Das Manuskript zum Beitrag

Manuskript
Beitrag: Gespaltene Staaten von Amerika –
Die Wut auf das Establishment
Sendung vom 1. November 2016
von Johannes Hano
Anmoderation:
Früher war alles besser. Früher konnte man klein anfangen und
groß rauskommen. Früher, damit beginnen die Sätze vieler
Amerikaner, die heute nicht mehr an den Traum vom Aufstieg
glauben. Millionen fühlen sich abgehängt, verraten und verkauft
von denen da oben, denen sie früher ihre Stimme gegeben
hatten, Republikaner oder Demokraten gleichermaßen. Wen
werden diese Menschen diesmal, in nur noch sieben Tagen,
wählen? Unser USA-Korrespondent Johannes Hano reiste durch
die gespaltenen Staaten von Amerika, vereinigt in der Wut auf
das Establishment.
Text:
Wir sind irgendwo in den Bergen von Pennsylvania, der Feldweg
vier Wochen zuvor erst durch den Wald geschlagen. Wir sind auf
dem Weg zu einem Treffen der Oath Keepers, der Eid-Bewahrer,
für manche in den USA eine terroristische Vereinigung. Mit
amerikanischen Medien wollen sie nichts zu tun haben, die seien
Teil des politischen Establishments, dem man nicht vertrauen
könne.
O-Ton Stewart Rhodes, Chef Oath Keeper Miliz:
Du hörst sehr wenig von den Medien, egal ob links oder
rechts, über die Zentralbank und die Korruption bei den
Rettungsaktionen für die Banken. Die Bewegung „Occupy
Wall Street“ lag sehr richtig mit ihrer Kritik an den Medien,
dass die nicht über diese wichtigen Dinge berichten. Bernie
Sanders und seine Leute hatten absolut recht, als sie die
Korruption und das Wegschauen der Medien kritisiert haben.
Stewart Rhodes hat einen Jura-Abschluss der Elite Universität
Yale, ist Gründer der Oath Keepers, einer Miliz, die sich überall in
den USA ausbreitet. Mindestens 30.000 aktive Mitglieder wollen
sie nach eigenen Angaben haben - und alle schwer bewaffnet.
Sie trainieren „Search and Rescue“-Operationen, bereiten sich
darauf vor, Widerstand zu leisten gegen ein System, das ihrer
Meinung nach aus den Ruder gelaufen sei und nicht mehr den
Interessen der Bürger diene. Rhodes selbst hatte sich politisch
einmal für Republikaner engagiert, aber damit sei es seit George
W. Bush vorbei.
O-Ton Stewart Rhodes, Chef Oath Keepers Miliz:
Ich konnte das nicht mehr ertragen. Das war, als würde ich
zu einer Nazi-Partei gehen. Der Präsident konnte machen,
was er wollte, Menschen foltern oder töten lassen, selbst
Amerikaner - immer im Namen des Kampfes gegen den
Terror. Die immer stärkere Überwachung durch die NSA, die
uns alle ausspioniert. Sie nutzen Facebook, um zu verfolgen,
was wir tun. Egal welche Regierung – ob links oder rechts.
Antwort des Führers einer Miliz, die zumindest behauptet, sie
würde auch mit der Waffe Widerstand gegen die Aushöhlung der
US-Verfassung leisten.
Was sind das für Menschen, die sich in die Arme solcher
Gruppen begeben, die das politische Establishment so radikal
ablehnen. Einer von ihnen ist der Allen Lardieri, Veteran der USArmee, arbeitet Untertage in einer Kohlemine. Wir haben uns mit
ihm in West Virginia in seiner Heimatstadt Logan verabredet.
Logan war einmal eines der Zentren der Kohleindustrie in West
Virginia – heute zu großen Teilen eine Geisterstadt. Viele der
einst stolzen Minenarbeiter sind arbeitslos oder drogenabhängig.
Der Arbeitsmarkt habe sich dramatisch verändert.
O-Ton Allen Lardieri, Minenarbeiter:
Walmart ist hier in West Virginia mittlerweile der größte
Arbeitgeber. Als Minenarbeiter konntest du 100.000 Dollar
verdienen. Jetzt bekommst du hier gerade nochmal ein
Viertel davon, wenn du deinen Job in der Kohlemine verloren
hast.
Sie fühlen sich im Stich gelassen, verraten und verkauft von
denen, die sie Jahrzehnte lang gewählt haben. Die würden alle
nur noch den Interessen der Superreichen und ihrer Lobbys
folgen, da sind sich der Allen, der Milizionär, und der linke
Kaffeehausbesitzer Michael einig.
O-Ton Michael Cline, Kaffeehausbesitzer:
Die Medien portraitieren uns als Leute, die sich auf einer
Trump- oder Hillary-Demo gegenseitig abstechen. Aber wir
sind nur zwei, die unterschiedliche Auffassungen haben und
miteinander Kaffee trinken können – so ist das in
Wirklichkeit. Sie tun so, als sei das ein ewiger Kampf
zwischen uns, aber wir wollen nur Antworten auf die gleichen
Probleme.
O-Ton Allen Lardieri, Minenarbeiter:
Eines der Probleme ist definitiv, dass wir politisch nicht mehr
repräsentiert werden - ausgelöst durch Lobbying oder ganz
einfach Spenden superreicher Individuen.
O-Ton Michael Cline, Kaffeehausbesitzer:
Die Welt, Amerika, wird durch das Bankensystem regiert. Die
Regierung ist nur noch Scharade. Während wir über rechts
gegen links reden, lachen die sich ins Fäustchen.
Überall im Land formiert sich Widerstand gegen die politischen
Eliten und die, die sie bezahlen – auch an Orten, an denen man
das auf den ersten Blick so nicht recht vermutet.
O-Ton Julia Leglar, Democracy Spring:
Wenn man dem Geld folgt, findet man das Problem: das Geld
in der Politik. Unsere Politiker und unsere Regierung haben
sich verkauft.
Im Garten der Villa, die den Eltern der Miss New Jersey gehört,
haben sie sich an diesem Wochenende versammelt - Aktivisten
aus dem ganzen Land.
Eine von ihnen, Kyle Amser, erzählt ihre Geschichte und warum
es wichtig sei zu kämpfen. Sie ist 26 Jahre alt und schon jetzt so
hoch verschuldet, dass ihr Leben den Banken gehört. Die Kosten
für die Krebstherapie der Mutter und die Krankenhauskosten für
den Vater, der nach einem Verkehrsunfall monatelang behandelt
werden musste, haben sie und die Familie ruiniert, erzählt sie
uns, und oben drauf käme noch der Kredit für das Studium, das in
den USA privat finanziert werden muss.
O-Ton Kyle Amser, Democracy Spring
Ich habe 45.000 Dollar Schulden für einen Studienkredit, das
ist ein sehr großes Problem für mich. Und dann die Kosten
für Chemotherapie und Medikamente – Tausende von Dollar
für Krankenhausaufenthalte. Für eine Nacht in der
Notaufnahme zahlst du locker 4.000 Dollar. Aber wenn du
Student bist, einen Kredit bedienen musst und unter
Mindestlohn verdienst, wie sollst du das bezahlen?
Sie sind gekommen, um gemeinsam Strategien für den zivilen
Ungehorsam zu entwickeln. Strategien, die sei dann an ihre
lokalen Gruppen in Kalifornien, Texas, Ohio, New York oder
Washington weitergeben. Und ihr Ziel ist klar:
O-Ton Nicole Vilencia Hazard, Democracy Spring:
Kannst du dir vorstellen, dass vor jedem Parlament in jedem
Bundesstaat gleichzeitig Hunderttausende Menschen
demonstrieren und gegen die korrupte Verbindung von
großem Geld und Politik protestieren? Was für eine große
Auswirkung das auf die Führung unseres Landes haben
könnte?
Im April gab es einen Vorgeschmack auf das, was die Bewegung
“Democracy Spring” auf das ganze Land ausweiten will - den
Marsch auf das Kapitol in Washington. Tagelang blockieren sie
das amerikanische Parlament. Ihr Schlachtruf: Wir sind die 99
Prozent. Mehr als 1.000 Demonstranten werden schließlich
verhaftet, darunter Kai Newkirk, einer der Gründer der
Organisation.
O-Ton Kai Newkirk, Gründer Democracy Spring:
Eigentlich sollte der Kongress ja das Haus des Volkes sein.
Aber weil er so korrupt ist, repräsentiert er nur noch das
obere Prozent der Gesellschaft, die Top-Spender, die ihr Geld
in politische Entscheidungen ummünzen können, die ihnen
nutzen und nicht mehr uns.
Ob sie sich den vorstellen können, auch mit Konservativen und
Milizen zusammenzuarbeiten, wollen wir noch wissen.
O-Ton Kai Newkirk, Gründer Democracy Spring:
Wir reichen allen die Hände. Wenn wir die gleiche Mission
haben, kämpfen wir zusammen.
Und auch für Allen, den Minenarbeiter ist klar dass man
zusammenarbeiten muss.
O-Ton Allen Lardieri, Minenarbeiter:
Der Feind sind nicht die auf der anderen Seite des Tisches.
Wir werden gemeinsam bedroht, wir haben einen
gemeinsamen Feind.
Was sie zusammen bringt, ist die Wut auf ein korruptes System,
wie sie sagen. Aber ist es so einfach oder nur krude
Verschwörungstheorie? Kann es sein, dass politische
Entscheidungen in der stärksten Demokratie der Welt schlicht
gekauft werden?
Bei unseren Recherchen entdecken wir ein System, in dem
Milliardäre und Lobbyisten Milliarden in Wahlen und
Entscheidungsprozesse stecken, von dem Insider sagen, es
würde sogar die Mafia neidisch machen.
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