POLITIK psychosozialen Versorgung erfolgen“, erklärt ein Sprecher der AOK Baden-Württemberg. Und wie beurteilt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Baden-Württemberg diesen Eingriff in ihr Kerngeschäft? Dort gibt man sich entspannt. Die KV habe das „Gesunde Kinzigtal“ immer unterstützt, erklärt deren Sprecher Kai Sonntag: „Kooperation ist eine begrüßenswerte Maßnahme. Wenn Ärzte sich vernetzen, bietet das die Möglichkeit, dass Patienten besser versorgt werden.“ Vernetzung allein reicht nicht Völlig unabhängig vom „Gesunden Kinzigtal“ warnte Sonntag allerdings davor, nur Vernetzung allein bereits als ausreichend zu sehen. Es müsse immer geprüft werden, was genau Gegenstand solcher Versorgungsmodelle sei, wie die Vernetzung funktioniere und welchen Umfang die Kooperation habe. Kritisch sieht die KV Sonntag zufolge die finanzielle Förderung von Netzen, wie sie das GKV-Versorgungsstrukturgesetz eingeführt hat. Danach müssen die KVen für anerkannte Praxisnetze gesonderte Vergütungsregelungen vorsehen, die aus der morbiditätsorientierten Gesamtvergütung zu bezahlen sind. „Dagegen wehren wir uns, weil wir nicht erkennen können, warum die nicht vernetzten Ärzte hier etwas bezahlen sollen“, so Sonntag. Derweil erwägt die AOK die Ausschreibung ähnlicher Projekte wie „Gesundes Kinzigtal“ für weitere Regionen. Welche das sein sollen, lässt die Kasse offen, „damit sich möglichst viele Initiativen aus unterschiedlichen Regionen bewerben können“, heißt es. Man wolle prüfen, ob dieser Versorgungsansatz multiplizierbar sei. Auch will die AOK engagierten Akteuren, die regional bereits enge Kooperationsstrukturen geschaffen haben, Entwicklungschancen einräumen. „Wir gehen nicht davon aus, dass der Ansatz ,Kinzigtalʻ staatlich oder anderweitig verordnet beziehungsweise von oben gestaltet werden kann“, erklärt der AOK-Sprecher. Es gehe darum, „Möglichkeitsräu▄ me“ zu eröffnen. KOMMENTAR Falk Osterloh, DÄ-Redakteur Warum verordnen Ärzte so häufig Arzneimittel ohne Zusatznutzen? Weil sie schlecht informiert sind, meint der Gesetzgeber. Es gibt jedoch auch noch andere Gründe. D en Ärzten wird derzeit vorgeworfen, sie befassten sich nicht ausreichend mit den Arzneimitteln, die sie verordnen. Konkret geht es um neue Arzneimittel, denen der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im Rahmen der frühen Nutzen- Denn entgegen der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers sind viele Arzneimittel mit Zusatznutzen nicht als Praxisbesonderheiten anerkannt. Somit fallen sie nicht automatisch aus der Wirtschaftlichkeitsprüfung heraus. Zweitens sollen sich Ärzte an den Arz- VERORDNUNG NEUER ARZNEIMITTEL Mehr Vertrauen bewertung einen Zusatznutzen im Vergleich zu einer zuvor festgelegten Standardtherapie zuerkannt hat – oder auch nicht. Wünschenswert wäre, dass Ärzte vor allem Medikamente verordnen, denen ein Zusatznutzen zuerkannt wurde. Genau das geschieht jedoch nicht. Und viele Experten rätseln nun: Warum nicht? Und was kann man tun, damit Ärzte mehr solcher Medikamente verordnen? Die gängige Meinung dazu ist, dass die Ärzte zu schlecht informiert seien und schlicht nicht wüssten, welchen neuen Arzneimitteln ein Zusatznutzen zuerkannt wurde und welchen nicht. Deshalb will der Gesetzgeber dem G-BA im Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz nun auftragen, seine Beschlüsse in knapper Form direkt in die Praxissoftware einzuspeisen. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass alle Ärzte auch wirklich über den Zusatznutzen der Arzneimittel informiert sind, die sie verordnen wollen. Für einen Teil der Ärzte mag zutreffen, dass sie die Beschlüsse des G-BA bislang nicht kannten. Für sie wären zusätzliche Informationen in der Praxissoftware ein Mehrwert. Es gibt jedoch noch drei weitere Erklärungen für das Verschreibungsverhalten. Erstens: Der Arzt befürchtet ein Regressverfahren, wenn er neue, meist teure Arzneimittel verordnet. neimittelvereinbarungen von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen orientieren. Und die schreiben Quoten auch für neue Arzneimittel mit Zusatznutzen vor. Und drittens: Ärzte kennen ihre Patienten, teils seit vielen Jahren. Ihnen liegen im Einzelfall also möglicherweise Informationen vor, die die Verordnung eines Arzneimittels rechtfertigen, auch wenn es keinen Zusatznutzen erhalten hat. Es ist sinnvoll, Ärzte gut über den Zusatznutzen neuer Arzneimittel zu informieren, die der G-BA im Rahmen der frühen Nutzenbewertung erhalten hat. Man sollte Ärzte aber nicht dazu zwingen. Denn man darf davon ausgehen, dass deren intrinsische Motivation, sich zu informieren, ausreichend hoch ist. Schließlich geht es um einen Kernbereich ärztlicher Arbeit. Von ebenso großer Bedeutung sind die anderen Erklärungen. Wenn man will, dass Ärzte mehr Arzneimittel mit zuerkanntem Zusatznutzen verordnen, muss man ihnen auch die Angst davor nehmen, es zu tun. Und man muss ihnen die Möglichkeit erhalten, im Einzelfall von den Vorgaben des G-BA abzuweichen. Denn bei aller Bedeutung, die die frühe Nutzenbewertung des G-BA hat: Man sollte bedenken, dass zur Behandlung eines Patienten mehr gehört, als oftmals vorläufige Studienergebnisse auszuwerten. Heike Korzilius Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 44 | 4. November 2016 A 1967
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