EBV: Schäden -- Schadensersatzanspruch des Eigentümers gegen

Prof. Dr. von Wilmowsky
Sachenrecht (Zivilrecht IIIb)
(Vorlesung)
EBV: Schäden
-- Schadensersatzanspruch des Eigentümers gegen den Besitzer -Systematische Übersicht
I.
Haftung innerhalb des EBV
1.
§§ 989, 990:
Haftung des Besitzers, wenn
der Besitzer in die Sache eingriff (sodass Verschlechterung, Untergang,
andere Unmöglichkeit der Herausgabe) und ihn hierbei irgendeine Form
des Verschuldens trifft (Vorsatz oder jede Stufe der Fahrlässigkeit)
und
wenn ein EBV besteht (d.h. der Besitzer dem Eigentümer gegenüber nicht
zum Besitz berechtigt ist) und den Besitzer insoweit Verschulden in der
Form des Vorsatzes (er wusste, dass er dem Eigentümer gegenüber kein
Recht zum Besitz hatte und war damit einverstanden) oder der groben
Fahrlässigkeit (er verstieß in grober Weise gegen Sorgfaltspflichten; ihm
musste sich aufdrängen, dass er kein Recht zum Besitz hatte) trifft.
2.
§ 991 II:
Erweiterung der Haftung nach §§ 989, 990 in einem speziellen Fall. Siehe
unten II 2 b.
EBV: Schadensersatzhaftung: System
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II.
Haftung außerhalb des EBV: Deliktsrecht (§ 823 I)
1.
Ausschlussfunktion der Schadensersatznormen des EBV
Liegt ein EBV vor, so haftet der Besitzer auf Schadensersatz nur unter den
Voraussetzungen
der
§§ 989,
990.
Die
Anwendbarkeit
der
Schadensersatzregelungen anderer Rechtsinstitute (etwa des Deliktsrechts oder
auch des Rechts der schuldrechtlichen Pflichtverletzungen) ist ausgeschlossen.
§ 993 I Hs. 2: „[I]m Übrigen ist er . . . [nicht] zum Schadensersatz verpflichtet.“
“er“ = der unrechtmäßige Besitzer, den nicht der Vorwurf des „bösen
Glaubens“ (d.h. der groben Fahrlässigkeit hinsichtlich des Fehlens seines
Rechts zum Besitz) trifft
Wirkung:
Privilegierung desjenigen Besitzers, der zu Unrecht besitzt, den
hinsichtlich des Fehlens seines Besitzrechts aber nur der Vorwurf der leichten
Fahrlässigkeit trifft: Dieser Besitzer würde für Schäden, die er schuldhaft an der
Sache verursacht, nach Deliktsrecht (§ 823 I) haften; vor dieser Haftung schirmt
ihn das EBV ab.
2.
Durchbrechungen der Ausschlussfunktion
a)
Deliktsbesitzer: § 992
--
Erlangung des Besitzes durch eine Straftat oder verbotene Eigenmacht
Verbotene Eigenmacht: siehe § 858
--
keine Anspruchsgrundlage, sondern Rechtsgrundverweisung
--
Folge: Anwendbarkeit des Deliktsrechts (§ 823 BGB)
b)
Fremdbesitzerexzess
Die Ausschlusswirkung, die das EBV in Bezug auf Schadensersatz entfaltet, wird
beim Fremdbesitzer durchbrochen.
EBV: Schadensersatzhaftung: System
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Fremdbesitzer ist, wer die Sache als nicht ihm gehörend besitzt (vgl. § 872).
Der Fremdbesitzer besitzt die Sache nicht für sich, sondern erkennt das
vorrangige Besitzrecht einer anderen Person an (indem er ankerkennt, dass
er nur auf Zeit zum Besitz berechtigt ist und den Besitz danach an die
andere Person zu übertragen hat).
Bsp: Der Besitzer weiß, dass nicht er, sondern eine andere Person der
Eigentümer der Sache ist, und er respektiert das. (Bspe: der Mieter oder
Entleiher einer Sache)
Der Fremdbesitzer hat den unmittelbaren Besitz.
Die Person, deren
vorrangiges Besitzrecht der Fremdbesitzer anerkennt (Oberbesitzer), ist
mittelbarer Besitzer, wenn zwischen Fremdbesitzer und der anderen
Person ein Besitzmittlungsverhältnis nach § 868 besteht.
(Dagegen Eigenbesitz:
Der Dieb weiß, dass eine andere Person der
Eigentümer ist; er erkennt dessen Besitzrecht aber nicht an; er besitzt die
Sache so, als würde sie ihm gehören. Dann ist der Dieb Eigenbesitzer.)
Ob und wie beim Fremdbesitzer die Ausschlusswirkung des EBV (die das EBV
hinsichtlich Schadensersatzes besitzt) durchbrochen wird, hängt davon ab, über
wie viele Stufen der Fremdbesitz verläuft.
aa)
Einstufiger Fremdbesitz: keine gesetzliche Regelung
Sachverhalt:
Der unmittelbare (Fremd-) Besitzer ist Besitzmittler für den
Eigentümer;
er erkennt den Eigentümer als mittelbaren Besitzer an.
(Fall
„Citroën“)
Für diese Konstellation ist die Durchbrechung der Ausschlusswirkung des EBV
(soweit es um Schadensersatz geht) nicht gesetzlich geregelt.
Es gilt der (von Rspr. und Schrifttum entwickelte) Rechtssatz: Das EBV entfaltet
keine Ausschlusswirkung, wenn der Fremdbesitzer bei Rechtmäßigkeit seines
Besitzes nach Deliktsrecht (oder schuldrechtlichem Pflichtverletzungsrecht) auf
Schadensersatz haften würde. Es handelt sich um einen „erst-recht“-Schluss:
EBV: Schadensersatzhaftung: System
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Wenn der rechtmäßige Fremdbesitzer nach Deliktsrecht haften würde, dann
muss das erst recht für den unrechtmäßigen Fremdbesitzer gelten.
bb)
Zweistufiger Fremdbesitz: § 991 II
Sachverhalt:
Zwischen dem Fremdbesitzer (der die Sache im unmittelbaren
Besitz hat) und dem Eigentümer befindet sich eine weitere Person. Von dieser
Zwischenperson leitet der unmittelbare Fremdbesitzer sein Recht zum Besitz ab
(das jedoch kein Besitzrecht gegenüber dem Eigentümer vermittelt).
Der
unmittelbare Besitzer erkennt die Zwischenperson als mittelbaren Besitzer an.
(Fall „Mazda“)
Diese Konstellation ist gesetzlich geregelt: § 991 II.
Als Rechtsfolge wird dort aber nicht oder wenigstens nicht nur die
Ausschlusswirkung aufgehoben und die Anwendbarkeit des Deliktsrechts
eröffnet (so der ungeschriebene Rechtssatz bei einstufigem Fremdbesitz).
Vielmehr legt § 991 II eine eigene Haftung fest (die Norm ist also
Anspruchsgrundlage).
Inhalt der Schadensersatzhaftung des § 991 II: Der Fremdbesitzer haftet auf
Schadensersatz ebenso wie nach der Regelung des Doppeltatbestands der §§ 989,
990, jedoch mit der Verschärfung, dass das Verschuldenserfordernis, welches die
§§ 989, 990 hinsichtlich des Vorliegens eines EBV aufstellen (mindestens grobe
Fahrlässigkeit), nicht gilt. Die Haftung nach § 991 II greift also auch dann ein,
wenn der (Fremd-) Besitzer leicht fahrlässig nicht erkennt, dass er kein
Besitzrecht hat, oder wenn ihn insoweit gar kein Verschulden trifft.
Umfang der Schadensersatzhaftung nach § 991 II:
Beschränkung auf den
Schaden, den der Fremdbesitzer im Verhältnis zur Zwischenperson (= dem
mittelbaren Besitzer, von dem er seinen Besitz ableitet) zu ersetzen hat.
Das scheint mir die plausibelste Deutung des § 991 II zu sein. (Siehe Staudinger
(Gursky), BGB, § 991 Rn. 11 (Bearbeitung 2013).)
EBV: Schadensersatzhaftung: System
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Anderes Verständnis bei Schapp / Schur, Sachenrecht, Rn. 118: § 991 II sei keine
Anspruchsgrundlage, sondern öffne nur den Weg ins Deliktsrecht (sodass allein
nach § 823 I gehaftet wird).
Daneben (also neben der eigenen Anspruchsgrundlage) kann man dem § 991 II
auch die Funktion zuschreiben, die Ausschlusswirkung aufzuheben und die
Anwendbarkeit des Deliktsrechts zu eröffnen. Die Haftung nach Deliktsrecht
kann aber keine zusätzliche Bedeutung erlangen;
sie beruht auf denselben
Voraussetzungen. Die Begrenzung des Umfangs der Haftung auf den Schaden,
den der Fremdbesitzer im Verhältnis zu seinem mittelbaren Besitzer zu ersetzen
hat, kommt dann auch auf die Haftung nach § 823 I zum Einsatz.
cc)
Kritische Anmerkung
Dass die Ausschlusswirkung des EBV (soweit es um Schadensersatz geht) beim
Fremdbesitzer durchbrochen wird, ist gut nachvollziehbar. Wenig plausibel ist
jedoch, nach der Stufigkeit des Fremdbesitzes zu unterscheiden und je nach Stufe
unterschiedliche Rechtsregeln festzulegen. Damit sorgt das geltende Recht für
eine Komplizierung, die keine Funktion wahrnimmt.
c)
§ 826
immer anwendbar.