Presseinformation Dezember 2016 Zwei Ausstellungen auf der Kinoleinwand prägen das Dezember-Programm des Österreichischen Filmmuseums bis inklusive 5. Jänner 2017: eine Schau über das technik- und fortschrittskeptische Science-Fiction-Kino der (erweiterten) 70er Jahre – und eine Retrospektive samt Buchpublikation zum Werk der österreichischen Filmemacherin Ruth Beckermann. Im Feiertagsprogramm, von 23. bis 30. Dezember, kommt es zur Begegnung der Marx Brothers mit einigen „Screwball Sisters“ – Katharine Hepburn, Carole Lombard, Barbara Stanwyck, Claudette Colbert – sowie zur traditionellen Verzauberung des Wiener Publikums durch den Wizard of Oz. Triste Technik Science-Fiction und Melancholie, 1968-1983 Der Club of Rome, eine Organisation, die sich für die radikale Veränderung des globalen Verbrauchs limitierter Ressourcen engagiert, ist gleich alt wie Stanley Kubricks Meisterwerk 2001 – A Space Odyssey. Das Stichdatum: 1968. Vier Jahre später erscheint die CoR-Studie „Die Grenzen des Wachstums“ über die alarmierenden Folgen des Energie- und Rohstoffverbrauchs der Industriestaaten. Der auf bahnbrechenden Computersimulationen basierende Bericht markiert eine neue Welle sozialer Bewusstseinsbildung, die parallel zur Formation von „New Hollywood“ verläuft. In diesem Dreieck aus politischer Ökologie, neuen, melancholischen Stimmungslagen und neuen ästhetischen Entwicklungen im Kino ist der Filmparcours Triste Technik angesiedelt. Zwischen den Eckpunkten von 2001 und Ridley Scotts Blade Runner liegen jene „erweiterten 70er Jahre“, die sich dem Gedanken einer rettungslos negativen Entwicklung westlicher Technologien und Wissenschaften öffnen – im Schatten von Ölkrise, internationalem Terrorismus, explodierender Sex- und Drogenkultur und neuen sozialen Bewegungen (Schwule, Lesben, Feminismus, Aussteiger, aber auch der Konsumerismus, der im folgenden Jahrzehnt explodieren wird). Wo 2001 noch in allegorischer Ambivalenz zwischen heiterem Weltraumwalzer und sinistren Computer-Stimmen verharrt und in seinen kauenden Astronauten die ominöse Apathie des homo technicus fast zu feiern scheint, kommt es in der Folge zu klaren Abzweigungen in die apokalyptische Mentalität. Diese Mentalität schillert in vielen Farben. Sie kann elegische Träume von der gänzlichen Entleerung des überfüllten zivilisierten Gehirns spinnen wie in Jim McBrides post-apokalyptischem Ausflug Glen and Randa (1971). Sie kann die nervöse, alarmistische Maske der moralischen Betroffenheit tragen wie in den um düstere Entwicklungen und grobe Unfälle kreisenden „Warnfilmen“ des US-Kinos – von Michael Crichtons Westworld (1973) und The Terminal Man (1974) bis zur Katastrophenphantasie eines Towering Inferno (1974) oder China Syndrome (1979). Sie kann aber auch, und das oft im selben Film, alle alt-liberale, alt-rationale Hoffnung auf die Lernfähigkeit entsprechend informierter Bevölkerungen fahren lassen und ins sublime und allegorische Fach kippen, wie Kubrick dies vorgeführt hat. Was sich hier lernen lässt, zwischen unvermeidlichen Weltuntergängen und Neuanfängen, ist eine düstere Lektion über die Endlichkeit und Fehlbarkeit allen Lebens, auch des gut organisierten – eine bittere Pille in Sachen Ars moriendi (nicht auf individueller Ebene, sondern auf Gattungsniveau). Erträglich wird sie nur dank der Erhabenheit souveräner und innovativer Ästhetik, etwa in George Lucas' frühem Hauptwerk THX 1138 (1971), Nicolas Roegs The Man Who Fell to Earth (1976) oder dem von Kubricks Special-Effects-Meister Douglas Trumbull mitbetreuten Blade Runner (1982). In Beneath the Planet of the Apes (1970) zeigt sich das entstellte Gesicht der Menschheit in einem Kult, der – mit alten religiösen Symbolen bewehrt – die Bombe anbetet: eine vollkommene Verdichtung des techno-skeptischen und doch immer noch -fetischistischen Zeitalters, das in Carpenters Dark Star zur heiteren philosophischen Satire geläutert wird. Das weitere Spektrum nicht mehr reparabler Hoffnungslosigkeit reicht von zynischer Härte (Menschenfleisch als letzte Ressource in Soylent Green, A Boy and His Dog und Coma, als bereits virtuelles Fleisch in Videodrome) bis zur erhabenen, post-humanen Elegie von Silent Running (1972), Douglas Trumbulls erster singulärer Regiearbeit. In Silent Running gehört das Ende den Pflanzen und den sie pflegenden Robotern. Sie sind in eine ferne Welt unterwegs, wo die kurze Lebensspanne des Individuums, die allzu aufwändigen Fortpflanzungsgewohnheiten und die (beiden Umständen geschuldete) ständige Gewalt-bereitschaft des „homo sapiens“ nicht länger den Horizont des lernenden und reisenden Lebens beschränken. Die Filmschau wurde kuratiert von Katherina T. Zakravsky und findet im Zusammenspiel mit dem Architekturzentrum Wien statt. Die Ausstellung Am Ende: Architektur. Zeitreisen 1959– 2019, organisiert anlässlich des Abschieds von Gründungsdirektor Dietmar Steiner, ist bis 20. März 2017 im Az W zu sehen. Bereits am Vorabend der Filmschau, am 30.11. um 19 Uhr, hält Katherina T. Zakravsky im Az W einen Vortrag rund um Blade Runner, gefolgt von einer Podiumsdiskussion. 1. Dezember 2016 bis 5. Jänner 2017 Ruth Beckermann Das Gesamtwerk Ruth Beckermann, geboren 1952 in Wien, arbeitet seit 40 Jahren als Dokumentarfilmerin, ihr Name steht – weit über die Grenzen Österreichs hinaus – für ein der Realität zugewandtes politisches Kino. Die filmischen Formen, in denen sich ihre Politik der Bilder manifestiert, sind vielfältig: von „klassischen“ Dokumentarfilm-Zugängen über essayistische Zeit- und Raumteppiche bis hin zu künstlerischen Tigersprüngen, bei denen das Dokumentarische fließend ins Fiktionale übergeht. Gemeinsam ist allen Filmen Beckermanns eine Auseinandersetzung mit der Geschichte – entlang der genauen Beobachtung gegenwärtiger Konstellationen. Immer wieder geht es um das Aufblitzen des einen im anderen. Etwa bei ihrer Beschäftigung mit Österreich, dem Judentum und Fragen nach der persönlichen und kollektiven Identität bzw. deren Brüchen. Die formale Agilität der Filme ist dabei nie Selbstzweck. Was sie einmal über eine ihrer künstlerischen Wahlverwandten – Chantal Akerman – geschrieben hat, gilt programmatisch auch für Beckermann selbst: „Sie flüchtet sich nie in experimentelle Spielereien. Hinter ihren Filmen steht eine Autorin, welche das Bedürfnis hat, ihre Zeit auszudrücken.“ Diese ihre Zeit als Filmemacherin reicht zurück ins Wien des Jahres 1976, wo sie als Teil eines unabhängigen Videokollektivs den symbolträchtigen Kampf um das autonome Kultur- und 2 Kommunikationszentrum Arena mitverfolgt: Arena besetzt ist das Dokument einer Utopie und ihres Endes, aber auch der Versuch, das Filmische bereits politisch nutzbar zu machen. Doch so wie ihre Biografie – Studium in Paris und New York, journalistische Arbeit in der Schweiz – sind auch Beckermanns Interessen seit jeher keineswegs lokal beschränkt. Spätestens mit Die papierene Brücke (1987), einer filmischen Suchbewegung nach Spuren jüdischen Lebens auf dem Gebiet der ehemaligen k.u.k. Monarchie, weitet sich der geografische Raum (auch wenn am Ende der Waldheim-Wahlkampf in Wien ganz plötzlich wieder hereinbricht); ihr Roadmovie American Passages setzt am 4. November 2008 in Harlem ein – jenem Tag, an dem Barack Obama zum ersten schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wird, und den sie hautnah miterlebt. Zugleich schlagen Beckermanns Filme Brücken über die Zeit: vom Schicksal ihres aus Czernowitz gebürtigen Vaters (Die papierene Brücke) und den intensiven Gesprächen mit dem Kommunisten Franz West über die Wiener Zwischenkriegszeit (Wien retour) bis zur Gegenwart unmittelbar vor der eigenen Haustür, der Marc-Aurel-Straße im einst jüdisch geprägten Textilviertel Wiens, in homemad(e). Von den Spuren, die Kaiserin Elisabeth in Ägypten hinterlassen hat (Ein flüchtiger Zug nach dem Orient), bis zur Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ und den Reaktionen, die ebendiese bei den Besuchern, in der Mehrzahl ehemalige Wehrmachtsangehörige, zur Folge hat (Jenseits des Krieges). Mit der ersten Gesamtretrospektive in Österreich erkundet das Filmmuseum das vielseitige Schaffen einer Regisseurin, der geschlossene Erzählformen ebenso suspekt sind wie ein lineares Geschichtsbild. Immer freier und mutiger fügen sich in ihrer Arbeit die Bilder zueinander, im Flechtwerk zwischen Vergangenheit und Gegenwart, hier und „dort“, zwischen dem filmenden Ich und der Welt. Von dieser Beweglichkeit, die an die Arbeiten von Chris Marker erinnert, zeugen nicht zuletzt die Titel ihrer jüngsten Werke: Those Who Go Those Who Stay (2013), ein Essay, dessen Thema die freiwilligen wie unfreiwilligen Reisebewegungen auf dem europäischen Kontinent sind; The Missing Image (2015), eine aufsehenerregende künstlerische Intervention am Wiener Albertinaplatz; sowie Die Geträumten (2016; Kinostart: 16.12.) – Ruth Beckermanns erster, wunderbar stimmiger Spielfilm, in dem sie die Liebesbeziehung zwischen dem Lyriker Paul Celan und der jungen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann im Wien der 1950er Jahre szenisch imaginiert hat. Im Rahmen der Retrospektive finden zahlreiche Publikumsgespräche und Einführungen mit Ruth Beckermann und anderen Gästen statt. Zum Auftakt, am 12. Dezember, wird auch das neue, von Alexander Horwath und Michael Omasta herausgegebene Buch Ruth Beckermann präsentiert. Diese erste monografische Publikation über Beckermanns Schaffen versammelt Originalbeiträge von Christoph Ransmayr, Bert Rebhandl, Olga Neuwirth, Ina Hartwig, Georg Stefan Troller, Cristina Nord, Armin Thurnher, Christa Blümlinger, Alice Leroy, Jean Perret sowie unveröffentlichte Texte der Filmemacherin selbst und ein ausführliches Werkstattgespräch. 12. Dezember 2016 bis 5. Jänner 2017 3 Screwball Sisters & Marx Brothers und Weihnachten mit The Wizard of Oz Zwischen Weihnachten und Neujahr präsentiert das Filmmuseum traditionsgemäß Filme mit den Marx Brothers – in wechselnder Verflechtung mit anderen Linien des Kino-Anarchismus. Im heurigen Programm werden täglich je ein Klassiker der Screwball Comedy und der Marx Brothers gezeigt. So trifft zum Auftakt, am 25.12., Howard Hawks‘ His Girl Friday auf Horse Feathers; am 26.12. folgt auf die Kriegssatire Duck Soup der Krieg der Geschlechter (Cary Grant, Katharine Hepburn und James Stewart in The Philadelphia Story). Des weiteren: Marx’sches Monkey Business und Carol Lombard in Twentieth Century (27.12.); A Night at the Opera und Preston Sturges’ The Lady Eve (28.12.); At the Circus und der Screwball-Grundstein It Happened One Night (29.12.); sowie The Big Store und Gary Cooper vs. Claudette Colbert in Ernst Lubitschs Bluebeard’s Eighth Wife (30.12.). Zu Weihnachten – mit einem Termin am 23.12. und einer Vorstellung am frühen Nachmittag des 24.12. – präsentieren wir den MGM-Klassiker The Wizard of Oz (1939). 23. bis 30. Dezember 2016 Weitere Informationen und Fotos finden Sie auf www.filmmuseum.at oder Sie wenden sich direkt an: Alessandra Thiele, [email protected], T + 43 | 1 | 533 70 54 DW 22 4
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