Ein Blick in`s Buch - Michael Imhof Verlag

G RAPHISCHE S AMMLUNG ETH Z ÜRICH
DAS WAHRE GOLD
EINES BANKIERS
Druckgraphik aus der Sammlung
Heinrich Schulthess-von Meiss
Michael Matile
Katalog mit Beiträgen von:
Ann-Kathrin Seyffer und Patrizia Solombrino
Michael iMhof Verlag
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2 MARTIN SCHONGAUER
(Colmar um 1450–1491 Breisach)
Der heilige Antonius, von Dämonen gepeinigt
1470–1489
Kupferstich; 31.4 x 23.2 cm (Blattgröße)
Zustand: Hollstein I/II
Provenienz: Schenkung Heinrich Schulthess-von Meiss 1894/98
Inv.-Nr. D 805
Literatur: Hollstein, German, XLIX, S. 132, Nr. 54; Lehrs [1925] 2005, S. 208–211, Nr. 54; Kemperdick 2004,
S. 29.
Der in Colmar tätige Martin Schongauer war auf dem Gebiet des Kupferstichs ein wichtiger und innovativer
Vorgänger Dürers. Der heilige Antonius, von Dämonen gepeinigt ist neben der Großen Kreuztragung (Kat.-Nr. 3)
eines seiner bedeutendsten Blätter. Es zeigt Antonius mit neun Dämonen, die ihn zerren, schlagen und kratzen.
Die Gruppe schwebt über der Erde, was durch die horizontalen Linien im oberen Bereich und den Felsen in der
unteren rechten Ecke angedeutet wird. Die Dämonen sind phantasievolle Mischwesen, die Schongauer aus verschiedenen Tieren und menschenähnlichen Gliedern zusammengesetzt hat. Ihre Körper lassen nicht nur ein genaues Studium der entsprechenden Modelle aus der Natur erkennen, sondern auch Schongauers virtuosen
Umgang mit dem Grabstichel bei der Darstellung von unterschiedlichen Materialien. Die Stofflichkeit des
schweren Gewands von Antonius ist eine deutlich andere als sein Bart, oder der Schmetterlingsflügel und die
schuppige Haut eines Dämons.
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5–6 ALBRECHT DÜRER
(Nürnberg 1471–1528 Nürnberg)
Die apokalyptischen Reiter, Blatt 5 der Folge Die Apokalypse
Um 1497–1498
Holzschnitt; 39.5 x 28.0 cm (Blattgröße)
Zustand: Lateinische Ausgabe von 1511
Provenienz: Schenkung Heinrich Schulthess-von Meiss 1894/98
Inv.-Nr. D 810.5
Michaels Kampf mit dem Drachen, Blatt 12 der Folge Die Apokalypse
Um 1498
Holzschnitt; 39.2 x 28.2 cm (Blattgröße)
Zustand: Lateinische Ausgabe von 1511
Provenienz: Schenkung Heinrich Schulthess-von Meiss 1894/98
Inv.-Nr. D 810.12
Literatur: Meder 1932, S. 154, Nrn. 167 und 174; Schoch/Mende/Scherbaum 2001–2004, I, S. 9–16 und
II, S. 28 und 76–79, Nr. 115 bzw. S. 94–96, Nr. 122.
Albrecht Dürer aus Nürnberg gilt heute als wichtigster Stecher nördlich der Alpen um 1500, doch auch die
Technik des Holzschnitts hat er entscheidend weiterentwickelt. 1498 publizierte er mit der Offenbarung des
Johannes das erste Buch, für das der Künstler das alleinige Unternehmerrisiko trug. Zum ersten Mal standen
sich auch ein ganzseitiger Holzschnitt und eine Textseite gleichberechtigt gegenüber. ›Apokalypse‹ bezeichnet
die Textgattung der biblischen Offenbarung des Johannes und erscheint oft synonym zum Titel.
Die vier apokalyptischen Reiter, die für Sieg, Krieg, Teuerung und Tod stehen, reiten bei Dürer entgegen der
Bildtradition nebeneinander. Die ersten drei Reiter befinden sich in der himmlischen Sphäre, ihr Ziel liegt
außerhalb der Darstellung, der vierte bringt den Menschen in der irdischen Sphäre den Tod. Hinter ihm verschlingt der Höllenschlund den Vertreter der kirchlichen und weltlichen Macht. Das Blatt zeigt eine außergewöhnliche und für das Medium des Holzschnitts zuvor ungewohnte Dynamik, die Dürer durch die komplexe
Komposition und eine differenzierte Anwendung der Schraffuren zur Gestaltung des Helldunkels erzeugt.
Damit kreierte er ein Liniensystem, das weit über schlichte Konturen hinausreicht.
Das zweite Blatt zeigt den Erzengel Michael, der mit einer Lanze gegen den Drachen, den Satan, kämpft. Neben
ihm kämpfen seine Engel gegen die Verbündeten des Satans. Die dichte Parallelschraffur hinter der Figurengruppe
visualisiert die räumliche Trennung zwischen der himmlischen Sphäre und der friedlichen, irdischen Landschaft
im unteren Bereich. Zur Darstellung des Kampfes im Himmel wurde Dürer vermutlich von Schongauers Antonius (Kat.-Nr. 2) inspiriert. Für Dürer, der mehrere Techniken der Druckgraphik parallel anwendete, war
der Holzschnitt dem Kupferstich nicht unterlegen. Das zeigt das selbstbewusst platzierte Monogramm AD am
unteren Bildrand. Monogramme wurden vorher hauptsächlich zur Kennzeichnung von Kupferstichen benutzt.
Bei Dürer hatte es aber auch die Funktion, die Autorschaft seines Bildkonzepts zu betonen.
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34 BENEDETTO MONTAGNA
(Vicenza um 1480/81–1555/58 Vicenza)
Der heilige Hieronymus unter einem Felsenbogen
Nach 1512
Kupferstich; 27.8 x 22.7 cm (Blattgröße)
Provenienz: Schenkung Heinrich Schulthess-von Meiss 1894/98
Inv.-Nr. D 207
Literatur: Hind 1938–1948, V, S. 182, Nr. 25; Matile 1998, S. 120, Nr. 71.
Vielleicht traf Benedetto Montagna aus Vincenza den Künstler Albrecht Dürer 1505–1507 in Venedig, als
dieser auf seiner zweiten Italienreise war. In Italien wurden Dürers Druckgraphiken – jene eines sogenannten
›oltremontano‹, eines nordischen Künstlers – besonders wegen seiner abwechslungsreichen Landschaftshintergründe geschätzt und häufig kopiert. Montagna entlehnte von Dürer ganze Kompositionen oder auch nur Versatzstücke aus seinen Naturdarstellungen. Der heilige Hieronymus unter einem Felsenbogen könnte von einem
Holzschnitt Dürers aus dem Jahr 1512 inspiriert sein, der den Heiligen auch in einer Felsengrotte zeigt und
den Ausblick auf eine Flusslandschaft mit einer Stadt gewährt. Der Eremit hat sich in Montagnas Stich in Denkerpose unter einem unwirtlichen Felsenbogen niedergelassen. Seine Einsamkeit wird mittels der kargen Felsformation unterstrichen und steht im Kontrast zur idyllischen, detailreichen Hintergrundlandschaft.
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42 JACOPO FRANCIA NACH FRANCESCO PARMIGIANINO (1503–1540)
(Zola Predosa vor 1486–1557 Bologna)
Venus und Amor auf Wolken
1527–1531 [?]
Kupferstich; 29.8 x 20.9 cm (Blattgröße)
Zustand: Hind II/II
Provenienz: Schenkung Heinrich Schulthess-von Meiss 1894/98
Inv.-Nr. D 344
Literatur: Hind 1938–1948, II, S. 232, Nr. 6; Matile 1998, S. 169, Nr. 109; Sheehan, in: Early Italian Engravings
1973, S. 492–493.
Jacopo Francia war der Sohn des Goldschmieds und Malers Francesco Raibolini (genannt Francia) und wurde,
wie Marcantonio Raimondi, in der Werkstatt seines Vaters in Bologna ausgebildet. Eine Zeichnung Parmigianinos,
die vielleicht während dessen Aufenthalt in Bologna zwischen 1527 und 1531 entstanden ist, könnte Jacopo
als Vorlage gedient haben. Anders als seine Zeitgenossen schuf er aus den Vorlagen keine abgeschlossenen Kompositionen und bewahrte sich damit einen ganz eigenen Stil. Der mit Tüchern umhüllte Halbakt der Venus ist
blattfüllend dargestellt. In der Hand hält sie den Pfeil Amors, der mit dem Bogen ohne Pfeil sein effektivstes
Werkzeug verloren hat. Die beiden Figuren stehen auf einer Wolke, die räumlichen Verhältnisse sind nicht
weiter bestimmt. Der Kupferstich Jacopos erhält durch die bewusst nur angedeuteten Wolken am Himmel auf
dem hellen Papier einen zeichnerischen Charakter, ganz im Sinn der italienischen Kunsttheorie, welche Kupferstiche auch einfach als ›disegni stampati‹, als gedruckte Zeichnungen, bezeichnete. Das Blatt erinnert in seiner
Gestaltung an eine locker komponierte Studie.
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65 PIETRO TESTA
(Lucca 1612–1650 Rom)
Thetis badet Achilles in den Wassern des Styx
1648
Radierung; 27.1 x 42.0 cm (Blattgröße)
Zustand: The Illustrated Bartsch S1
Provenienz: Schenkung Heinrich Schulthess-von Meiss 1894/98
Inv.-Nr. D 1410
Literatur: The Illustrated Bartsch, XLV Commentary, 4506.021 (S1); Pietro
Testa 1988, S. 257–260, Nr. 118; Fusconi 2014, S. 361–362, Nr. Vl.20.
Pietro Testa war fasziniert von der Antike und las Werke von Plato, Aristoteles und Vitruv. Diese Leidenschaft ist auch in einer seiner letzten Radierungen präsent. Das Blatt ist eine Simultandarstellung von Ereignissen
aus dem Leben des Achilles und seiner Mutter, der Meeresnymphe Thetis.
In der linken Bildhälfte dominiert die Gruppe um Thetis und das Rauchopfer. Sie verweist auf die Prophezeiung des Orakels von Delphi, dass der
Sohn der Thetis in jungen Jahren sterben würde. Durch die räumliche
Beziehung mit der vorangehenden Erzählung bildet die Gruppe um die
Vase das Zentrum der rechten Bildhälfte und zugleich auch des Blattes.
Um ihren sterblichen Sohn Achilles zu schützen, tauchte Thetis ihn in
das Wasser des Styx, den Fluss der Unterwelt. Das Wasser machte den
Körper des Kindes unverwundbar, doch Thetis musste es während dem
Bad an der Ferse halten. Die solchermaßen später ungeschützt gebliebene
Stelle kostete Achilles im Trojanischen Krieg das Leben. Testa arbeitete
in seiner Radierung meist mit regelmäßig angelegten Kreuz- und Parallelschraffuren, wodurch das Blatt trotz seiner Fülle an Ereignissen insgesamt eine homogene Erscheinung behält.
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75 JEAN FRANÇOIS JANINET NACH HUBERT ROBERT
(1733–1808)
(Paris 1752–1814 Paris)
Die Villa Sacchetti in Rom
1778
Strichradierung, Pinselätzung und Roulette; 34.3 x 46.7 cm (Blattgröße)
Provenienz: Schenkung Heinrich Schulthess-von Meiss 1894/98
Inv.-Nr. D 1288
Literatur: Inventaire du Fond Français 1973, Bd. 12, S. 74, Nr. 173;
Colorful Impressions 2003, S. 92–93, Nr. 40.
Jean François Janinet entwickelte mit viel Experimentierfreude im Tiefdruck ein kombiniertes Verfahren, um die im 18. Jahrhundert verstärkte
Nachfrage von Sammlern und Fachleuten nach exakten und farbigen Reproduktionen von Zeichnungen zu befriedigen.
Die Darstellungen der römischen Villen Sacchetti und Madama des klassizistischen Künstlers Hubert Robert übertrug er meisterhaft in zwei ähnlich großen Abzügen, wobei er das durchscheinende, zarte Aquarell gekonnt imitierte. Für das Blatt der Villa Sacchetti fertigte er vier Platten
mit den unterschiedlichen Tonwerten der Zeichnung an. Die endgültige
Farbigkeit des Blattes erzeugte er, indem er je eine der Platten mit blauer,
roter, gelber und schwarzer Farbe versah und dieselben schließlich übereinander druckte. Auf diese Weise mischten sich die drei Grundfarben
und das Schwarz erst beim Druck. Ein Problem dabei war, dass sich das
vor jedem Druckvorgang befeuchtete Papier jeweils unterschiedlich ausdehnte. So bestand die Kunst ebenso darin, die Farbflächen genau übereinander zu platzieren und beim Drucken nicht zu verrutschen, um die
gewünschte Farbgebung zu erzielen.
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