1293 ABGB - LexisNexis

Wittwer
§ 1293 ABGB
Angriffs, sondern infolge einer Seitenwirkung in eine Interessensphäre eintritt, die nicht durch
das Verbot des Angriffs geschützt ist (stRspr, 4 Ob 78/08m; SZ 61/279). Begründet wird dies
damit, dass die Ersatzpflicht nicht „uferlos“ ausgeweitet werden soll. Mittelbare Schäden werden überdies dann ersetzt, wenn diese vom Schutzzweck der verletzten Norm erfasst sind (vgl
1 Ob 147/02b: Banküberfall – Schüsse auf Fahrschulauto; 4 Ob 78/08m: Behandlungsvertrag –
wenn Schaden außerhalb des Schutzzwecks der übertretenen Norm oder des verletzten Vertrags
liegt; s dazu auch § 1295 Rz 6 ff). Auch die Kosten, die ein Land für die Beschäftigung eines
nach einem Verkehrsunfall Geschädigten in einer „geschützten Werkstätte“ aufwendet, sollen
nach 2 Ob 190/09v bloß ein auf das Land verlagerter Schaden und daher als bloß mittelbarer
Schaden nicht ersatzfähig sein. ME sollte die öffentliche Hand – und zwar unabhängig davon,
ob Legalzessionen einen Übergang der Ersatzansprüche vorsehen – nicht zugunsten der Versicherungswirtschaft mit diesen Aufwendungen belastet werden. Richtigerweise gehören diese
Kosten noch zum Kreis der ersatzfähigen Schäden, wenn dadurch ein sonstiger Verdienstentgang
infolge Arbeitslosigkeit vermieden wird.
C. „Kind als Schaden“ und entgangene Urlaubsfreude
Unter dem Schlagwort „Kind als Schaden“ versteht man die Fälle, in denen die Geburt eines 14
Kindes entweder infolge eines ärztlichen Fehlers, einer fehlgeschlagenen Verhütung („wrongful
conception“) oder mangelhafter Aufklärung über besondere Risiken für Mutter und Kind (z B Behinderung; „wrongful life“) einen erhöhten (Unterhalts)aufwand bewirkt (vgl schon 2 Ob 557/93:
Täuschung über Empfängnismöglichkeit; 1 Ob 91/99k: behinderungsbedingter Mehraufwand;
s auch jüngst 7 Ob 214/11p: Trisomie 21 – tendenziöse und suggestive „Aufklärung“ über Fruchtwasserpunktation – ob Mutter Gefahr laufen wolle, gesundes Kind zu verlieren). Bei den beiden
Kategorien, „wrongful birth“ und „wrongful conception“, bestehen in ethischer, aber auch rechtlicher Hinsicht gravierende Unterschiede. In der Rspr hat der OGH zu Recht festgehalten, dass
bei Geburt eines gesunden Kindes kein Schadenersatz gebührt, weil kein Schaden iSd § 1293 vorliege (6 Ob 101/06f: Vasektomie, bei existentieller Notlage könnte anderes gelten; 6 Ob 148/08w:
Geburt von Drillingen anstelle von Zwillingen nach künstlicher Befruchtung). Bei Geburt eines
behinderten Kindes ist der behinderungsbedingte Mehraufwand zu ersetzen (1 Ob 91/99k); in
jüngeren E wurde der gesamte Unterhalt zugesprochen (5 Ob 165/05h; 5 Ob 148/07m). Folgt man
der Begründung in 5 Ob 148/07m (Schutzzweck des Vertrags mit Arzt), müsste konsequenterweise auch bei Geburt eines gesunden Kindes der Unterhaltsaufwand ersetzt werden (so auch ein
Teil der L). Folgt man jedoch der Begründung in 6 Ob 101/06f (was begrüßenswert und rechtlich
vertretbar ist), ist auch bei Geburt eines behinderten Kindes nur der Unterhaltsmehraufwand zu
ersetzen.
Zusammengefasst hält der OGH bei „wrongful birth“ den behinderungsbedingten Mehraufwand für ersatzfähig, wobei noch die Begründungen der E teils unterschiedliche Einschränkungen
machen, was in der L kritisiert wird (1 Ob 91/99k: außergewöhnliche Belastung; 6 Ob 303/02f:
krasses ärztliches Fehlverhalten; 5 Ob 148/07m: wirtschaftliche Notlage der Geschädigten oder
krasses ärztliches Fehlverhalten). In Fällen der „wrongful conception“ ist eine Haftung zu verneinen (ausgenommen bei besonders angespannten finanziellen Verhältnissen der Geschädigten:
8 Ob 148/08w). Das BMJ hat 2011 einen Ministerialentwurf eines Schadenersatzrechts-Änderungsgesetzes (255 ME 24. GP) vorgestellt, nach welchem § 1293 ein Abs 2 angefügt werden soll.
Danach soll aus dem Umstand der Geburt eines Kindes niemand Schadenersatzansprüche geltend
machen; ausgenommen bei Verletzung des Kindes während der Schwangerschaft oder der Geburt.
Dieser Entwurf wird in der L großteils kritisiert; es sei nicht einsichtig, wieso eine Lösung zulasten der Kinder und zugunsten der Ärzte – die sich durch eine Haftpflichtversicherung absichern
können – gerechtfertigt sei.
Zur Haftung des Versicherers mangels (nachvertraglicher) Warnung des Gynäkologen über
die Notwendigkeit, seine Haftpflichtversicherung infolge dieser Rspr anzupassen, s 7 Ob 72/11f.
Schwimann (Hrsg.), ABGB Taschenkommentar2, LexisNexis
abgb-takom.lexisnexis.at/1071