Kuh-Garten: Ein Stall der Zukunft?

Stallbau
Kuh-Garten:
Ein Stall der Zukunft?
Im holländischen Groenlo steht der erste Garten-Stall für Milchkühe. Was
steckt hinter dem Pilotprojekt? top agrar gibt einen exklusiven Einblick.
I
n meinen Job als Redakteur habe ich
schon viele Kuhställe gesehen – oft
nigelnagelneu und mit modernster
Technik ausgestattet. Doch als ich Mitte
September im Stall von Familie Bomers
in Groenlo (Niederlande) stand, musste
ich mir die Augen reiben: In dem Freilaufstall stehen und liegen die Kühe auf
einem weichen Boden, der einer Weide
gleicht. Ein Roboter fährt durch die
Herde und sammelt die Kuhfladen ein.
Bäume und Blumen wachsen mitten
Stall. Und wenn die Pflanzen Wasser benötigen, springt die Beregnung an.
Ziele des Projekts:Bei Bio-Milcher-
zeuger Chris Bomers steht der erste
Kuh-Garten. Vier Partner aus Praxis
und Industrie haben das Konzept entwickelt (vgl. Kasten „Stallkonzept vom
Gärtner“ auf Seite R 8).
Der Stall passt sich der Landschaft an
und soll den Kühen so natürliche Lebensbedingungen wie möglich bieten.
Damit verfolgen die Entwickler drei
Kernziele, die in den Niederlanden sehr
wichtig sind, aber auch ohne weiteres
auf Deutschland zutreffen:
• Das Wohlbefinden der Kühe und somit die Lebensdauer steigern.
• Die Emissions-Ausscheidung in der
Milchviehhaltung senken.
• Die öffentliche Diskussion über große
Kuhställe auffangen und das gute Image
der Milchviehhalter halten.
Um das zu erreichen, haben die Entwickler innovative Konzepte im Stall
umgesetzt.
Der komplette Kuhstall ist 110 m lang
und 35 m breit. In der Mitte steht eine
Melkroboter-Insel. Sie teilt den Stall in
zwei Hälften: Auf der einen Seite ein
konventioneller Stall mit Liegeboxen,
auf der anderen Seite der Kuh-Garten
ohne Liegeboxen. Mit 15 bis 20 m2 pro
Kuh ist das Platzangebot im Freilauf-Stall des Kuh-Gartens doppelt so
hoch wie in dem „normalen“ Stall.
Viel Licht und Luft:Der komplette
Stall ist als Veranda-Stall ausgeführt, der
einem Gewächshaus ähnelt. Das ist be-
Bio-Milcherzeuger Chris Bomers aus Groenlo (Niederlande) hat die ersten Kühe im
Garten-Stall. Künftig will er bis zu 70 Kühe in dem Pilotstall halten.
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top agrar 11/2014
Pilotprojekt
Kuh-Garten:
Die Tiere
stehen und
liegen auf
einem Boden,
der einer Weide
ähnelt. Mehrere
Beete mit
Blumen und
Bäumen
durchqueren
den Stall.
Der offene
Veranda-Stall
lässt viel Licht
und Luft herein.
Der Roboter fährt autonom durch die
Herde und sammelt den Kot ein.
Fotos: Dylka
Die offenen Seitenwände mit Blick auf die Beete im Stall und die grünliche Eindeckung
des Veranda-Stalls passen sich gut der Landschaft an.
Im Stall gibt es eine Beregnung für die
Beete, die im Sommer zusätzlich kühlt.
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Fotos: Dylka
Stallbau
Die Besucher-Plattform bietet einen guten Überblick über den
Stall. Künftig soll ein Wanderweg Gäste vom Naturpark anlocken.
sonders für den Kuh-Garten wichtig:
Die Seitenwände haben eine Traufhöhe
von 5,50 m und sind komplett offen. Das
Dach besteht aus mehreren Bögen.
Diese sind mit einer Plane und einem
Schattentuch umspannt. Zwischen den
einzelnen Bögen sind Dachrinnen installiert, damit das Regenwasser abfließt.
Die offenen Seiten und das helle
Dach lassen viel Licht und Luft für die
Kühe und Pflanzen in den Stall, schützen aber dennoch vor zu starker Sonneneinstrahlung. Der Luftaustausch erfolgt über Querlüftung.
Lange getüftelt haben die Konstrukteure, bis der Stallboden im Kuh-Gar-
Die andere Stallhälfte hat planbefestigte Laufgänge und
Liegeboxen. Links die Futterküche des Futter-Roboters.
ten ähnliche Eigenschaften hatte wie
eine Weide. Er ist weich, die Klauen der
Kühe sinken leicht ein. Die Tiere können gut laufen und vor allem bequem
abliegen und aufstehen. Gleichzeitig ist
die Oberfläche aufgeraut, damit sie
nicht ausrutschen.
Um das zu erreichen, besteht der Boden aus mehreren Schichten: Ganz
oben befindet sich eine Gewebelage, darunter ein Abflussboden und ganz unten eine Folie sowie 15 
cm Recycling-Material.
Weiterer Vorteil der Schichten: Urin
und Kot werden direkt getrennt, das
senkt die Ammoniak-Emissionen. Denn
Stallkonzept vom Gärtner
Ideengeber und Initiator des
Kuh-Gartens ist der Landschaftsgärtner Jan Pape aus Beltrum. Beim
Besuch eines Milchviehbetriebs stieß
ihm der viele Stahl und Beton im
Kuhstall sauer auf. Er entwickelte die
Vision eines Kuhstalls, der den Kühen natürliche Lebensbedingungen
bietet und sich ideal in die Landschaft anschmiegt.
Mit der Stiftung Courage (Niederländische Innovationsstiftung für
Milchviehhaltung), ID Agro (Produzent innovativer Stallsysteme) und
der Fa. Betebe (Spezialist für Entmistungstechnik) hatte Pape drei weitere
Partner im Boot. Sie stellten 2009 das
Konzept des Kuh-Gartens vor.
Bio-Milcherzeuger Chris Bomers
war sofort Feuer und Flamme. Beim
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Neubau komplett auf das innovative
Stallsystem zu setzen, war ihm aber
doch zu riskant. Deshalb hat er den
neuen Stall zur Hälfte konventionell
gebaut, zur anderen Hälfte als
Kuh-Garten.
Beim Garten-Stall musste der
Landwirt den Oberbau sowie den
Futtertisch bezahlen. Die „Risiko-Produkte“ (Boden, Mistroboter,
Beete) mussten die Projektpartner
finanzieren. Dafür haben sie Stiftungsgelder und EU-Fördermittel
angezapft, aber nach eigener Aussage
auch selbst Geld hineingesteckt.
Das Interesse am Kuh-Garten ist
in den Niederlanden groß: Sechs weitere Milcherzeuger stehen in den
Startlöchern, ein ähnliches Stallkonzept umzusetzen.
je länger Urin und Kot zusammen sind,
desto mehr Ammoniak entsteht.
Der Boden nimmt Urin auf. Dieser
fließt bis zur mittleren Bodenschicht
und von dort aus weiter in einen Sammelbehälter, der neben dem Stall steht.
Die gesammelte Flüssigkeit bringt Bomers als Wirtschaftsdünger auf seinen
Feldern aus. Das ist effizient und kann
das Nährstoff-Konto entlasten.
Roboter sammelt Kot.Der Kot bleibt
hingegen auf dem Boden liegen. Ein Roboter sammelt ihn auf.
Dieser ist elektronisch angetrieben
und soll künftig vollkommen autonom
über Sensoren arbeiten. Derzeit feilen
die Konstrukteure noch an der Feinjustierung. Der Roboter hat eine Arbeitsbreite von 1,60 m. Zwei gegenläufige
Bürsten nehmen den Kot auf. Ein Elevator fördert das Material in den Bunker.
Sobald dieser voll ist, fährt der Roboter
an den Abwurfschacht und entlädt den
Bunker. Am Abwurfschacht befindet
sich auch die Ladestation.
Den Kot vergärt Bomers zunächst in
seiner Biogasanlage. Das Gärsubstrat separiert er. Mit dem separierten Gärsubstrat möchte er künftig die Liegeboxen
in der anderen Stallhälfte einstreuen.
Oder er verkauft es als Düngemittel
und exportiert somit Nährstoffe aus seinem Betrieb.
Insgesamt durchlaufen neun Beete
den Freilaufstall. Sie sind jeweils 90 cm
breit, der Stallboden ist an diesen Stellen ausgespart. Dort wachsen Bäume
wie Buchen und Ahorn oder Kletterpflanzen wie Efeu.
Die Kühe sollen die Zweige und Blätter der Pflanzen fressen. Deshalb haben
die Stallentwickler nur Pflanzen ver-
wendet, die für Kühe verträglich sind bzw. deren Gesundheit fördern. Damit die
Tiere die Beete allerdings
nicht komplett kahl fressen,
sind sie mit Stahlmatten
und einem Stromdraht umzäunt.
Unterirdisch ist eine Bewässerung für die Pflanzen
verlegt. Zusätzlich springt
regelmäßig noch die Beregnung im Kuhstall an. Das
hat mehrere Effekte: Die
Tröpfchen-Bewässerung versorgt die Pflanzen mit Wasser und befreit sie von Staub.
Zusätzlich verbessert sich
das Stallklima: Vor allem an
heißen Sommertagen kühlt
sich die Luft im Stall ab, davon profitieren die Kühe.
Mit dem Kuh-Garten wollen die Projektpartner aber
auch einen gesellschaftlichen
Mehrwert schaffen. Sie wollen die Beziehung zwischen
Verbraucher und moderner
Milchproduktion verbessern.
Dafür ist der Betrieb Bomers
ideal.
Besucher anlocken:Der
Milcherzeuger betreibt nur
wenige Meter vom Kuhstall
entfernt den Naturpark
De Leemputten. Zahlreiche
Touristen besuchen den Park
jedes Jahr. „Ich könnte mir
gut vorstellen, einen Wanderweg vom Naturpark zum
Kuh-Garten zu erstellen, um
die Touristen hierhin zu locken“, sagt Bomers.
Eine Besucher-Plattform
hat der Milcherzeuger bereits
über der Melkroboter-Insel
errichtet, ein Hof-Café ist ge-
plant. Die Verbraucher hätten einen guten Blick in den
Kuh-Garten – und in die andere Stallhälfte.
Dort gibt es sechs Liegeboxen-Reihen mit insgesamt
180 Tiefboxen. Der Futtergang ist 4,00 m breit, die
Laufgänge 3,25 m. Die Kühe
laufen auf einem SchlitzFlur-Boden. Auch damit
lässt sich der Ammoniak-Ausstoß reduzieren, da
sich der Urin in den Rillen
ansammelt und somit vom
Kot getrennt ist. Die Behörde hat für den Boden einen Ammoniak-Ausstoß von
7,6 kg pro Kuh und Jahr unterstellt, normaler Spaltenboden liegt bei 9,5 kg.
Aufstocken?Derzeit stehen
rund 150 Kühe im Stall, die
meisten in der konventionellen Stallhälfte, nur wenige
im Kuh-Garten. Denn der
Pilotstall befindet sich noch
in der finalen Phase der
Fertigstellung. Noch läuft
noch nicht alles rund, vor allem die Steuerung des Mistroboters macht noch etwas
Probleme.
Künftig möchte Bomers
zunächst zwei Melkroboter
in der konventionellen Stallhälfte und einen Melkroboter im Kuh-Garten auslasten. Im Kuh-Garten sollen
dabei vor allem die Frischmelker stehen. Sollte irgendwann alles gut funktionieren
und der Milchpreis mitspielen, könnte er noch einen
weiteren Melkroboter anschaffen und die Herde aufstocken. P. Liste
Schnell gelesen
• Kuh-Garten: Die Holländer erproben ein neues
Stallsystem für Kühe.
• Der Stallboden ähnelt einer Weide, ein Roboter
sammelt die Kuhfladen ein und Bäume sorgen
für eine natürliche Atmosphäre.
• Das Konzept soll das Wohlbefinden der Kühe
steigern, die Umweltbelastung reduzieren und
die Meinung über Milchviehhaltung verbessern.
• Noch läuft aber nicht alles rund in dem Pilotstall.
• Offen ist auch noch, wie die Kühe mit dem
Stall zurechtkommen, z. B. bei der Euter- und
Klauengesundheit.