Ars longa, vita brevis

SCHLUSSPUNKT
Foto: Dagobert Kohlmeyer
SCHACH
Ars longa, vita brevis
Dr. med. Helmut Pfleger
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tion als Ketzer verbrannt worden war. Und wo heute
am Hafeneingang die Imperia, eine neun Meter hohe
Betonskulptur zum Wahrzeichen der Stadt wurde.
Nicht zum Gefallen aller, schließlich trägt die unzweideutige Kurtisane auf ihren Händen zwei zwergenhafte
nackte Männlein, rechts Kaiser Sigismund, links Papst
Martin V. Die weltliche und geistliche Macht in den
Händen einer Prostituierten.
Doch schließlich geht es zurück „nach Hause“, in
dem ich zu meiner Freude sogar einen Spruch auf
Lateinisch des uns vertrauten Hippokrates verstehen
kann: „Ars longa, vita brevis“. Bleiben wir vorerst bei
der ars longa und bei der wunderschönen Kombination,
die Dieter letztes Jahr beim Cuxhavener Seniorenturnier (wo er übrigens Dr. med. Timm Ludwig besuchte,
der ebenso wie er an allen bisherigen 22 Ärzteschachturnieren teilnahm – apropos, das nächste findet vom
17. bis 19. April wiederum in Bad Neuenahr statt) gegen Henk van Houten gelang.
Mit welch wahrlich durchschlagender Kombination
konnte er als Schwarzer das Matt erzwingen, laut dem
Schachprogramm Fritz in spätestens zehn Zügen?
Lösung:
Das Turmopfer 1. . . . Txh4+! brach gewaltsam die weiße
Königsfestung auf. Nach 2. gxh4 Dh6 3. Kg2 Dxh4 4. Tbe1
Th8 gab Weiß auf, weil das Matt in der h-Linie unvermeidlich
ist und 5. Th1 an 5. . . . Dxf2 matt scheitert.
ie mehr werde ich den Makel tilgen können,
nicht auf einem humanistischen Gymnasium
gewesen zu sein und so die Freuden des Altgriechischen und das Wissen um die Ursprünge unseres
abendländischen Bewusstseins quasi an der Quelle
genossen zu haben. Selbst mein angebliches „Großes
Latinum“ bei sieben Jahren Latein auf einem naturwissenschaftlichen Gymnasium weist mein Bruder als
Schmalspurversion zurück – nur gut, dass ich den
Schmerz bei unseren geschwisterlichen Teerunden mit
meiner gleichermaßen unbedarften Schwester teilen
kann.
Mag dieses Nichtwissen auch im Alltag leicht in Vergessenheit geraten, so bricht mein Dilemma – ach, wie
bin ich stolz auf dieses (griechische) Wort – doch zuweilen jäh empor. Im letzten Jahr war ich wieder bei
Dr. med. Dieter Hardt in Allensbach am Bodensee zu
Gast. Und was findet sich dort an den zum Haus hochführenden Treppen? Eine Steinplatte mit dem Konterfei
von Aristoteles und einem für unsereins völlig unleserlichen Spruch auf Griechisch:
„ΑΔΥΝΑΤΟΝ ΤΟΝ ΜΗΔΕΝ ΠΡΑΤΤΟΝΤΑ
ΠΡΑΤΤΕΙΝ ΕΥ“
Sollten auch Sie nicht an der Wiege abendländischer
Kultur gelabt worden sein, hier die deutsche Übersetzung: „Es ist unmöglich, glücklich zu sein, wenn man
nichts tut.“
Das mag ja im Allgemeinen so stimmen, nur lag
Aristoteles nie, umschmeichelt von der Sonne, längere
Zeit in völliger Reglosigkeit, vulgo „Toter Mann“, im
windstillen Bodensee, Zeit und Ort vergessend. Heute
und morgen und übermorgen wieder. Doch unweigerlich holt einen irgendwann die aristotelische Maxime
wieder ein. Es geht ins nahe Konstanz, wo Dieter
Hardt, der jahrzehntelang als Onkologe im dortigen
Klinikum arbeitete, und der gemeinsame Freund Eugen
Kurz dem in jedweder Weise unbeleckten Chronisten
die Schönheiten dieser Stadt nahe zu bringen versuchen. Wo vor 600 Jahren das Konzil stattgefunden hatte, um eigentlich das Schisma der Kirche mit den sich
befehdenden Päpsten zu beenden, aber Bischöfe, Bürger, Bauern und eine Vielzahl eigens herbeigeeilter
Prostituierter vor allem ihre eigenen Brötchen buken.
Wo der Reformator Jan Hus in bester kirchlicher Tradi-
N
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 112 | Heft 9 | 27. Februar 2015