Gegen die Gleichgültigkeit

Gegen
die Gleichgültigkeit
BZ-Interview mit der Autorin Hannelore Brenner
GEMEN. Parallel zur Gedenkveranstaltung „Gegen
das Vergessen“ am Donnerstag, 10. November, wird in
der Montessori-Gesamtschule eine Ausstellung gezeigt,
in der das Schicksal jugendlicher Bewohner des Ghettos
Theresienstadt während der
Nazi-Diktatur
dargestellt
wird. Titel: „Die Mädchen
von Zimmer 28“. Vorab
sprach BZ-Redakteur Peter
Berger mit der Berliner Autorin Hannelore Brenner, die
die Dokumentation auf den
Weg gebracht hat.
BZ: Wie stießen Sie auf
das Schicksal der Mädchen
von Zimmer 28?
Brenner: 1994 erfuhr
ich erstmals von der Kinderoper Brundibár, die von den
Kindern des Ghettos Theresienstadt aufgeführt wurde.
Ich schlug das Thema der
Feature-Abteilung des damaligen Berliner Senders
SFB vor und bekam grünes
Licht.
BZ: Wie liefen die weiteren Recherchen?
Brenner: Meine erste
Reise führte mich in die
USA, wo ich mich unter anderem mit Paul Kling und
Ela Weissberger traf, die in
der Oper mitgewirkt haben.
Ela erzählte mir viel von ihren Freundinnen, mit denen
sie damals in einem Raum,
dem Zimmer 28, eingepfercht war. Beim Abschied schlug sie mir vor,
doch nach Prag zu kommen,
wo sie sich mit ihren Freundinnen treffen würde. Dieses
erste Treffen mit der kleinen
Gruppe markiert den Beginn Medium für deren Geschichmeines Projektes mit den te, vor allem auch für deren
„Mädchen von Zimmer 28“. Anliegen.
Das ist inzwischen 20 Jahre
BZ: „Das Leben ist schön“
her.
heißt ein italienischer Film
von 1997, in dem ein jüdiBZ: Was geschah seitdem?
scher Vater im KZ seinen
Brenner: Wären nicht
Sohn von der grauenhaften
Anna Hanusová und Helga
Realität ablenkt. Gab es
Kinsky gewesen, wäre es siauch für die Mädchen im
cherlich bei meinem HörGhetto solche Momente, in
funk-Feature zur Kinderoper
denen die Todesangst in den
Brundibár geblieben. Das
Hintergrund trat?
hat der SFB 1997 und ein
Brenner: Ja. Die MädJahr später der ORF Wien
neu produziert. Aber im chen hatten auch Spaß –
Spätherbst 1996 besuchte zum Beispiel, wenn Flaška
ich Anna Hanusová in und Lenka ihre erdichteten
Brünn und Helga Kinsky in Sketche „Amalka und PosinWien. Und damit fing das ei- ka“ aufführten, oder wenn
gentliche Projekt mit den sie gemeinsam sangen. Oder
Überlebenden von Zimmer die Sabbath-Abende, wenn
28 an. Denn diese beiden Frau Mühlstein kam und die
Freundinnen hatten bereits Kerze anzündete, die Bracha
sprach und mit ihrer wuneinen Plan.
dervollen Stimme sang.
Oder wenn Frau Brumlik
BZ: Welchen Plan?
Brenner: Sie wollten ein Geschichte und Geografie
Gedenken schaffen an die unterrichtete oder Friedl DiMädchen vom Zimmer 28, cker-Brandeis mit den Kindie nicht überlebten. Sie dern malte und zeichnete.
wollten jene Erwachsenen
BZ: Das hört sich fast
würdigen, die in Theresienidyllisch an...
stadt für sie wichtig wurden
Brenner: Na ja. In Wirk– Betreuer, Lehrer, Künstler.
In Brünn zeigte mir Anna ihr lichkeit war das Ghetto ein
Poesiealbum, und darin Ein- einziges Elend – Massentragungen von Mädchen, die quartiere, Hunger, Krankam nächsten Tag zum Trans- heit, Angst vor Transport.
port mussten. Und in Wien Die Kinder hatten Angst,
zeigte mir Helga ihr There- große Angst, aber keine Tosienstädter Tagebuch, das desangst. Sie wussten noch
Kalendertagebuch ihres Va- nichts von dem, was da noch
ters Otto Pollak und unzähli- kommen würde. Sie wurden
ge authentische Dokumente. von den Erwachsenen so gut
Ich war zutiefst gepackt, auf- es ging abgeschottet. Als sie
gewühlt. Ich wollte ihnen in den Viehwaggons Richhelfen, dieses Gedenken zu tung Auschwitz fuhren, als
schaffen, und sie wollten, sie an der Rampe von
dass ich ihnen dabei helfe. Auschwitz ankamen, da kam
So wurde ich eigentlich zum die Todesangst. Und für viele
Hannelore Brenner hat die Schicksale junger Ghetto-Bewohner in der Nazi-Diktatur recherchiert
und daraus Bildungsprojekte entwickelt.
Foto: pd
der Tod. Nur wenige überlebten, darunter Evelina Merová. Von Dezember 1943 bis
Juli 1944 lebte sie im Kinderblock des Familienlagers
Auschwitz-Birkenau. Sie lebte in der Nähe der Gasöfen
und Krematorien und wusste genau, was geschah.
BZ: Trotz all dieser Grauen wollen Sie Ihre Dokumentation nicht als reine
Opfergeschichte verstanden
wissen, oder?
Brenner: In dem Buch
beschreibe ich all das
Furchtbare, was die Mädchen erleben mussten. Es ist
also eine Geschichte von
Menschen, die dem Holocaust zum Opfer fielen. Aber
sie ist mehr als das. Die Geschichte einer besonderen
Gemeinschaft. Weil in diesem Zimmer 28 – dank außerordentlicher Pädagogen
und anderer Menschen – so
etwas wie eine Gegenwelt
geschaffen wurde. Und daran wollen die Überlebenden
eben auch erinnern. An die
Werte und Ideen, für die sie
stehen. Sie haben ihr Opfersein überwunden und sind
starke Persönlichkeiten geworden. Sie wollen nicht als
Opfer definiert werden –
sondern als Individuum.
BZ: „Gegen das Vergessen“
lautet die Borkener Veranstaltungsreihe. Wie sind Ihre Erfahrungen: Wie groß ist
die Bereitschaft der Deutschen noch, an die NaziGräuel erinnert zu werden?
Brenner: Ich finde eine
solche Veranstaltungsreihe
wunderbar. Es zeigt doch,
dass es engagierte Menschen
und Kreise gibt, die aus persönlicher Verantwortung alles dafür tun, dass die
Gräueltaten nicht vergessen
werden. Aber ich sehe leider
auch, dass die große Mehrzahl der Deutschen, aus un-
terschiedlichen
Motiven,
nichts oder nichts mehr davon wissen will. Das ist fatal.
Denn was das aktuelle politische Potenzial und die Tendenzen, das gesellschaftliche
Klima und populistische Gedankengut angeht, sind wir
nicht weit entfernt von 1933.
BZ: Was ist Ihre Hoffnung
71 Jahre nach Kriegsende?
Brenner: Hoffnung? Ich
habe keine große Hoffnung.
Aber einen Wunsch: Möge
die Geschichte der Mädchen
von Zimmer 28 „als Mahnung dazu dienen, wie leicht
ein neuer Holocaust geschehen kann, wenn gutwillige
Menschen zu gleichgültig
sind und es hasserfüllten Fanatikern erlauben, an die
Macht zu kommen“. So hat
es die Überlebende Handa
Drori einmal gesagt. Möge
also diese Geschichte dazu
beitragen, dass es viele gibt,
die etwas dagegen tun.