Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Dossier Australien. Indien. Lausitz. Brennpunkte im Kampf um die Kohle Autoren: Tom Morton und Manuel Waltz Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr Produktion: DLF 2016 Erstsendung: Freitag, 18.11.2016, 19.15 Uhr Manuel Waltz: Andreas Potulski Tom Morton: der Autor Sprecherin: Sylvia Systermans Sprecher 1: Michael Witte Sprecher 2: Jochen Kolenda Sprecher 3: Chrisoph Wittelsbürger Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar - 1 O-Ton Tadzio Müller: „Ich bin Tadzio Müller von der Kampagne Ende Gelände. Wir sind hier mit ein bisschen mehr als tausend Leuten als ein Teil einer großen Aktion in der Lausitzer Braunkohlegrube Welzow Süd. Wenn man sich die Geschichte des zivilen Ungehorsams anschaut, ob in der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung, in der Frauenbewegung, in der Bürgerinnenund Bürgerrechtsbewegung in den USA, in der Homobewegung - hat man immer wieder gesehen, dass, um gesellschaftliche Veränderungen im Grunde anzustoßen, muss man die Regeln einer ungerechten Gesellschaft auch brechen.“ Ansage: Australien. Indien. Lausitz. Brennpunkte im Kampf um die Kohle Ein Dossier von Tom Morton und Manuel Waltz Sprecherin: [Aus dem Abschlussbericht der Aktion „Ende Gelände“, Mai 2016] „Grandios, rund 4000 Menschen haben sich an den Aktionen zivilen Ungehorsams beteiligt. Bereits am Freitag haben über 1500 Menschen den Tagebau Welzow Süd blockiert, indem sie Braunkohlebagger und Verladestation besetzten. Am Samstag zogen rund 2000 Menschen in Richtung Kraftwerk Schwarze Pumpe und legten die Versorgung mit Kohle lahm. Daraufhin wurde Block B auf 40% Leistung gedrosselt und Block A vollständig abgeschaltet - ein voller Erfolg! Bis Sonntagnachmittag harrten Hunderte auf den Gleisen und Baggern aus. 48 Stunden nach Beginn der ersten Blockade und 24 h nachdem das Kraftwerk vom Nachschub getrennt wurde, verließ der größere Teil der Aktivist*innen die Blockadeorte, […]. Auf den Gleisen wurden die letzten Blockierenden, […] von der Polizei geräumt, während die Blockade der Bagger bis Montag in den frühen Morgenstunden gehalten wurde.“ 2 Manuel Waltz: „Ende Gelände“ hat sich im Jahr 2015 in Deutschland als Zusammenschluss von Umweltgruppen und Menschen aus der Anti-Atom- und Anti-Kohle-Bewegung gegründet. Im ersten Jahr blockierte das Bündnis den RWE- Tagebau Garzweiler in Nordrhein-Westfalen. Im Mai 2016 schlossen sich die Aktivisten der weltweiten Aktionswoche „Break Free!“ der Bewegung für Klimagerechtigkeit an. Und am 11. Oktober demonstrierten die „Ende- Gelände- Aktivisten“ in Cottbus. An diesem Tag konstituierte sich dort der Vorstand des neuen Betreibers der Lausitzer Braunkohlensparte: Der tschechische Konzern EPH. Auf Druck der rot-grünen Regierung in Stockholm hatte der Staatskonzern Vattenfall seine deutsche Braunkohlesparte verkaufen müssen. Die war schlecht fürs Image: Sie stieß mehr CO2 aus als ganz Schweden. Ich verfolge den Protest gegen den Braunkohleabbau in Deutschland seit mehreren Jahren als Journalist. Bei der spektakulären Aktion von „Ende Gelände“ im Mai in der Lausitz habe ich Tom Morton getroffen. Tom ist studierter Germanist, Radiojournalist und Hochschullehrer aus Sydney. Und Forschungsreisender in Sachen Kohle. Tom Morton: Vor fünf Jahren habe ich Graham Brown kennengelernt, einen ehemaligen Bergmann im australischen Hunter Valley. Die Verbindung zwischen Kohle und Klimawandel wurde ihm auf einer Urlaubsreise in Patagonien bewusst, als er die schmelzenden Gletscher sah. Nach dem Urlaub gab er seinen Job im Tagebau auf und wurde Aktivist. Seine Geschichte hat mich fasziniert. Ich wollte mehr über die Beweggründe der Menschen wissen, die sich dem Kampf gegen Kohleabbau und für Klimaschutz anschließen. Ich wurde Mitglied eines internationalen Forschungsteams, das diesen Kampf auf drei Kontinenten verfolgt. Anfang 2016 war ich in Indien, und Deutschland interessiert mich, weil es weltweit als „das Land der Energiewende“ gilt. Wenig 3 bekannt dagegen ist bei uns in Australien, dass man hier nach wie vor im großen Stil auf die Braunkohle setzt. Waltz: Dieser Widerspruch zwischen politischen Verlautbarungen - zuletzt wieder auf der Pariser Klimakonferenz - und Realität treibt das Bündnis „Ende Gelände“ um. Die Aktivisten fordern, und zwar global: Fossile Brennstoffe im Boden zu lassen und eine neuartige gerechte Wirtschaft mit 100 Prozent erneuerbaren Energien aufzubauen. Sie fanden Mitstreiter aus der ganzen Welt, vor allem aus den Kohle fördernden Ländern - wie diese junge Frau aus Schweden. O-Ton Schwedische Aktivistin Sprecherin: „Wir wollen mit unserem zivilen Ungehorsam deutlich machen, dass wir für eine bessere Welt kämpfen. Denn durch zivilen Ungehorsam genießen wir heute viele Rechte, die wir für selbstverständlich halten. Zum Beispiel für mich als Frau, dass ich hier stehe, für mich selbst spreche und wählen gehen kann, dass ich Hosen trage, all diese Rechte wurden durch zivilen Ungehorsam erstritten, von Menschen, die erkannt haben, dass etwas falsch läuft und dass das geändert werden muss.“ Morton: Während Manuel die Aktivisten im Tagebau befragt, treffe ich Monika Schulz-Höpfner. Sie ist CDU-Politikerin, ehemalige Bürgermeisterin des Dorfes Atterwasch, wo sie seit mehr als 30 Jahren lebt. Ihr Haus und Hof soll - mit dem ganzen Dorf - dem Tagebau Jänschwalde weichen. Im ihrem Garten spürt man nichts von Kohleabbau oder einer Demo. Sonne, Grün, Vögel- die Illusion einer Idylle… 4 Auf dem Dach ihres Hauses dreht sich ein Windrad, das Strom für ihr Elektroauto produziert. O-Ton Monika Schulz-Höpfner: „Eins ist in den letzten Jahren insgesamt deutlich geworden, dass man mit dieser Gegenwehr in der Region hier überhaupt nicht gerechnet hat. Man hat gemeint, man könne so weiter machen wie in den vergangenen Jahrzehnten, wie auch schon in der DDR. Aber heute lassen sich die Leute so leicht die Heimat nicht mehr streitig machen. Und, man hat nie so viel Solidarität mit anderen Regionen geübt, wie es heute der Fall ist.“ Waltz: Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wird in der Lausitz Braunkohle gewonnen. Ihre Geschichte kennt Professor Rolf Kuhn aus dem Effeff. Der Experte für Gebietsplanung und Städtebau leitete von 2000 bis 2010 die „Internationale Bauausstellung Fürst- Pückler- Land“, die Ideen für die Lausitz nach der Kohle präsentierte. Heute lebt er in Großräschen, am Rande eines riesigen ehemaligen Tagebaus. Für ihn sind diese gigantischen Löcher Spuren und auch Symbole der Industrialisierung des Ostens Deutschlands - auch für den Aufstieg Berlins zu einer Weltmetropole, wo Anfang des 20. Jahrhunderts Konzerne wie Siemens, AEG, Telefunken oder Osram entstanden. O-Ton Rolf Kuhn: „Also, Berlin hätte ohne die Lausitz, ohne diese Braunkohleindustrie, keine Wärme und auch keinen Strom, also kein Licht gehabt. Wenn man immer dieses Bild vom glitzernden Berlin der 1920er-Jahren sieht, dann ist dieses Bild ohne die Lausitz nicht vorstellbar.“ Waltz: Auch in der Lausitz entwickelten sich wichtige Industrien, Glas- und Textilwerke beispielsweise entstanden in dieser Zeit reihenweise. In der DDR dann, etwa seit 1950, wurde der Braunkohleabbau im ganz großen Stil gefördert, es war der wichtigste Energieträger des Arbeiter- und-Bauern-Staates. Damals wurden 5 massenweise Menschen umgesiedelt und es gab auch - vorsichtigen - Protest dagegen. Morton: Ich hatte vermutlich den längsten Weg in die Lausitz - aber es waren bei weitem nicht nur Europäer bei der Aktionswoche von Ende Gelände. Und zeitgleich gab es auf der ganzen Welt Proteste, koordiniert von der US-amerikanischen Umweltschutzorganisation 350.org. Der Name verweist auf das Ziel, das die Weltgemeinschaft auf dem Klimagipfel in Paris beschlossen hat. Denn will die Menschheit die Erderwärmung wirklich auf maximal zwei Grad begrenzen, dann darf der Anteil von CO2 in der Atmosphäre nicht mehr als 350 „parts per million“ betragen, also 350 Kohlendioxidmoleküle zu einer Million anderer Moleküle. In Brasilien, Neuseeland, Kanada, den USA, Nigeria, den Philippinen, Südafrika, Australien und weiteren Ländern machten Menschen mit Demonstrationen und Akten zivilen Ungehorsams auf die Gefahren durch fossile Energien aufmerksam. O-Ton Kastubh Srkanth Sprecher 1: „Wir alle hier sind Teil einer großen, einer globalen Bewegung. Wir wollen keine neuen Kohleminen.“ Waltz: Kastubh Srkanth kommt aus Indien. Dort, im Bundesstaat Chattisgarh, wird Steinkohle gefördert - in riesigen Tagebauen. Mit katastrophalen Folgen für die Natur. O-Ton Kastubh Srkanth Sprecher 1: „Sehr viele Menschen, die in Indien heute gegen Kohle kämpfen, wurden erst zu Aktivisten, weil ihre Lebenswelt vom Kohleabbau bedroht wird. Eines der größten Probleme für diese Menschen ist die massive Umsiedelung.“ 6 Morton: Dass Kastubh Srkanth in die Lausitz gereist ist, wundert mich überhaupt nicht. Ich habe in seiner Heimat Einheimische getroffen, die gegen den indischen Bergbaukonzern Adani und für den Erhalt ihrer Dörfer kämpfen - und einen wichtigen Erfolg errangen. O-Ton Chetu Ram Sprecher 2: „Wir sind die Ureinwohner von Indien. Seit vielen Generationen leben wir hier und wir werden uns nicht so einfach vertreiben lassen.“ Morton: Chetu Ram ist Stammesältester im Dorf Sahli. Er wurde 1942 geboren, als Indien noch zum britischen Empire gehörte. Die Dorfbewohner sind Adivasis - ein Volk, das seit Jahrhunderten in dieser Gegend lebt. O-Ton Chetu Ram Sprecher 2: WWir sind die Könige hier. Dies ist unser Land, wir leben darauf und wir wollen über dieses Land bestimmen. Wenn uns unser Land genommen wird, dann nimmt man uns alles, was wir haben.W Morton: Sahli liegt in der Region Hasdeo Arand, am Rande des Urwaldes, der hier noch erhalten geblieben ist. Noch, denn unter den Bäumen und dem Dorf Sahli liegt Kohle. Das Flöz soll ungefähr eine Milliarde Tonnen umfassen. Dort, wo die Kohle jetzt ist, unter der Erde, dort soll sie auch bleiben. Dafür kämpft Alok Shukla. Er ist ein junger Aktivist bei Jan Abhivakti, einer Bürgerinitiative, die sich gegen den Kohleabbau und für die Rechte der Einheimischen einsetzt. 7 O-Ton Alok Shukla Sprecher 1: „In Hasdeo Arand gibt es noch wertvollen, dichten Urwald mit einer hohen Artenvielfalt. Er ist ein wichtiger Lebensraum für viele Wildtiere. Allerdings hat die Regierung bereits für 30 Tagebaue auf einer Fläche von insgesamt 1.800 Quadratkilometern eine Genehmigung erteilt. Für diese Abbaugebiete soll Hasdeo Arand verschwinden. Wir suchen derzeit nach Wegen, dies zu verhindern.“ Morton: Für die Adivasis ist der Wald Existenzgrundlage. Sechs Monate im Jahr sammeln sie Pflanzen, Samen und Wurzeln, die sie als Heilmittel verkaufen. Die übrigen sechs Monate betreiben sie Landwirtschaft. O-Ton Alok Shukla Sprecher 1: „Eigentlich hat das Umweltministerium diese Region als No-Go Area für den Bergbau erklärt. Aber seit kurzer Zeit versucht die Regierung, hier den Abbau der Kohle durchzusetzen.“ Morton: 300 Millionen Inder - ein Viertel der Gesamtbevölkerung - leben immer noch ohne Strom. Das will die Regierung unbedingt ändern, erklärt mir Anil Swarup. Er ist der Chef des Kohleministeriums im 1.000 Kilometer vom Dorf Sahli entfernten Neu Delhi. O-Ton Anil Swarup Sprecher 3: „In den 1970er-Jahren wurde wegen der wachsenden Bedeutung der Kohle ein eigenes Ministerium dafür gegründet, um das weitere Wachstum der indischen Wirtschaft sicherzustellen. Um genau zu sein: Wir planen die Kohleproduktion in Indien in den kommenden fünf Jahren von 500 Millionen Tonnen pro Jahr auf eine Milliarde Tonnen zu verdoppeln.“ 8 O-Ton Anil Swarup Sprecher 3: „Tatsächlich haben wir keine andere Wahl. Gegenwärtig ist unser Energieverbrauch pro Kopf so hoch wie in den USA Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Wenn wir uns irgendwann eine Industrienation nennen wollen, dann brauchen wir eine Menge Energie. Und wir werden so lange auf Kohle setzen, bis es eine vernünftige Alternative dazu gibt. Und die sehen wir im Moment nicht.“ Morton: 2012 erteilte Jairem Ramesh, der damalige Umweltminister von der Kongresspartei, dem Konzern Adani die Erlaubnis für einen Tagebau in der Region Hasdeo-Arand in Chattisgarh - in genau jener Region, die sein eigenes Ministerium vorher als No-GoArea erklärt hatte. O-Ton Jairem Ramesh Sprecher 3: „Ausschlaggebend für mich war, dass es eine Nachfrage nach der Energie gab und bereits Kraftwerke in der Region existierten, in denen die Kohle verstromt werden sollte. Dennoch habe ich strikte Auflagen für den Tagebau erlassen.“ Morton: Trotz dieser „strikten Auflagen“ bedeutet die Entscheidung des Ministers, dass die Dörfer und der Urwald abgebaggert werden sollen. Dagegen wehren sich die Adivasis aus Chattisgarh und die sie unterstützenden Aktivisten. Sie legten Einspruch beim National Green Tribunal ein. Das indische Umweltgericht ist eines der mächtigsten seiner Art auf der Welt. 2010 durch das nationale Parlament ins Leben gerufen, soll es das in der Verfassung verankerte Recht der Bürger auf eine gesunde Umwelt schützen. Nur noch das Oberste Gericht ist dem Green Tribunal übergeordnet. Im Kampf gegen Indiens größten Kohlekonzern hatten die Adivasis einen großen Verbündeten im Urwald, erzählt der Bauer Ram Pravesh aus dem Dorf Sahli. 9 O-Ton Ram Pravesh Sprecher 1: „Elefanten wandern jedes Jahr hier durch unser Gebiet. Wenn ihnen ein Haus im Weg ist, dann zerstören sie es, sie fressen die Früchte auf den Feldern, sie töten Tiere und Menschen, die sich ihnen in den Weg stellen. Sie haben schon Häuser hier direkt in meinem Dorf zerstört.“ Morton: Um die Dörfer in Chattisgarh zu retten, haben die Kläger vor dem Gericht gezeigt, dass eine Erweiterung des Kohleabbaus in der Region den Elefanten-Korridor stören würde: O-Ton Ritwick Dutta Sprecher 2: „Elefanten legen weite Strecken zurück und dafür brauchen sie diese Korridore. Wenn man ihre Wege zerstört, dann provoziert man damit mehr Konflikte zwischen Menschen und Elefanten. Schon heute sterben viele Menschen durch Elefanten.“ Morton: Rechtsanwalt Ritwick Dutta von der Legal Initiative for Forest and Environment führte den Prozess vor dem Umweltgericht. O-Ton Ritwick Dutta Sprecher 2: „Das Green Tribunal hat in diesem Fall einen Grundsatz angewandt, der das Bedürfnis einer Spezies in den Vordergrund stellt. Elefanten sind eine vom Aussterben bedrohte Tierart und der Lebensraum der Elefanten würde durch die Mine erheblich eingeschränkt.“ O-Ton Morton 10 Morton: „Sie sagten, dass der Kohlekonzern Adani bestritten hat, dass es sich überhaupt um einen Elefantenkorridor handelt. Wie kann das sein?” O-Ton Ritwick Dutta Sprecher 2: „Nicht nur der Konzern, auch staatliche Stellen haben beharrlich bestritten, dass es dort Elefanten gibt. Aber wir konnten in diesem Fall sehr leicht den Gegenbeweis erbringen. Denn in der Gegend gab es mehrere Tote durch Angriffe von Elefanten. Das staatliche Forstamt hat Ausgleichzahlungen für diese Todesfälle geleistet dasselbe staatliche Forstamt, das kurze Zeit später einen Report für den Kohlekonzern verfasst und darin erklärt hat, dass es keine Elefanten in der betroffenen Gegend gibt.“ Morton: 2014 stoppte das Umweltgericht den weiteren Abbau von Kohle in der Region Hasdeo Arand. Nur im einzigen bestehenden Tagebau darf weitergearbeitet werden. Gegen das Urteil des Umweltgerichts hat Adani vor dem höchsten Gericht des Landes, dem Indian Supreme Court, Einspruch eingelegt. In den Dörfern von Chattisgarh geht der Kampf weiter. Waltz: Kastubh Srkanth aus Indien sitzt neben mir auf einer Bank am Rande des Klima-Camps. Die große Wiese vor uns ist von den vielen Menschen plattgetreten. O-Ton Kastubh Srkanth Sprecher 1: „Land für Kohle bedeutet, dass Tausende Menschen ihr Zuhause verlieren. Es bedeutet auch, dass große Umweltprobleme entstehen, durch den Staub aus den Tagebauen beispielsweise oder durch Abwässer, die die Fischgründe verseuchen. Das ist an der indischen Ostküste der Fall. Und all das hat direkte Auswirkungen auf das Leben und die Gesundheit der Menschen. Deshalb beginnen sie zu protestieren. 11 Inzwischen gibt es Netzwerke und Organisationen, die diese lokalen Aktivisten unterstützen und beraten. Es gibt also eine ziemlich starke Verbindung zwischen den direkt betroffenen Menschen vor Ort und externen Unterstützern.“ O-Ton Tadzio Müller: „Und woanders sind noch 500 Leute von uns ungefähr. Und zusammen haben wir diesen Braunkohletagebau dicht gemacht. Warum machen wir das? Fossile Brennstoffe verursachen Klimawandel und von den fossilen Brennstoffen ist die Braunkohle der dreckigste. Man muss vielleicht noch dazu sagen, dass unter dem Klimawandel immer vor allem die leiden, die am wenigsten dazu beigetragen haben und die, die am meisten dazu beigetragen haben, leiden am wenigsten darunter. Der Klimawandel ist also nicht nur Öko-Katastrophe, der ist eine Gerechtigkeits-Katastrophe. Und deswegen sind wir hier, um das aufzuhalten.“ Waltz: Tadzio Müller blickt sich um. Den riesigen Bagger hinter ihm, der ununterbrochen Kohle fördern soll, bei Tag und bei Nacht, sieben Tage die Woche, halten in dieser Woche im Mai viele seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter besetzt. Bunte Transparente fordern den Ausstieg aus der Kohle. Die Aktivisten tragen weiße Papieroveralls, der Tagebau wimmelt von weiß gekleideten Menschen. Die Polizei hält sich zurück. O-Ton Tadzio Müller: „Es sind andere Leute auch noch gleichzeitig dabei, die Zuggleise zu blockieren, die die Kohle von hier in das Kraftwerk Schwarze Pumpe bringen. Weil wir müssen uns einfach mal die Frage stellen: Wann fangen wir eigentlich an, Teile dieser wahnsinnig destruktiven industriellen Infrastruktur abzuschalten. Wir haben in Paris gesagt, oder die Regierungen haben gesagt: Wir wollen den Klimawandel aufhalten. Ja, was bedeutet denn das? Das bedeutet, mit diesem zerstörerischen Wahnsinn aufzuhören. Und schaut euch mal um: In dieser Kohlegrube. Das ist gar nicht mehr die Erde, das ist irgendeine zerstörte Mondlandschaft. Und wenn wir die fossilen 12 Industrien gewähren lassen, dann sieht die Erde irgendwann so aus. Und deswegen sind wir hier.“ Waltz: Die Aktivisten von „Ende Gelände“ haben in ihrem Camp eine beachtliche Infrastruktur aufgebaut: mehrere Info-Zelte, eines für die Presse, ein großes Zirkuszelt für Podiumsdiskussionen beispielsweise. Eine Bar, eine Großküche. Es gibt schnelleres Internet als im nächsten Dorf, in Welzow. O-Ton Kastubh Srkanth Sprecher 1: „Man könnte ein solches Klimacamp in Indien nicht durchführen. Die Polizei würde nicht Schlagstöcke und Pfefferspray einsetzen, sie würde eher scharf schießen. Aber das hält die Menschen dort nicht von Protesten ab. Ich war oft dabei und habe viel mehr Gewalt gesehen als hier. Meistens werden die Protestaktionen nicht so gut vorbereitet und geplant wie dieses Klimacamp hier. Der Frust lässt die Menschen protestieren. Und das, obwohl es immer wieder hässliche Szenen gibt und Demonstranten schon schwer verletzt oder sogar getötet wurden. Auf der anderen Seite haben die Aktivisten bereits große Erfolge erzielt. Deshalb wehren sich auch immer mehr Menschen und die Proteste werden größer. Die Leute suchen immer mehr die direkte Aktion. Und tatsächlich sind in den vergangenen Jahren einige Kohleprojekte verhindert worden oder bestehende wurden verkleinert. Diese Erfolge stärken die neuen politischen Bewegungen aus der Zivilgesellschaft heraus, lässt sie stärker werden und das bringt wiederum neue politische Akteure hervor.“ O-Ton Roland Lehmann „Die Zeche, die werden wir irgendwann alle bezahlen müssen. Wir vielleicht direkt nicht mehr. Aber unsere Kinder oder Kindeskinder. Und das kann nicht sein, das. Man muss endlich mal, man muss endlich mal hier einen anderen Weg einschlagen. Das ist einfach so.“ 13 Morton: Roland Lehmann ist Ortsvorsteher von Kerkwitz. Auch sein Dorf könnte dem Tagebau Jänschwalde zum Opfer fallen. Roland fährt regelmäßig zu Protestaktionen in andere Dörfer in der Lausitz, die von der Braunkohle betroffen sind. Als junger Mann in der DDR war Roland Lehmann Hochseefischer, jetzt arbeitet er im Straßenbau. Ich besuche ihn auf seinem Hof, wo er Pferde hält. O-Ton Roland Lehmann: „Im lokalen, oder für uns persönlich ist es ja, uns bedroht es ja in unserer Existenz. Hier in der Lausitz sind seit den 1920er-Jahren, sind über 130 Orte, mussten der Kohle weichen. Die sind…die gibt es definitiv nicht mehr.“ O-Ton Morton: „Wenn es nach den Plänen der Landesregierung von Brandenburg und dem Energiekonzern EPH geht, wird sich dieser Hof in eine Mondlandschaft verwandeln. 60 Meter Abraum müssen weggeschafft werden, bevor man hier in der Lausitz an die Kohle kommt.“ O-Ton Roland Lehmann: „Und ich denke, es ist jetzt ja wirklich an der Zeit, mit diesem Wahnsinn aufzuhören. Keine Orte, keine Dörfer der Kohle mehr zu opfern. Und das, das sind unsere Beweggründe. Aber die Dimensionen sind heute viel weitreichender, viel. Sie sind letztendlich, letztendlich sind sie existenzbedrohend für die ganze Menschheit.“ Morton: Die meist städtischen Klima-Aktivisten haben mit den Dorfbewohnern sehr wenig gemein, oft unterscheiden sie sich auch in ihrem politischen Denken grundsätzlich. Die einen wollen die Welt retten. Waltz: Die anderen wollen ihren Hof retten und merken dann, dass diese Rettung ihres Hofs mit den großen Menschheitsfragen verbunden ist. 14 Morton: Die einen wollen der guten Sache durch direkte Aktionen Nachdruck verleihen und fürchten sich nicht vor Zusammenstößen mit der Polizei. Waltz: Die anderen fürchten genau das und lassen sich leicht verunsichern, wenn einige Aktivisten - und das passiert immer wieder - übers Ziel hinausschießen. Aber wenn sie erfolgreich sein wollen, müssen beide Seiten zusammenhalten. O-Ton Monika Schulz-Höpfner: „Was Ende Gelände da macht, ist sicherlich nicht meine persönliche Form des Widerstandes. Aber ich denke, gerade in diesen angespannten Zeiten und in der Situation, in der wir alle stehen, ist dieser zivile Ungehorsam durchaus tolerabel, und deswegen werde ich mich auch und habe ich mich auch nicht davon distanziert. Dass es tatsächlich so ist, wie man mir berichtet hat, dass es jetzt an der einen oder anderen Stelle dazu gekommen ist, dass da doch einige Leute über die Stränge geschlagen haben und da eventuell an irgendwelchen Geräten was abgebaut haben oder so, das finde ich nicht gut, ich finde, es schadet unserer Sache, aber ob man das bei einer so logistischen Herausforderung, wie die Aktionen jetzt waren, wirklich immer verhindern kann, dass darf man dann auch mal anzweifeln.“ O-Ton Sumu Sprecher 1: „Für den lokalen Protest vor Ort ist es sehr wichtig, sich mit anderen zu vernetzen, um Wissen, Fähigkeiten und Erfahrungen auszutauschen. Es gibt ja offensichtliche Unterschiede zwischen dem lokalen Protest und uns. Vor ein paar Tagen haben wir hier ein Dorf besucht und etwas über die sorbische Kultur gelernt, die eine lange Tradition und Geschichte in der Lausitz hat. Für sie ist das etwas ganz anderes hier, als für mich beispielsweise, ich komme hierher aus einer ganz anderen Ecke der Welt und gehe nach dem Wochenende wieder.“ Morton: Sumu ist ein Landsmann von mir. 15 Er gehört zu denen, die in der Lausitz bei der Ende-Gelände-Aktion auf den Gleisen sitzen und die Zufahrt der Kohlezüge zum Kraftwerk Schwarze Pumpe blockieren. O-Ton Sumu Sprecher 1: „Ich denke auch darüber nach, was ich von hier berichten werde, wenn ich wieder zurück bin. Ich habe hier Sachen gelernt, die ich an andere Anti-Kohle- oder Klimaaktivisten in Australien weitergeben kann, zu denen ich bisher kaum Kontakt hatte. Das wird interessant sein, wie diese Ideen hier sich weiter verbreiten und wie neue Verbindungen entstehen können.“ Morton: Australien, dieses riesige dünn besiedelte Land, versorgt die Welt mit Rohstoffen mit Agrargütern - Weizen zum Beispiel - genauso wie mit Bodenschätzen. Während Sumu in der Lausitz die Schienen besetzt hält, haben australische Ureinwohner mit Kajaks den größten Kohlehafen der Welt blockiert. Australien ist einer der weltgrößten Kohleexporteure. Und ein großes Braunkohlenflöz liegt unter einem der fruchtbarsten Landstriche des Landes, den Liverpool Plains. O-Ton John Hamparsum Sprecher 2: Ich heiße John Hamparsum und bin Farmer der zweiten Generation hier auf den Breeza Plains in New South Wales. Uns gehört diese Farm seit 1961. O-Ton Morton Morton: „Was baut ihr hier an?“ O-Ton John Hamparsum 16 Sprecher 2: „Wir bauen viele verschiedene Sorten an. Im Moment Sonnenblumen um Öl daraus zu pressen und Baumwolle, beides für den Export. Dazu kommen noch Bohnen, Erbsen und Hirse. Im Winter bauen wir verschiedene Weizensorten an, für Pasta und zum Brotbacken. Manchmal auch Kichererbsen.“ O-Ton Morton Morton: „Ganz schön viel Unterschiedliches.“ O-Ton John Hamparsum Sprecher 2: „Ja, das ist das Schöne an diesem Boden. Man kann fast alles anbauen, sei es Mais oder grüne Bohnen. Das Klima und der Boden erlauben es einem, sehr flexibel zu sein. Was gebraucht wird, das können wir auch anbauen, das ist toll. Wir bewirtschaften 1.500 Hektar hier und 1.000 Hektar davon werden bewässert. Für uns ist das ein gutes Geschäft, der Umsatz ist in Ordnung. Zweieinhalb Millionen australische Dollar etwa im Jahr. Das Ganze hat eine gute Größe, ich beschäftige vier Leute in Vollzeit, dazu noch meine Schwester, meine Frau, die Kinder und ich selbst. In dieser Größe gibt es hier noch ein paar Farmen in der Gegend, ich bin nicht der Einzige.“ O-Ton Morton Morton: „Also kann man sagen, dass es hier um Bergbau gegen Agrobusiness geht?“ O-Ton John Hamparsum 17 Sprecher 2: „Nein, ich würde sagen es geht um Essen gegen Bergbau. Es geht darum, dass wir in der Lage sind, Nahrungsmittel zu produzieren, und zwar für immer, solange es diese Erde gibt. Ein Tagebau wird 30 Jahre lang Kohle fördern. Wenn er ausgekohlt ist, dann … Der Boden wird nichts mehr hervorbringen, nicht so wie er es heute tut.“ Morton: Etwa zwei Kilometer entfernt von John Hamparsums Getreidefeldern soll ein Tagebau entstehen - auf einer Fläche von 3.500 Hektar. Er ist ein Projekt des chinesischen Staatskonzerns Shenhua, dem größten Kohleproduzent der Welt. Seit 2007 kämpfen Grundbesitzer wie John Hamparsum gegen Shenhua und für die Zukunft der Landwirtschaft auf den Liverpool Plains. Sie befürchten, dass die Grube, die 300 Meter tief werden soll, die Grundwasserader unter ihren Feldern zerstört. Gerade diese Grundwasserader, der besonders fruchtbare schwarze Boden und der für australische Verhältnisse sehr regelmäßige Regen machen die Liverpool Plains zu einer der ergiebigsten Agrarregionen des Landes. O-Ton John Hamparsum Sprecher 2: „Als Farmer werde ich besonders vom Klimawandel betroffen sein und ich sehe, dass sich bereits viel verändert.“ O-Ton Morton Morton: „Was verändert sich denn?“ O-Ton John Hamparsum Sprecher 2: „Das Wetter wird extremer. Unsere Sommer beginnen früher als noch vor einigen Jahren und sie enden später. Auch der Regen verändert sich, die durchschnittliche Menge bleibt zwar gleich, aber es gibt mehr Starkregen auf einmal und dann lange 18 Zeit nichts mehr. Vielleicht erleben wir auch einen langen Kreislauf, den wir nicht erkennen, aber was die Wissenschaftler zum Klimawandel sagen, ich glaube, das stimmt. Ich mache mir große Sorgen, was passiert, wenn wir weiter auf Kohle setzen. Wohin führt das? Ich war zwei Wochen lang in China und habe erstaunliche Sachen gesehen. Ehrlich. Davor habe ich nicht an den Klimawandel geglaubt. Aber der Himmel war die ganze Zeit grau von Smog, ich konnte direkt in die Sonne schauen und alles was ich gesehen habe, war eine braune glimmende Scheibe am Himmel. Ich habe chinesischen Bauern Bilder von meiner Baumwolle und meiner Hirse gezeigt. Die Pflanzen haben sie nicht interessiert. Sie haben sich den Himmel angesehen und dachten, das Bild sei mit Photoshop bearbeitet. Das war es nicht. So sieht der Himmel bei uns aus. Ich kam zurück aus China und dachte, wow, das ist wirklich ernst. Es muss sich wirklich etwas an der Welt verändern, wenn wir solche Mengen CO2 in die Atmosphäre pumpen. Das muss eine Auswirkung haben. Wir sehen diese Auswirkung nicht in Australien, weil wir so wenige sind, nur um die 20 Millionen Menschen. So viele leben dort in einer Stadt. Ich habe dort Kohleberge gesehen und riesige Kraftwerke, die die ungefilterten Abgase in die Atmosphäre geblasen haben. Da habe ich angefangen nachzudenken, wo die Kohle herkommt. Sie kommt von uns, sie kommt aus der Mongolei, aus Südafrika, aus der ganzen Welt und ein Großteil davon geht nach Asien, wird verbrannt und zu Strom gemacht. Wir müssen klüger werden. Überall dort sieht man Windräder, fast jedes Haus hat Solarzellen auf dem Dach. Auch wir hier bauen Solarzellen auf alle unsere Häuser, aber wir müssen mehr Alternativen finden, damit wir nicht das Land aufreißen und es ausrauben. Davor habe ich Angst.“ Morton: Bei einem Treffen auf der Spring Ridge Station, einer großen Farm mitten in diesem reichen Agrargebiet, verbündeten sich die Farmer offiziell mit Umweltgruppen wie 350.org und der Wilderness Society, einer australischen Umweltschutzorganisation. Zum Programm gehörte auch eine Einführung in die Praxis des zivilen Ungehorsams: 19 O-Ton Andrew Pursehouse Sprecher 1: „So etwas haben wir bisher noch nicht gemacht. Wir haben kaum Erfahrung in gewaltfreiem Widerstand. Aber das hier hat uns darauf vorbereitet, was passieren kann, wenn große Menschenmengen aufeinanderprallen. Und wir erwarten große Menschenmengen, wenn die Regierung nicht bis dahin zur Vernunft kommt.“ Morton: Andrew Pursehouse. Seine Familie betreibt seit mehr als 40 Jahren Landwirtschaft im großen Stil. In seiner Scheune lagern normalerweise 2000 Tonnen Getreide. Stattdessen findet heute darin das erste Treffen der Liverpool Plains Alliance statt. Ungefähr 500 Farmer, Umweltschützer und Mitglieder der Gomeroi Nation, eines Aborigines-Stammes, diskutieren über Taktiken und Strategien ihres Widerstandes. O-Ton Andrew Pursehouse Sprecher 2: „Als Farmer machen wir das nicht gerne. Aber wir müssen unser Recht verteidigen, wir müssen die Zukunft der Landwirtschaft in diesem Land verteidigen und dafür werden wir tun, was immer notwendig ist.“ O-Ton Morton Morton: „War es eine schwierige Entscheidung, euch mit den Umweltgruppen zusammen zu tun?“ O-Ton Andrew Pursehouse Sprecher 2: „Es war eine sehr schwere Entscheidung. Aber die Voraussetzung für die Zusammenarbeit mit den Umweltgruppen war, dass die Farmer die Protestaktionen leiten. Es werden die Farmer sein, die sich an die Bagger anketten.“ 20 Morton: Die Grundbesitzer in Australien liefern ein deutliches Beispiel dafür, wie sehr die Kohle die Menschen verändern kann. Vor der Kohle betrachtete Andrew Pursehouse Grüne eher als politische Gegner; sein Vater war lange Zeit Schatzmeister der örtlichen National Party - der konservativen Bauernpartei Australiens. Heute sind die Grünen Verbündete: Pursehouse meint, sie verstehen und vertreten die Anliegen der Farmer besser als die Partei seines Vaters. Waltz: So unterschiedlich die Situation in den kohlefördernden Ländern auch sein mag - es zeigen sich viele Parallelen. Eine ähnliche Bedrohungslage erzeugt ein ähnliches Vorgehen. Sie macht aus einfachen Menschen politische Akteure. Morton: Monika Schulz-Höpfner sagt, sie sei zu DDR-Zeiten unpolitisch gewesen. Als die Tagebaue nach der Wende weiterliefen und schließlich das Dorf Hornow gegen alle Versprechen der sozialdemokratischen Landesregierung abgebaggert wurde, ging sie in die Politik und vertrat die CDU im brandenburgischen Landtag. Und die Adivasis in Indien waren bis vor kurzen politisch nicht in Erscheinung getreten, sie kannten ihre Rechte kaum - und haben nun vor Gericht gegen den größten Bergbaukonzern Indiens gewonnen. Waltz: Empowerment, Selbstermächtigung, nennt der Soziologe Daniel Häfner diesen Prozess, der dazu führt, dass sich die Menschen der eigenen Macht bewusst werden. O-Ton Daniel Häfner: „Klar ist aber auch, dass solche sozialen Bewegungen immer dann erfolgreich sind oder schneller erfolgreich sind, wenn viele Leute betroffen sind, wenn sie ihre eigene Lebenswelt bedroht sehen in einer gewissen Art und Weise. Das ist natürlich bei Atomfragen einfacher, wenn dann gezeigt wird: Ja, in Tschernobyl entsteht eine radioaktive Wolke, die bis nach Bayern geht, das heißt Radioaktivität und Atomkraft 21 ist ein Thema, das jeden und jede potenziell betreffen kann, ist das natürlich mobilisierender als immer der Klimawandel, der so ja völlig in der Ferne scheinbar stattfindet. Ja, also die Bedrohungsszenarien sind im globalen Süden und das jetzt wieder nach Norden zu übersetzen, das ist eben Aufgabe verschiedener Organisationen. Es ist dann aber schon so,wenn ich das mittel- und langfristig mache, solche Proteste mit, verändert das auch mich selbst oder meine Identität, weil ich mich eben auch selbst als Umweltaktivist oder als Aktivist gegen XYZ verstehe. Und so eine gemeinsame Entwicklung von Identitäten, das ist ja das, was auch soziale Bewegungen wieder ausmacht. Da entwickelt sich was, da wird eine gemeinsame vielleicht Kunst, Kultur entwickelt, man entwickelt gemeinsame ökonomische Alternativen, da gibt es dann Innovationsprozesse, die dazu führen, dass es eben doch sozusagenim Kern der Identität einen Wandel gibt.“ Waltz: Nach der Wende brach in der Lausitz die Wirtschaft zusammen, Betriebe wurden geschlossen, viele Menschen entlassen. Sehr viele, gerade die jungen Leute, zogen weg, nach Westen, nach Berlin oder in andere große Städte. Was blieb, ist die Braunkohle - der mit Abstand wichtigste Arbeitgeber in der Region. Viele können sich nicht vorstellen, was passiert, wenn auch die Tagebaue dicht machen. O-Ton Daniel Häfner: „Für Innovationsprozesse brauche ich ja dann - also sowohl für kulturelle als auch für ökonomische, für gesellschaftliche, brauche ich ja dann Leute, die Innovatoren sein können und dann muss ich schauen, dass es sozusagen andere Teilidentitäten gibt, auf die ich aufbauen kann. Das kann hier vor Ort sozusagen das Vor-Ort-Indigene, das Sorbisch-Wendische sein, das können Leute sein, die hier Öko-Tourismus angefangen haben. Das sind genau die Leute aus den Universitäten, die neue Firmen gründen, die neue Ideen haben, die hier rein zu tragen. Also die Innovation hier in der Lausitz und die Zukunft der Lausitz wird genau von den Leuten abhängen, oder wesentlich auch mitgetragen werden, die bisher zu den Protestierenden gehört haben.“ 22 Morton: Die Herausforderungen sind gewaltig. Menschen müssen vorleben, dass das fossile Zeitalter abgelöst werden kann, dass beispielsweise Indien mit Energie versorgt werden kann, ohne dass der Urwald in Chattisgarh für die Kohle gerodet wird. Menschen wie Alok Shukla O-Ton Alok Shukla Sprecher 1: „Deshalb haben wir unseren Kampf um Hasdeo Aran mit dem Kampf gegen den Klimawandel verbunden. Denn es geht uns nicht nur darum, Kohleminen zu schließen. Wir wollen alternative Energien.“ Morton: Die Großbauern in Australien haben den zivilen Ungehorsam für sich entdeckt, um klar zu machen, dass die Kohle in der Erde bleiben muss. Inzwischen sind sie nicht mehr allein. O-Ton John Hamparsum Sprecher 2: „In diesem Kampf, in den zehn Jahren, die er nun schon dauert, haben wir immer versucht, den Leuten zu zeigen, wofür die Liverpool Planes stehen. Warum sie so wertvoll sind. Leute aus der Stadt haben sich uns via Social Media angeschlossen und wollen uns unterstützen.“ Waltz: In der Lausitz will Monika Schulz-Höpfner den Strukturwandel vorantreiben. Sie ist mit Studenten und Absolventen der Brandenburgischen Technische Universität Cottbus in Kontakt, und will ihnen helfen, neue Ideen - weg von der Braunkohle umzusetzen. Sie lädt Menschen auch zum Gespräch auf ihren Hof ein - auf den Hof mit Solarpaneelen, Windrad und Elektroauto. 23 O-Ton Monika Schulz-Höpfner: „Wir werden demnächst einen Tag der offenen Tür machen, dass die Leute ‘reingucken können, sich informieren können auch wissen, dass so was Geld kostet, dass es noch relativ teuer ist. Aber wenn keiner anfängt, dann wird sich da nichts entwickeln. Also muss man das ja einfach mal anfangen. Und das leben wir einfach vor. Ich meine andere fahren was weiß ich, drei Mal im Jahr in Urlaub.“ Waltz: Das Klima-Camp in der Lausitz liegt ein halbes Jahr zurück. Vattenfall hat sich aus der schwierigen Region zurückgezogen, der tschechische Konzern EPH hat das Ruder übernommen - unter dem Beifall der Regierungen von Brandenburg und Sachsen, die - wie viele Gewerkschafter - glauben, auf die Arbeitsplätze in dieser Region nicht verzichten zu können. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks plädiert für den Ausstieg aus der fossilen Energie. Ihr Kabinetts- und Parteikollege, Wirtschaftsminister Gabriel, widerspricht ihr: Die Bundestagswahl 2017 steht am Horizont. O-Ton Monika Schulz-Höpfner: „Also da werden wir in keinster Weise nachlassen, bevor wir nicht irgendwann mal so weit sind, dass diese Landesregierung tatsächlich ihre Verantwortung wahrnimmt und sagt, ihr könnt jetzt alle mal etwas in Ruhe euer Leben weiterleben. Ihr habt das Damoklesschwert nicht mehr über euch. Ihr dürft alle euer Zuhause behalten, eure Nachbarschaft erhalten und bleiben und es wird kein tiefes Loch geben und Atterwasch fällt rein und Grabko fällt rein, Kerkwitz fällt rein, Welzow fällt rein, zumindest in Teilen... Vorher werden wir nicht aufhören. Und wenn ich mit dem Rollator noch an der Tagebaukante protestiere... Bis zum bitteren Ende… [lacht] Das verspreche ich!“ Absage: Australien. Indien. Lausitz. Brennpunkte im Kampf um die Kohle Ein Dossier von Tom Morton und Manuel Waltz 24 Es sprachen: Jochen Kolenda, Sylvia Systermans, Michael Witte, Christoph Wittelsbürger, Andreas Poltulski und Tom Morton. Ton und Technik: Daniel Dietmann und Jens Müller Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2016.
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