SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Hitlers stiller Gegenspieler Der schwäbische Widerstandskämpfer Georg Elser Von Pia Fruth Erst-Sendung: Freitag, 27. März 2015, 8.30 Uhr Wiederholung: Freitag, 11. November 2016, 8.30 Uhr Redaktion: Udo Zindel Regie: Pia Fruth Produktion: SWR 2015 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. 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November erfolgte das ruchlose Bombenattentat auf die traditionelle Führerkundgebung im historischen Bürgerbräukeller. Der Führer hatte die Versammlung kurze Zeit vor der Katastrophe verlassen. Wäre die Kundgebung wie üblich verlaufen, so hätte der Mordplan sein Ziel erreicht ... Melodie: Schorsch was mach'sch? Atmo: Gefängnisraum mit Schlüssel aufsperren Zitator 2: Berlin, den 19. November 1939. Vorgeführt erscheint: Elser, Johann Georg. Geboren am 4. Januar 1903 in Hermaringen, Württemberg. Ansage: Hitlers stiller Gegenspieler. Der schwäbische Widerstandskämpfer Georg Elser. Eine Sendung von Pia Fruth. Wochenschau Trümmerhaufen: Die Stelle, an der der Führer bei seiner Rede stand, war nach dem Anschlag mit einem drei Meter hohen Trümmerhaufen bedeckt. Acht Tote und 63 Verletzte forderte dieses gemeine Verbrechen. Zitator 2: Vorgeführt erscheint: Elser, Johann Georg. Ledig, Schreiner, Sohn der Holzhändlerseheleute Ludwig und Maria Elser. In Königsbronn bei Heidenheim wohnhaft. Drahtloser Dienst 1: Nachrichten des drahtlosen Dienstes. Die Nachricht vom Sprengstoffattentat, das gestern Abend in München im Bürgerbräukeller kurz nach der Abfahrt des Führers verübt wurde, hat im ganzen, deutschen Volk Empörung und tiefen Abscheu ausgelöst. Zitator 2: Vorgeführt erscheint Elser, Johann Georg. Und gibt Folgendes an: Zitator 1 – Georg Elser: Wenn ich gefragt werde, ob ich die vor mir begangene Tat als Sünde im Sinne der protestantischen Lehre betrachte, so möchte ich sagen: Im tieferen Sinne, nein! Ich wollte ja auch durch meine Tat ein noch größeres Blutvergießen verhindern. Zitator 2: Dachten Sie daran, dass eine Reihe von Personen getötet werden könnten? 2 Zitator 1 – Georg Elser: Ja. Zitator 2: Wollten Sie das? Und wen wollten Sie treffen? Zitator 1 – Georg Elser: Ja. Ich wollte die Führung treffen. Zitator 2: Wie stellen Sie sich heute zu dem, was Sie getan haben, nachdem Sie, obwohl Ihr Plan fehlschlug, acht Menschen getötet haben? Zitator 1 – Georg Elser: Ich würde das nie mehr tun. Zitator 2: Das ist keine Antwort auf meine Frage. Zitator 1 – Georg Elser: Der Zweck ist nicht erreicht. Peter Steinbach: Dieser Anschlag hätte zum Ziel führen können. Es lag nicht an der Vorbereitung des Attentats, dass er schief ging, sondern an einem Zufall. Atmo: Gedenkstätte Berlin Erzählerin: Der Historiker Peter Steinbach ist wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Er hat dafür gesorgt, dass Georg Elser in der Dauerausstellung der Gedenkstätte einen würdigen Platz erhalten hat. Wer als Ausstellungsbesucher zu Graf von Stauffenberg und seinem berühmten Mitverschwörern des 20. Juli 1944 vordringen will, muss am schwäbischen Schreinergesellen aus Königsbronn auf der Ostalb vorbei. Denn Elser war der Erste, der Hitler ernsthaft hatte töten wollen. Einer, den niemand im Blick hatte, der es beinahe geschafft hätte. Nur 13 Minuten haben gefehlt. Peter Steinbach: Das Entscheidende für uns ist, dass wir einen Menschen finden, der in der Lage ist, das nationalsozialistische Regime zu durchschauen, also zu erkennen, was es bedeutet im Hinblick auf Sozialpolitik, auf Kriegsvorbereitung, auf die Diffamierung anderer, auf kulturelle Konflikte, auf die Zerstörung zivilisatorischer Normen. Dann muss er sich entscheiden zu handeln. Das macht er mit einer ganz großen Konsequenz, denn er bereitet diesen Anschlag über ein Jahr vor. Und das Dritte ist: Er muss im Grunde dann konsequent zu dieser Einsicht und zu dieser Tat stehen. Er darf sich nicht auf das Regime einlassen, sondern er muss ganz konsequent bis zum Ende seinen Weg gehen wollen. Und auch das verkörpert Elser. Und insofern ist er 3 für uns eigentlich eine Persönlichkeit, die in sich das vereinigt, was wir bei anderen Regimegegnern auch finden, aber nicht über diese lange konsequente Zeit. Zitherspiel Erzählerin: Bereits im Sommer 1938 – mehr als ein Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkrieges – beschließt der damals 35-jährige Georg Elser, Adolf Hitler zu beseitigen. Anderthalb Jahre bereitet der wortkarge Tüftler seine Tat vor, für die er später mit dem Leben bezahlen wird. Bisher ist er nach der Arbeit gerne zum Tanzen und Musizieren gegangen. Jetzt zieht er sich zurück, grübelt, plant. Unbeirrbar. Zunächst braucht er einen geeigneten Ort für den Anschlag und kommt bei seinen Überlegungen schnell auf den Münchner Bürgerbräukeller. Dort hält Hitler jedes Jahr am 8. November eine lange Rede vor der nationalsozialistischen Regimespitze zur Erinnerung an seinen Putschversuch von 1923. Elser will ihn während dieser Rede mit einer Bombe in die Luft sprengen. Er reist nach München und nimmt im Bürgerbräukeller unbeobachtet Maß an einer der tragenden Säulen, an der Hitlers Rednerpult stehen wird. Zitator 1 – Georg Elser: Die Säule habe ich mir deshalb gewählt, weil die bei einer Explosion umherfliegenden Stücke die Leute am und um das Rednerpult treffen mussten. Außerdem dachte ich auch schon daran, dass vielleicht die Decke einstürzen könnte. Ich wusste, dass Hitler spricht, und nahm an, dass in seiner nächsten Nähe die Führung sitze. Erzählerin: Von nun an dreht sich Elsers Leben nur noch um den Anschlag. Um an Sprengstoff zu kommen, nimmt er eine Arbeit in einem Steinbruch in der Nähe von Königsbronn an. Unbemerkt lässt er aus dem Lager Pulverplättchen und Sprengkapseln mitgehen. Abends, nach der Arbeit, brütet er über Plänen für seine Bombe, die er in Gedanken immer nur seinen "Apparat” nennt. Der akkurate Elser will nicht die kleinste Kleinigkeit dem Zufall überlassen. Aus einem alten Uhrwerk konstruiert er einen Zeitzünder. Zur Sicherheit baut er aus einem zweiten Uhrwerk einen Reservezünder und verstaut alles mitsamt dem gestohlenen Sprengstoff im doppelten Boden eines Reisekoffers. Mit diesem Gepäck reist er im August 1939 nach München. Etwa 35 Mal isst er im Bürgerbräukeller zu Abend und lässt sich nach der Sperrstunde dort einschließen. Zitator 1 – Georg Elser: Ich aß nach der Karte und habe jedes Mal ein Glas Bier getrunken. Gegen 22 Uhr habe ich dort durchwegs bezahlt. Ich verließ anschließend den Wirtschaftsraum, begab mich von da aus durch den Garderobenraum in den nicht verschlossenen Saal, begab mich dort über den hinteren Treppenaufgang auf die Galerie und versteckte mich dort in einem Abstellraum. 4 Erzählerin: Als alle fort sind, kniet Elser sich vor die fragliche Säule, höhlt sie aus und baut in die Holztäfelung eine versteckte Klappe ein. Damit ihn kein Geräusch verrät, setzt er einen Bohrer immer nur dann ein, wenn alle zehn Minuten die automatische Wasserspülung der angrenzenden Toilette rauscht. Seine anderen Werkzeuge umwickelt er mit Stoff, um den Schall zu dämpfen. Zwischen zwei und drei Uhr morgens ist er in der Regel mit seiner Arbeit fertig. Er verstaut Werkzeug und Schutt im Hohlraum der Säule. Dann schläft er im Sitzen ein paar Stunden auf einem Stuhl in der Abstellkammer, bis der Saal wieder aufgeschlossen wird. Zitator 1 – Georg Elser: Während der ganzen Zeit trug ich eine blaue Arbeitshose über die Straßenkleidung gezogen. Morgens legte ich die Hose immer in einer Ecke des Raumes ab, in dem ich mich gelegentlich versteckt hielt. Einmal hätte man ja auf meine Tätigkeit kommen können, denn kurz vor der Veranstaltung am 8.11.1939 wurde während meiner Abwesenheit tagsüber der erwähnte Raum ausgeräumt. Als ich kam, war der Raum leer. Ich bin erschrocken, fand aber meine Arbeitshose schön zusammengelegt in einer Ecke liegen. Ich habe dann in dieser Nacht trotzdem gearbeitet, die Hose aber nicht mehr außen liegen lassen, sondern sie auch immer in den Säulenhohlraum gelegt. Musik: Schorsch was mach'sch: Als alle gingen, blieb ich im Versteck. Als alle ruhten, schlug ich Steine weg. Als alle arglos, begriff es keiner. Als alle mutlos, fragte nicht einer: "Schorsch, was mach'sch...?" Erzählerin: Königsbronn bei Heidenheim ist die Heimatgemeinde von Georg Elser und auch die der Gruppe Freywolf, die ihm mit dem Lied "Schorsch was mach'sch?" einen musikalischen Gedenkstein gesetzt hat. Auch in Königsbronn gibt es seit Anfang der 90er-Jahre eine Elser-Gedenk- und Forschungsstätte. Sie ist in einem alten Fachwerkhäuschen direkt am Ufer der Brenz untergebracht. Atmo: Treppen steigen, Schlüsselklimpern Erzählerin: Im ersten Stock zeigt Joachim Ziller, der Leiter der Gedenkstätten, dem befreundeten Journalisten und Elser-Experten Ulrich Renz eine ausgemusterte Kino-Requisite: Nach den Dreharbeiten zu einem Spielfilm über Georg Elser – dessen historischer Berater Peter Steinbach ist – wurde die Requisite der Gedenkstätte in Königsbronn gestiftet. Joachim Ziller: Ja, das ist ja die Säule ... Das ist ja fantastisch. Das ist wahrscheinlich von dem Spielfilm ... Ja Kinorequisite ... Dieses Ding hat er so präpariert, dass daraus eine Tür wurde, die man aufmachen konnte und wieder zu. Und kein Mensch hat gesehen, dass der das rausgelöst hat und eine Tür eingebaut hat. Und dahinter hat er also das Gestein ausgebrochen, in einem Koffer an die Isar getragen und in die Isar gekippt. 5 Atmo: Kleine Uhr schlägt, Uhrenticken Erzählerin: Noch steht die nachgebaute, weiß verputzte Säule mit holzvertäfeltem Sockel in Zillers Büro. Sie braucht erst einen würdigen Platz in der Dauerausstellung. Dort ticken eine große dunkelbraune Standuhr und eine kleinere Tischuhr – Originale aus Georg Elsers Wohnung. Der Privatmensch Elser soll gezeigt werden. Kindheit und Jugend in der elterlichen Landwirtschaft samt Holzhandel: Der Vater, ein jähzorniger Trinker, heiratet die Mutter seines Sohnes erst, als Georg Elser schon ein Jahr alt ist. Zitator 1 – Georg Elser: Ich war ein mittelmäßiger Schüler, das heißt in Zeichnen, Schönschreiben und Rechnen hatte ich immer gute Noten. Im Diktat, Aufsatz und anderen Fächern war ich weniger gut. Ich bin von Natur aus auch musikalisch veranlagt. Schon während meiner Schulzeit habe ich Flöte und Ziehharmonika gespielt. In kleineren Gesellschaften habe ich für Unterhaltung gesorgt. Ich war, wie man so sagt, Durchschnittsspieler. Zitherspiel Joachim Ziller: Er hat dann sehr schnell sich eine Zither gekauft und war im Zitherclub hier. Er spielte Kontrabass im Gesangverein. Er spielte Akkordeon zur Tanzstunde hier in Königsbronn und in Ochsenberg. Musik war sein Leben. Erzählerin: In einem Schaukasten stehen einige von Elsers Musikinstrumenten. Eine abgegriffene braune Zither hat ihn bis ans Ende seines Lebens im KZ Dachau begleitet. Joachim Ziller: Er war in Dachau im gleichen Zellentrakt untergebracht wie die katholischen Geistlichen. Und die haben eben berichtet, dass es abends eigentlich immer eine eigentümliche Atmosphäre war, wenn plötzlich in dieser Umgebung des Konzentrationslagers aus einer Zelle Musik kam und jemand gesungen hat. Erzählerin: Zu Beginn seiner Haftzeit spielt Elser auf seiner Zither noch Wiener SchrammerlMusik, heitere Tanzmusik. Doch je länger er im Gefängnis sitzt und auf sein Todesurteil wartet, umso wehmütiger werden seine Lieder. Eines, Elsers Lieblingslied, hat der hessische Zither-Spieler Johannes Schubert für diese Sendung nachgespielt: Ach, ich hab' in meinem Herzen einen wundersamen Schmerz ... Zitherspiel: Ach, ich hab' in meinem Herzen einen wundersamen Schmerz ... 6 Ulrich Renz: Diese Zither lag eines Morgens vor der Türe von Georg Elsers jüngerem Bruder Leonhard, hier in Königsbronn. Jemand hat sie ihm vor die Tür gelegt. Und man vermutet, dass es jemand vom Wachpersonal von Dachau war, der die Zither praktisch zurückgeben wollte. Erzählerin: Jemand, vermutet Ulrich Renz, der ein schlechtes Gewissen hatte. Jemand, der vom gradlinigen, freundlichen Wesen des Attentäters beeindruckt war, von der unglaublichen Zielstrebigkeit und Zivilcourage eines einfachen Mannes aus dem Volk. Jemand, der im Nachhinein erkannt hat, wieviel Weitblick Elser mit seinen Kriegsahnungen bewiesen hat. Jemand, der in ihm keinen Terroristen sah, sondern einen Menschen, der sich ums Wohl der Gesellschaft sorgte. Ulrich Renz: Ein Terrorist ist ein Mensch, der mordet, der Angst und Schrecken verbreitet, während der Georg Elser ein Mensch war, der einen Massenmörder am weiteren Morden hindern wollte. Und das ist ein sehr ehrenwertes Motiv in einer so absoluten Diktatur, wie es das so genannte Dritte Reich war. Erzählerin: Schon als junger Redakteur fängt Ulrich Renz Feuer für Georg Elsers Lebensgeschichte. Sein damaliger Chef Erwin Roth veröffentlicht 1956 in der Heidenheimer Zeitung einen großen Artikel über Elsers Tat, seine Beweggründe und seine Ermordung. Roth ist empört darüber, wie wenig Anerkennung dem Königsbronner Schreiner in den Nachkriegsjahren entgegen gebracht wird. Mehr noch – Elser ist in seiner Heimat, in ganz Deutschland eigentlich, zur Unperson geworden. Auch nachdem er im KZ Dachau hingerichtet wird, ranken sich um seine Tat die wildesten Gerüchte: Elser sei Teil einer kommunistischen Verschwörung gewesen, Elser habe im Auftrag des britischen Geheimdienstes agiert. Oder – ein Gerücht, das sich Jahrzehnte lang besonders hartnäckig hält: Elser sei Mitglied der SS gewesen, und das Attentat nichts weiter als ein Propaganda-Trick der Nazis. Dabei wusste in Königsbronn jeder, dass Elser selbst den Hitler-Gruß vehement verweigerte. Joachim Ziller: Als am 1. Mai immer die Fahnenparade durch Königsbronn getragen wurde, war der Abschluss vor dem barocken Rathaus, hat sich Elser demonstrativ weggedreht. also es war in Königsbronn bekannt, dass er mit den Nazis überhaupt nichts am Hut hatte. Erzählerin: Trotzdem wird Elser hartnäckig totgeschwiegen, sozusagen ein zweites Mal "hingerichtet". Diesmal von den Menschen, für die er mit seiner Tat gekämpft hatte, erzählt Joachim Ziller. Joachim Ziller: In Königsbronn ist es tatsächlich so, dass es fünf Jahrzehnte gedauert hat, bis man sich wirklich in einer ersten offiziellen Gedenkveranstaltung zu Elser bekannt hat. Es 7 war vorher nicht möglich, Elser im Ort zu thematisieren. Hintergrund war, dass die Gestapo auf der Suche nach Hintermännern hier im Ort gewütet hat. Die Gestapo ist mit äußerster Brutalität vorgegangen. Das führte dazu, dass man einen Familienvater zum Beispiel drei Stunden Zeit gab, um sich von der Familie zu verabschieden. Dann wurde er zur Frontbewährung nach Polen geschickt, weil er mit Elser befreundet war. Und dann können Sie sich vorstellen: Die Leute, die das mitgemacht haben, und das war nahezu jeder Erwachsene im Ort – der Ort hatte damals etwa 1.700 Einwohner – der war traumatisiert. Und diese Traumatisierung führte eben dazu, dass die nach 1945 überhaupt nicht mehr an diese Zeit erinnert werden wollten. Erzählerin: Nur sehr langsam beginnt sich das zu ändern. Das zeigen Aktenordner mit historischen Zeitungsartikeln, die in der Gedenkstätte frei zugänglich sind. Ebenso wie Protokolle der Gestapo, deren Beamte Elser nach seiner Verhaftung tagelang verhörten. Diese Verhörprotokolle sind bis heute die zentrale Quelle der ElserForschung und fielen dem Historiker Lothar Gruchmann vom Institut für Zeitgeschichte Mitte der 60er-Jahre durch Zufall in die Hände. Ulrich Renz: Gruchmann hat recherchiert für ein Werk: "Die Justiz im Dritten Reich" und hat da auch jede Menge Akten aus dem ehemaligen Reichsjustizministerium angefordert. Und da kam dann eines Tages auch ein Aktenpaket, wo sich rausgestellt hat, dass da das Protokoll der Vernehmung drin war. Da wurde also eindeutig, unwiderlegbar festgestellt: Er war ein Alleintäter. Und es wurden auch seine Motive genannt, seine guten, ehrlichen Motive. Atmo: Uhrenschlagen Peter Steinbach: Eigentlich ist der Mensch angelegt auf Anpassung: Er will geliebt werden. Er will akzeptiert werden. Er will Karriere machen. Er will wenig Probleme haben, und er will seinen Feierabend genießen. Er sucht seine Nische. Dann finden wir eben einzelne, die ganz bewusst Schwierigkeiten riskieren. Das ist Zivilcourage. Zitator 1 – Georg Elser: Ich glaube auch, dass sich nichts in der Welt abspielt, von dem Gott nichts weiß. Die Menschen werden wohl einen freien Lauf haben, aber Gott kann sich dreinmischen, wann er will. Er hat auch mir meinen freien Lauf gelassen. Erzählerin: Am 6. November 1939 ist Georg Elser mit seinen Arbeiten im Münchner Bürgerbräukeller fertig. Seine Knie schmerzen, sind vom vielen Herumrutschen auf dem Boden entzündet und vereitert. Elser ist müde. Aber – er hat den Sprengsatz eingebaut, beide Uhrwerke aufgezogen und den Zünder auf 21.20 Uhr eingestellt und damit ungefähr die Mitte von Hitlers Rede angepeilt. Am Morgen des 8. November, wenige Stunden, bevor seine Bombe explodieren wird, löst er am Münchner Hauptbahnhof eine Fahrkarte 3. Klasse für die Strecke München-Ulm-Friedrichshafen-Konstanz. Von nun an lässt Elser dem Schicksal 8 seinen Lauf. Seine Energien und sämtliche Ersparnisse sind aufgebraucht. Erschöpft macht er sich auf den Weg ins – wie er hofft – politische Asyl. Zitator 1 – Georg Elser: Mit der anderen Möglichkeit, dass es mir etwa nicht gelingen sollte, in die Schweiz zu gelangen, habe ich kaum gerechnet, das heißt: Ich hoffte bestimmt, dass mir dies gelingen würde. Tobias Engelsing: Da hat er aber völlig falsch die politische Großwetterlage eingeschätzt, denn die Schweiz war damals ein sehr wichtiger Handelspartner des Nazi-Deutschlands. Und vermutlich hätte die Schweiz ihn auch nicht behalten, sondern hätte ihn einfach als Straftäter, als Attentäter auf ein Staatsoberhaupt eines befreundeten Staates ausgeliefert. Musik: Schorsch, was mach'sch : Als alle planlos, war mein Plan exakt. Als alle zeitlos, lief die Uhr im Takt. Als München neblig, sah ich schon die Schwyz. Als sie mich filzten, ein Zufallsindiz. Schorsch, was mach'sch ...? Erzählerin: Elser erreicht die schweizerische Grenze in Konstanz. Aber das Grenzhäuschen ist hell erleuchtet und mit mehreren Polizisten besetzt, ganz anders als bei seinem letzten Besuch. Tobias Engelsing, Elser-Experte und Leiter der Städtischen Galerien in Konstanz, beschreibt, was dann geschieht: Elser entscheidet sich über einen niedrigen Grenzzaun in einem angrenzenden Gartengrundstück in die Schweiz zu fliehen. Tobias Engelsing: Und in diesem Garten ist eben da nur so ein einfacher einen Meter fünfzig hoher Maschendrahtzaun. Da läuft er drauf zu. Und ja weiß nicht so recht, soll er da jetzt springen oder drüber klettern. Und während er in diesen Garten stolperte, hörte er noch aus einem Radio, das aus einem offenen Fenster in den Garten zu hören war, die schreiende brüllende Stimme des Mannes, den er gerade umbringen wollte. Das müssen für ihn ungeheuer anstrengende Momente gewesen sein. Da quatscht noch dieser Verbrecher und er steht vor der Grenze und plötzlich kommen da zwei Zöllner und rufen ihn an. Erzählerin: Zum ersten Mal zögert Elser. Er weiß nicht, was er tun soll. So akribisch er das Attentat geplant hat, so wenig Gedanken hat er sich um seine Flucht gemacht. Zitator 1 – Georg Elser: Wenn ich gefragt werde, was mein erster Gedanke in diesem Augenblick war, so muss ich zugeben, dass ich mich über mich selbst und meinen Leichtsinn geärgert habe. Ich dachte, wäre ich doch nicht einfach so drauf zugelaufen, sondern hätte ich doch wenigstens zuerst genau Umschau gehalten, ehe ich auf die Grenze zuging. 9 Erzählerin: Die Grenzer nehmen ihn mit in die Wachstube, durchsuchen seine Taschen. Sie finden eine Ansichtskarte vom Bürgerbräukeller und Teile eines Zeitzünders. Damit können sie nichts anfangen. Noch nicht. Erst später beginnen sie zu ahnen, wen sie da ganz zufällig geschnappt haben, als erste Augenzeugenberichte aus dem Bürgerbräukeller im Radio zu hören sind. Augenzeugenbericht: Und nun sind wir hier herinnen im ehemaligen Saal. Oben ein riesiges Loch, man sieht den Himmel durch, die Decke ist eingebrochen, der Luftdruck hat selbstverständlich alle Scheiben eingeschlagen. Es ist ein Bild fürchterlicher Zerstörung. Zitator 1 – Georg Elser: Ich hatte die Absicht, von der Schweiz aus an die deutsche Polizei ausführlich zu schreiben, zu erklären, dass ich der Alleinschuldige an dem Attentat sei, keine Mitwisser oder Mittäter gehabt habe. Mit einer solchen Mitteilung an die deutsche Polizei wollte ich lediglich bezwecken, dass keinesfalls irgendwelche unschuldige Personen auf der Suche nach dem Täter verhaftet würden. Erzählerin: Das Gegenteil geschieht. Zunächst leugnet Elser sogar seine Tat. Er ist geschockt, als er erfährt, was wirklich passiert ist: Hitler hat den Saal viel früher als geplant verlassen. Wegen dichten Nebels konnte Hitler nicht, wie geplant, nach Berlin zurückfliegen. Er saß bereits im Zug, als Elsers Bombe explodierte. Bilanz: acht Tote. 63 Verletzte. Von der Gestapo wird Elser nach München gebracht, geschlagen und gefoltert. Er gesteht noch immer nicht. Doch die Ermittlungen im Bürgerbräukeller haben inzwischen ergeben, dass der Täter kniend gearbeitet haben muss. Der Leiter der Untersuchungskommission befiehlt Elser beim Verhör, die Hosen herunterzulassen. Seine vereiterten Knie kommen zum Vorschein. In dieser Nacht gesteht er. Sagt, dass er alles allein geplant und durchgeführt hat. Doch das passt nicht ins Propagandakonzept der Nazis. Sie haben bereits das Gerücht in die Welt gesetzt, Elser habe im Auftrag des britischen Geheimdienstes gehandelt. Und sie feiern das Scheitern des Attentats als göttliche Fügung. Es beginnt eine Hetzjagd ohnegleichen auf vermeintliche Hintermänner. Tausende Menschen werden verhaftet, in Elsers Heimatgemeinde Königsbronn, aber auch am Bodensee, wo Elser als junger Schreiner auf Wanderschaft gearbeitet hatte, erzählt Tobias Engelsing. Tobias Engelsing: Keiner hat da gesagt: "Ach, das war mein bester Kumpel, ein super Kerl." Sondern jeder hat gesagt: "Ja, der war ein bisschen verschlossen, der hat nicht viel geredet". Warum? Wenn einer nicht viel redet, dann hat auch der andere nicht viel gewusst. 10 Erzählerin: Erst im Nachhinein, lange nach dem Krieg, entsteht ganz allmählich ein anderes Bild von Georg Elser. Arbeitskollegen berichten von einem jungen Mann, der in der Mittagspause gerne im Bodensee schwamm, der Zeitung las und mit Leidenschaft musizierte. Tobias Engelsing: Er war ein flotter Bursche, wie es später ein Schweizer Arbeitgeber von ihm sagt. Er hat gerne getanzt. er hat offensichtlich auch einen bezwingenden Charakterzug, der jenseits vieler Worte gewirkt hat. Denn die Mädels mochten ihn wohl. Erzählerin: Mit seiner Jugendliebe am Bodensee hat Elser einen unehelichen Sohn, mit seiner späteren Vermieterin zwei weitere Kinder. Tobias Engelsing: Der Sohn Manfred hat, nachdem er sein erstes Radiointerview in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts gegeben hat, Anfeindungen erlebt, er solle sich schämen, Sohn dieses Mörders zu sein. Das war eben lange Zeit noch Sicht der Überlebenden der Nachkriegszeit. Zitherspiel Erzählerin: Mehr als fünf Jahre ist Georg Elser im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert, später in Dachau. Er spielt auf seiner Zither, raucht Kette und wartet auf sein unausweichliches Todesurteil. Eigentlich hatte Hitler seinen stillen Gegenspieler für einen Schauprozess nach dem Endsieg aufsparen wollen. Wenige Tage vor Kriegsende gibt er jedoch den Befehl, ihn "unauffällig zu liquidieren" – einen Monat vor Ende des Zweiten Weltkrieges und drei Wochen vor Hitlers Selbstmord. Am 9. April 1945 wird Georg Elser erschossen. Am selben Tag wie die Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoefer, Wilhelm Canaris und Hans von Dohnanyi. Peter Steinbach: Also wie außerordentlich wichtige Regimegegner, die wir immer mit dem 20. Juli verbinden. die Nationalsozialisten haben einen Zusammenhang hergestellt, den die deutsche Nachkriegsgesellschaft durch die Diffamierung von Elser zunächst gar nicht wahrhaben wollte. Tobias Engelsing: Weil die Menschen obrigkeitshörig sind und weil sie sich nicht gerne daran erinnern, dass es da eben einen wie den Elser gab, der schon zu Zeiten, als die anderen noch alle "Hurra" gebrüllt haben und eben mit Freuden in den Krieg gezogen sind, gesagt hat: Dieser Mann und dieser Krieg wird der Untergang Deutschlands sein. Joachim Ziller: Und hier endet die tragische Geschichte, denn es haben 13 Minuten gefehlt, und das Attentat wäre geglückt und hätte die Welt verändert. Es haben im Prinzip 30 Meter gefehlt und Elser wäre zumindest mal vorläufig in der rettenden Schweiz gewesen. 11 Es haben 3 Wochen gefehlt: 20 Tage nach der Ermordung von Georg Elser wurde das Lager Dachau von den Amerikanern befreit. Es hat nicht sein sollen. Zitherspiel Zitator 1 – Georg Elser: Ich glaube an ein Weiterleben der Seele nach dem Tode. Und ich glaubte auch, dass ich einmal in den Himmel kommen würde, wenn ich noch Gelegenheit gehabt hätte, durch mein ferneres Leben zu beweisen, dass ich Gutes wollte. Berlin, den 23. November 1939: Selbst gelesen, genehmigt und unterschrieben: Georg Elser. ***** Literaturtipps: - Peter Steinbach und Johannes Tuchel: Georg Elser: Der Hitler-Attentäter. be.bra Verlag - Ulrich Renz: Georg Elser: Allein gegen Hitler. Kohlhammer - Anton Hoch und Lothar Gruchmann: Der Attentäter aus dem Volke. Der Anschlag auf Hitler im Münchner Bürgerbräu 1939. Fischer. 12
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