Nr. 132-4 (PDF, 116KB, nicht barrierefrei)

BULLETIN
DER
BUNDESREGIERUNG
Nr. 132-4 vom 10. November 2016
Rede des Bundesministers für Gesundheit,
Hermann Gröhe,
zum GKV-Arzneimittelversorgunsstärkungsgesetz – AMVSG
vor dem Deutschen Bundestag
am 10. November 2016 in Berlin:
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen!
Ein immer leistungsfähigeres Gesundheitswesen, das zu den besten der Welt gehört,
steigende Lebenserwartung – all das scheint selbstverständlich zu sein, bis wir an die
Grenzen solcher Entwicklungen stoßen. Wenn wir eine neue Therapie herbeisehnen
für einen Angehörigen, der an Krebs erkrankt ist, fragen wir uns: Wo kommt eigentlich
der Fortschritt her? Wir fragen uns: Wer entwickelt und produziert einen Impfstoff gegen einen neuartigen Virus? Und schließlich: Was kann man gegen Infektionen mit
multiresistenten Keimen tun?
Wir alle kennen den alten Spruch von Deutschland als Apotheke der Welt. Wir wissen
zugleich, dass wir diesen selbstbewussten Anspruch längst mit anderen, zum Teil
auch stärkeren Standorten für Forschung und Produktion im Arzneimittelbereich teilen
müssen. Aber gerade deswegen haben wir ein gesundheitspolitisches, ein forschungspolitisches und ein wirtschaftspolitisches Interesse daran, Deutschland als Entwicklungs-, als Forschungs-, aber auch als Produktionsstandort forschender Arzneimittelindustrie zu stärken. Die Voraussetzungen dafür sind nach wie vor gut, haben wir doch
in diesem Bereich eine Branche, die in Deutschland Tag für Tag 16 Millionen Euro in
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die Entwicklung und Erforschung neuer Wirkstoffe und neuer Darreichungsformen investiert. Jahr für Jahr steigt auch die Zahl der Beschäftigten in dieser Industrie überdurchschnittlich an.
Die Überzeugung, dass wir unser Land als Forschungs- und Produktionsstandort im
Pharmabereich stärken wollen, hat die Bundesregierung geleitet, als das Wirt
schafts-, das Forschungs- und das Gesundheitsressort gemeinsam Vertreter der Wissenschaft, der Pharmaunternehmen und der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie
zu einem Pharmadialog eingeladen haben. Wir haben intensiv diskutiert, wie wir die
Stärken Deutschlands in diesem Bereich stärken können, auch in einem härter werdenden globalen Wettbewerb.
Wir haben eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, bei denen wir uns von einem Gedanken haben leiten lassen: Wie sichern wir einen guten Zugang zu Innovationen, und
wie fördern wir Innovationen in den Bereichen, in denen wir sie besonders dringend
herbeisehnen? Ich denke dabei an Diabetes, Alzheimer und bestimmte Krebserkrankungen. Hier wollen wir Innovationen erreichen und dafür sorgen, dass der Fortschritt
möglichst schnell bei den Patientinnen und Patienten ankommt. Zugleich müssen wir
stets im Blick haben, dass ein solidarisches Gesundheitswesen auf Dauer nur existieren kann, wenn es die langfristige Finanzierbarkeit des medizinischen Fortschritts sichert. Bei der Überführung der im Pharmadialog erarbeiteten Vorschläge in den vorgelegten Gesetzentwurf ging es daher um die Balance zwischen langfristiger Finanzierbarkeit und Innovationsfreundlichkeit.
Dabei knüpfen wir an die Grundprinzipien des AMNOG an, fragen also nach dem Patientennutzen. Das hat sich bewährt, das ist sinnvoll. Wir wollen den Fortschritt, der
wirklich zu einer Verbesserung der Situation der Patientinnen und Patienten führt.
Gleichzeitig wollen wir, dass diese Nutzenbewertung treffsicher dazu beiträgt, dort einen Fortschritt zu ermöglichen, wo wir ihn besonders dringend brauchen, etwa indem
wir den Mehrnutzen von neu entwickelten Antibiotika bezüglich der Resistenzentwicklung gegenüber bereits etablierten Produkten gewichten. Wir wollen also Anreize
schaffen, damit man sich nicht mit Produkten abfindet, von denen wir wissen, dass sie
nach und nach an Wirkung verlieren.
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Innovationsfreundlichkeit und Finanzierbarkeit – das hat zu Diskussionen geführt – Sie
kennen sie –, beispielsweise über die Preisgestaltung im ersten Jahr. Wir haben uns
mit diesem Gesetzentwurf gegen eine neue Schwelle entschieden, um den Marktzugang zu erschweren. Wir sagen: Wir brauchen eine Preisbremse gerade für besonders
hochpreisige Arzneimittel, die sich an eine große Zahl von Patientinnen und Patienten
richten. Bei einem Überschreiten der Umsatzschwelle von 250 Millionen Euro soll umgehend der zwischen den Verhandlungspartnern ausgehandelte Erstattungspreis gelten. Das ist eine wirksame Maßnahme, gerade mit Blick auf hochpreisige Produkte.
Die Frage: „Wollen wir, dass bei Rabattverträgen zwischen dem Spitzenverband der
Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmen ebenso wie bei Verträgen zwischen einzelnen Versorgerkassen und pharmazeutischen Unternehmen auf eine öffentliche Listung verzichtet wird, um die Verhandlungen über eine Erstattung für die
Kassen zu erleichtern?“, führte zu Diskussionen, auch gestern im Gesundheitsausschuss des Bundesrates. Wir sind davon überzeugt und unterbreiten mit diesem Gesetzentwurf einen entsprechenden Vorschlag.
Wichtig ist uns, dass wir diese Maßnahmen verbinden mit Maßnahmen zur dauerhaften Preisdämpfung. Deswegen wird das Preismoratorium, das bis Ende 2017 für Arzneimittel ohne weitere Preisregulierung vorgesehen war, bis 2022 verlängert, ab 2018
mit der Möglichkeit einer Anpassung an die Inflationsrate. Allein das vermeidet Mehrausgaben in Höhe von jährlich 1,5 bis zwei Milliarden Euro.
Lassen Sie mich abschließend darauf hinweisen, dass wir die Regelung hinsichtlich
der Zytostatika – ich habe das Thema in der Haushaltsdebatte angesprochen – in einer
Art und Weise weiterentwickeln wollen, die die Ortsnähe und die gute Zusammenarbeit
sichert, etwa zwischen verschreibenden Onkologen und der selbstgewählten Apotheke, und gleichzeitig Wirtschaftlichkeitsreserven hebt. Ich glaube, wir zeigen an diesem Beispiel, dass Ausschreibungsnotwendigkeit, Wirtschaftlichkeit und Qualitätssicherung in guter Weise zusammengehören.
Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen.
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