Skript Versicherungstechnik

Operations Research und Wirtschaftsinformatik
Prof. Dr. P. Recht // Marius Radermacher, M.Sc.
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Versicherungs-und Risikomanagement
Versicherungstechnik
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Skriptum zur Veranstaltung
Wintersemester 2016/2017
Stand: 24. Oktober 2016
Das Fachgebiet im Internet:
• http://www.wiso.tu-dortmund.de/wiso/or/de/ •
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Inhaltsverzeichnis
Zum Wesen einer „Lebens“-Versicherung
1
1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
1.1 Das Kalkulationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Das „versicherte Risiko“ als Rechnungsgrundlage 1. Ordnung; Ausscheideordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3 Eine garantierte Zinsentwicklung als Rechnungsgrundlage 1. Ordnung . .
1.4 Einschub: Kommutationswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.5 Die Kostenzuschläge als Rechnungsgrundlagen 1. Ordnung . . . . . . . .
1.5.1 Abschlusskostenzuschlag (α-Kosten) . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.5.2 Verwaltungskostenzuschlag (β- und γ-Kosten) . . . . . . . . . . .
1.6 Die beiden versicherungstechnischen Äquivalenzprinzipien . . . . . . . . .
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2 Beitrags- und Leistungsbarwerte, Deckungsrückstellungen
2.1 Diskrete Zahlungsreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Der Beitragsbarwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3 Der Leistungsbarwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4 Das strenge Äquivalenzprinzip und „natürliche“ Beiträge .
2.5 Das schwache Äquivalenzprinzip und das Deckungskapital
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3 Die versicherungstechnische Bilanzgleichung
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3.1 Kalkulation mit Hilfe des Thiele’schen Gleichungssystems . . . . . . . . . 42
3.2 Kalkulation der Versicherungsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
3.2.1 Lösbarkeit des Thiele’schen Gleichungssystems, explizite Lösung
und „ökonomische Zulässigkeit“ des Reservevektors . . . . . . . . 48
3.3 Zerlegung des Netto-Beitrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
3.3.1 Versicherungen mit Ausscheide- und Erlebensfallcharakter . . . . 53
3.4 Bruttokalkulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
3.4.1 Abschluss- und Vertriebskostenzuschläge, α-Kosten . . . . . . . . 59
3.4.2 Unmittelbare Abschlusskostenzuschläge, Zillmerung . . . . . . . . 59
3.4.3 Laufende Abschlusskostenzuschläge, αγ -Kosten . . . . . . . . . . . 62
3.4.4 Verwaltungskostenzuschläge, β- und γ-Kosten . . . . . . . . . . . 63
3.4.5 Bruttokalkulation mit dem Thiele’schen Gleichungssystem . . . . 64
3.4.6 Zerlegung der Brutto-Prämie und des ausreichenden Deckungskapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
3.4.7 Sonstige Beitragszuschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
I
4 Überschüsse in der Lebensversicherung
4.1 Überschussprognose und Kontributionsformel . . . . . . . . . . . . .
4.2 Überschussdeklaration und Überschusszuteilung . . . . . . . . . . .
4.3 Überschussverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.4 Finanzierbarkeit eines Überschusssystems und Ertragswert einer LV
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5 Technische Änderungen bei Lebensversicherungsverträgen
5.1 Rückkauf einer Lebensversicherung (Storno) . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1.1 Die (Nicht)-Berücksichtigung von Storno bei der Prämienkalkulation
5.2 Beitragsfreistellung von Lebensversicherungen . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.1 Umwandlung von Lebensversicherungen (konstanter Höhe) . . . .
6 Die private Krankenversicherung (PKV)
6.1 Das historische, ökonomische und rechtliche Umfeld der PKV . . .
6.1.1 Kurze Historie: GKV und PKV in Deutschland . . . . . .
6.1.2 Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Beziehungen zwischen
und PKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2 Tarife, Tarifarten und Tarifgestaltung in der PKV . . . . . . . . .
6.3 Prinzipien der Beitragsberechnung in der PKV . . . . . . . . . . .
6.3.1 Gemeinsamkeiten mit den Tarifierungsprinzipien der LV .
6.3.2 Der Rechnungszins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.3.3 Die Ausscheideordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.3.4 Kopfschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Literaturverzeichnis
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GKV
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II
Zum Wesen einer „Lebens“Versicherung
In diesem einführenden Kapitel wollen wir einen ersten Einblick in die Besonderheiten
und fachlichen Termini geben, welche eine so genannte „Lebens“-Versicherung ausmachen. Wir werden uns im Rahmen der Veranstaltung aus mehreren Gründen mit LebensVersicherungen und der technischen Konstruktion (d. h. genauer der Prämien- und Leistungskalkulation) bzw. der technischen und ökonomischen Analyse von derartigen Versicherungsprodukten beschäftigen.
Die Gründe sind:
• Die sich hinter dem Begriff „Lebensversicherung“ verbergenden Palette von Versicherungsprodukten zwingt zunehmend zur Konstruktion eines auf die Person
bezogenen, also maßgeschneiderten Versicherungsschutzes. Es ist also der Frage
nachzugehen, wie individueller Versicherungsschutz aus technischer Sicht konstruiert wird, und wie das „Gut“ Versicherungsschutz ökonomisch bewertet wird.
• Das Marktvolumen derartiger Produkte innerhalb des Gesamtversicherungsmarktes ist hoch. Entsprechend stark ist auch die Nachfrage nach Personen, die über
die Kompetenz verfügen, „Lebens“-Versicherungsprodukte zu konstruieren (kalkulieren) und zu analysieren.
• Das Konstruktionsprinzip bei „Lebens“-Versicherungsprodukten hat in gewissem
Sinne einen universellen Charakter.
Kleine Historie
Bereits zur römischen Kaiserzeit gab es Personenvereinigungen, deren Ziel in einer gegenseitigen sozialen Unterstützung bestand. Wesentliche Leistung einer solchen Vereinigung
war oft die Bezahlung eines sog. Sterbegeldes, das einem Mitglied im Falle seines Todes
ein würdiges Begräbnis sichern sollte. Die Mitglieder solcher „Vereine“ kamen meist einmal im Monat zu (oft religiös motivierten) Veranstaltungen zusammen, um bei dieser
Gelegenheit einen finanziellen Beitrag in die gemeinsame „Sterbekasse“ zu entrichten.
Auch im Mittelalter gab es eine Reihe von berufsbezogenen Vereinen von Kaufleuten
(Zünfte), Handwerkern, Schauspielern oder Soldaten, die ihren Mitgliedern soziale Leistungen gewährten und Beerdigungskosten ersetzten. Diese Leistungen wurden durch ein
„Eintrittsgeld“ finanziert, das die Mitglieder bei Aufnahme in den Verein zu zahlen hatten.
1
Zum Wesen einer „Lebens“-Versicherung
Der erste Lebensversicherungsvertrag der Welt wurde 1583 von der englischen Versicherungskammer registriert. Mit diesem Vertrag wurde das Leben eines gewissen W. Gibbons
für die Dauer eines Jahres mit einer Leistung von 382 Pfund vom Ratsherrn R. Martin
„versichert“. Gibbons zahlte dafür 30 Pfund, starb innerhalb dieses Zeitraums und die
Versicherungssumme musste gezahlt werden. „Glücklicherweise“ hatten 16 Bürger diesen Vertrag unterschrieben, so dass jeder dieser Bürger ca. 23 Pfund zu zahlen hatte.
Mit einem Lebensversicherungsvertrag in unserem heutigen Sinne hatte dieser Vertrag
allerdings recht wenig gemeinsam. Er war eher mit einem „Wettvertrag“ vergleichbar.
Im Jahre 1765 wurde in England die erste Lebensversicherungsgesellschaft, die Equitable Life Assurance, gegründet, die ihre Versicherungsangebote mit formalen Methoden
kalkulierte. Die erste deutsche Lebensversicherungsgesellschaft, die „Gothaer Lebensversicherungsbank“, wurde 1825 gegründet.
Prinzipielle Funktionsweise einer Lebensversicherung
Durch den Abschluss eines Versicherungsvertrages (Versicherungspolice) zwischen einem
Versicherungsnehmer (VN) einerseits und einem Versicherer andererseits, in unserem
Fall dem Lebensversicherungsunternehmen (VU), lässt sich der VN gegen Bezahlung
eines festgelegten Entgeltes (der Versicherungsprämie oder dem Versicherungsbeitrag)
vom VU eine festgelegte finanzielle Leistung für sich oder für einen Dritten versprechen,
für den Fall, dass während des Zeitraumes der Gültigkeit des Vertrages ein bestimmtes „Versicherungsrisiko“ eintritt (Eintritt des Versicherungsfalls). Unter dem Begriff
„Versicherungsrisiko“ wird hierbei ein fest definiertes, eine lebende Person betreffendes,
zukünftiges Ereignis verstanden, dessen Eintrittszeitpunkt ungewiss = zufällig ist, aber
dessen Eintritt der VN befürchtet und deshalb die wirtschaftlichen Konsequenzen aus
dessen Eintritt einzugrenzen wünscht (Versicherungsschutz). Durch den Abschluss eines (Lebens-) Versicherungsvertrages „transferiert“ der VN dieses Risiko, genauer: den
„Umgang mit diesem Risiko“ auf das VU.
Dieser „Transfer“ erfolgt dabei allerdings nicht auf die Weise, dass das VU dieses Risiko
(komplett) übernimmt. Seine Funktion besteht im Wesentlichen darin, eine Koordination
vorzunehmen, von wem und in welcher Höhe dieses Risiko übernommen wird. In dieser
Koordinationsfunktion hat das VU eine Vielzahl(!) gesetzliche Regelungen zu beachten.
Unter einer „Lebensversicherung“ wird nun eine besondere Art von Versicherungsverträgen
verstanden. Diese Besonderheiten beziehen sich auf
• die Arten der „Versicherungsrisiken“,
• die Arten der Leistungen durch das VU im Falle des Risikoeintritts,
• die Art des Zusammenhangs zwischen Prämienzahlungen des VN und Leistungen
durch das VU,
• und die Arten eventueller Kapitalbildung.
Bevor wir uns detaillierter damit beschäftigen, wollen wir exemplarisch auflisten, welche
Risikoarten typischerweise als „Lebensversicherung“ vorkommen.
2
Zum Wesen einer „Lebens“-Versicherung
Typische Lebensversicherungen
Typische Lebensversicherungen sind etwa:
• Todesfallversicherung (oder auch Risiko-Lebensversicherung): Mit einem solchen Vertrag wird ein wirtschaftliches Risiko versichert, welches dadurch entsteht, dass eine versicherte Person innerhalb eines bestimmten Zeitraumes stirbt
(Todesfall-Risiko).
• Erlebensfallversicherung (private Rentenversicherung): Hiermit wird ein wirtschaftliches Risiko versichert, welches dadurch entsteht, dass eine versicherte Person einen bestimmten Zeitpunkt überlebt (Erlebensfall-Risiko).
• Gemischte Versicherung (Versicherung auf den Todes- und Erlebensfall): Hiermit wird ein wirtschaftliches Risiko versichert, welches entweder dadurch entsteht,
dass eine versicherte Person innerhalb eines bestimmten Zeitraumes stirbt oder
aber die Person das Ende des Zeitraumes erlebt (Todes- und Erlebensfallrisiko).
• Restschuldversicherung: Hiermit wird ein wirtschaftliches Risiko versichert,
welches dadurch entsteht, dass ein Schuldner (eines Kredites) während des Rückzahlungszeitraumes dieses Kredites stirbt (bzw. arbeitsunfähig wird) und daher
die zu diesem Zeitpunkt bestehende Restschuld (des Kredites) nicht mehr tilgen
kann. (Restschuldrisiko).
• Verbundene Todesfallversicherung: Hiermit wird ein wirtschaftliches Risiko
versichert, welches dadurch entsteht, dass mindestens einer (von zwei oder mehreren Personen) innerhalb eines bestimmten Zeitraumes stirbt.
• Berufsunfähigkeitsversicherung: Hiermit wird ein wirtschaftliches Risiko versichert, welches dadurch entsteht, dass eine versicherte Person während eines bestimmten Zeitraumes ihren Beruf aufgrund körperlicher Versehrtheit nicht mehr
ausüben kann (Berufsunfähigkeitsrisiko).
• (private) Pflegerenten-Versicherung: Hiermit wird ein wirtschaftliches Risiko
versichert, welches dadurch entsteht, dass eine versicherte Person für einen bestimmten Zeitraum zum Pflegefall wird.
• „Aussteuer-Versicherung“/ Ausbildungsversicherung: Hiermit wird ein wirtschaftliches Risiko der Eltern versichert, welches dadurch entsteht, dass eine versicherte Person (Kind) vor oder zu einem festgelegten Zeitpunkt, z. B. dem 25.
Lebensjahr, heiratet bzw. eine Ausbildung beginnt, unabhängig davon, ob die Eltern zu diesem Zeitpunkt noch leben oder nicht.
• Dread-Disease-Versicherung: Hiermit wird ein wirtschaftliches Risiko versichert, welches dadurch entsteht, dass eine versicherte Person eine schwere Erkrankung erleidet (z. B. Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs, Multiple Sklerose).
3
Zum Wesen einer „Lebens“-Versicherung
In Deutschland hatte den größten jährlichen Anteil an Neuabschlüssen bis zu Beginn der
Jahrtausendwende der Typ der „gemischten Vesicherungen“. Dies änderte sich aufgrund
einer Modfifikation der steuerlicher Rahmenbedingungen für diesen Versicherungstyp,
vor allem aber auch wegen der zunehmenden Unsicherheit bei der Finanzierung der „gesetzlichen Rentenversicherung“ und der Höhe der gesetzlichen Renten. Dies hatte zur
Folge dass bis etwa zum Jahr 2010, ist derzeit die private Risikovorsorge mit Policen des
Typs „Private Rentenversicherung“ (private Altersvorsorge), der Typ von Lebensversicherung mit dem größten Neugeschäft war.
Durch das momentan sehr geringe Kapitalzinsniveau leidet allerdings auch dieser Typ
von Lebensversicherung derzeit an Attraktivität, so dass einige Versicherungsunternehmen überlegen, das Neugeschäft mit derartigen Versicherungen sogar ganz einzustellen.
4
1 Kalkulationsprinzip und
Kalkulationsgrundlagen
Bei Abschluss eines Versicherungsvertrages zwischen einem VU und einem VN werden
sowohl die Höhe der Leistung, die das VU im Versicherungsfall zu erbringen hat, als auch
die vom VN dafür zu erbringenden finanziellen Gegenleistungen (Versicherungsbeiträge
oder Versicherungsprämien) vertraglich fixiert. Die Vertragsbestandteile werden in einer
sog. Versicherungspolice bzw. einem Versicherungsschein festgehalten.
Versicherungsunternehmen (VU)
Versicherungsnehmer (VN)
Versicherungsvertrag zwischen VU und VN dokumentiert u. a.
• Beginn/Ende der Übernahme des Versicherungsschutzes
(Laufzeit)
• versichertes Risiko
• versicherte Person(en) (Alter bei Beginn, Geschlecht)
• Versicherungsnehmer
• bezugsberechtigte Person
• Versicherungsleistung: finanzielle Leistungen bei Eintritt
des Versicherungsfalls (Höhe, Zahlungsmodalitäten)
• Prämien/Beiträge: finanzielle Leistungen des VN (Höhe
der Prämien, Zahlungsmodalitäten)
• sonstige „Tarif“-Merkmale
• juristische Bedingungen
..
.
Abbildung 1.1: Vertragspartner und Vertragsgegenstand
5
1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
VT
Dabei haben wesentliche Begrifflichkeiten die folgende Bedeutung:
• versicherte Person(en): Person (oder Personen), auf die sich das versicherte
Risiko beziehen soll,
• versichertes Risiko: inhaltliche Beschreibung der Lebenssituation, die finanziell abgesichert werden soll, also des Versicherungsrisikos. Beim Eintreten dieser
Lebenssituation führt dies zur Auszahlung der finanziellen Leistung durch das
Versicherungsunternehmen),
• Versicherungsnehmer: Vertragspartner des Versicherungsunternehmens (VU),
hat vertragsgestaltende Rechte und vertragliche Verpflichtungen (Beitragszahlungen, Informationspflichten),
• bezugsberechtigte oder begünstigte Person(en): Inhaber des Rechtes auf
Erhalt der Versicherungsleistung.
Wesentlich dabei ist (und dies ist ein essentielles Unterscheidungsmerkmal zwischen Lebensversicherungen und so genannten privaten Sach-, Haftpflicht-, Feuer-, aber auch
Krankenversicherungen), dass das VU (prinzipiell) keine Möglichkeit besitzt, einen einmal rechtsgültig abgeschlossenen Vertrag einseitig zu ändern.
Dem VN werden allerdings unter bestimmten Bedingungen solche Rechte eingeräumt
(z. B. vorzeitiges Beenden eines Vertrages, Weiterführen eines Vertrages ohne die Beiträge weiter zuzahlen, d. h. Beitragsfreistellung).
1.1 Das Kalkulationsprinzip
Da Lebensversicherungsverträge im Allgemeinen eine langjährige Laufzeit besitzen, d. h.
die Dauer des vereinbarten Versicherungsschutzes oft mehr als 25 bis 30 Jahre beträgt,
Rentenversicherungen meist sogar 60 bis 70 Jahre Vertragslaufzeit haben, andererseits
bei Vertragsabschluss für die gesamte Laufzeit des Vertrages die vereinbarten Versicherungsleistungen und die Beitragsleistungen (des VN) verbindlich festgelegt werden, muss
gewährleistet sein, dass zu den entsprechenden Fälligkeitszeitpunkten sämtliche vereinbarten Versicherungsleistungen auch erbracht werden können. Dies bezeichnet man als
Verpflichtung zur dauernden Erfüllbarkeit der Verträge.
In welchem Zusammenhang die Versicherungsleistungen an die Bezugsberechtigten einerseits und die Prämien der VN andererseits, stehen, wird durch ein allgemeines Prinzip bestimmt, welches den Zusammenhang zwischen den „Prämien“ und zugehörigen
„Versicherungsleistungen‘“ festlegt. Für die Lebensversicherungen heißt es in § 11 des
Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG):
(1) „Die Prämien in der Lebensversicherung müssen unter Zugrundelegung angemessener versicherungsmathematischer Annahmen kalkuliert werden und so
hoch sein, dass das VU allen seinen Verpflichtungen nachkommen, insbesondere
6
1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
VT
für die Erfüllung der einzelnen Verträge ausreichende Deckungsrückstellungen bilden kann.“(Kapitaldeckungsprinzip)
Hierbei kann der Finanzlage des VU Rechnung getragen werden, ohne dass planmäßig und auf Dauer Mittel eingesetzt werden dürfen, die nicht aus Prämienzahlungen
stammen.“
(2) „Bei gleichen Voraussetzungen dürfen Prämien und Leistungen nur nach gleichen
Grundsätzen bemessen werden.“ (Gleichbehandlungsprinzip)
Versicherte Personen, die bei einem VU eine „gleichartige Versicherung“ abgeschlossen
haben (also etwa für den Todesfall, Berufsunfähigkeit, Langelebigkeit,...) und bei denen
aufgrund des Gleichbehandlungsprinzips Prämien- und Leistungsermittlung nach den
selben kalkulatorischen Grundsätzen erfolgten, beschreiben ein sog.Versichertenkollektiv
(oder manchmal nur Kollektiv).
Die Vorschrift des § 11 VAG bedeutet nun –kurz gesagt – , dass „sämtliche vereinbarten
Versicherungsleistungen für die Bezugsberechtigten aus den Prämien der Versicherungsnehmer kommen müssen“. Das heisst „im Extremfall“ beispielsweise aber auch, dass bei
einer Todesfallversicherung, bei der die versicherte Person unmittelbar nach Vertragsabschluss stirbt, der Bezugsberechtigte die gesamte versicherte Leistung erhält, auch wenn
der Versicherungsnehmer VN nur einen einzigen Betrag gezahlt hat.
In diesem Fall muss also die versicherte Leistung prinzipiell aus den eingezahlten Prämien der (übrigen) Versicherungsnehmer erbracht werden.
Das Kollektiv stellt also die Finanzmittel zur Verfügung, um das Leistungsversprechen
zu erfüllen.
Neben den Prämienzahlungen aller VN des Kollektivs kann das Versichertenkollektiv
für die Erfüllung der Versicherungsleistungen explizit aber auch über Erträge verfügen,
die sich aus der Anlage von Rückstellungen der (noch nicht) für die Erfüllung von Leistungsversprechen benötigten Prämien ergeben.
Es entsteht damit ein „Ausgleich“ zwischen den Beiträgen der Versicherungsnehmer
einerseits und den Leistungen an den Bezugsberechtigten andererseits. Dieser RisikoAusgleich erfolgt also
• durch die übrigen VN des Kollektivs und
• durch das Fortschreiten der Zeit, das die Bildung von finanziellen Reserven erlaubt.
Damit ein solcher Risiko-Ausgleich in einem Versichertenkollektiv aber überhaupt funktionieren kann, muss das VU dafür Sorge tragen, dass ein solches Kollektiv in „angemessener Größe“ aufgebaut, erhalten bzw. sogar vergrößert wird. Es muss dazu also
prinzipiell „passende“, neue Versicherungsnehmer akquirieren, um einen angemessenen
Prämienzufluss für das Kollektiv sicherzustellen bzw. zu vergrößern/ und die bestehenden VN „pflegen“, um die Größe zu erhalten bzw. zu verhindern, dass das Kollektiv
„kleiner“ bzw. der „Abfluss der Finanzmittel“ grösser wird.
Durch das Akquirieren von neuen VN, d.h. neuen Versicherungsverträgen, und durch
die Verwaltung der einzelnen Lebensversicherungsverträge der bisherigen VN entstehen
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1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
VT
dem VU Kosten, welche mit dem eigentlichen, in einer Policvertragliche vereinbarten
Versicherungsschutz direkt nichts zu tun haben. Die Akquisition von neuen und die
„Verwaltung“ der bestehenden VN im Kollektiv können daher durchaus als Leistungen
des VU verstanden werden, die es gegenüber dem Kollektiv erbringt für das Versichertenkollektiv verstanden werden (indirekte Versicherungsleistungen), da sie essentiell für
den zu organisierenden Risikoausgleich sind. Die Kosten für dieser indirekten Versicherungsleistungen stellt das VU den VN (also dem Kollektiv) in Rechnung.
Das in § 11 (1) formulierte Kalkulationsprinzip vor Augen, erkennen wir hier also bereits:
Bei gegebener Höhe der im Versicherungsfall vom VU zu erbringenden Versicherungsleistung hängen die von den VN zu zahlenden Prämien von
• Annahmen bzw. Einschätzungen über das tatsächliche Eintreten des fest definierten, zukünftigen ungewissen Ereignisses („Risiko“-Einschätzung),
• Annahmen über die rechnerische Verzinsung des angelegten Kapitals („Rechnungszins“),
• Annahmen, in welcher Höhe „Kostenzuschläge“ zu erheben sind:
– Abschlusskosten (Annahmen, welche Kosten die Akquisition neuer Verträge
verursacht),
– laufende Verwaltungskosten (Annahmen, welche Kosten die Verwaltung bestehender Versicherungsverträge verursacht.).
ab.
Die quantitative Ausprägung dieser Annahmen werden als Rechnungsgrundlagen einer
Lebensversicherung bezeichnet.
Diese vom VU anzunehmenden Werte, stellen die Größen dar, die zur Ermittlung der
vertraglich festzulegenden, vom VN zu erbringenden Beiträge (bzw. vom Kollektiv zu
erbringenden Leistungen) herangezogen werden. Man bezeichnet sie als (für die Beitrags/Leistungskalkulation) relevanten Rechnungsgrundlagen 1. Ordnung dar. Da sie für die
Prämienkalkulation relevant sind, müssen vor dem eigentlichen Vetragsabschluss festliegen. Bedingt durch die Tatsache, dass es sich bei Lebensversicherungen sehr oft um sehr
langlaufende Verträge handelt, muss ein VU mögliche Unsicherheiten in der zeitlichen
Entwicklung der Kapitalzinsen, des zu versicherten Risikos und seiner „Organisationskosten“ bei der Wahl der Rechnungsgrundlagen 1. Ordnung berücksichtigen und diese
so „vorsichtig“ bemessen, dass die dauernde Erfüllbarkeit der Verträge sicher gestellt ist.
(versicherungsmathematisches Vorsichtsprinzip).
8
1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
VT
Kosten des VU für die
Akquisition neuer VN
vertraglich festgelegte
Leistung von den VN
(Prämien, Beiträge)
verzinste Kapitalanlagen
(Abschlusskosten)
Versicherungsunternehmen
(VU)
Kosten des VU für die
Verwaltung der Verträge
Kollektiv gleichartiger
Versicherungen
(Bestandsgruppe)
(Verwaltungskosten)
vertraglich festgelegte
Versicherungsleistungen an
die VN
der Vorperiode
„Reserven“ zur
Kapitalanlage in der
nächsten Periode
Abbildung 1.2: Zu- und Abflüsse innerhalb eines Kollektivs (Bestandsgruppe) zu einem
bestimmten Zeitpunkt
Neben den für die Beitrags-/Leistungsbestimmung festgelegten Rechnungsgrundlagen
1. Ordnung gibt es solche 2. Ordnung, (manchmal spricht man sogar von Rechniungsgrundlagen 3. Ordnung).
In den Rechnungsgrundlagen 2. Ordnung werden die betreffenden Größen realistisch prognostiziert (das Vorsichtprinzip tritt in gewissem Masse „in den Hintergrund“. Auf diese
Weise ist es möglich, etwa während der Laufzeit des versicherungsvertrages eine Prognose über den tatsächlichen Versicherungsverlauf und damit auch eine Prognose über die
zukünftig zu erwartenden „Überschüsse“ abzugeben. Rechnungsgrundlagen 2. Ordnung
dienen also zunächst nicht einer vertragsrelevanten Leistungs- bzw. Beitragsfestlegung,
sondern sind Inputgrössen für ein Planungsinstrumentarium des VU.
Rechnungsgrundlagen 3. Ordnung geben die tatsächlichen Werte der obigen Größen an.
Sie sind – sofern überhaupt exakt ermittelbar – erst a posteriori bekannt. Es sind also
die Grössen, mit denen ein Versicherungsvertrag „nachkalkuliert“ werden kann.
1.2 Das „versicherte Risiko“ als Rechnungsgrundlage 1.
Ordnung; Ausscheideordnungen
Da der Eintritt des Versicherungsfalles ungewiss ist, ist der Zeitpunkt, wann die Versicherungsleistungfällig wird eine stochastische Grösse. Ähnliches gilt auch für Beitragszahlungen, da es etwa sein kann, dass der VN während der Vertragslaufzeit verstirbt,
und daher ab diesem Zeitpunkt dem Kollektiv seine Beiträge nicht mehr zur Verfügung
stellen kann.
Um aus der Sicht des VU die zu erwartenden Zahlungsströme in das Kollektiv hinein
bzw. aus dem Kollektiv heraus quantifizieren zu können hinaus angeben zu können, muss
daher das Unternehmen für die im Rahmen der Recchnungsgrundlagen 1. Ordnung zu
treffenden Annahmenverlässliche Daten (etwa in Form von Wahrscheinlichkeitsaussa-
9
1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
VT
gen) über das zu versichernde Risiko (bspw. „zu sterben“, „einen bestimmten Zeitpunkt
zu erleben“, „berufsunfähig zu werden“ etc.) zu Grunde legen. Derartige Informationen
werden aus sog. Ausscheideordnungen entnommen, welche aufgrund objektiver statistischer Erhebungen zustande kommen und anschließend (durch das VU) eine vor dem
Hintergrund des Vorischtsprinzips eine Bewertung erfahren.
Ausscheideordnungen beschreiben den „Abbau“ einer bestimmten Personengesamtheit
im Zeitverlauf aufgrund bestimmter Ausscheiderursachen. Man unterscheidet dabei einfache Ausscheideordnungen, bei denen der „Austritt“ aus dem Kollektiv aufgrund eines
einzigen Ausscheideursache beschrieben wird und zusammengesetzte Ausscheideordnungen, welche mehrere „Austrittsursachen“ berücksichtigen. Wird beispielsweise nur „Tod“
als Austrittsursache betrachtet, so nennt man die entsprechende Ausscheideordnung eine
Sterbetafel. Eine „Aktivitätsordnung“ betrachtet hingegen gleichzeitig die beiden Ausscheideursachen „Tod“ und „Invalidität“.
Da eine Sterbetafel immer noch die wichtigste Ausscheideordnung darstellt, wollen wir
eine solche Konstruktion kurz skizzieren:
Sterbetafeln sollen den „Abbau“ einer (festen) Personengesamtheit (Kollektiv) durch
Tod im zeitlichen Verlauf beschreiben . Die Daten zur Erstellung einer Sterbetafel (bzw.
sonstigen Ausscheideordnung) gewinnt man aus der Beobachtung großer Personengesamtheiten. Das Sterben bzw Überleben ist abhängig von Alter, Geschlecht, Generation, Beruf, Lebensumständen etc. traditionellen Sterbetafeln betrachten nur zwei dieser
Merkmale, nämlich Alter (einer Person) und Geschlecht (einer Person). Generationensterbetafeln (oder auch Kohortensterbetafeln) beschreiben für eine Kohorte von Nulljährigen, d. h. einer fixen Menge von Personen, die alle in einem bestimmten, aber demselben
Jahr geboren sind, wie viele von diesen in dem einzelnen Alter der Kohorte (noch) angehören, bzw. wieviele davon in den einzelnen Lebensaltern verstorben sind. Für die
Kohortengrösse zu Anfang wählt man üblicherweise 100.00 Personen repräsentativ aus.
In diesem Zusammenhang hat sich eingebürgert, in der Sterbetafel mit x das (vollendete)
Alter eines Mannes und mit y das (vollendete) Alter einer Frau zu bezeichnen. Die Zahlen
x und y werden dabei üblicherweise ganzzahlig gesetzt. Weiterhin bedeutet die Zahl
lx
die Anzahl lebender Männer des Alters x.
Analog wird mit der Zahl ly die Anzahl lebender Frauen des Alters y bezeichnet1 . Unterstellt man, dass der Austritt infolge eines Todes nach einer bestimmten „Gesetzmässigkeit“ erfolgt, kann man dieses Gesetz dadurch ausdrücken, dass man die Anzahl lx+1
der nach einem Jahr in der Kohorte noch lebenden Männer des Alters x + 1 angibt.
Die Anzahl dx der durch Tod „ausgetretenen“ x-jährigen Männer innerhalb dieses einen
Jahres ergibt sich (bei einem geschlossenen Kollektiv) dann als
dx = lx − lx+1 .
Das Wesentliche einer Sterbetafel ist nun die Angabe der Zahlenfolge l0 , l1 , l2 , . . . , lω−1 , lω .
Das Alter ω bezeichnet hier das so genannte kalkulatorische Schlussalter, d. h. das „letz1
Wir werden im Weiteren nur Männer betrachten. Alle Überlegungen gelten natürlich, mutatis mutandis, auch für Frauen.
10
1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
VT
te“ Alter x, in dem die Kohorte überhaupt noch lebende Personen enthalten kann (bzw.
soll), also lω+1 := 0.
Ausgehend von den 100.00 Nulljährigen listet eine Sterbetafel dann beispielsweise folgenden Größen auf:
lx
dx = lx − lx+1
Anzahl der im Alter von x Jahren Gestorbenen,
dx
lx
relative Häufigkeit, als x-jähriger zu sterben (wird als
Schätzung für die sog. einjährige Sterbewahrscheinlichkeit eines x-Jährigen interpretiert); dlxx heißt rohe Sterbewahrscheinlichkeit,
px = 1 − qx
Wahrscheinlichkeit, als x-jähriger das Alter x + 1 zu erreichen (einjährige Überlebenswahrscheinlichkeit eines
x-jährigen),
1 lx
+ lx+1
+ lx+2
+. . .+ llωx
2 lx
lx
lx
1
·( 12 lx +lx+1 +· · ·+lω )
lx
erwartete Anzahl von Jahren, welche ein x-jähriger
noch zu leben hat (fernere Lebenserwartung eines xjährigen).
qx =
e0x =
=
Anzahl der Überlebenden des vollendeten Alters x, also
der „lebenden x-jährigen“,
Die mittlere Lebenserwartung entspricht dabei der ferneren Lebenserwartung eines NullJährigen. Die wahrscheinliche Lebensdauer entspricht dem Median der Lebensdauerverteilung, also dem Alter, in dem 50% der Kohorte gestorben sind. Als normale Lebensdauer wird der Modalwert, d. h. das Alter, in dem die meisten der Kohorte sterben,
bezeichnet. Die Größen lx ,dx und e0x heißen biometrische Funktionen. Beispielhaft ist
hier die Sterbetafel 2012-2014 abgebildet, wie sie vom Statistischen Budesamt für diesen
Zeitraum im Jahr 2015 herausgegeben wurde (siehe www.destatis.de).
11
1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
VT
Sterbetafel 2012/14
Deutschland
Männlich
Vollendetes
Alter in Jahren
Sterbe-
Überlebens-
Überlebende
im Alter x
Gestorbene
im Alter x
bis unter x+1
Von den Überlebenden im Alter x
bis zum
insgesamt
Alter x+1 durchlebte noch zu
durchlebende
Jahre
Durchschnittliche
Lebenserwartung
im Alter x
in Jahren
lx
dx
Lx
ex
wahrscheinlichkeit
vom Alter x bis x+1
x
qx
px
Tx
0
1
3
4
......................
......................
......................
......................
......................
0,00353650
0,00014063
0,00013705
0,00011695
0,99646350
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77,40
75,43
74,44
5
6
7
9
......................
......................
......................
......................
......................
0,99991077
0,99990914
}
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73,45
71,47
70,47
10
11
13
14
......................
......................
......................
......................
......................
0,00006746
0,99991377
0,99990914
}
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67,49
66,50
65,50
64,51
15
16
17
19
......................
......................
......................
......................
......................
0,00015603
0,00031641
0,00041655
0,99954764
}
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61,54
60,56
59,59
......................
......................
......................
......................
......................
0,00045330
0,00044345
0,99954670
0,99955655
0,99949179
0,99951564
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57,64
56,67
55,69
......................
......................
......................
......................
......................
0,00051644
0,00055193
0,99947965
0,99947947
0,99943703
}
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53,75
30
31
33
34
......................
......................
......................
......................
......................
0,00061511
0,00070336
0,00069396
0,99934677
0,99930604
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47,91
46,94
45,01
35
36
37
39
......................
......................
......................
......................
......................
0,00105130
0,99916946
}
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44,04
41,15
40
41
43
44
......................
......................
......................
......................
......................
0,00119591
0,00167603
}
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}
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37,34
36,39
35,45
45
46
47
49
......................
......................
......................
......................
......................
0,00331193
0,99769966
}
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33,59
31,75
26
12
1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
Vollendetes
Alter in Jahren
Sterbe-
Überlebens-
Überlebende
im Alter x
Gestorbene
im Alter x
bis unter x+1
Von den Überlebenden im Alter x
bis zum
insgesamt
Alter x+1 durchlebte noch zu
durchlebende
Jahre
Durchschnittliche
Lebenserwartung
im Alter x
in Jahren
lx
dx
Lx
ex
wahrscheinlichkeit
vom Alter x bis x+1
x
qx
px
VT
Tx
50
51
53
54
......................
......................
......................
......................
......................
0,00414361
0,00469901
0,00519914
0,99634131
0,99530099
0,99409916
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55
56
57
59
......................
......................
......................
......................
......................
0,00696965
0,99303035
}
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60
61
63
64
......................
......................
......................
......................
......................
0,01114577
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19,95
19,19
65
66
67
69
......................
......................
......................
......................
......................
0,01751375
0,01900703
}
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17,69
16,95
15,50
14,79
70
71
73
74
......................
......................
......................
......................
......................
0,97773939
0,97601557
}
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14,09
13,40
11,39
75
76
77
79
......................
......................
......................
......................
......................
0,03463645
0,04343536
0,05454946
0,96536355
0,95656464
0,95160091
0,94545054
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10,74
10,11
9,50
......................
......................
......................
......................
......................
0,93041397
0,91153349
}
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7,79
6,76
6,30
......................
......................
......................
......................
......................
0,16553099
}
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}
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}
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}}
}}
}}
}}
5,44
5,05
4,33
4,00
90
91
93
94
......................
......................
......................
......................
......................
}
}
}
}
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}
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}}
}}
}}
}}
3,69
3,40
3,16
95
96
97
99
......................
......................
......................
......................
......................
}
}
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}
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}
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}}
}}
}}
}}
1,94
100 ......................
}
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}
}}
27
13
1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
VT
Außer den in der Sterbetafel angegebenen Größen sind die folgenden abgeleiteten Größen
noch von Bedeutung:
lx+t
Wahrscheinlichkeit, dass ein x-jähriger nach
t px = lx
t Jahren noch lebt (t-jährige Überlebenswahrscheinlichkeit); offenbar ist 1 px = px ,
t qx
dx+t
lx
=
=
lx+t
lx
lx −lx+t
lx
dx+t
lx+t
= 1 − t px
Wahrscheinlichkeit, dass ein x-jähriger innerhalb
der nächsten t Jahre stirbt (t-jährige Sterbewahrscheinlichkeit),
Wahrscheinlichkeit, dass ein x-jähriger im Alter
von x + t stirbt (um t Jahre aufgeschobene Sterbewahrscheinlichkeit).
Bei der Erstellung sog. Periodensterbetafeln (Querschnittssterbetafel) werden 100.000
Personen aus einem oder mehreren Kalenderjahren zugrunde gelegt. Es werden dadurch
sämtliche in dieser Zeitspanne lebenden Geburtsjahrgänge betrachtet. Während dieser
Betrachtungseperiode liefern auch hier die Anzahlen lx der x-jährigen bzw. dx der als x−
jährige Gestorbene die Informationen die um qx anzugeben. Bei der oben abgebildeten
Sterbetafel handelt es sich um eine Periodensterbetafel.
Um konkrete Serbetafel für das VU zu generieren werden nun zusätzlich Trend- und Selektionseffekte berücksichtigt. So könnte etwa der medizinische Fortschritt dafür sorgen,
dass „in Zukunft“ die Sterbewahrscheinlichkeiten geringer ausfallen, als sie durch die qx
bestimmt sind. Ebenfalls ist natürlich das das „Vorsichtsprinzip“. bei der konkreten Festlegung der qx (als Rechnungsgrundlage 1. Ordnung) zu wahren. Mittels umfangreichen
statistischen Methoden entsteht aus all diesen Daten und Trend- und Selektionsannahmen so die eigentliche Sterbetafel, die das VU für die Prämienkalkulation heranzieht.
Die zu Grunde liegenden statistischen Methoden hier darzustellen, würde allerdings den
Rahmen dieser Veranstaltung sprengen. Verwiesen sei etwa auf [19].
Die Wahl der „richtigen“ Sterbetafel (bzw. –analog– irgend einer anderen Ausscheideordnung) als Rechnungsgrundlage 1. Ordnung ist von zentraler Bedeutung bei der Kalkulation von Versicherungsleistungen/Beitragsleistungen. Bis 1994 wurden den Versicherungsunteernehmen die zu werwendenden Ausscheideordnungen durch das BAV (Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen) vorgegeben. Seit diesem Zeitraum sind die
VU prinzipiell frei und können Ausscheideordnungen grundsätzlich nach eigenem Ermessen wählen. Damit kann ein Versicherungsunternehmen Spezifika bei den bei ihm versicherten Personen berücksichtigen. Der Aufwand für die Erstellung einer solchen „VUindividuellen“ Ausscheideordnung stellt jedoch für die einzelnen Unternehmnen einen
immensen Aufwand dar. Derzeit stellt daher die DAV (Deutsche Aktuar Vereinigung
e.V.) Regel-Ausscheideordnungen für die VU zur Verfügung. Die neueste bezüglich des
Risikos „Langlebigkeit“ wurde dort 2004 erstellt (DAV 2004 R), die aktuelle Sterbetafel
bezüglich des Risikos „Sterblichkeit“ ist die Sterbetafel DAV 2008 T. Hinsichtlich des
Pflegefallrisikos wird derzeit die Tafel DAV 2008 P verwendet. Die oben dargestellte
Systematik für die „Sterbetafel“ gilt ganz entsprechend auch für die Konstruktion dieser
Ausscheideordnungen, Wenn wir also in Zukunft die Nomenklatur qx ,dx ,lx ,e0x verwenden,
so beziehen wir uns damit zwar auf eine Sterbetafel, die Nomenklatur gilt aber –mutatis
t| qx
=
·
= t px · qx+t
14
1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
VT
mutandis- in analoger Weise für andere Ausscheideordnungen (z.b. „Invaliditätstafeln“
oder „Pflegefalltafeln“. Und dies sowohl für Männer als auch für Frauen.
Wichtig: Per Gesetzesverordnung darf seit Ende 2012 innerhalb der Rechnungsgrundlagen 1. Ordnung (!) nicht mehr nach dem Geschlecht differenziert werden, obwohl in
der Lebensversicherung risikogerechte Beiträge kalkuliert werden sollen. Dies ist eine
Konsequenz aus der EU-Gleichstellungsrichtlinie aus dem Jahr 2004 (RL 2004/113 EG).
Diese erhält in Art. 5 Abs. 1 folgenden Grundsatz:
„Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass spätestens bei den nach dem 21. Dezember 2007 neu abgeschlossenen Verträgen die Berücksichtigung des Faktors Geschlecht bei
der Berechnung von Prämien und Leistungen im Bereich des Versicherungswesens und
verwandter Finanzdienstleistungen nicht zu unterschiedlichen Prämien und Leistungen
führt.“
Gegen diese Richtlinie haben vor allem deutsche Versicherer geklagt, sind mit der Klage
aber Anfang 2011 vor dem EuGH unterlegen. Um zu verhindern, dass nun alle nach
dem 21.12.2007 geschlossenen Verträge unwirksam sind, gewährte der EuGH eine Übergangszeit bis zum 21.12.2012 2 . Ab diesem Zeitpunkt müssen die Prämien sämtlicher
neu abgeschlossener Versicherungen nach geschlechtsunabhängigen Ausscheideordnungen kalkuliert werden (Unisex-Tarife). Diese Unisex-Kalkulation betrifft allerdings nicht
bereits bestehende Verträge und auch die Berechnung der Reserven kann (sollte!) zukünftig weiterhin mit geschlechtsdifferenzierenden Ausscheideordnungen erfolgen.
1.3 Eine garantierte Zinsentwicklung als
Rechnungsgrundlage 1. Ordnung
Die vom VU einzuschätzende Verzinsung der Reserven stellt eine weitere wesentliche
Grundlage bei der Kalkulation von Prämien und Versicherungsleistungen dar.
Wegen der vertraglichen Fixierung von Versicherungsleistung(en) bzw. Prämien zu Beginn eines Versicherungsvertrages hat das VU hierzu entsprechend langfristige (!) Zinsannahmen zu treffen. Mit der Festlegung dieser Zinsannahmen bindet sich das VU bereits zu Beginn des Vertrages für jedes Jahr der gesamten Laufzeit. Es geht damit also
ein langfristiges, vertraglich bindendes Verzinsungsverprechen gegenüber dem Kollektiv
(und damit gegenüber dem einzelnen VN) ein. garantierten Verzinsung.
Diese langfristige Zinsgarantie (Garantieverzinsung), die ein wesentliches Merkmal der
(deutschen) Lebensversicherung ist, wird technisch durch eine Festlegung kalkulatorischer Zinssätze
I := (i1 , i2 , . . . , in )
für die einzelnzelnen Jahre der Versicherungslaufzeit getroffen. Die Größe it beschreibt
dabei den Zinssatz, den das VU dem Kollektiv gegenüber für die Anlage der Kapitalre2
Dies war übrigens der Tag, an dem der alte Maya-Kalender den Weltuntergang prophezeite.
15
1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
VT
serven des Abrechnungsverbandes für das t-te Jahr der Versicherung garantiert.
Bei der Wahl der Werte für it ist das VU in einem gewissen Maße „frei“.
Wegen der Verpflichtung zur dauerhaften Erfüllbarkeit der Verträge gehen die VU allerdings sehr vorsichtig bei der Fixierung derartiger Zinssätze vor (Vorsichtsprinzip). Das
VU trägt durch dieses „Garantie-Versprechen“ ja das Risiko, ggf. diese Rendite zukünftig (in jedem Jahr der Laufzeit des Vertrages) auch tatsächlich zu erzielen, um so die
(nach VAG § 11) erforderlichen Kapitalreserven (Deckungsrückstellungen) auch bilden
zu können.
Für eine kalkulatorische Verzinsung der Kapitalreserven (Deckungsrückstellungen) hat
der Gesetzgeber aus diesem Grunde Höchstwerte angegeben. Dieser sogenannte Höchstrechnungszins i ist in der Vergangenheit immer wieder den Entwicklungen am Kapitalmarkt angepasst worden. Eine „Faustregel“ soll diesen Höchstwert in etwa an 60%
des Zinssatzes für längerfristig laufende Staatsanleihen (d.h. an Wertpapiere mit dem –
formal – geringsten Ausfallrisiko) orientieren. Die Höchstrechnungszinssätze für eine kalkulatorische Verzinsung der Dechungsrückstellungen bei Lebensversicherungsprodukten
betrugen/betragen:
1903 bis
1923 bis
1942 bis
1987 bis
1922
1941
1986
06/1994
07/1994 bis 06/2000
07/2000 bis 2003
2004 bis 2006
2006 bis 2011
2012 bis 2014
2015 bis 2016
2017 bis
i = 3, 5%
i = 4, 0%
i = 3, 0%
i = 3, 5%






 „regulierter“,
festgelegter Rechnungszins
festgelegt)

(staatlicherseits






i = 4, 0% 





i = 3, 25%





i = 2, 75%

 „deregulierter“ staatlich festgelegter Höchsti = 2, 25%

 Rechnungszins für Deckungsrückstellungen

i = 1, 75%





i = 1, 25%




i = 0, 90%
Bis 1994 wurde der anzuwendende Rechnungszins vom damaligen Bundesaufsichtsamt
für das Versicherungswesen (BAV) – jetzt BAFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) – den Versicherern vorgeschrieben. Ab 1994 gibt es einen vom Finanzministerium vorgeschriebenen Höchstrechnungszins
Die Versicherer drücken ihre Einschätzung über die zukünftige Verzinsung der Reserven
eines Abrechnungsverbandes in einem derzeit noch einheitlichen (= zeitlich konstanten)
kalkulatorischen jährlichen Rechnungszins i aus, d.h.
I = (i, i, i, . . . , i).
Er beschreibt also für die Zukunft die Höhe einer angenommenen einheitlichen garantierten jährlichen Verzinsung der Kapitalreserven im entsprechenden Abrechnungsverband.
16
1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
VT
Marktüblich ist es auch, den gesetzlich festgelegte Höchstrechnungszins (für die Verzinsung der Rückstellungen) bei der Beitrag-/Leistungs Kalkulation zu verwenden. Motiviert ist dies dadurch, dass sich diese Rückstellungen letztlich aus den Beiträgen der VN
ergeben, und dieser Zinssatz so auch eine angenommene jährliche Verzinsung der vom
VN eingenommenen Versicherungsprämien widerspiegeln kann. Zu bemerken ist allerdings, dass grundsätzlich die Verwendung von verschiedenen Rechnungszinssätzen für
die Verzinsung eingezahlter Prämien einerseits, bzw. Verzinsung der Deckungsrückstellungen (Kapitalreserven) andererseits, erlaubt wäre.
Als Alternative zur Konstanz des kalkulatorischen Garantie-Zinssatzes i während der
gesamten „Lebensdauer“ eines Abrechnungsverbandes werden in der deutschen Versicherungswirtschaft derzeit sogenannte „temporäre Zinsgarantien“ oder „AbschnittsGarantien“ diskutiert. In dieser Konzeption wird die Laufzeit eines Versicherungsvertrages gedanklich in mehrere Phasen unterteilt. Während der einzelnen zeitlichen Abschnitte werden dann jeweils unterschiedliche Zinssätze „garantiert“. Diese verschiedenen
garantierten Zinssätze könnten dann wiederum entweder zu Beginn eines Vertrages für
sämtliche Phasen oder aber jeweils zu Beginn der einzelnen Phasen neu festgelegt werden.
Es gibt heute auch bereits Lebensversicherungen, bei denen gänzlich auf eine garantierte Verzinsung verzichtet wird. Bei derartigen Versicherungen,so genannten FondsVersicherungen, werden die anzulegenden Reserven einem Anlage-Fonds zugeführt, der
für eine entsprechende Verzinsung „zu sorgen hat“. Das VU gibt über die Höhe der Rendite allerdings a priori keinerlei Versprechen ab. Somit liegt in diesem Fall das „RenditeRisiko“ vollständig bei den VN.
1.4 Einschub: Kommutationswerte
Neben den vorgestellten Größen in der Sterbetafel lassen sich nun, mit Annahmen über
die Verzinsung, bereits eine Reihe von „kombinierten Grössen“ ableiten. Diese so genannten Kommutationswerte spielten besonders früher (und in vielen Bereichen auch
heute noch) eine große Rolle bei der Kalkulation und der quantitativen Analyse von
Lebensversicherungen. Kommutationswerte wurden bereits Ende des 18. Jahrhunderts
von Tetens (siehe [7]) eingeführt und zum ersten mal verwendet. Früher waren diese
Kommutationswerte in einem besonderen Maße notwendig, ja sogar unverzichtbar, da
man – ohne Zuhilfenahme von Rechnern – beispielsweise die Prämien bzw. Leistungen für
spezielle Lebensversicherungsprodukte (etwa Leibrenten) ermitteln musste. Für die dazu
notwendigen – und aus damaliger Sicht auch „aufwendigen“, da manuell, durchzuführenden Rechenoperationen – griff man auf „einmal berechnete“ und dann in Tabellenform
vorliegende numerische Werte dieser Grundgrößen zurück. Durch einfache Rechenoperationen (meist Additionen und Divisionen) auf derartigen Tafel-Werten ließen sich dann
bestimmte versicherungstechnische Grundgrößen eines Lebensversicherungsvertrages relativ einfach bestimmen3 .
3
Eine solche Vertafelung der Kommutationswerte lässt sich vielleicht mit den früher in Tabellenform
vorliegenden Logarithmentafeln, oder Tafeln trigonometrischer Formeln vergleichen, welche heute
17
1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
VT
Weder aus rechentechnischer Sicht, noch aus methodisch-instrumenteller Sicht gibt es
stichhaltige Begründungen, auch heute noch derartige Kommutationswerte für die Bestimmung versicherungstechnischer Größen heranzuziehen. Ihre Verwendung schränkt
sogar die Kalkulation einer großen Palette potentieller Lebensversicherungsprodukte ein.
Da aber – auch in der neueren Literatur – Kommutationswerte immer noch vielfältig
„zelebriert“ werden4 , sei auch hier wenigstens auflistend auf die „häufigsten“ Größen
hingewiesen. Unter Benutzung der rohen Sterbewahrscheinlichkeiten einer Sterbetafel
und bei Verwendung eines über alle Jahre konstanten Zinssatzes i und folglich eines
konstanten Diskontfaktors
1
v=
,
1+i
werden für die einzelnen Alter x typischerweise folgende Kommutationswerte (bzw. Barwertfaktoren) tabelliert.
i. Diskontierte Zahl der Lebenden des Alters x:
Dx := lx · v x
ii. Summe der diskontierten Zahl der Lebenden ab Alter x:
Nx :=
ω
X
Dj
j=x
iii. Doppelt aufsummierte Zahl der Lebenden ab Alter x:
Sx :=
ω
X
Nj =
j=x
ω
X
(j − x + 1) · Dj
j=x
iv. Diskontierte Zahl der Toten des Alters x:
Cx := dx · v x+1
v. Summe der diskontierten Zahl der Toten ab Alter x:
Mx :=
ω
X
Cj
j=x
vi. Doppelt aufsummierte Zahl der Toten ab Alter x:
Rx :=
ω
X
Mj =
(j − x + 1) · Cj
j=x
j=x
4
ω
X
praktisch ebenfalls bedeutungslos geworden sind.
Tatsächlich liegen diese Größen auch heute noch (in oft sehr umfangreichen Tabellen) „vertafelt“ vor.
So etwa in den Materialen des Statistischen Bundesamtes (siehe beispielsweise [17].)
18
1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
VT
1.5 Die Kostenzuschläge als Rechnungsgrundlagen 1.
Ordnung
Das Organisieren des Gewährens von Versicherungsschutz verursacht beim VU Kosten.
Gedanklich sind diese der „Preis“ für alle im Zusammenhang mit einem Versicherungsvertrag anfallenden „indirekten Versicherungsleistungen“. Diese Kosten stellt das VU
den VN des Kollektivs in Rechnung, indem es auf der einzelvertraglichen Ebene eine
entsprechende Kostenzuordnung vornimmt und dem einzelnen VN seine entsprechenden
Kosten im Rahmen seiner Beitragzahlungen „zuschlägt“. Gemäss §11 VAG müssen nämlich auch diese Kosten aus den Prämien der VN bestritten werden. Entsprechend müssen bei einer Beitragskalkulation diese Kostenzuschläge Berücksichtigung finden. Eine
solche Kalkulation nennt man „Brutto-Beitragskalkulation“ im Gegensatz zur „NettoBeitragskalkulation“, welche die Kostenzuschlägen für die indirekten Versicherungsleistungen nicht berücksichtigt.
Abhängig vom Zeitpunkt, in welchem die indirekten Versicherungsleistungen durch das
VU erbracht werden, unterscheidet man zunächst grob zwischen Abschluss- und Verwaltungskosten.
1.5.1 Abschlusskostenzuschlag (α-Kosten)
Hinter dem Begriff „Abschlusskostenzuschlag“ verbirgt sich der Kostenblock für sämtliche Aufwendungen des VU, die vor und mit dem Abschluss eines Versicherungsvertrags
verbunden sind. Im Allgemeinen wird hier differenziert:
(i) äußere Abschlusskosten:
• Vermittlungsprovisionen (an den Aussendienst) für die Akquisition eines neuen Vertrages,
• Lohnanteile für den angestellten Außendienst, die dem Abschluss eine Vertrages zugeordnet werden können,
• anteilige Kosten für Geschäftsstellen, etc.,
(ii) innere Abschlusskosten:
• Kosten für die Auftragsbearbeitung (Gesundheitsprüfung, Anfertigung der
Police, EDV-Erfassung, . . . ),
• anteilige Kosten für Mitarbeiterschulung,
• Kosten für Marketing,
• anteilige Entwicklungskosten für neue Vesicherungsprodukte.
Das VU muss also bei der Prämienkalkulation a priori eine Vorstellung darüber haben,
• in welcher Gesamthöhe derartige Abschlusskosten anfallen,
19
1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
VT
• wie, wann und in welcher Höhe diese entstandenen Abschlusskosten dem VN (über
seine Prämien) belastet werden
Als Bezugsgröße für die Ermittlung der Höhe dieser kalkulatorischen Abschlusskostenzuschläge wird derzeit i. Allg. die Summe aller vom VN zu zahlenden Beiträge herangezogen. Um daraus die Höhe der Abschlusskosten zu ermitteln legt das VU einen Wert
α fest (daher der Name α-Kosten), der den sog. rechnungsmässigen Abschlusskostensatz
beschreibt. Beispielsweise liegt für gemischte Versicherungen bei VU mit selbständigem
Außendienst derzeit dieser kalkulatorische Abschlusskostensatz bei etwa 4%, d. h. 4%
aller gezahlten Beiträge einer solchen Versicherung werden dem Kollektiv ( und somit
dem einzelnen VN) kalkulatorisch als Abschlusskosten in Rechnung gestellt.
Die deutschen VU weisen zu einem sehr großen Teil einen negativen Saldo zwischen
tatsächlichen Abschlusskosten und rechnungsmässigen Abschlusskostenzuschlägen auf.
Dieser Abschlusskostenverlust wird auch als überrechnungsmäßige Abschlusskosten bezeichnet und wird in der GuV gesondert ausgewiesen.
1.5.2 Verwaltungskostenzuschlag (β- und γ- Kosten)
Hinter dem Begriff „Verwaltungskostenzuschlag“ verbergen sich die Kostenzuschläge für
sämtliche Aufwendungen des VU, die mit der Verwaltung eines Versicherungsvertrags
verbunden sind. Im Allgemeinen wird hier differenziert:
(i) Inkassokosten (eher historisch) (β-Kosten),
(ii) laufende Verwaltungskosten (γ-Kosten):
• Kosten für die „Bestandsführung“,
• Löhne und Gehälter der Mitarbeiter,
• Miete, Steuern, Kundenkorrespondenz,
• Aufwendungen für Vertragsbeendigung,
• Kosten, die durch die Stornierung von Verträgen entstehen,
• Kosten, die bei Ablauf oder Eintritt des Versicherungsfalls entstehen.
Ähnlich wie schon bei den Abschlusskosten muss das VU für die Prämienkalkulation a
priori festlegen, wann und in welcher Gesamthöhe diese Verwaltungskosten anfallen, bzw.
wie, wann und in welcher Höhe diese Kostenart dem VN über seine Prämien belastet
werden.
Als Bezugsgrößen für die Festlegung der Höhe der kalkulatorischen Verwaltungskostenzuschläge werden i. Allg.
• die Prämien des VN,
• Versicherungsleistungen des VU (z.B. Rentenhöhe, Versicherungssumme),
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1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
VT
oder eine Kombination aus derartigen Größen herangezogen. Diese Bezugsgrößen werden
dann – ähnlich wie bei den Abschlusskostenzuschlägen – mit kalkulatorischen Verwaltungskostensätzen β bzw. γ (daher der Name β-Kosten, bzw. γ-Kosten) multipliziert
und so die kalkulatorische Höhe dieser Kostenart ermittelt, die dem VN in Rechnung
gestellt wird. Wir werden im Zusammenhang mit der „Bruttokalkulation“ noch auf diese
Kosten zurückkommen und sie für die Kalkulation systematisieren.
1.6 Die beiden versicherungstechnischen
Äquivalenzprinzipien
In diesem Abschnitt stellen wir den Kalkulationsgrundsatz vor, der innerhalb der Lebensversicherung eine fundamentale Bedeutung für die Beitragsbestimmung hat. Mit
dem Versicherungsvertrag garantiert das VU dem VN eine a priori festgelegte Versicherungsleistung, falls der Versicherungsfall eintritt. Im Gegenzug verpflichtet sich der VN,
dafür zu bestimmten Zeitpunkten während der Laufzeit des Vertrags a priori festgelegte
Beiträge (Prämien) zu leisten.
Die technische Bestimmung von Beitragsleistungen des VN (bzw. der Versicherungsleistungen des Kollektivs, der Bestandsgruppe eines Kollektivs) gestaltet sich nun derart,
dass den Beitragsleistungen des VN die entsprechenden Versicherungsleistungen des Kollektivs gegenübergestellt werden.
Versicherungsleistungen
des Kollektivs,
indirekte Leistungen des VU
Beitragsleistungen
des VN
Abbildung 1.3: Gegenüberstellung von Beiträgen und Leistungen
Ein im Sinne des Kollektivs erstes, angemessenes Kalkulationsprinzip, welches den Anforderungen des §11 VAG gerecht wird, könnte darin bestehen zu fordern, die Prämien
so zu kalkulieren, dass zu jedem Zeitpunkt t der Vertragslaufzeit die in t vom VN
erwartungsgemäss zu zahlende Prämie und die in t zu erwartenden Leistungen (des
Kollektivs) an ihn wertmäßig identisch sind:
„Wert zum Zeitpunkt t“ der in t
erwartungsgemäss von den VN zu
zahlenden Beitragsleistungen
!
=
„Wert zum Zeitpunkt t“ der in t zu
erwartenden, vertraglich festgelegten Versicherungsleistungen an die
VN.
Wird eine Leistungs-Prämienkalkulation nach diesem Kalkulationsprinzip vorgenommen, so nennen wir dies „starkes versicherungstechnisches Äquivalenzprinzip“.
In jedem Zeitpunkt t der Versicherungslaufzeit „finanziert“ also die zu erwartende Prämie die für diesen Zeitpunkt zu erwartende Versicherungsleistung.
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1 Kalkulationsprinzip und Kalkulationsgrundlagen
VT
Da aber die Prämien einerseits und die zu erwartenden Versicherungsleistungen (des
Kollektivs) bzw. die sonstigen Leistungen (des VU) andererseits im Allgemeinen zu verschiedenen Zeitpunkten anfallen, könnte man auch ein alternatives Kalkulationsprinzip
ins Auge fassen, welches den „gesamten Wert“ der einzelnen Verträge (über die Laufzeit
hinweg) berücksichtigt. Dies führt zu einem, im Sinne des Kollektivs ebenfalls angemessenen Kalkulationsprinzip, welches auch den Anforderungen des §11 VAG gerecht
wird.
Dieses fordert, die Prämien so zu kalkulieren, dass für jeden Zeitpunkt t gilt, dass
die aus den einzelnen Verträgen gesamthaft zu erwartenden Prämienleistungen und die
aus den Verträgen gesamthaft zu erwartenden Versicherungsleistungen bezogen auf den
Zeitpunkt t wertmäßig identisch sind:
„Wert zum Zeitpunkt t“ aller zu erwartenden, vertraglich festgelegten
Beitragsleistungen eines jeden VN
!
=
„Wert zum Zeitpunkt t“ aller zu erwartenden, vertraglich festgelegten
Versicherungsleistungen (des Kollektivs) an die VN.
Eine Leistungs-Prämienkalkulation, die nach diesem Kalkulationsprinzip vorgenommen
wird, nennen wir das „schwache versicherungstechnische Äquivalenzprinzip“.
Wir werden später sehen, dass beide Äquivalenzprinzipien in einem sehr engen, aber
zentralen Zusammenhang stehen.
Nachdem durch die beiden versicherungstechnischen Äquivalenzprinzipien zwei Kalkulationsgrundsätze festgelegt sind, mit welchen wir bestimmen könnten, wie die Leistungen
des Kollektivs und die dafür zu erbringenden Prämienleistungen des VN zusammenhängen, müssen wir uns nun Gedanken darüber machen, wie die einzelnen Komponenten
der Rechnungsgrundlagen konkret in den Kalkulationsprozess einbezogen werden.
22
Literaturverzeichnis
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[23] http://www.gesetze-im-internet.de(Stand: 2016)
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Indexverzeichnis
Abschlusskostenzuschläge, 20
Barewrtfaktoren, 18
Garantieverzinsung, 15
Höchstrechnungszins, 16
Kommutationswerte, 17
temporäre Zinsagarantie, 17
Versichertenkollektiv, 7
versicherungsmathematisches Vorsichtsprinzip, 8
119