uns ungefähr. Und zusammen haben wir
diesen Braunkohletagebau dicht gemacht.
Warum machen wir das? Fossile Brennstoffe verursachen Klimawandel und von den
fossilen Brennstoffen ist die Braunkohle der dreckigste. Man muss vielleicht noch
dazu sagen, dass unter dem Klimawandel immer vor allem die leiden, die am
wenigsten dazu beigetragen haben und die, die am meisten dazu beigetragen
haben, leiden am wenigsten darunter. Der Klimawandel ist also nicht nur
Öko-Katastrophe, der ist eine Gerechtigkeits-Katastrophe. Und deswegen sind wir
hier, um das aufzuhalten.“
Waltz:
Tadzio Müller blickt sich um. Den riesigen Bagger hinter ihm, der ununterbrochen
Kohle fördern soll, bei Tag und bei Nacht, sieben Tage die Woche, halten in dieser
Woche im Mai viele seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter besetzt. Bunte
Transparente fordern den Ausstieg aus der Kohle. Die Aktivisten tragen weiße
Papieroveralls, der Tagebau wimmelt von weiß gekleideten Menschen. Die Polizei
hält sich zurück.
O-Ton Tadzio Müller:
„Es sind andere Leute auch noch gleichzeitig dabei, die Zuggleise zu blockieren, die
die Kohle von hier in das Kraftwerk Schwarze Pumpe bringen. Weil wir müssen uns
einfach mal die Frage stellen: Wann fangen wir eigentlich an, Teile dieser wahnsinnig
destruktiven industriellen Infrastruktur abzuschalten. Wir haben in Paris gesagt, oder
die Regierungen haben gesagt: Wir wollen den Klimawandel aufhalten. Ja, was
bedeutet denn das? Das bedeutet, mit diesem zerstörerischen Wahnsinn
aufzuhören. Und schaut euch mal um: In dieser Kohlegrube. Das ist gar nicht mehr
die Erde, das ist irgendeine zerstörte Mondlandschaft. Und wenn wir die fossilen
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Industrien gewähren lassen, dann sieht die Erde irgendwann so aus. Und deswegen
sind wir hier.“
Waltz:
Die Aktivisten von „Ende Gelände“ haben in ihrem Camp eine beachtliche
Infrastruktur aufgebaut: mehrere Info-Zelte, eines für die Presse, ein großes
Zirkuszelt für Podiumsdiskussionen beispielsweise. Eine Bar, eine Großküche. Es
gibt schnelleres Internet als im nächsten Dorf, in Welzow.
O-Ton Kastubh Srkanth
Sprecher 1:
„Man könnte ein solches Klimacamp in Indien nicht durchführen. Die Polizei würde
nicht Schlagstöcke und Pfefferspray einsetzen, sie würde eher scharf schießen. Aber
das hält die Menschen dort nicht von Protesten ab. Ich war oft dabei und habe viel
mehr Gewalt gesehen als hier.
Meistens werden die Protestaktionen nicht so gut vorbereitet und geplant wie dieses
Klimacamp hier. Der Frust lässt die Menschen protestieren. Und das, obwohl es
immer wieder hässliche Szenen gibt und Demonstranten schon schwer verletzt oder
sogar getötet wurden. Auf der anderen Seite haben die Aktivisten bereits große
Erfolge erzielt. Deshalb wehren sich auch immer mehr Menschen und die Proteste
werden größer. Die Leute suchen immer mehr die direkte Aktion. Und tatsächlich
sind in den vergangenen Jahren einige Kohleprojekte verhindert worden oder
bestehende wurden verkleinert. Diese Erfolge stärken die neuen politischen
Bewegungen aus der Zivilgesellschaft heraus, lässt sie stärker werden und das bringt
wiederum neue politische Akteure hervor.“
O-Ton Roland Lehmann
„Die Zeche, die werden wir irgendwann alle bezahlen müssen. Wir vielleicht direkt
nicht mehr. Aber unsere Kinder oder Kindeskinder. Und das kann nicht sein, das.
Man muss endlich mal, man muss endlich mal hier einen anderen Weg einschlagen.
Das ist einfach so.“
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Morton:
Roland Lehmann ist Ortsvorsteher von Kerkwitz. Auch sein Dorf könnte dem
Tagebau Jänschwalde zum Opfer fallen. Roland fährt regelmäßig zu Protestaktionen
in andere Dörfer in der Lausitz, die von der Braunkohle betroffen sind.
Als junger Mann in der DDR war Roland Lehmann Hochseefischer, jetzt arbeitet er
im Straßenbau. Ich besuche ihn auf seinem Hof, wo er Pferde hält.
O-Ton Roland Lehmann:
„Im lokalen, oder für uns persönlich ist es ja, uns bedroht es ja in unserer Existenz.
Hier in der Lausitz sind seit den 1920er-Jahren, sind über 130 Orte, mussten der
Kohle weichen. Die sind…die gibt es definitiv nicht mehr.“
O-Ton Morton:
„Wenn es nach den Plänen der Landesregierung von Brandenburg und dem
Energiekonzern EPH geht, wird sich dieser Hof in eine Mondlandschaft verwandeln.
60 Meter Abraum müssen weggeschafft werden, bevor man hier in der Lausitz an die
Kohle kommt.“
O-Ton Roland Lehmann:
„Und ich denke, es ist jetzt ja wirklich an der Zeit, mit diesem Wahnsinn aufzuhören.
Keine Orte, keine Dörfer der Kohle mehr zu opfern. Und das, das sind unsere
Beweggründe. Aber die Dimensionen sind heute viel weitreichender, viel. Sie sind
letztendlich, letztendlich sind sie existenzbedrohend für die ganze Menschheit.“
Morton:
Die meist städtischen Klima-Aktivisten haben mit den Dorfbewohnern sehr wenig
gemein, oft unterscheiden sie sich auch in ihrem politischen Denken grundsätzlich.
Die einen wollen die Welt retten.
Waltz:
Die anderen wollen ihren Hof retten und merken dann, dass diese Rettung ihres Hofs
mit den großen Menschheitsfragen verbunden ist.
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Morton:
Die einen wollen der guten Sache durch direkte Aktionen Nachdruck verleihen und
fürchten sich nicht vor Zusammenstößen mit der Polizei.
Waltz:
Die anderen fürchten genau das und lassen sich leicht verunsichern, wenn einige
Aktivisten - und das passiert immer wieder - übers Ziel hinausschießen.
Aber wenn sie erfolgreich sein wollen, müssen beide Seiten zusammenhalten.
O-Ton Monika Schulz-Höpfner:
„Was Ende Gelände da macht, ist sicherlich nicht meine persönliche Form des
Widerstandes. Aber ich denke, gerade in diesen angespannten Zeiten und in der
Situation, in der wir alle stehen, ist dieser zivile Ungehorsam durchaus tolerabel, und
deswegen werde ich mich auch und habe ich mich auch nicht davon distanziert.
Dass es tatsächlich so ist, wie man mir berichtet hat, dass es jetzt an der einen oder
anderen Stelle dazu gekommen ist, dass da doch einige Leute über die Stränge
geschlagen haben und da eventuell an irgendwelchen Geräten was abgebaut haben
oder so, das finde ich nicht gut, ich finde, es schadet unserer Sache, aber ob man
das bei einer so logistischen Herausforderung, wie die Aktionen jetzt waren, wirklich
immer verhindern kann, dass darf man dann auch mal anzweifeln.“
O-Ton Sumu
Sprecher 1:
„Für den lokalen Protest vor Ort ist es sehr wichtig, sich mit anderen zu vernetzen,
um Wissen, Fähigkeiten und Erfahrungen auszutauschen. Es gibt ja offensichtliche
Unterschiede zwischen dem lokalen Protest und uns. Vor ein paar Tagen haben wir
hier ein Dorf besucht und etwas über die sorbische Kultur gelernt, die eine lange
Tradition und Geschichte in der Lausitz hat. Für sie ist das etwas ganz anderes hier,
als für mich beispielsweise, ich komme hierher aus einer ganz anderen Ecke der
Welt und gehe nach dem Wochenende wieder.“
Morton:
Sumu ist ein Landsmann von mir.
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Er gehört zu denen, die in der Lausitz bei der Ende-Gelände-Aktion auf den Gleisen
sitzen und die Zufahrt der Kohlezüge zum Kraftwerk Schwarze Pumpe blockieren.
O-Ton Sumu
Sprecher 1:
„Ich denke auch darüber nach, was ich von hier berichten werde, wenn ich wieder
zurück bin. Ich habe hier Sachen gelernt, die ich an andere Anti-Kohle- oder
Klimaaktivisten in Australien weitergeben kann, zu denen ich bisher kaum Kontakt
hatte. Das wird interessant sein, wie diese Ideen hier sich weiter verbreiten und wie
neue Verbindungen entstehen können.“
Morton:
Australien, dieses riesige dünn besiedelte Land, versorgt die Welt mit Rohstoffen mit Agrargütern - Weizen zum Beispiel - genauso wie mit Bodenschätzen. Während
Sumu in der Lausitz die Schienen besetzt hält, haben australische Ureinwohner mit
Kajaks den größten Kohlehafen der Welt blockiert. Australien ist einer der
weltgrößten Kohleexporteure. Und ein großes Braunkohlenflöz liegt unter einem der
fruchtbarsten Landstriche des Landes, den Liverpool Plains.
O-Ton John Hamparsum
Sprecher 2:
Ich heiße John Hamparsum und bin Farmer der zweiten Generation hier auf
den Breeza Plains in New South Wales. Uns gehört diese Farm seit 1961.
O-Ton Morton
Morton:
„Was baut ihr hier an?“
O-Ton John Hamparsum
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Sprecher 2:
„Wir bauen viele verschiedene Sorten an. Im Moment Sonnenblumen um Öl daraus
zu pressen und Baumwolle, beides für den Export. Dazu kommen noch Bohnen,
Erbsen und Hirse. Im Winter bauen wir verschiedene Weizensorten an, für Pasta und
zum Brotbacken. Manchmal auch Kichererbsen.“
O-Ton Morton
Morton:
„Ganz schön viel Unterschiedliches.“
O-Ton John Hamparsum
Sprecher 2:
„Ja, das ist das Schöne an diesem Boden. Man kann fast alles anbauen, sei es Mais
oder grüne Bohnen. Das Klima und der Boden erlauben es einem, sehr flexibel zu
sein. Was gebraucht wird, das können wir auch anbauen, das ist toll.
Wir bewirtschaften 1.500 Hektar hier und 1.000 Hektar davon werden bewässert. Für
uns ist das ein gutes Geschäft, der Umsatz ist in Ordnung. Zweieinhalb Millionen
australische Dollar etwa im Jahr. Das Ganze hat eine gute Größe, ich beschäftige
vier Leute in Vollzeit, dazu noch meine Schwester, meine Frau, die Kinder und ich
selbst. In dieser Größe gibt es hier noch ein paar Farmen in der Gegend, ich bin nicht
der Einzige.“
O-Ton Morton
Morton:
„Also kann man sagen, dass es hier um Bergbau gegen Agrobusiness geht?“
O-Ton John Hamparsum
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Sprecher 2:
„Nein, ich würde sagen es geht um Essen gegen Bergbau. Es geht darum, dass wir
in der Lage sind, Nahrungsmittel zu produzieren, und zwar für immer, solange es
diese Erde gibt. Ein Tagebau wird 30 Jahre lang Kohle fördern. Wenn er ausgekohlt
ist, dann … Der Boden wird nichts mehr hervorbringen, nicht so wie er es heute tut.“
Morton:
Etwa zwei Kilometer entfernt von John Hamparsums Getreidefeldern soll ein
Tagebau entstehen - auf einer Fläche von 3.500 Hektar. Er ist ein Projekt des
chinesischen Staatskonzerns Shenhua, dem größten Kohleproduzent der Welt. Seit
2007 kämpfen Grundbesitzer wie John Hamparsum gegen Shenhua und für die
Zukunft der Landwirtschaft auf den Liverpool Plains. Sie befürchten, dass die Grube,
die 300 Meter tief werden soll, die Grundwasserader unter ihren Feldern zerstört.
Gerade diese Grundwasserader, der besonders fruchtbare schwarze Boden und der
für australische Verhältnisse sehr regelmäßige Regen machen die Liverpool Plains
zu einer der ergiebigsten Agrarregionen des Landes.
O-Ton John Hamparsum
Sprecher 2:
„Als Farmer werde ich besonders vom Klimawandel betroffen sein und ich sehe, dass
sich bereits viel verändert.“
O-Ton Morton
Morton:
„Was verändert sich denn?“
O-Ton John Hamparsum
Sprecher 2:
„Das Wetter wird extremer. Unsere Sommer beginnen früher als noch vor einigen
Jahren und sie enden später. Auch der Regen verändert sich, die durchschnittliche
Menge bleibt zwar gleich, aber es gibt mehr Starkregen auf einmal und dann lange
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Zeit nichts mehr. Vielleicht erleben wir auch einen langen Kreislauf, den wir nicht
erkennen, aber was die Wissenschaftler zum Klimawandel sagen, ich glaube, das
stimmt.
Ich mache mir große Sorgen, was passiert, wenn wir weiter auf Kohle setzen. Wohin
führt das? Ich war zwei Wochen lang in China und habe erstaunliche Sachen
gesehen. Ehrlich. Davor habe ich nicht an den Klimawandel geglaubt. Aber der
Himmel war die ganze Zeit grau von Smog, ich konnte direkt in die Sonne schauen
und alles was ich gesehen habe, war eine braune glimmende Scheibe am Himmel.
Ich habe chinesischen Bauern Bilder von meiner Baumwolle und meiner Hirse
gezeigt. Die Pflanzen haben sie nicht interessiert. Sie haben sich den Himmel
angesehen und dachten, das Bild sei mit Photoshop bearbeitet. Das war es nicht. So
sieht der Himmel bei uns aus. Ich kam zurück aus China und dachte, wow, das ist
wirklich ernst. Es muss sich wirklich etwas an der Welt verändern, wenn wir solche
Mengen CO2 in die Atmosphäre pumpen. Das muss eine Auswirkung haben.
Wir sehen diese Auswirkung nicht in Australien, weil wir so wenige sind, nur um die
20 Millionen Menschen. So viele leben dort in einer Stadt. Ich habe dort Kohleberge
gesehen und riesige Kraftwerke, die die ungefilterten Abgase in die Atmosphäre
geblasen haben. Da habe ich angefangen nachzudenken, wo die Kohle herkommt.
Sie kommt von uns, sie kommt aus der Mongolei, aus Südafrika, aus der ganzen
Welt und ein Großteil davon geht nach Asien, wird verbrannt und zu Strom gemacht.
Wir müssen klüger werden. Überall dort sieht man Windräder, fast jedes Haus hat
Solarzellen auf dem Dach. Auch wir hier bauen Solarzellen auf alle unsere Häuser,
aber wir müssen mehr Alternativen finden, damit wir nicht das Land aufreißen und
es ausrauben. Davor habe ich Angst.“
Morton:
Bei einem Treffen auf der Spring Ridge Station, einer großen Farm mitten in diesem
reichen Agrargebiet, verbündeten sich die Farmer offiziell mit Umweltgruppen wie
350.org und der Wilderness Society, einer australischen Umweltschutzorganisation.
Zum Programm gehörte auch eine Einführung in die Praxis des zivilen Ungehorsams:
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O-Ton Andrew Pursehouse
Sprecher 1:
„So etwas haben wir bisher noch nicht gemacht. Wir haben kaum Erfahrung in
gewaltfreiem Widerstand. Aber das hier hat uns darauf vorbereitet, was passieren
kann, wenn große Menschenmengen aufeinanderprallen. Und wir erwarten große
Menschenmengen, wenn die Regierung nicht bis dahin zur Vernunft kommt.“
Morton:
Andrew Pursehouse. Seine Familie betreibt seit mehr als 40 Jahren Landwirtschaft
im großen Stil. In seiner Scheune lagern normalerweise 2000 Tonnen Getreide.
Stattdessen findet heute darin das erste Treffen der Liverpool Plains Alliance statt.
Ungefähr 500 Farmer, Umweltschützer und Mitglieder der Gomeroi Nation, eines
Aborigines-Stammes, diskutieren über Taktiken und Strategien ihres Widerstandes.
O-Ton Andrew Pursehouse
Sprecher 2:
„Als Farmer machen wir das nicht gerne. Aber wir müssen unser Recht verteidigen,
wir müssen die Zukunft der Landwirtschaft in diesem Land verteidigen und dafür
werden wir tun, was immer notwendig ist.“
O-Ton Morton
Morton:
„War es eine schwierige Entscheidung, euch mit den Umweltgruppen zusammen zu
tun?“
O-Ton Andrew Pursehouse
Sprecher 2:
„Es war eine sehr schwere Entscheidung. Aber die Voraussetzung für die
Zusammenarbeit mit den Umweltgruppen war, dass die Farmer die Protestaktionen
leiten. Es werden die Farmer sein, die sich an die Bagger anketten.“
20
Morton:
Die Grundbesitzer in Australien liefern ein deutliches Beispiel dafür, wie sehr die
Kohle die Menschen verändern kann. Vor der Kohle betrachtete Andrew Pursehouse
Grüne eher als politische Gegner; sein Vater war lange Zeit Schatzmeister der
örtlichen National Party - der konservativen Bauernpartei Australiens. Heute sind die
Grünen Verbündete: Pursehouse meint, sie verstehen und vertreten die Anliegen der
Farmer besser als die Partei seines Vaters.
Waltz:
So unterschiedlich die Situation in den kohlefördernden Ländern auch sein mag - es
zeigen sich viele Parallelen. Eine ähnliche Bedrohungslage erzeugt ein ähnliches
Vorgehen. Sie macht aus einfachen Menschen politische Akteure.
Morton:
Monika Schulz-Höpfner sagt, sie sei zu DDR-Zeiten unpolitisch gewesen. Als die
Tagebaue nach der Wende weiterliefen und schließlich das Dorf Hornow gegen alle
Versprechen der sozialdemokratischen Landesregierung abgebaggert wurde, ging
sie in die Politik und vertrat die CDU im brandenburgischen Landtag.
Und die Adivasis in Indien waren bis vor kurzen politisch nicht in Erscheinung
getreten, sie kannten ihre Rechte kaum - und haben nun vor Gericht gegen den
größten Bergbaukonzern Indiens gewonnen.
Waltz:
Empowerment, Selbstermächtigung, nennt der Soziologe Daniel Häfner diesen
Prozess, der dazu führt, dass sich die Menschen der eigenen Macht bewusst
werden.
O-Ton Daniel Häfner:
„Klar ist aber auch, dass solche sozialen Bewegungen immer dann erfolgreich sind
oder schneller erfolgreich sind, wenn viele Leute betroffen sind, wenn sie ihre eigene
Lebenswelt bedroht sehen in einer gewissen Art und Weise. Das ist natürlich bei
Atomfragen einfacher, wenn dann gezeigt wird: Ja, in Tschernobyl entsteht eine
radioaktive Wolke, die bis nach Bayern geht, das heißt Radioaktivität und Atomkraft
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ist ein Thema, das jeden und jede potenziell betreffen kann, ist das natürlich
mobilisierender als immer der Klimawandel, der so ja völlig in der Ferne scheinbar
stattfindet. Ja, also die Bedrohungsszenarien sind im globalen Süden und das jetzt
wieder nach Norden zu übersetzen, das ist eben Aufgabe verschiedener
Organisationen.
Es ist dann aber schon so,wenn ich das mittel- und langfristig mache, solche
Proteste mit, verändert das auch mich selbst oder meine Identität, weil ich mich eben
auch selbst als Umweltaktivist oder als Aktivist gegen XYZ verstehe. Und so eine
gemeinsame Entwicklung von Identitäten, das ist ja das, was auch soziale
Bewegungen wieder ausmacht. Da entwickelt sich was, da wird eine gemeinsame
vielleicht Kunst, Kultur entwickelt, man entwickelt gemeinsame ökonomische
Alternativen, da gibt es dann Innovationsprozesse, die dazu führen, dass es eben
doch sozusagenim Kern der Identität einen Wandel gibt.“
Waltz:
Nach der Wende brach in der Lausitz die Wirtschaft zusammen, Betriebe wurden
geschlossen, viele Menschen entlassen. Sehr viele, gerade die jungen Leute, zogen
weg, nach Westen, nach Berlin oder in andere große Städte. Was blieb, ist die
Braunkohle - der mit Abstand wichtigste Arbeitgeber in der Region. Viele können sich
nicht vorstellen, was passiert, wenn auch die Tagebaue dicht machen.
O-Ton Daniel Häfner:
„Für Innovationsprozesse brauche ich ja dann - also sowohl für kulturelle als auch für
ökonomische, für gesellschaftliche, brauche ich ja dann Leute, die Innovatoren sein
können und dann muss ich schauen, dass es sozusagen andere Teilidentitäten gibt,
auf die ich aufbauen kann. Das kann hier vor Ort sozusagen das Vor-Ort-Indigene,
das Sorbisch-Wendische sein, das können Leute sein, die hier Öko-Tourismus
angefangen haben. Das sind genau die Leute aus den Universitäten, die neue
Firmen gründen, die neue Ideen haben, die hier rein zu tragen. Also die Innovation
hier in der Lausitz und die Zukunft der Lausitz wird genau von den Leuten abhängen,
oder wesentlich auch mitgetragen werden, die bisher zu den Protestierenden gehört
haben.“
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Morton:
Die Herausforderungen sind gewaltig. Menschen müssen vorleben, dass das fossile
Zeitalter abgelöst werden kann, dass beispielsweise Indien mit Energie versorgt
werden kann, ohne dass der Urwald in Chattisgarh für die Kohle gerodet wird.
Menschen wie Alok Shukla
O-Ton Alok Shukla
Sprecher 1:
„Deshalb haben wir unseren Kampf um Hasdeo Aran mit dem Kampf gegen den
Klimawandel verbunden. Denn es geht uns nicht nur darum, Kohleminen zu
schließen. Wir wollen alternative Energien.“
Morton:
Die Großbauern in Australien haben den zivilen Ungehorsam für sich entdeckt, um
klar zu machen, dass die Kohle in der Erde bleiben muss. Inzwischen sind sie nicht
mehr allein.
O-Ton John Hamparsum
Sprecher 2:
„In diesem Kampf, in den zehn Jahren, die er nun schon dauert, haben wir immer
versucht, den Leuten zu zeigen, wofür die Liverpool Planes stehen. Warum sie so
wertvoll sind. Leute aus der Stadt haben sich uns via Social Media angeschlossen
und wollen uns unterstützen.“
Waltz:
In der Lausitz will Monika Schulz-Höpfner den Strukturwandel vorantreiben. Sie ist
mit Studenten und Absolventen der Brandenburgischen Technische Universität
Cottbus in Kontakt, und will ihnen helfen, neue Ideen - weg von der Braunkohle umzusetzen. Sie lädt Menschen auch zum Gespräch auf ihren Hof ein - auf den Hof
mit Solarpaneelen, Windrad und Elektroauto.
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O-Ton Monika Schulz-Höpfner:
„Wir werden demnächst einen Tag der offenen Tür machen, dass die Leute
‘reingucken können, sich informieren können auch wissen, dass so was Geld kostet,
dass es noch relativ teuer ist. Aber wenn keiner anfängt, dann wird sich da nichts
entwickeln. Also muss man das ja einfach mal anfangen. Und das leben wir einfach
vor. Ich meine andere fahren was weiß ich, drei Mal im Jahr in Urlaub.“
Waltz:
Das Klima-Camp in der Lausitz liegt ein halbes Jahr zurück. Vattenfall hat sich aus
der schwierigen Region zurückgezogen, der tschechische Konzern EPH hat das
Ruder übernommen - unter dem Beifall der Regierungen von Brandenburg und
Sachsen, die - wie viele Gewerkschafter - glauben, auf die Arbeitsplätze in dieser
Region nicht verzichten zu können.
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks plädiert für den Ausstieg aus der fossilen
Energie. Ihr Kabinetts- und Parteikollege, Wirtschaftsminister Gabriel, widerspricht
ihr: Die Bundestagswahl 2017 steht am Horizont.
O-Ton Monika Schulz-Höpfner:
„Also da werden wir in keinster Weise nachlassen, bevor wir nicht irgendwann mal so
weit sind, dass diese Landesregierung tatsächlich ihre Verantwortung wahrnimmt
und sagt, ihr könnt jetzt alle mal etwas in Ruhe euer Leben weiterleben. Ihr habt das
Damoklesschwert nicht mehr über euch. Ihr dürft alle euer Zuhause behalten, eure
Nachbarschaft erhalten und bleiben und es wird kein tiefes Loch geben und
Atterwasch fällt rein und Grabko fällt rein, Kerkwitz fällt rein, Welzow fällt rein,
zumindest in Teilen... Vorher werden wir nicht aufhören. Und wenn ich mit dem
Rollator noch an der Tagebaukante protestiere... Bis zum bitteren Ende… [lacht] Das
verspreche ich!“
Absage:
Australien. Indien. Lausitz.
Brennpunkte im Kampf um die Kohle
Ein Dossier von Tom Morton und Manuel Waltz
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Es sprachen: Jochen Kolenda, Sylvia Systermans, Michael Witte, Christoph
Wittelsbürger, Andreas Poltulski und Tom Morton.
Ton und Technik: Daniel Dietmann und Jens Müller
Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr
Eine Produktion des Deutschlandfunks 2016.