SWR2 Wissen

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
ARD Themenwoche: Zukunft der Arbeit
SWR2 Wissen
Arbeit um jeden Preis
Nepalesische Wanderarbeiter in Katar
Von Esther Saoub
Sendung: Montag, 31. Oktober 2016, 8.30 Uhr
Redaktion: Udo Zindel
Regie: Günter Maurer
Produktion: SWR 2016
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MANUSKRIPT
Flughafen
Erzählerin:
„Willkommen in Katar“, steht auf großen Schildern im internationalen Flughafen von
Doha. Doch das riesige Gebäude wurde nicht von Bürgern des Emirats am
Persischen Golf, sondern von Arbeitsmigranten entworfen und gebaut. Die meisten
kommen aus armen Regionen Indiens und Nepals. Sie arbeiten für lächerliche
Gehälter, in völliger Abhängigkeit vom Arbeitgeber. Die Generalsekretärin des
Internationalen Gewerkschaftsbundes, Sharan Burrow, spricht „von moderner
Sklaverei“ in einem der reichsten Länder der Welt.
Ansage:
Arbeit um jeden Preis – Nepalesische Wanderarbeiter in Katar
Ein Feature von Esther Saoub
Flughafen
Erzählerin:
Der Polizist an der Passkontrolle ist für lange Zeit der letzte katarische Staatsbürger,
den ich treffe. Sie sind eine Minderheit im eigenen Land, 75 Prozent der Bevölkerung
sind Arbeitsmigranten. Auch das Taxi in die Stadt fährt ein Arbeitsmigrant. Dambar
Bahadur Rai aus Nepal. Gemessen an der Einwohnerzahl schickt kein Staat so viele
Arbeiter nach Katar wie das kleine Land am Himalaya.
Der Verkehr auf der vierspurigen Straße zum Zentrum fließt geordnet,
Geschwindigkeiten sind genau geregelt. Trotzdem brettert links viel zu schnell ein
Geländewagen vorbei. „Katari“ murmelt Dambar Rai und lächelt. Offensichtlich hat er
sich daran gewöhnt, dass in diesem Land mit zweierlei Maß gemessen wird. Rais
Monatslohn – umgerechnet 500 Euro – könnte der Katari im Geländewagen an
einem Abend ausgeben.
O-Ton Rai / Übersetzer:
Wir müssen am Tag mindestens 265 Rial Umsatz bringen, das sind 66 Euro. Wenn
es einen Tag nicht zusammen kommt, müssen wir das am nächsten Tag
ausgleichen. Am Ende des Monats rechnet die Firma den Verdienst zusammen.
Erzählerin:
Was passiert, wenn du keine 265 Rial einnimmst?
O-Ton Rai / Übersetzer:
Wenn man arbeitet, kriegt man das Geld schon zusammen. Aber die, die es mehrere
Monate nicht schaffen, werden beobachtet und nach drei Monaten wird ihr Vertrag
beendet, dann müssen sie nach Hause. Es werden auch Strafen fällig, für jeden Tag
unter dem Mindestumsatz bis zu 100 Rial, knapp 25 Euro.
Erzählerin:
Dambar Rai ist 35 und fährt seit drei Jahren Taxi in Katar. Davor arbeitete er
jahrelang in Saudi-Arabien und Dubai.
2
O-Ton Rai / Übersetzer:
Als ich die 10. Klasse bestanden hatte, ist mein Vater gestorben. Ich konnte das
College also nicht zu Ende machen. Ich musste meine Mutter unterstützen und
meinen Geschwistern ein Studium finanzieren. Deshalb habe ich beschlossen, ins
Ausland zu gehen um Geld zu verdienen. Viele Nepalesen gingen weg, um ihren
Familien zu helfen. Ihnen habe ich mich angeschlossen.
Taxi, Doha
Erzählerin:
Dambar Rai ist einer von rund 1,7 Millionen Arbeitsmigranten in Katar. Seit in den
60er-Jahren Öl und Gasvorkommen entdeckt wurden, boomt der Wüstenstaat.
Katars Hauptstadt Doha hat sich in wenigen Jahrzehnten vom Fischerdorf in eine
Metropole verwandelt Zwischen der arabischen Wüste und dem Ufer des Persischen
Golfs steht eine Wand aus glitzernden Hochhäusern – auch sie entworfen, geplant
und gebaut von Arbeitsmigranten.
Stadt
Erzählerin:
Dambar Rai, der Taxifahrer, hat noch Schicht bis morgens um vier. 11 Stunden
arbeitet er am Stück, mit einer Stunde Pause. Danach fährt er ins firmeneigene
Quartier, isst, schläft, geht zur nächsten Schicht. Sechs Tage die Woche. Von seinen
500 Euro Lohn schickt er 450 nach Nepal – an seine Mutter, die Geschwister, seine
Frau und eine Tochter, die er seit Jahren nicht gesehen hat. Alle fehlen ihm, sagt er –
besonders die Tochter, sie sei so klein und süß.
O-Ton Rai / Trenner
Erzählerin:
Kurz nach meiner Ankunft im Hotel hält vor dem Foyer wieder ein Taxi: Mustafa
Qadri steigt aus. Er arbeitet für Amnesty International in London. Seit Jahren kritisiert
die Menschenrechtsorganisation die Arbeitsbedingungen in Katar. Fotografiert
heimlich überfüllte Unterkünfte, verdreckte Küchen, kaputte Duschen. Auch der
Internationale Gewerkschaftsbund hat Katar wiederholt kritisiert, Journalisten wurden
sogar festgenommen, weil sie heimlich in den Quartieren der Arbeiter gefilmt haben.
Katars Regierung und das Komitee, das für die die Fußball-Weltmeisterschaft 2022
zuständig ist, versprachen Besserung. Im März 2016 hat nun Amnesty International
einen neuen Bericht veröffentlicht, der hohe Wellen schlug. Der Herausgeber,
Mustafa Qadri, konnte nachweisen, dass auf einer WM-Baustelle immer noch
Arbeiter ausgebeutet werden, unbezahlte Überstunden machen und in kleinen,
dreckigen Quartieren leben. „Die hässliche Seite des schönen Spiels“ hat Qadri den
Bericht genannt, für den er 244 Bauarbeiter auf der Baustelle des Khalifa-Stadions
und im angrenzenden Park befragt hat.
O-Ton Qadri / Übersetzer:
Die Arbeiter, mit denen ich geredet habe, haben den Rasen gesät, auf dem der
berühmte Fußball-Verein Bayern München gespielt hat. Die Arbeiter hausten zu
zwölft oder vierzehnt in einem Zimmer, ihnen wurden die Pässe abgenommen. Jeder
von ihnen hat 4500 Dollar bezahlt, um einen Job zu kriegen, mit dem sie 120 Dollar
im Monat verdienen.
3
Erzählerin:
Es ist kein offiziell beantragtes Interview – wir treffen uns scheinbar beiläufig im
Hotel, am Abend vor Qadris Rückflug nach London. Er war zu einer UN-Konferenz
über Business und Menschenrechte nach Katar eingeladen. Auch so etwas gibt es in
diesem schillernden Emirat. Die Regierung will deutlich machen, dass sie sich
kümmert. Sie hat das Arbeitsgesetz reformiert, bessere Sozialstandards eingeführt.
Langsam tue sich was, sagt Qadri. Aber die Grundprobleme der
Zweiklassengesellschaft seien längst noch nicht gelöst.
O-Ton Qadri / Übersetzer:
Sprechen Sie mit einem Taxifahrer, mit irgendeinem Arbeitsmigranten hier, fragen
Sie ihn: Wie viel von deinem Lohn schickst du nach Hause? Ich bin sicher, er wird
antworten: alles. Es geht nicht nur darum, ob sie hier verdreckte Küchen haben oder
ihren Lohn nicht bekommen, es geht um die menschliche Ebene. Wir reden über das
Leben von Millionen Menschen! Das ist einfach nicht gerecht.
Trenner / Schleifen
Erzählerin:
Bis 2022 soll der Umbau des Khalifa-Stadions fertig sein. Eine von 12 hochmodernen
Sportarenen, die für die Fußball-Weltmeisterschaft um- oder neu gebaut werden.
Überall in Doha stehen Kräne, öffnen sich Baugruben. Dazwischen wimmeln Arbeiter
mit Helmen und Leuchtwesten. In den vergangenen Jahren häuften sich Berichte von
Menschenrechtlern, Gewerkschaftern und Journalisten über Unfälle und Todesfälle
ausländischer Arbeiter in Katar. Mit einem Mal interessierte sich die ganze Welt für
die Bedingungen der Wanderarbeiter. Auch die Arbeitgeber achten nun auf
Sicherheit.
Arbeitszeiten bis zu 12 Stunden und bei bis zu 50 Grad im Schatten sind dagegen
immer noch nichts Ungewöhnliches. Beschwerden gibt es kaum. Die Arbeiter haben
die ausbeuterischen Verträge schon in ihren Heimatländern unterschrieben, ihre
finanzielle Not lässt ihnen keine Wahl.
Weltweit verlassen immer mehr Menschen ihre Heimat und ihre Familien, um im
Ausland Geld zu verdienen. Viele dieser Arbeitsmigranten verschulden sich, um an
einen Vertrag zu kommen, sie zahlen überhöhte Gebühren privater Arbeitsvermittler.
Andere erhalten im Ausland weniger Lohn als versprochen. Und selbst
Erfolgsgeschichten haben einen hohen Preis: Die Entfremdung von der Familie.
Die rund 250 Millionen Arbeitsmigranten weltweit wären – zusammengenommen –
die fünftgrößte Nation der Erde. Aber sie haben keine Stimme. Und die wenigen
Mutigen, die ihnen eine geben wollen, müssen dies oft im Verborgenen tun. Durch
die Vermittlung des Internationalen Gewerkschaftsbundes ITUC in Brüssel treffe ich
einen Nepalesen in Doha, der sich heimlich für die Rechte der Arbeiter einsetzt. Er ist
klein, energisch, mit einem ziemlichen Stottern, aber sehr präzisen Aussagen.
O-Ton Arjun / Übersetzer:
In Nepal fangen die Leute an zu träumen – sie glauben, sie kommen zu einer guten
Firma, die sie ordentlich unterbringt. Die Arbeiter denken: „Ich verdiene dort sehr viel,
jeden Monat kann ich was sparen und dann werde ich ein reicher Mann zu Hause“.
Aber wenn die Leute hier in Katar ankommen, stimmt nichts davon. Der Lohn ist
niedrig. Alles ist anders.
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Erzählerin:
Ich nenne ihn Arjun, sein richtiger Name soll geheim bleiben. Auch der der
Organisation, die ihn finanziert. Offiziell ist er mit einem Besuchervisum hier, die
nepalesische Botschaft in Doha kooperiert, weiß aber längst nicht alles. Ich
interviewe ihn im Hotel. Durch die Fenster schauen wir auf die Großbaustelle einer
U-Bahnstation. Die Tunnel gräbt eine Bohrmaschine der Firma Herrenknecht aus
Baden. Tag und Nacht wird gearbeitet. Am frühen Morgen und jetzt, am Nachmittag,
ist Schichtwechsel. Wir sehen, wie Busse auf den Sandplatz neben der Baustelle
rollen. Die Bauarbeiter steigen aus, alle im gleichen Blaumann mit neongelber
Weste. In der einen Hand einen Henkelmann, in der anderen den Helm.
Ausgeschlafen sehen sie nicht aus.
O-Ton Arjun / Übersetzer:
Die meisten Arbeiter machen zwei bis drei Überstunden am Tag, oft unbezahlt. Und
viele sind weit entfernt von der Baustelle untergebracht. Nach 11 Stunden Arbeit
müssen sie noch auf den Bus warten, der sie zum Quartier bringt. Der kommt erst,
wenn die neue Schicht anrückt. Und Wartezeit wird nicht bezahlt.
Erzählerin:
Manche Arbeiter erhalten monatelang keinen Lohn – manche Firmen kümmern sich
nicht darum. Die Arbeiter könnten ihren Lohn einklagen. Aber wie macht man das in
einem Land, dessen Sprache man nicht lesen oder sprechen kann? Hier hilft Arjuns
Organisation.
O-Ton Arjun / Übersetzer:
Wir suchen unter den Nepalesen hier nach Arbeitern, die Schwierigkeiten haben, die
zu Opfern geworden sind. Wir nehmen sie mit zur nepalesischen Botschaft oder vors
Arbeitsgericht. Wir erklären ihnen, welchen Klageweg sie gehen können, welche
Gesetze in Katar gelten, welche Rechte sie haben und was verboten ist.
Erzählerin:
Und was sagen die katarischen Behörden dazu?
O-Ton Arjun / Übersetzer:
Für Katar sind wir illegal!
Trenner / Unterkunft
Erzählerin:
Am nächsten Tag fahre ich in die Wüste vor der Stadt. Keine glitzernden Bürotürme,
bewässerten Grünstreifen oder Palmenalleen mehr. Hier draußen sind die Straßen
holprig – Sand und Steine, soweit das Auge reicht. Aber keine vom Wind geformten
Wüstendünen, sondern von Fahrzeugen zerfurchte Ebenen, über die sich nur
abgeladene Kieshaufen und altes Baugerät erheben.
Dambar Rai, der nepalesische Taxifahrer, fährt mich. Wir kommen an seiner
Unterkunft vorbei, einer Ansammlung riesiger Betongebäude, gestrichen in den
Farben des Taxiunternehmens. Wie ein überdimensioniertes Studentenwohnheim,
nur für Männer.
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O-Ton Rai / Übersetzer:
Unsere Unterkunft ist in Ordnung. Nette Sicherheitsleute, Wasser, Strom,
Klimaanlagen. Ich kann mich nicht beklagen. Alle Fahrer sind zufrieden. Es gibt eine
neuere Unterkunft, mit vier Personen pro Zimmer, aber bei uns sind wir zu sechst.
Wenn wir essen wollen, gibt es drei Kantinen.
Erzählerin:
Ausländische Besucher wie mich darf Rai in seinem Wohnheim allerdings nicht
empfangen. Das verhindern die netten Sicherheitsleute. Essen, schlafen und Freizeit
– alles ist fremdbestimmt im Leben der Arbeitsmigranten.
Wo sie wohnen, entscheidet die Firma. Im Vertrag klingt das hübsch: Unterkunft
inklusive. Wie die aussieht, erfahren die Migranten allerdings erst, wenn sie in Katar
ankommen. Viele Bauarbeiter haben weniger Glück als die Taxifahrer. Sie hausen in
Baracken, zweistöckig, dicht gedrängt und dreckig. Auf allen Geländern hängt
Wäsche, die Zimmer sind winzig. Die Luft flimmert vor Hitze – es riecht nach Müll und
Abgasen der nahen Autobahn. Am einzigen freien Tag ihrer Arbeitswoche sind sie
hier draußen in der Wüste gefangen. Die Fahrt in die Stadt dauert mehr als eine
Stunde und ist zu teuer.
Die privaten Arbeitsvermittlungen in Nepal versprechen den Arbeitern hohe Löhne
und gute Unterkünfte – Bedingungen, die sie später nicht einhalten. Und: sie nehmen
Geld für ihre Dienste. Völlig überhöhte Vermittlungsgebühren.
O-Ton Rai / Übersetzer:
Für meinen ersten Auslandsaufenthalt habe ich 85.000 Rupien bezahlt, gut 700
Euro. Die habe ich mir geliehen von einem Nachbarn. Zu 24 Prozent Zinsen! Leider
haben wir da ein Problem in unserem Land. Die Agentur darf so viel Geld gar nicht
verlangen. Sie schreibt eine Quittung über einen geringeren Betrag, verlangt aber in
Wirklichkeit mehr. Die Regierung versucht zwar, das zu verhindern, aber ohne Erfolg.
Erzählerin:
Die Regierung Nepals steckt seit dem Erdbeben vom Frühjahr 2015 noch tiefer in der
Krise als vorher. Der nepalesische Staat schaut hilflos zu, wie seine Bürger ins
Ausland abwandern und ausgebeutet werden.
Trenner / Kathmandu Amt
Erzählerin:
Vor dem Amt für Auslandsbeschäftigung in Kathmandu stehen lange Schlangen. Ein
Kollege hat diese Szenen für mich aufgenommen. Durchschnittlich 2.000 junge
Männer beantragen hier jeden Tag eine Arbeitsgenehmigung fürs Ausland. Sie
brauchen dafür das Anforderungsschreiben einer ausländischen Firma. Die Männer
haben müde Gesichter, halten jeder einen Stapel Papier in der Hand, und tragen
bereits Schulden mit sich herum: Der Pass hat Geld gekostet, der Arbeitsvermittler
hat unzulässige Gebühren kassiert.
Einer der Wartenden wird aufgerufen. Durch ein Fenster reicht ihm der Beamte den
Pass mit Aufenthaltsgenehmigung für Katar.
Kathmandu Rufen
Erzählerin:
Besonders fröhlich wirkt er nicht.
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O-Ton Wartender / Übersetzer:
Ich bin nicht zufrieden. Ich gehe, weil meine Familie arm ist, deshalb muss ich dort
arbeiten. Ich bin eben nicht reich …
Erzählerin:
4.300 Dollar Jahreseinkommen wurden ihm versprochen. Nun fährt er mit 1.000
Dollar Schulden. Der Mann neben ihm wirkt auch nicht begeistert von der
bevorstehenden Reise:
O-Ton Wartender / Übersetzer:
Niemand will seine Familie verlassen. Aber wir haben keine Wahl. Wenn du an deine
Familie denkst, an die Zukunft deiner Kinder, dann musst du gehen. Auch wenn es
hart ist!
Amt
Erzählerin:
Madhubilas Pandit, der Amtsleiter, wirkt nicht hoffnungsvoller als die jungen Männer
um ihn herum.Täglich sieht er mit an, wie genau die Menschen sein Land verlassen,
die am dringendsten gebraucht würden: die Jungen. Offiziell arbeiten viereinhalb
Millionen Nepalesen im Ausland – aber das sind nur diejenigen, die ihre Ausreise
registrieren lassen. Pandit schätzt, dass die Zahl in Wirklichkeit mindestens doppelt
so hoch ist. Das wäre dann mehr als die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung.
O-Ton Pandit / Übersetzer:
Wir hatten ja die Katastrophe hier, das große Erdbeben. Deshalb schulen wir jetzt die
Leute, dass sie hier Arbeit finden und nicht ins Ausland gehen. Wir geben ihnen
sogar ein Startkapital, aber uns fehlen die Mittel und deshalb können wir nur wenige
beschäftigen. Also müssen wir sie eben ins Ausland ziehen lassen.
Kathmandu Stadt
Erzählerin:
Im Zentrum von Kathmandu zeigt sich deutlich die Krise, in der das Land steckt: Vom
Erdbeben beschädigte Hindutempel sind nur notdürftig abgestützt. Immer wieder fällt
der Strom aus. Autos sieht man kaum – Benzin ist knapp und teuer. Das
Durchschnittseinkommen liegt unter 700 Euro im Jahr. Die Hälfte der Nepalesen
kann weder lesen noch schreiben.
Auf dem Land ist die Situation noch hoffnungsloser – und je größer die Not, desto
leichter das Spiel für private nepalesische Agenturen, die Arbeiter fürs Ausland
anwerben. Versprechen vom schnellen Geld locken Männer an den Persischen Golf
– viele kehren von dort verschuldet zurück.
Trenner
Erzählerin:
Arjun, der illegale Gewerkschafter in Katar, kennt viele solche Geschichten. Die
Arbeiter sind schlecht informiert, erzählt er. Sie glauben den privaten Vermittlern,
wenn die ihnen Gebühren in Rechnung stellen, die eigentlich gar nicht anfallen
dürften.
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O-Ton Arjun / Übersetzer:
Die Arbeitgeber in Katar schicken kostenlos Visa und Flugtickets nach Nepal. Aber
die Rekrutierungsagenturen verlangen von den Arbeitern Geld dafür. Manche
nehmen 700 Euro und stellen dann eine Quittung über 90 Euro aus. Dabei müssten
Arbeiter dem Gesetz nach für ihr Ticket und Visum nichts bezahlen, darauf haben
sich die Regierungen von Nepal und Katar verständigt. Aber nur 5 Prozent der
Agenturen respektieren das, 95 Prozent sind unseriös, sehr unseriös.
Baustellen Doha
Erzählerin:
Auf den Baustellen in Katars Hauptstadt wehen auch Fahnen mit deutschen Namen
– Züblin, Siemens und einer der weltgrößten Baukonzerne: Hochtief aus Essen.
Hochtief hat hier 2009 ein gigantisches Gewerbe-Gebiet gebaut und bohrt nun die
Tunnel für das neue Abwassersystem in Doha.
Hochtief Büro
Erzählerin:
Nach längerem Zögern ist der Regionalchef der Firma, Helmut Landahl, zu einem
Interview bereit. Aus Deutschland reist eigens ein Pressesprecher an, die Fragen
werden vorher genau abgesprochen.
O-Ton Landahl:
Erst neulich wieder waren zwei Mitarbeiter von uns unterwegs in Indien, in Nepal, in
Thailand, haben dort Rekrutierungsfirmen aufgesucht, und die darauf verpflichtet,
unsere Standards einzuhalten. Das bedeutet in dem Zusammenhang jetzt
insbesondere, dass die Firmen sich dazu verpflichten, von den einzustellenden
Arbeitern kein Geld anzunehmen. Weil wir es klar gemacht haben, sämtliche
Rekrutierungsgebühren werden von uns bezahlt.
Erzählerin:
Hochtief versucht die eigenen ethischen Standards soweit es geht auf Katar zu
übertragen. Der Konzern zahlt die Löhne pünktlich und bringt die Arbeiter in einer
Vorzeigestadt unter. Gleichzeitig hütet sich Helmut Landahl davor, Katars Gesetze zu
kritisieren. Im Zentrum dieser Gesetze steht ein System, das es nur am Persischen
Golf gibt: Kafala, zu Deutsch Bürgschaft.
Jeder Ausländer in Katar braucht einen Einheimischen als Bürgen, sogar der
deutsche Regionalchef von Hochtief oder die australische Universitätsprofessorin.
Kafala legt Aufgaben, die bei uns der Staat regelt, in die Hände der Arbeitgeber. Und
damit auch die Verantwortung für das Wohlergehen der Angestellten. Mustafa Qadri
von Amnesty International kritisiert, dass auch ein neues, reformiertes Arbeitsgesetz
an diesen Zuständen nicht rüttelt:
O-Ton Qadri Kafala / Übersetzer:
Jeder Ausländer, der in diesem Land lebt, braucht einen Bürgen, und wenn er den
Job wechseln oder das Land verlassen will, braucht er die Erlaubnis dieses Bürgen.
Das steht so im Gesetz, auch nach der Reform. Diese Regelung verstößt gegen das
Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit. Und sie schafft zudem ein unglaubliches
Ungleichgewicht der Macht zwischen Arbeitern und Arbeitgebern. Deshalb können
Arbeitgeber ihre Angestellten ungestraft misshandeln. Zum Beispiel in den Fällen, die
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ich dokumentiert habe. Wenn sich ein Arbeiter über seine Lage beschwert, wird ihm
angedroht, die Aufenthaltserlaubnis zu beenden. Das bedeutet, dass die Polizei ihn
abschiebt. Dieses Gesetz muss geändert und dann auch in der Praxis umgesetzt
werden.
Trenner / Institut Georgetown
Erzählerin:
Die renommierte Georgetown University in Washington D.C. hat eine Zweigstelle am
Stadtrand von Doha. Auf einem riesigen Campus reihen sich Elite-Universitäten
aneinander – britische, französische und US-amerikanische, in hochmodernen
Bauten. Im Zentrum für internationale und regionale Studien der Georgetown
University forschen Wissenschaftler zum Thema Arbeitsmigration – üben sogar
vorsichtig Kritik an ihrem großzügigen Gastgeberland. Noch eine Ambivalenz im
Wüstenstaat Katar: Kritisches darf geäußert werden. Ob jemand die Kritik auch ernst
nimmt, ist eine andere Frage.
Stellvertretende Institutsdirektorin ist die Politikwissenschaftlerin Zahra Babar.
Arbeitsmigration ist eines ihrer Spezialgebiete.
O-Ton Babar / Übersetzerin:
Ich habe in Pakistan über soziale Ungerechtigkeit geforscht und über ländlich
bedingte Armut. In vielen Fällen wurden die Haushalte dort von Frauen geleitet, von
Greisen und Kindern. Denn die arbeitsfähigen Männer arbeiteten anderswo. Leute,
die auswandern, tun das aus einer Vielzahl von Gründen. Aber diejenigen, die
besonders verletzlich sind, die wir hier am Golf sehen, brauchen unsere
Aufmerksamkeit und besonderen Schutz, denn sie gehören auch zu Hause zur
schwächsten Gesellschaftsgruppe.
Sogar die Erfolgsgeschichten bedeuten 30 Jahre Abwesenheit von der Familie. Du
hast viel erreicht, hast deinen Kindern ein Studium finanziert, deine Tochter ist Ärztin,
dein Sohn Ingenieur, das ist fantastisch, das hättest du sonst nie geschafft. Aber sie
sind ohne dich aufgewachsen, du hast dich von ihnen entfremdet. Auf einer
menschlichen Ebene finde ich das traurig.
Erzählerin:
Gern hätte ich einen Verantwortlichen der Regierung gefragt, ob er die Dinge ähnlich
sieht, oder vielleicht völlig anders? Leider werde ich auf meine Anfragen hin immer
wieder vertröstet.
Trenner / Ilam
Erzählerin:
Dambar Rai reist für einen Besuch nach Nepal. Seine Heimatregion Ilam liegt im
Nordosten des Landes. Auf sorgfältig angelegten Terrassen wachsen verschiedene
Sorten Tee. Dazwischen klammern sich buntgestrichene Holzhäuser an die Hänge.
Neblig und sehr grün ist es hier. In jeder Hinsicht das Gegenteil von Katar. Dambar
Rais kleines Heimatdorf erreicht man nur zu Fuß. Vor seinem Haus drängeln sich
Frauen in bunten Saris und Männer in Anzügen. Familie Rai hat bunte Planen
gespannt, gegen den Monsun-Regen, Nadelreisig bedeckt den matschigen Boden.
Am Abend wird der jüngste Sohn Hochzeit feiern! Dambar Rai war drei Jahre nicht
hier – für die vierjährige Tochter eine Ewigkeit.
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O-Ton Rai / Übersetzer:
Als ich ankam, hat sie mich nicht erkannt. Erst nach ein oder zwei Tagen wusste sie,
wer ich bin. Meine Stimme war ihr vertraut vom Telefon. Es ist lange her, dass sie
mich gesehen hat. Vielleicht hatte sie Angst oder hielt mich für einen Fremden. Aber
jetzt kennt sie mich wirklich.
Erzählerin:
Viel Zeit hat Rai nicht für seine kleine Familie. Drei Tage lang ist das Haus voller
Leute.
Musik
Erzählerin:
Am Abend schließlich tanzt er. Mit seiner Frau Manisha, mit der Tochter Arya auf
dem Arm. Für einige Augenblicke sieht er gelöst und glücklich aus.
Teegarten
Erzählerin:
Am Morgen nach dem Fest geht die kleine Familie am Hang unter dem Haus
spazieren, im hohen Gras neben den Teeplantagen. Die Tochter quengelt, will
getragen werden. Manisha Rai sieht traurig aus. In fünf Ehejahren hat sie ihren Mann
dreimal bei sich gehabt.
O-Ton Manisha / Übersetzerin:
Für unsere Tochter wäre es besser, wenn Mutter und Vater zu Hause wären. Sie
fragt ihren Vater: Wohin gehst du? Ich habe ihr weisgemacht, dass Papa nur kurz auf
den Markt fahren wird und dann wieder kommt.
Rai, Tochter
Erzählerin:
Dambar Rai setzt sich und nimmt sein Töchterchen auf den Schoß. Sie schmiegt sich
an seinen Arm.
O-Ton Rai / Übersetzer:
Diese zwei Wochen sind so schnell vergangen, wie zwei Tage … Ich bin traurig, weil
ich meine Familie wieder verlassen werde. Aber ich muss gehen, ich muss arbeiten!
Corniche
Erzählerin:
In drei Tagen ist er schon wieder zurück im heißen, lauten Doha. Auf der
sogenannten Corniche, der Uferpromenade unterhalb der Skyline, blicken Migranten
aus aller Welt über die sanften Wellen des Persischen Golfs: Europäerinnen in
kurzen Jogginghosen, Asiaten, die auf einer der künstlich bewässerten Wiesen
picknicken, Golfaraber in langen Gewändern, deren Frauen nur ihre Augen zeigen.
Keiner stört sich am anderen. Eigentlich könnte es harmonisch sein. Doch die Kataris
fehlen. Sie bleiben unter sich, fühlen sich zu Unrecht kritisiert. Dabei hätte Katar jetzt
die Chance, sich von innen heraus zu verändern, sagen Mustafa Qadri von Amnesty
International und die Wissenschaftlerin Zahra Babar:
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O-Ton Babar / Übersetzerin:
Die Weltmeisterschaft kommt und geht, und mit ihr das Interesse der Welt. Katars
Regierung sollte ihr Interesse auf künftige Einwanderungsströme richten. Es geht
nicht nur darum, die internationale Gemeinschaft zufriedenzustellen.
O-Ton Qadri / Übersetzer:
Es eine Chance für Katar, zum Wegbereiter zu werden in Sachen Menschenrechte.
In einem Teil der Welt, in dem sie sehr wenig gelten. Eine Chance, nicht nur Kritik
von außen, auf die Katar reagieren muss.
*****
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