BRIEFE TIERVERSUCHE Wirtschaftsorganisationen wollen mit einem neuen Projekt zu einer Versachlichung der Diskussion über Tierversuche beitragen (DÄ 39/2016: „Informationsprojekt soll Diskussion versachlichen“). Alternativen entwickeln Der Tierversuch, in vielfältiger Ausprägung, ist als Modellversuch etabliert. Weltweit wurden in den letzten Jahrzehnten Hunderte Millionen von Tieren im Tierversuch eingesetzt und getötet. Längst müsste die Frage gestellt sein, ob der industrialisierte Tierversuch, dieses milliardenschwere Geschäft, ursächlich die Qualität der Versorgung des Menschen verbessert hat oder ob er nicht eine jahrzehntelange Verschwendung von Geld, Zeit und Forschungskapazität bedingt hat. Aber ist der Tierversuch überhaupt valide? Wir verstehen die Tiermodelle, derer wir uns für die Tests bedienen, gar nicht in ihrer Komplexität, denn Tiere sind keine normierten Messinstrumente. Sie schütten zum Teil schon unterschiedliche Mengen an Stresshormonen aus, je nachdem ob ein Mann oder eine Frau sie hochnimmt, um an ihnen zu manipulieren. Zu welchen Verfälschungen der Daten führt das? Ignorieren wir konsequent die Fehler? Welche Erkenntnisse sind dem Menschen durch Tierversuche schon vorenthalten worden? Über 90 Prozent der im Tierversuch geprüften möglichen Wirkstoffe fallen in der (anschließenden) klinischen Testung am Menschen durch. Entweder wegen mangelnder Wirksamkeit oder wegen schwerwiegender unerwünschter Wirkungen (US: Food and Drug Administration Report 2004, 8). Welche Industrie würde ein solches Modell, das in über 90 Prozent versagt, zur Basis ihres Handelns machen? Im Tierversuchssystem mangelt es außerdem an Transparenz, an Kontrollen und dem Zwang zur zentralen Erfassung aller Tierversuche, um Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Unsere Wissenschaftler haben eine große Verantwortung für kranke Menschen und entschuldigen die Tierquälerei in der Wissenschaft oft mit dem Versuch, Men- schenschicksale verbessern zu wollen, aber sie haben gleichzeitig eine große Verantwortung für das Wohlergehen jedes einzelnen ihrer Versuchstiere, die sie für ihre Versuche vorsätzlich krank machen, teilweise sehr schwer leiden lassen oder denen sie alles nehmen, was ein Tier besitzen kann: Das Recht als Tier zu leben. Ist es nicht wissenschaftlicher, intelligenter und ethischer, die Entwicklung valider Alternativen zum Tierversuch voranzutreiben? Beim WIST Kongress im Oktober in Köln wurde zum Beispiel auf die Mehrorganchips verschiedener Firmen aufmerksam gemacht: humane Zellkulturen, Human-on-a-chip-Technik mit Miniorganen bis zum Minigehirn. Unsere gesellschaftlichen Vertreter, zum Beispiel auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, sollten die Gelder aus der Tierversuchsindustrie massiv umschichten zur Erforschung alternativer Techniken. Der Tierversuch wird obsolet werden. Je früher wir uns von ihm trennen, umso weniger Tiere werden noch leiden müssen. Dr. med. Christina Gerlach-Schweitzer, 53127 Bonn
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