31. Sonntag im Jahreskreis C Lesung aus dem Buch der Weisheit (11, 22 - 12, 2) Herr, die ganze Welt ist ja vor dir wie ein Stäubchen auf der Waage, wie ein Tautropfen, der am Morgen zur Erde fällt. Du hast mit allen Erbarmen, weil du alles vermagst, und siehst über die Sünden der Menschen hinweg, damit sie sich bekehren. Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast; denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen. Wie könnte etwas ohne deinen Willen Bestand haben, oder wie könnte etwas erhalten bleiben, das nicht von dir ins Dasein gerufen wäre? Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens. Denn in allem ist dein unvergänglicher Geist. Darum bestrafst du die Sünder nur nach und nach; du mahnst sie und erinnerst sie an ihre Sünden, damit sie sich von der Schlechtigkeit abwenden und an dich glauben, Herr. Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas (19, 1-10) In jener Zeit kam Jesus nach Jericho und ging durch die Stadt. Dort wohnte ein Mann namens Zachäus; er war der oberste Zollpächter und war sehr reich. Er wollte gern sehen, wer dieser Jesus sei, doch die Menschenmenge versperrte ihm die Sicht; denn er war klein. Darum lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus zu sehen, der dort vorbeikommen musste. Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf und sagte zu ihm: Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein. Da stieg er schnell herunter und nahm Jesus freudig bei sich auf. Als die Leute das sahen, empörten sie sich und sagten: Er ist bei einem Sünder eingekehrt. Zachäus aber wandte sich an den Herrn und sagte: Herr, die Hälfte meines Vermögens will ich den Armen geben, und wenn ich von jemand zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück. Da sagte Jesus zu ihm: Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist. Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist. Bischof Joachim Wanke aus Erfurt hat sieben neue, aktuelle „Werke der Barmherzigkeit“ formuliert. Eines davon lautet: „Ich besuche Dich“. Es knüpft an das heutige Evangelium und an die Praxis Jesu an. Er ist auf den Zöllner Zachäus, einem Außenseiter, zugegangen und ist sogar in sein Haus eingekehrt. Dieses „Werk der Barmherzigkeit“ fragt auch uns und unsere Pfarrgemeinden an. Wie verstehen wir uns als Kirche: Sind wir eine Gemeinschaft, die wartet, bis die Menschen kommen, oder sind wir auch eine Gemeinschaft, die aktiv auf andere zugeht? Jemanden zu suchen, jemanden zu be-suchen bedeutet auch, sich Zeit zu nehmen für jene Wirklichkeit, in der der Andere lebt. Dieses Werk ruft uns auch auf, mit einem aufmerksamen Blick zu fragen: Wen habe ich schon lange nicht mehr in der Kirche gesehen; wer geht mir ab? Wen vermisse ich in der Pfarre; wer scheint keinen Platz in dieser Gemeinschaft, die sich Pfarre nennt, gefunden zu haben? Gehen wir auch auf jene zu, die nicht zu „uns“, zum innersten Kreis von Pfarre gehören. Sie gehören zu Gott; das sollte uns genügen. Ich bin da vor dir, mein Gott. Ich versuche, mein Leben zu verstehen. Du kennst und verstehst mich besser, als ich mich kenne und verstehe. Vor dir darf ich ans Licht bringen, was in mir dunkel ist. Vor dir darf ich zulassen, was ich vor meinen Mitmenschen zu verbergen versuche. Vor dir darf ich annehmen, was ich sonst nicht an mir wahrhaben will. Erich Guntli (*1953) Die heutige Erzählung über den Zöllner Zachäus im Evangelium erinnert mich an das Buch „Geduld mit Gott. Die Geschichte von Zachäus heute“ von Tomáš Halík, eines tschechischen Priesters, Psychotherapeuten und Professors an der Karlsuniversität in Prag. In diesem vielfach ausgezeichneten Buch meditiert Halík die Geschichte des Zachäus für heute. Die biblische Gestalt des Zachäus klettert auf einen Baum, um Jesus aus der Distanz zu sehen. Jesus aber bemerkt ihn und will gerade bei diesem neugierigen „Randständigen“ zu Gast sein. Zachäus ist der Prototyp einer scheuen, vorsichtigen, aber annähernden Religiosität, die das Heilige ahnt, vielleicht auch sucht und mit ihm in Kontakt kommen will, ohne vereinnahmt zu werden. Halík schreibt dazu: „Da gibt es jene, die ganz apathisch sind angesichts der religiösen Fragen; es gibt den religiösen Analphabetismus und den weitverbreiteten Etwasismus: Ich glaube nicht an Gott, aber irgendetwas über uns wird es geben.“ Es mischen sich Zweifel und Glaube, oder wenigsten Zweifel und die Sehnung nach dem Glauben: „Zweifel und Glaube sind wie Geschwister. Sie brauchen einander. Sie sollen sich gegenseitig korrigieren. Der Glaube ohne Zweifel kann zum Fanatismus führen, aber auch der Zweifel, der die eigenen Zweifel daran ausblendet, kann in Zynismus und Bitterkeit münden.“ So bringt es Halík in seinem Buch auf den Punkt. Geduld mit Gott bedeutet für Tomáš Halík auch Geduld mit dem eigenen Glauben oder Noch-Nicht-Glauben-Können zu haben und jeden Zweifel auch zuzulassen. Und der Kirche rät er – im Umgang mit Suchenden und Zweifelnden – zu einer offenen Bescheidenheit mit viel Sympathie und Einfühlungsvermögen. Denn „viele, die mit Gott kämpfen, sind ihm näher als die Gleichgültigen. Schon im Alten Testament wird bezeugt, dass Gott jene liebt, die mit ihm ringen.“ Buchtipp: Tomáš Halík: Geduld mit Gott. Die Geschichte von Zachäus heute, Herder Verlag, 260 Seiten, ISBN: 978-3-451-30382-1.
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