1. Reader der JXK - Oktober 2016 Alle Angriffe auf unsere Heimat, sowie alle Angriffe auf unser Volk, sind Angriffe auf uns junge Frauen und unseren Kampf um Selbstbestimmung und Freiheit. Deshalb sagen wir: „Xwebûn – xwe parastin!“ JXK – Studierende Frauen aus Kurdistan Info: [email protected] Twitter: @JXK_Online 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Inhalt Wer ist die JXK? Selbstverständnis und Kongressbeschlüsse 3 Kampagne: Selbstsein und Selbstverteidigung 8 Grußbotschaft der JXK an den Kongress der KJC 11 Das Symbol der kurdischen Frau: Şehîd Zîlan 13 "Tu cenga warên Kurda yî..."- Şehîd Berîtan 17 Rahşan Demirel – Die Frau, die zum Newroz-Feuer wurde 20 Zekiye Alkan - "Newroz wird mit dem Newrozfeuer gefeiert" 22 Jineoloji - Oder: Haben wir Rêber Apo wirklich verstanden? 24 Der Weckruf der Frauen aus Deutschland 28 Die Rolle der Frau in Rojava 30 Sara, Rojbin, Ronahî... 32 2 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Wer ist die JXK? Die JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan - Studierende Frauen aus Kurdistan) ist die autonome Frauenorganisierung des Verbands der Studierenden aus Kurdistan (YXK). In ihr organisieren sich Schülerinnen, Studentinnen, Auszubildende und Arbeiterinnen, die sich politisch und feministisch engagieren. Die JXK hat sich nach ihrem Neustrukturierunkongress im Januar 2016 aus der damaligen YXK-Jin heraus gegründet. Die JXK organisiert sich im Dachverband der Jinên Ciwanên Azad ("Freien jungen Frauen"), welche politische Arbeiten in Deutschland sowie Europa ausübt. Unser Ziel ist eine basisdemokratische, ökologische, ökonomisch gerechte und geschlechterbefreite Gesellschaft. Dabei nehmen wir uns den Kampf der kurdischen Frauenbewegung und die Revolution der Frauen in Kurdistan nicht nur als Beispiel, sondern versuchen ihn zu unterstützen und sehen uns als ein Teil dessen. Den Kampfgeist der kurdischen Frauen wollen wir auch in uns wecken und nehmen uns die Frauenbewegung in Kurdistan dabei als Vorbild. Als in der Diaspora lebenden kurdischen Frauen sehen wir uns nicht nur mit patriarchalen und kapitalistischen Verhältnissen konfrontiert, sondern auch mit einer starken Assimilierung und Kriminalisierung unserer 3 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 vielschichtigen Identitäten. Nach dem Motto der kurdischen Frauenbewegung: "Die freie Frau ist die freie Gesellschaft!" sehen wir das Zusammenspiel der verschiedenen Unterdrückungsmechanismen gegen die Menschheit, speziell gegen die Frau, im bestehenden Patriarchat als einen Hauptwiderspruch, den es zu bekämpfen gilt. Die patriarchale Herrschaft ist durch Mythologien, Religionen und positivistischen und rationalistischen Theorien in den Köpfen der Menschen verankert, die aufgebrochen werden soll. Durch diese Herrschaft werden Frauen benachteiligt, diskriminiert und in verschiedene Rollen gedrängt, die das Patriarchat für sie entworfen hat. Machtausübung gilt dabei als ein Instrument der Herrschaft, denen Frauen überall auf der Welt ausgesetzt sind. Dieser Denkweise, die vor allem im kapitalistischen Staat und seinen Institutionen am stärksten ausgeprägt ist, stellen wir etwas gänzlich anderes gegenüber: die Jineolojî, auch Wissenschaft der Frau genannt. Doch anders als bei dem uns bekannten Wissenschaftsbegriff geht es nicht um eine akademisch-elitäre Forschung in den systemimmanenten Hochschulen. Die Jineolojî hat es sich zur Aufgabe gemacht, sämtliche Lebensbereiche aus nicht-männlicher Perspektive zu beleuchten, und zwar nicht aus den „Elfenbeintürmen“ der Universitäten, sondern direkt aus dem Leben, aus der Gesellschaft. In der Geschichte des 5000-jährigen Patriarchats wurde die Geschichte nämlich stets aus der Perspektive der Herrschenden, und somit von Männern erzählt. Doch auch Frauen haben seit jeher gelebt und gewirkt und tun dies auch heute. Ihre Geschichten, Positionen und Stimmen gilt es mit diesem Ansatz der noch jungen Jineolojî wahrnehmbar zu machen. Die Jineolojî steht im Zentrum einer freiheitlichen Soziologie, mit der die Welt und die herrschenden Mentalitäten verändert werden können. Wir machen es uns zur Pflicht, die Jineolojî zu füllen und zu verstehen. Als studierende Frauen sehen wir uns in der Aufgabe, uns dem patriarchalen Gedankengut der Bildungseinrichtungen zu widersetzen und dem unser ökologisches, basisdemokratisches und geschlechterbefreites Paradigma entgegenzubringen. Die patriarchale Denkweise greift bis in den Geist der Frau und verwüstet ihr Bewusstsein. Innerhalb der kapitalistischen Moderne wird sie dazu getrieben in übertriebenes Konkurrenzdenken zu verfallen und eine selbstsüchtige und rücksichtslose 4 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Persönlichkeit zu entwickeln. Das Konkurrenzdenken, welches die Vereinzelung und Entsolidarisierung unter Frauen hervorruft, muss abgelehnt werden. Frauensolidarität ist dementsprechend eines der stärksten Waffen um unseren Widerstand zu stärken. Innerhalb von gemischt-geschlechtlichen Räumen ist eine Auflösung der patriarchalen Rollenbilder und Verhaltensmuster nicht möglich. Dazu müssen sich, nach dem Vorbild der Frauenbefreiungsideologie der kurdischen Bewegung, Frauen autonom und losgelöst von männlichem Einfluss, sei es in Form von Männern, patriarchalen Gedanken oder Gefühlen organisieren. Wir als JXK sehen es als Notwendigkeit, denn nur in autonomen Strukturen kann ein geschützter und befreiter Raum für uns geschaffen werden. In der JXK haben wir die Möglichkeit gemeinsam die dominierenden Systeme zu analysieren und einen Weg zu finden, dieses Muster zu brechen. Nur gemeinsam bilden wir eine eminente Gegenkraft gegen das Patriarchat. Daher wollen wir die Solidarität unter Frauen auf alle Lebensbereiche ausweiten. Gerade durch Bildungsseminare für Frauen soll das Bewusstsein der Frauen für ihre eigene Identität gestärkt und erhöht werden. Kollektive Stärke entwickelt sich durch jede einzelne Frau, die sich ihrer Situation bewusst wird und bereit ist gegen ihre Fesseln, gegen ihre Rollen und gegen die Diskriminierung Widerstand zu leisten. Der erste Schritt dabei ist die Hinterfragung der eigenen Rolle der Frau, aber auch eine kritische Untersuchung der Rolle des Mannes und das ihm überlegende ausbeuterische System. Wir heißen alle Frauen* bei der JXK willkommen, die sich unserem Kampf gegen das Patriarchat anschließen möchten. Wir freuen uns über jede Unterstützung und sind offen für Anregungen und Zusammenarbeit! Ihr könnt uns unter unserer Emailadresse ([email protected]) erreichen. Beschlüsse der JXK vom ersten Kongress im Januar 2016 in Kassel 1. Die Frauen innerhalb der YXK organisieren sich als JXK autonom und halten regelmäßig eigene Versammlungen ab. Dies gilt sowohl für die Ortsgruppen, als auch auf Regional- und Verbandsebene. Die JXK-Arbeiten haben den gleichen, wenn nicht einen 5 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 höheren Rang als die YXK-Arbeiten und sollen dementsprechend ernst genommen werden. 2. In den Regionaltreffen/Verbandssitzungen nimmt die JXK einen autonomen Platz ein, trifft sich und erstellt ihre eigene Planung. Dabei soll die JXK selbst entscheiden, wieviel Zeit sie benötigt und sich den Raum nehmen, den sie braucht. Währenddessen sollen auch die männlichen Genossen eigene Sitzungen abhalten, in welchen sie sich kritisch mit ihrer eigenen Männlichkeit und ihrem Verhalten auseinandersetzen und ihre eigene Rolle reflektieren. 3. Alle Frauen der JXK treffen sich einmal vor dem YXK-Zwischenkongress sowie einmal vor dem YXK-Kongress zu einer Konferenz, um eigene Beschlüsse gemeinsam zu diskutieren, Projekte zu planen und die Kandidatinnen der JXK für den Vorstand zu wählen. 4. Die JXK führt ihre eigenen Bildungsarbeit mit dem Motto: „Selbsterkennung – Selbstbehauptung - Selbstverteidigung“ durch. Die Vorstandsmitglieder der JXK kommen zeitnah zum Kongress zusammen, um sich für ihre zukünftige Arbeit zu bilden. Alle Frauen der JXK bilden in ihren jeweiligen Ortsgruppen und Städten Lesekreise, welche auf die Regionen erweitert werden. Jede Frau, die im Namen der JXK an einer Bildungsveranstaltung, an einem Lesekreis etc. teilgenommen hat, wird die erlangte Bildung an andere Frauen anhand von Veröffentlichungen von Artikeln in der Verbandszeitschrift „Ronahî“ und der Homepage weitergeben. 5. Die JXK schreibt Artikel in der Organisation der Verbandszeitschrift „Ronahî“ und verfasst genderspezifische Beiträge. Dabei soll nicht nur der JXK-Vorstand, sondern alle Frauen beteiligt sein, die in der JXK organisiert sind. 6. Die JXK nimmt frauenspezifische Anlässe wahr und gestaltet diese aktiv. Dies sind vorallem der 06. Februar (Tag gegen Genitalverstümmelung), der 8. März (FrauenKampftag), der 1. Sonntag im Mai und der 25. November (Kampftag gegen Gewalt an Frauen) und der 9. Januar (Morde an Sakine, Leyla und Fidan) 7. JXK macht es sich zur Aufgabe, aktiv die Aufklärung der Morde an den Freundinnen Sakine Cansiz, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez zu fordern. 8. Die JXK greift alle Kampagnen der kurdischen Frauenbewegung auf und trägt diese 6 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 auf die universitäre Ebene und kooperiert in den Universitäten bzw. Städten mit anderen feministischen Organisationen. Die Zusammenarbeit mit Ceni, JCA, UTAMARA und der Stiftung der freien Frauen aus Rojava (WJA) soll gestärkt werden. 9. Die JXK nimmt autonom an internationaler Vernetzungsarbeit mit anderen jungen Frauen und Organisationen teil und organisiert Delegationen. 10. Die JXK vertritt sich durch ihre eigene Transparente und Flyer. In der sozialen Öffentlichkeit nimmt sie autonom ihren Platz ein (Homepage/Facebook/Email/Ronahî). 11. Die JXK bringt sich ab sofort intensiver in die Veranstaltungen der YXK ein (z.B. bei der Delil-Ates-Veranstaltung mit einem eigenen Fußballteam oder bei den den HüseyinCelebi-Literaturpreisen). Nebenbei soll die JXK ab sofort selbst eine eigene Veranstaltung auf die Beine stellen 12. Die JXK veranstaltet ihre eigenen Akademien, um die ideologische Bildung zu stärken. 13. Berichte der JXK-Ortsgruppen/Regionen sollen monatlich an den JXK-Vorstand geschickt werden. 14. Die JXK selbst wählt die Frauen für den YXK-Vorstand. 7 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Kampagne: Selbstsein und Selbstverteidigung (Xwebûn - Xwe Parastin) Wir begrüßen den 20. Jahrestag der heldenhaften Aktion von Sehid Zilan und werden unseren Kampf mit dem Widerstandsgeist und dem revolutionären Feuer von Zilan beleben. Heute versucht die faschistische türkische Regierung mit allen Mitteln unseren Kampf um Selbstbestimmung und Freiheit zu zerschlagen, besetzt und zerstört unsere Städte sowie Dörfer und hält sich nicht zurück unser Volk auf grausamste Art und Weise zu massakrieren. Dieser unmenschliche Angriff der AKP- Regierung ist hierbei in erster Linie ein Angriff auf den Befreiungskampf der jungen Frauen, die sich gegen eine 5000 jährige Mentalität wenden und dem patriarchalen System den Kampf ansagen. Die Erdogan Regierung übt jegliche unmenschliche Methoden aus um den Willen der Frauen zu brechen und sie in einen Schleier der Versklavung zu drücken. Durch Vergewaltigung und eine Politik der Gewalt versucht Erdogan uns zum Schweigen zu bringen. Doch in allen Städten in allen Dörfern Kurdistans, kämpfen unsere Freundinnen heldenhaft um die Besatzer und ihrer patriarchale Ideologie zu beseitigen. Die Angriffe auf unsere Heimat, sowie alle Angriffe auf unser Volk, sind Angriffe auf uns junge Frauen und unseren Kampf um Selbstbestimmung und Freiheit. Deshalb sagen wir: „Xwebûn – xwe parastin!“ Im Mittleren Osten zeigt die patriarchale Ideologie momentan sein hässlichstes Gesicht. Reaktionäre Gruppen wie der sogenannte „Islamische Staat“ vergewaltigen, versklaven, foltern, verbrennen und verkaufen Frauen und Kinder. Die Frau ist nicht nur ihrer Identität beraubt, sondern auch jeglicher Selbstbestimmung und ihrer Existenz. Inmitten dieses grauenhaften Zustandes, schafft die kurdische junge Frau ein neues Leben. Ein neues Leben, welches auf Frauenbefreiung, Ökologie und Demokratie basiert. Wir zeigen der ganzen Welt, dass die Frau im revolutionären Kampf die Vorreiterrolle einnehmen muss, um die Gesellschaft zu befreien. Wir sprechen davon, dass es keine freie Gesellschaft ohne eine freie Frau geben kann. Die kurdische Frau zeigt heute der ganzen Welt, das die Freiheit kein latentes Wort ist, sondern eine gelebte Utopie. Wir wollen die Utopie des freien Lebens in allen Staaten aufbauen und organisieren! Aus diesem Grund: „Xwebûn – xwe parastin!“ 8 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Die kapitalistischen Staaten in Europa, versuchen uns durch ein falsche Freiheit zu assimilieren und unseren Widerstand zu kriminalisieren. In Europa wird eine Freiheit inszeniert die für viele junge Frauen attraktiv und anziehend ist. Aber es wird uns verheimlicht, dass unsere angebliche Freiheit in Europa, auf die Objektivisierung der Frauen zu begrenzen ist. Die Objektifizierung und Erniedrigung der Frau gilt als selbstverständlich. In solchen Zeiten werden wir die vermeintliche Freiheit, die uns die kapitalistischen Staaten versuchen zu verkaufen, nicht akzeptieren. Denn solange das patriarchale System fortbesteht und solange wir keinen Widerstand dagegen leisten, kann keine von uns sich als frei bezeichnen. Die kapitalistischen Staaten in Europa vermitteln uns Frauen ein Bild von Freiheit, das nur darin besteht, sich dem Kapitalismus anzupassen und sich somit der Versklavung zu ergeben. Wenn wir uns dem patriarchalen und kapitalistischen Bild von Freiheit anpassen, dann entwurzeln wir uns von unserer Identität, als Frau und als Kurdin. Wir lassen uns weder kriminalisieren noch assimilieren! Deshalb sagen wir: „Xwebûn – xwe parastin!“ Die Unterdrückung, Isolierung und Gewalt, denen Frauen heute ausgesetzt sind, verbergen eine 5000-jährige Geschichte und Mentalität, die es aufzudecken und zu zerschlagen gilt. Wir wollen jedoch nicht nur gegen die patriarchale Ideologie und Gewalt ankämpfen, sondern auch der Wahrheit näher kommen, die wir im Laufe der Zivilisationsgeschichte verloren haben. Wir müssen zunächst verstehen, dass dieses System nicht natürlich ist und das Patriarchat nicht schon immer existiert hat. Wir müssen verstehen, dass es davor Gesellschaften gegeben hat, die um die Frau herum organisiert waren und in der keine Klassen und Staaten existiert haben. Wir müssen begreifen, dass uns einst unsere Identität und Stellung weggenommen wurde, die in der Phase der kapitalistischen Moderne nun komplett verloren zu gehen scheint. Diese Identität müssen wir wiederfinden, wir müssen uns selbst erkennen. Wir müssen erkennen, wer ist die Frau fernab von dem, was das System aus ihr gemacht hat? Wenn wir uns nicht selbst finden und selbst verteidigen, können wir auch nicht verstehen, wie unsere Freiheit aussehen kann und wie wir zu unserer Aus diesem Grund sagen wir: „Xwebûn – xwe parastin!“ 9 Wahrheit zurückkehren. 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Reber Apo der unsere Philosophie der Freiheit ins Leben gerufen hat, befindet sich seit 17 Jahren in einer gesetzeswidrigen Isolationshaft. Die Haftbedingungen sind gegen jegliche juristische Norm und seit über einem Jahr wird ihm jeglicher Kontakt zur Außenwelt verwährt, er befindet sich in einer Totalisolation. Der Krieg der faschistischen AKPRegierung gegen die kurdische Bevölkerung und die Totalisolation von Reber Apo, sind eng miteinander verbunden und zeigen die Annährung der türkischen Regierung an das kurdische Volk. Denn die Totalisolation von Reber Apo ist nicht nur eine Angriff auf den Freiheitskampf, sondern auch ein Angriff auf das gesamte kurdische Volk. Die kapitalistischen Staaten, sehen den Befreiungskampf der Kurdinnen und den demokratischen Willen der Bevölkerung als große Gefahr an und versuchen durch die Totalisolation von Reber Apo unseren Willen und unsere Kraft zu mindern. Doch die Freiheit von Reber Apo – ist die Freiheit der kurdischen Frau und der gesamten Gesellschaft! Deshalb sagen wir: „Xwebûn – xwe parastin!“ Um unseren Widerstand auf Basis von Selbstsein und Selbstverteidigung auch in Europa zu stärken, haben wir als junge Frauen die Kampagne „Xwebûn – Xwe parastin“ ins Leben gerufen. Mit den Worten von S. Zilan: Lasst uns kämpfen und uns befreien! Rufen wir alle junge Frauen dazu auf ihre Stimmen zu erheben auf die Straßen zu gehen und Widerstand zu leisten! Wir, die kurdischen jungen Frauen in Europa, nehmen den Freiheitswillen von Sehid Zilan als Vorbild und bündeln unsere Kräfte gegen den Patriarchat und die Angriffe auf unsere Heimat und Selbsbestimmung! Xwebûn – xwe parastin! JCA – Jinên Ciwan ên Azad JXK – Jinên Xwendekar ên Kurdistan Erklärung vom 01.07.2016 10 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Grußbotschaft der JXK an den Kongress der Komalên Jinên Ciwan ên Kurdistan Vom 12.-14. Juli 2016 fand in den Medya-Verteidigungsgebieten in Kurdistan der Kongress der KJC statt, der Vereinigung der jungen Frauen aus Kurdistan (Komalên Jinên Ciwan ên Kurdistan). Im Zentrum des Kongresses standen die ideologischen, organisatorischen und militärischen Arbeiten der jungen Frauen sowie die momentane Situation Serok Apos. Mit Verweis auf den immer kritischer werdenden Zustand Abdullah Öcalans erklärt die KJC, dass sie von nun an keinen weiteren Moment ohne Rêber Apo hinnehmen, und rufen in diesem Sinne alle Frauen zu radikalen Aktionen für die Freiheit Öcalans auf. Abdullah Öcalan, unser Vorsitzender und Denker unserer Freiheitsideologie, befindet sich noch immer in einer Totalisolation, die jeglichen Kontakt zu ihm verweigert. Anträge verschiedener Anwält_innen und Politiker_innen werden vom Staat seit den Vorfällen am 15.Juli in der Türkei noch strenger abgelehnt, die Trennung zwischen dem Volk und Serok Apo noch mehr vertieft. Der Erklärung der KJC zufolge sollen von nun an alle politischen 11 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Arbeiten unter dem Motto "Auflehnung der jungen Frauen, Vergeltung bis zur Freiheit" fortgeführt werden. Unter den Beschlüssen der KJC auf ihrem Kongress befanden sich weitere Planungen wie u.A. die stärkere Organisierung der jungen êzîdischen Frauen, der Widerstand gegen jegliche sexistische Politik und die Selbstverteidigung der Frau. Die KJC erklärt Leyla Saylemez, die mit Sakine Cansiz und Fidan Dogan zusammen in Paris ermordet wurde, zu ihrer ersten Gefallenen und erkennt sie als ein Symbol aller jungen Frauen an. Mit unseren revolutionären Grüßen an den Widerstand der KJC rufen auch wir als junge kurdische Frauen in Deutschland alle Frauen auf die Straßen auf, um sich gegen die momentanen Kriegszustände aufzulehnen sowie den damit zusammenhängenden Druck und die Gewalt auf Frauen nicht länger zu akzeptieren. Auch wir müssen unseren Widerstand verstärken und radikalisieren und uns nach der Linie unserer Gefallenen organisieren und leiten lassen. Die Mauer, die die türkische und deutsche Regierung versuchen zwischen uns und Rêber Apo aufzubauen, werden wir mit Gewalt durchbrechen und nicht länger unbeantwortet lassen. Lasst uns mit dem kämpferischen Geist der Frauen in Kurdistan gegen Kapitalismus und Patriarchat auf die Straßen, lasst uns gemeinsam unserer Verantwortung als junge Frauen nachkommen! Nochmals begrüßen wir den Kongress und die Beschlüsse der KJC und sehen darin auch unsere Linie und Aufgabe wieder. Wir blicken mit Zuversicht auf unsere weiteren Arbeiten und sehen die freie junge Frau als den Schlüssel zu unserem Erfolg. Jin, Jîyan, Azadî - Bijî Serok APO - Bijî soresa jinên azad! Erklärung vom 10.08.2016 - Jinên Xwendekar ên Kurdistan (JXK) 12 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Das Symbol der kurdischen Frau: Şehîd Zîlan „Ich möchte der Ausdruck des Freiheitskampfes meines Volkes sein. Gegen die Politik des Imperialismus, die Frau zu versklaven, möchte ich die Bombe an meinem Leib entzünden und zeitgleich meine ganze Wut zeigen und das Symbol des Widerstandes der kurdischen Frau sein. Mein Lebenswille ist stark. Mein Wunsch ist ein erfülltes Leben durch eine große Aktion. Der Grund für diese Aktion ist meine Liebe zu den Menschen und zum Leben.“ - Şehîd Zîlan Zîlan – dieser Name wird in der kurdischen Geschichte immer wieder mit Widerstand, Aufständen und Aufopferung assoziiert. Dieser Name steht in unser Vergangenheit für zwei besondere Geschehnisse: 1930 wurden während der Ararat-Aufstände im Zîlan-Tal (Wan) hunderttausende Kurd_innen Opfer türkischer Staatsgewalt. Am 30. Juni 1996 verwirklichte Şehîd Zîlan (Zeynep Kınacı) während einer Militärparade in Dersîm eine Aufopferungsaktion. Dabei kamen viele türkische Soldaten ums Leben. Aber wer ist Zîlan und was kann eine Frau mit 25 dazu bewegen, solch eine Aktion durchzuführen? Zeynep Kınacı, mit Kämpfer_innennamen Zîlan, kam im Jahre 1972 im Zentrum von Malatya (kurd. Meletî) zur Welt. Die aus einer mittelmäßig, patriarchal und kemalistisch geprägten Familie stammende Zîlan absolvierte die Grundschule, sowie das Gymnasium in Malatya. Ihr Studium zur Reisebegleiterin und psychologischen Beraterin absolvierte 13 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 sie ebenfalls dort. Anschließend arbeitete sie einige Jahre als Krankenschwester im Bereich der Radiologie. Zeynep Kınacı genoß eine liberale Erziehung und fand den Kontakt und ihre Sympathie zur kurdischen Freiheitsbewegung während ihrer Zeit am Gymnasium. Zîlan fing an Interesse an der Ideologie der PKK zu entwickeln, während sich diese Anfang der 90er Jahre noch in der Aufbauphase befand. Sowohl die wirtschaftlichen Hindernisse, als auch politisch, gesellschaftliche Haltungen hinderten sie Langezeit an ihrer Identitätsfindung. 1994 begann sie sich in Adana aktiv an den Arbeiten der Bewegung zu beteiligen. Ein Jahr lang führte sie dort die Parteiarbeit. Zu den Arbeiten gab sie damals folgende Bewertung ab: „Eine ernsthafte Bildungsphase habe ich nicht durchmachen können. Da es auf der Führungsebene zu einigen Festnahmen kam und ich dadurch keine große Unterstützung erlangen konnte. Auch aufgrund einer bürgerlichen und unwirksamen Haltung des Einzelnen und trotz meines großen Interesses, einen Persönlichkeitswandel zu vollziehen, gelingt mir die Weiterentwicklung und meine Erfolgserzielung nicht.“ 1995 schloss sich Zîlan in Dersîm der ARGK-Guerilla an. Beweggründe ihres Anschlusses waren vor allem die existentielle Vernichtung der Kurd_innen, dem sie damals im mittleren, sowie nahen Osten ausgesetzt waren. Das Bewusstsein und die Identität des kurdischen Volkes, konnten ihrer Ansicht nach nur mit Widerstand aufrechterhalten bleiben. Für diesen Kampf waren geschichtliches Bewusstsein, kühne Entschlusskraft und eine große Verantwortung an erster Stelle notwendig. Innerhalb der Guerilla entwickelte sie ihre Persönlichkeit entscheidend weiter. In Punkten wie Entschlossenheit, Moral und Bewusstsein entwickelte sie eine starke Haltung. Sie interessierte sich vor allem für die Kurd_innen und ihre Geschichte, die Anfänge der Menschheitsgeschichte, die PKK sowie die Haltung und Verbundenheit zu Abdullah Öcalan. 1996 zeigte sie im Angesicht der Kriegshaltung gegenüber der Freiheitsbewegung eine sehr militante Haltung. Eines ihrer letzten Worte an ihre Genoss_innen war: „Ich möchte das Symbol der kurdischen Frau werden.“ Mit diesem Versprechen verwirklichte sie am 30. Juni 1996 in Dersîm während einer Militärparade eine Aufopferungsaktion und sprengte sich in die Luft. Bei diesem Anschlag kamen fünf Soldaten ums Leben. Zudem wurden 35 Soldaten schwer verletzt. 14 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Mit dieser Aktion hinterließ Genossin Zîlan innerhalb der Guerilla und der Bevölkerung eine sehr tiefe Wirkung. Diese Aktion wurde innerhalb der Bewegung zu einer Wende. Eine Frau Mitte 30, mit Träumen und Wünschen, mit einer starken Persönlichkeit und einer großen Lebensfreude beendet so ihr Leben. Warum? Für viele Menschen ist es schwer, für solch einen Anschlag Verständnis aufzubringen. Es klingt absurd und unmenschlich. Aber... In den 90ger Jahre wurde weder die Existenz einer kurdischen Identität noch Kurdistan als ein geografischer Ort anerkannt. Die kurdische Sprache, kurdische Namen, kurdische Musik und Kultur waren verboten. Kurd_innen wurden als „Bergtürken“ diffamiert und einer starken Assimilations- und Vernichtungspolitik ausgesetzt. Dörfer wurden komplett verbrannt und vernichtet, Menschen zur Flucht getrieben und tausende festgenommen und ermordet. Viele verschwanden während der Untersuchungshaft und man hörte nie wieder etwas von ihnen. Auf der anderen Seite erlebte die Freiheitsbewegung in den 90er Jahren den Höhepunkt ihrer Gefechte, sowie Verluste innerhalb der eigenen Reihen. Viele Freund_innen verloren die Motivation, anderen fielen, aber auch viele Menschen schlossen sich der Bewegung an. Zeitgleich gab es 1996 ein Bombenattentat auf Abdullah Öcalan in der Parteischule in Damaskus, welche um Haaresbreite gescheitert ist. Und inmitten dieser Realität verwirklichte Genossin Zîlan eine Aufopferungsaktion. Ihre Verbundenheit zu Abdullah Öcalan verdeutlichte sie in ihren Briefen an das kurdische Volk, an die Frauenbewegung und an den Vorsitzenden selbst. Dieser Anschlag auf Abdullah Öcalan war für sie in keinster Weise zu akzeptieren. Als Antwort dagegen richtete sie die Bomben an ihrem Leib an den Feind. Die Aktion von Sehid Zîlan war keine einfache Selbstmordaktion. Abdullah Öcalan bewertet ihre Aktion als eine vollkommen der Zeit angemessenen, plan- und aufopferungsvolle, mutige und mit kühlem Kopf durchdachte Aktion. Eine Angriffsaktion mit einer sehr weitreichenden Dimension. Sie war direkt an den Feind gerichtet. Gegen die Politik des Imperialismus, die Frau zu unterdrücken und zu versklaven. In Anbetracht der Sabotage, Attentate und erfolgreichen Operationen, erklärte sie, welche taktische Aktionsverständnis die Bewegung verfolgen muss. Eine Antwort, mit der sie 15 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 ihre Verbundenheit zu dem Vorsitzenden nochmal Ausdruck verleihen wollte. Serokatî ergänzt folgenden wichtigen Punkt: „Die von der Genossin Zîlan durchgeführte Aktion ist zugleich auch ein Schlag gegen das genannte Selbstmordverständnis. Wenn ihr sterbt, dann sterbt richtig! Wenn ihr angreift, dann greift richtig an!“ Dieser Anschlag auf den Feind war nicht aus Verzweiflung, sondern aus Stärke und Widerstand, aus Verbundenheit zur Freiheitsbewegung. Sie sah ihre Aktion als Pflicht für den Kampf. Hierbei wird das musterhafte und tiefe Begreifen der ideologisch-politischen Linie der PKK deutlich. Es ist eine vollkommen mit geschichtlichen Aspekten der Menschheit verbundene, eine organisierte, eine mutige, aufopfernde und mit einem freien Willen durchgeführte Tat. Es ist eine Aktion der freien Frau, die mit dem Leben sehr verbunden war. Heval Zîlan zeigt den Frauen als Wegweiserin den Weg in eine freie Welt. Indem sie sich gegen den Feind gestellt hat und mit erhobenem Kopf die Unterdrückung nicht akzeptiert hat, sich dagegengestellt und diese in ihrer Praxis widergespiegelt hat. Ihre Haltung zeigt, wie sehr sie die Ideologie der Freiheitsbewegung verinnerlicht hatte. Ihre Praxis zeigt: eine große Aktion. Ein organisiertes Leben. Die ideologisch - politische Reife. Die Art, das Verhalten, das Erreichen eines hohen Tempos. „Wenn du lebst, lebe richtig! Wenn du stirbst, stirb richtig. Wenn du angreifst, dann greif richtig an. So einfach ist es.“ - Şehîd Zîlan März 2016 - Artikel der JXK Marburg aus der 43. Ronahî-Ausgabe der JXK/YXK 16 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 "Tu cenga warên Kurda yî" - Şehîd Berîtan Der Name Gülnaz Karataş ist für viele unbekannt, doch wenn der Name Heval Berîtan fällt, weiß jeder wer gemeint ist. Wegen ihrem außergewöhnlichem Mut und ihrem leidenschaftlichem Charakter ging Heval Berîtan in die kurdische Geschichte ein. Noch heute werden unzählige Lieder und Gedichte für und über sie gesungen, sowie unzählige Neugeborene nach ihr benannt. Zudem gibt es einen gleichnamigen Film über ihre Kampfgeschichte. Gülnaz Karataş – auch unter dem Decknamen Beritan bekannt – wurde 1971 in Solhan in der Provinz Bingöl geboren. Ihre Familie stammte ursprünglich aus Dersim. Die Schule besuchte sie in Elaziğ. Sie war unter anderem der Kapitän der Handballmanschaft ihrer Schule, sie war redegewandt und besaß schon in jungen Jahren ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. 1989 begann sie an der Universität Istanbul ein Studium im Fach der Wirtschaftswissenschaften. Erst während der Newrozfeierlichkeiten 1989 erfuhr Gülnaz Karataş, dass sie kurdischer Abstammung war. Ihr Gerechtigkeitsempfinden fand 1990 ihren Höhepunkt, als sie sich gemeinsam mit ihrem Verlobten der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) anschloss. Während öffentlicher Arbeiten innerhalb von linksorientierten Kreisen wurde sie festgenommen. Nach einer kurzen Haftstrafe entschied sich Karataş, die Revolution auf 17 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 den Bergen fortzuführen. Am 9. Mai 1991 stieß sie zu den Gerillakämpfer_innen auf dem Gebirge Cudi. Aufgrund ihrer Tapferkeit und ihrer guten kriegerischen Fähigkeiten sandte man sie 1992 als Kommandantin einer kleinen Truppe in das Gebiet Şemzînan. In den 90er Jahren spitzten sich die kriegerischen Auseinandersetzungen in der ganzen Türkei zu, aber nicht nur gegen die türkischen Soldaten musste die Gerilla kämpfen. Vielmehr kam es zu gewaltsamen Begegnungen mit den Peschmerga der PDK unter der Führung von Mesut Barzani, welcher mit der Türkei kooperiert haben. Die Politik unter den Kurd_innen der PKK und den Kurd_innen im Nordirak hat sich gravierend unterschieden, sodass es neben den bürgerkriegsähnlichen Zuständen in der Türkei auch zu kriegerischen Auseinandersetzungen, zum sog. "Süd(-Kurdistan)-Krieg" zwischen diesen kurdischen Parteien kam. Während des gewaltsamen Konfliktes im Süd-Krieg hat sich der damalige Komandant der Region Xakurke und Xinere, Osman Öcalan entgegen der Linie und den Vorgaben von Parteichef Abdullah Öcalan mit seinen Kämpfer_innen ergeben, und sich mit den Peschmergas und der Türkei kapitulierend geeinigt. Währenddessen wurde in Şemzînan Gülnaz Karataş und ihre Truppe von Perschmergakämpfern eingekesselt und angegriffen. Um ihr eigenes Team zu schützen, opferte sie sich auf. Dabei wurde sie am Arm, an der Seite und am Auge schwer verletzt. Aber selbst als die junge Frau an einer Klippe der Gebirge von den Perschmerga umzingelt wurde, gab sie den Kampf nicht auf. Bis zur letzten Munition kämpfte Heval Beritan. Doch als sie keine Patronen mehr hatte und ihr die Perschmerga den Satz „Ergib dich, wir werden dich verheiraten, du wirst leben wie eine Rose“ entgegen riefen, sah sie keinen anderen Ausweg. Sie baute ihr Gewehr auseinander, umarmte die Teile und sagte dabei „Biji Serok Apo“. Im selben Moment stürzte sie sich die Klippe herunter. Seit dieser Tat wird Gülnaz Karataş als Märtyrerin verehrt, weil sie vor allem gegen den Verrat und der Niederlagenpersönlichkeit von Osman Öcalan eine starke Heldenpersönlichkeit innerhalb der PKK hervorgebracht hat. Heval Beritan etabliert damit als einjährige Gerilla-Kämpferin vor allem für die Frauenbewegung militärisch und ideologisch ganz neue Maßstäbe und setzte ein großes Zeichen für den Widerstandskampfgeist der Partei. Trotz ihrer Liebe zu ihrem Verlobten, war ihr Drang nach Freiheit und Gerechtigkeit groß genug, um Teil einer Volksrevolution zu werden und 18 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 ihre eigenen individuellen Bedürfnisse nach hinten zu stellen. Statt sich den Peschmerga zu ergeben, von ihnen vergewaltigt und zwangsverheiratet zu werden, beschloss sie lieber ihrem Dasein ein Ende zu setzen und nahm sich die Freiheit gegen Verrat unsterblich zu werden. Beritan hat bewiesen, dass auch eine Frau im Stande ist für ihren Glauben und ihre Ziele zu kämpfen und bis zum Ende zu gehen. Sie hat mit ihrem Selbstmord jeder Frau gezeigt, dass gegen Unterdrückung, Patriarchat und Verrat eine alternative Wahl möglich ist. Nach ihrer Tat haben die meisten Peschmerga, die in dieser Operation beteiligt waren, die Waffen niedergelegt. Unzählige Kinder, vor allem in Südkurdistan, wurden von da an Beritan genannt. Heval Beritan hat uns gelehrt, dass Freiheit alle Grenzen überschreiten kann und dass man selbst im Tod eine größere Freiheit finden kann, als innerhalb eines unterdrückenden Systems. Oktober 2015 - Artikel der ehemaligen YXK-Jin Darmstadt in der 42. Ronahî Ausgabe 19 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Rahşan Demirel – Die Frau, die zum Newroz-Feuer wurde Rahşan Demirel kam am 15. August 1975 in Nisêbîn (Mêrdîn) auf die Welt. Aufgrund der Repressionen seitens des türkischen Staates zog ihre Familie wie auch viele andere kurdische Familien zu dieses Zeiten, als sie ein Jahr alt war, nach Izmir um. Rahşan fühlte sich ihrer Heimat Kurdistan trotzdem immer sehr verbunden und verstand früh, was für einen Krieg der türkische Staat gegen die kurdische Identität und Sprache führte. Erzählungen über sie sagen, dass sie als Kind immer in den kurdischen Farben, gelb-rotgrün, gekleidet sein wollte. Als sie einmal in diesen Farben in der Schule erschien, wurde sie dafür von einem ihrer Lehrer bestraft und geschlagen. Diese Farben jedoch bedeuteten für Rahşan Freiheit. Für sie symbolisierten sie ihre Heimat Nisêbîn, ihre Existenz und ihre Identität. Die Wut über die Unterdrückung und Leugnung des kurdischen Volkes, welche Rahşan schon im Kindesalter empfand, teilte sie ihrer Mutter mit folgenden Worten mit: „Siehst du es nicht, Mama? Jeden Tag werden Dörfer verbrannt. Unsere Menschen werden ermordet. Wir dürfen nicht in unserem eigenen Land leben. Wir dürfen weder unsere Muttersprache sprechen noch unsere Kultur leben. Ich bin stolz darauf, gegen diese Leugnung Widerstand zu leisten.“ Die Aufstände in Cizîr, Nisêbîn und Silopî im Jahr 1992 haben Rahşan sehr mitgerissen. Der damalige Innenminister Ismet Sezgin gab zu dieser Zeit, ein Tag vor Newroz bekannt, 20 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 dass jegliche Newroz-Feierlichkeiten verboten seien. Dennoch feierte man am 21. März in den Straßen Kurdistans das Newroz-Fest. Der türkische Staat antwortete darauf mit der Ermordung mehrerer Dutzend Menschen. Weitere Hunderte wurden an diesem Tag verletzt. Am Morgen danach, dem 22. März 1992, hinterließ Rahşan Demirel, die am Abend zuvor die Gefechte mitverfolgte, auf einem Stück Karton eine Notiz: „Heute in Kadifekale werde ich zu Newroz. Ich muss auf Cizîr, Mêrdîn und Nisêbîn antworten. Tretet für mich ein. Ich werde Ismet Sezgin zu verstehen geben, dass Newroz gefeiert wird. Wir werden Newroz mit unserem Leben feiern!“ Das sind ihre Worte gewesen, bevor sie ihren Körper in Kadifekale im Alter von 17 Jahren verbrannte... Ihre Mutter erzählt von ihren Gedanken an jenem Morgen, nachdem sie die Notiz ihrer Tochter entdeckte: „Meine Knie wurden weich. Ich suchte Rückhalt an dem mir nah liegendem Baum. Ohne lange zu überlegen habe ich akzeptiert: ‘Meine Tochter hat so eine Entscheidung getroffen und sich dem Volk geopfert. Nun liegt es an uns, für ihr Andenken Verantwortung zu übernehmen'. Ich ging zu meiner Tochter. und rief meine erste Parole. Nun lag es an uns. Die ganze Welt hatte Rahşan erhört. Aus Angst vor Rahşans Widerstand wollten Sicherheitskräfte sie begraben, ohne dass es jemand mitbekam. Die Polizei wollte sie für die Autopsie mitnehmen und ins Krankenhaus bringen um sie dort zu vernichten. Ich habe es nicht zugelassen. „Wenn ihr sie mitnimmt, verbrenne ich mich auch“, sagte ich. Gemeinsam mit Tausenden Menschen haben wir den Leichnam von meiner Tochter, Rahşan mitgenommen. Wir brachten sie in die Moschee von Kadifekale, und dann nach Nisêbîn. „Meine Tochter war verliebt in das Land, in dem sie geboren war.“ Rahşans Geschichte ist ein Symbol für den Widerstand gegen die Leugnung und Assimilation der kurdischen Identität. Rahşan ist die Revolution in rot-gelb-grünen Farben, die Frau, die zum NewrozFeuer wurde... 06.05.2016 - Aus dem Handbuch der JXK/YXK 21 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Zekiye Alkan - „Newroz wird mit dem Newroz-Feuer gefeiert“ Zekiye Alkan kam 1970 in Kurdistan zur Welt. In Amed studierte sie an der Dîcle Universität Medizin, wo auch ihr Interesse an der kurdischen Freiheitsbewegung geweckt wurde. Die 90iger Jahre waren sowohl in Kurdistan als auch in der Türkei von der Assimilations- und Vernichtungspolitik des türkischen Staates geprägt. Die kurdische Identität, sowie der Widerstand wurde mit allen Mitteln niedergeschlagen. Viele Menschen wurden vom Staat ermordet, andere wiederum in Untersuchungshaften verschwunden. Inmitten dieser Realität verbrannte Zekiye Alkan am 21. März 1990 in Amed an den historischen Mauern aus Protest gegen die Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik ihren Körper. Ihr Protest sollte eine Antwort auf den Frauenwiderstand sein, der sich in den 90iger Jahren in Kurdistan sehr stark verbreitete. Freunde von Zekiye beschreiben sie als eine sehr rebellische Person und das in allen Bereichen ihres Lebens. Sie befand sich immer wieder auf der Suche nach neuen Sachen. Zekiye war sehr rebellisch. Die Aufstände in Nisêbîn hatten sie sehr geprägt und ihren Widerstandsgeist geweckt. „Zekiye hatte gegen das bestehende System und den Unterdrückungen immer eine reaktive Haltung. Auch an der Uni war sie so. Sie war anders als die anderen Frauen. Sie war sehr lebensfroh. Sie war nicht sowie die Menschen um uns. Sie passte nicht in das 22 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 typische Bild der Kurden, in das typische Bild der kurdischen Frau, naiv und zurückhaltend. Immer leistete sie Widerstand gegen das System. Sie war eine freie Frau. Zum System hatte sie keine Verbindung, sondern immer eine reaktive Haltung. Nicht mal ihre täglichen Verhalten passten dazu. Ihre Aktion passte zu ihr. „So wird Newroz gefeiert“ Nach ihrer Aktion im Krankenhaus sagte sie ihren Freunden: „Newroz wird so gefeiert. Das Newroz-Feuer wird so angezündet. Zekiye Alkan hat mit ihrer Aktion den Widerstandswind von Mazlum Dogan, Ferhat Kurtay, Esref Aynik und den anderen Freunden weitergetragen. Sie wollte für alle unterdrückten Frauen in Kurdistan eine Antwort werden und ihnen Hoffnung für ihren Widerstand geben. Denn es war der Anfang einer Frauenbewegung, die in dieser Revolution die Vorreiterrolle spielen sollten. Ihre Aktion hat gezeigt, dass sie als eine kurdische Frau die Haltung der kurdischen Frau und ihre Ideologie am stärksten begriffen hatte. Als sie damals ihr Körper in Brand setzte, war ihr Name als eine Frau verboten, heute tragen Millionen Frauen den Widerstandsgeist von ihr in sich und tragen ihre Revolution an die vorderste Front. 06.05.2016 - Aus dem Handbuch der JXK/YXK 23 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Jîneolojî - Oder: Haben wir Rêber Apo wirklich verstanden? "Eine Wissenschaft, die um die Frau herum entwickelt wird, wird den ersten Schritt zu einer richtigen Soziologie darstellen." - Abdullah Öcalan Die Wissenschaft der Frau – Jîneolojî. Ein durchaus interessanter Begriff, zumal der Wissenschaftsbegriff zuweilen das Erste ist, was der_die normale Student_in in seinem/ihrem ersten Semester definiert bekommt. In den Sozialwissenschaften ist eine der wichtigsten Prämissen, dass es nicht die eine soziale Realität gibt. Die Sozialwissenschaften versuchen sich an das, was soziale Realität ist, durch qualitative oder quantitative Arbeit heranzutasten. Dennoch ist trotz dieser bescheidenen Begrifflichkeit der Wissenschaft auch die Sozialwissenschaft geprägt von Denkern, die durchaus totalitär und fast schon deterministisch im Umgang mit ihren eigenen Theorien waren. Beschäftigt man sich mit dem Positivismusstreit oder mit dem Anspruch der realistischen Theorie der internationalen Beziehungen, die wirklich alles, was auf der Bühne der Weltpolitik geschieht, mit einer negativen Anthropologie zu erklären sucht, so wird einem schnell bewusst, dass es höchste Zeit ist, in Forschung und Wissenschaft das zu etablieren, was Jîneolojî ist. Zunächst ist es wichtig, Jîneolojî von der allgemeinen Frauenfrage zu trennen. Hier geht es nicht um die Analyse der Frauenbewegung, der Guerilla, der Mütter oder sonstiger rollengebundener Subjekte. Vielmehr geht es um die Wissenschaft, die ganz im Sinne des Erkenntnisgewinns voranstellt, dass noch gar nicht 24 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 klar ist, was eine Frau nun wirklich ist. Da Frauen, frei nach Serok Apo, die älteste kolonialisierte Gruppe der Welt sind, ist auch ihre Rolle in der Welt der Wissenschaft eine, die von dieser Fremdbestimmung beherrscht wird. Tatsächlich bestehen gerade die Reihen der linken Klassiker aus einer intellektuellen patriarchalen Elite. Sozialwissenschaft besteht eben aus der Analyse der gesamten Gesellschaft, wozu Frauen ebenfalls gehören. Dass dies nicht der Fall ist, wenn es nach den Gründervätern des klassischen Kommunismus geht, wird klar, wenn man sich mit Serok Apos direkter Kritik des Realsozialismus des 20. Jahrhunderts und der Selbstkritik der PKK auseinandersetzt. Die Analyseeinheiten Bourgeoisie und Proletariat verbergen eine Bandbreite an anderen sozialen Konfliktgruppen, die gehört werden müssen um eine wahrhaft egalitäre Gesellschaft zu erschaffen. Ob das nun die Missachtung der Jugend oder die Kolonisierung der Frau ist: Sowohl in Theorie als auch in Praxis wird es Zeit, die bisherige Rhetorik und bisherige theoretische Rahmen zu überdenken. Genau das macht Jîneolojî möglich. So ist es ein Beitrag über die Frauenbewegung, wenn man einen Artikel über Frauen in der Guerilla schreibt. Jîneolojî wäre es jedoch einmal zu erheben, wie viele junge Frauen es denn sind, die tatsächlich erst zwischen den kurdischen Bergen und dem tagtäglichen Kampf gegen die Besatzerstaaten überhaupt Lesen und Schreiben lernen und was der Grund dafür ist. Es ist Jîneolojî zu erheben, für was Frauen sich in unserer Gesellschaft denn eigentlich selbst halten, wie sie ihre Kolonialisierung eigentlich selbst erleben und einschätzen. Es ist Jîneolojî ein wissenschaftliches Vakuum herzustellen, innerhalb dessen endlich die genaue Frage nach dem Sein der Frau beantwortet werden kann. Besonders zu betonen ist die ästhetische und moralische Komponente, die diese Wissenschaftsform nach Serok Apo hat. So ist nicht nur – wie bereits aufgeführt – die politische Theorie eine Denkschule, welche von Männern dominiert wurde und weiter wird, nein, auch die Moral ist eine patriarchale Moral geworden, wie Serok sagt. Tatsächlich mag diese Verbindung von Moral und Wissenschaft dem ein oder anderen modernen Zeitgenossen der Forschung unwissenschaftlich und irrational vorkommen. Hält man sich jedoch an die griechische Antike und sogar weiter noch an den zoroastrischen Ursprung dessen, was wir heute 25 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Philosophie nennen, so wird klar, dass es doch der Erkenntnisgewinn ist, der Menschen zu moralischen Wesen macht. Schon immer war es der Erkenntnisgewinn, der Menschen vor die Frage des Moralischen, des Guten gestellt hat. Um zum Vakuum zurück zu kommen, ist es doch die deontologische Ethik Kants, die gedeutet hat, dass es die intrinsische Motivation und der intrinsische gute Wille ist, der Menschen zu moralisch handelnden Wesen macht. Natürlich ist Wissenschaftstheorie ein verzwicktes Feld, und diese Interpretation der Jîneolojî mag nicht jeden vollends befriedigen, dennoch halte ich gerade diese Prämisse einer fast schon in sich geschlossenen Wissenschaft der Frau, eine sich selbst entdeckende Lehre, eine Denktradition der Ästhetik und Ethik für die, die dann tatsächlich aus der bloßen abstrakten theoretischen Diskussion den Geist macht, den die kurdische Frau verinnerlichen muss, um ihre eigene Revolution zu schaffen. Die Werkzeuge sind uns durch Theorie und Praxis der PKK gegeben. Die Umsetzung ist jedoch ein harter Prozess, der tatsächlich nicht diktiert wird. Erinnern wir uns nämlich daran, wie Serok Apo die grundlegende Unterscheidung zwischen der emotionalen Intelligenz der Frau und der analytischen Intelligenz des Mannes darlegt, so muss uns bewusst werden, dass nur die Frau selbst diesen Weg begehen kann. Blickt man in die Realität der kurdischen Frau im zivilen Leben, ob nun in Kurdistan oder im Exil, so wird oft schmerzhaft bewusst, dass auch in der freien Gesellschaft das Leben dieser Frauen von Männern diktiert wird. Allein im politischen Aktivismus zeigt sich eine Weigerung des autonomen Handelns, des sich Loslösens von männlichen Akteuren, die im Zweifelsfall den Ton ansagen. Leider zeigt sich auch in der Ciwanên Azad (kurdische Jugend) die Dominanz des Männerbildes nach außen, obwohl mindestens genauso viele junge Frauen wie junge Männer an Demonstrationen, Sitzungen und sonstigem teilnehmen. Im Bewusstsein als YXK, als Teil der gesamten kurdischen Jugend und nicht als eine Art intellektueller Elite, die vom Elfenbeinturm aus weise Worte zum Plebs wirft, ist es die allererste Aufgabe diesen Geist der Jîneolojî zu verinnerlichen und weiterzugeben. Bloßer Militarismus, bloßer Aktivismus darf kein Selbstzweck sein. Gerade eine Theorie, wie die des Demokratischen Konföderalismus, hat Serok Apo Jahre der intensiven Studien gekostet. Wie soll diese Theorie dann verinnerlicht werden, wenn unsere Jugend keinen Umgang 26 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 damit hat? Genauso, wie sich kein YXK-Mitglied zu schade sein sollte, Militanz und Stärke im Widerstand der Praxis zu zeigen, so sollten keine Jugendlichen, die in einer Realität fern der institutionalisierten Bildung leben, wie die Universität sie eine ist, keinen Bezug zur theoretischen Arbeit im Rahmen der PKK haben. Es gab genügend laute Revolutionen, die schnell verpufft sind. Lasst uns endlich im Sinne des Erkenntnisgewinns eine stille Revolution des Wissens anspornen, die kein Ende haben wird. Jîn, Jîyan, Jîneolojî û Azadî! März 2016 - Artikel der JXK Stuttgart aus der 43. Ronahî-Ausgabe der JXK/YXK 27 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Der Weckruf der Frauen in Deutschland Die kurdische Frauenbewegung hat die Frauen in Deutschland mit ihrer Stärke, ihrer Überzeugung und ihren Analysen nachhaltig inspiriert. Aus dieser Inspiration beginnen wir Frauen einen neuen Anlauf uns zu organisieren, uns in neuen Zusammenhängen zu finden. Das besondere Augenmerk liegt auf der Bildung. Dem gemeinsamen Austausch, der Wissensweitergabe, der inhaltlichen Auseinandersetzung und den Diskussionen untereinander. Was ist in der Geschichte der Frauen passiert, warum sind wir an diesem Punkt stehengeblieben? Es geht uns um eine neue Analyse der aktuellen Geschehnisse ohne dabei die Geschichte außer Acht zu lassen. Dabei schauen wir nicht nur in die Geschichte der letzten 100 Jahre, sondern noch weiter... Die Vergangenheit zu analysieren heißt aus Fehlern vorangegangener Generationen lernen. Was uns schwer fällt, denn die Geschichte der Frauen ist kaum existent. Junge Frauen wissen nichts oder kaum was von den Kämpfen der vorangegangenen Generation. Sie haben nichts an dem sie anknüpfen können. Die feministische Bewegung in Deutschland war schon mal sehr viel stärker als sie es heute ist. Was ist passiert? Wo liegen die Knackpunkte? Warum haben es die vorherigen Generationen nicht geschafft ihr Wissen weiter zutragen? Warum sind wir Frauen so stark vereinzelt in unseren individuellen, lokalen und subkulturellen Grabenkämpfen? Warum haben wir den Blick über den Tellerrand verloren? Wo ist unser Internationalismus? Mit all diesen Fragen beschäftigen sich bundesweit verschiedenste Generationen von Frauen gemeinsam. Wir versuchen die Antworten darauf zu finden. Wir wollen von der Kraft der kurdischen Frauenbewegung schöpfen, von ihr lernen und eine neue feministische Perspektive für die Frauen hier entwickeln. 5.000 Jahre Patriarchat heißt 5.000 Jahre feministischer Widerstand! Auch wenn wir es jetzt noch nicht sehen, heißt es nicht das Frauen sich schon immer in dieser Rolle steckten in die sie jetzt gepresst werden. Frauen haben sich über Generationen hinweg aufgelehnt gegen die Unterdrückung durch die HERRschenden. Viele starke, mutige, kämpferische Frauen haben gegen das Patriarchat gekämpft, dabei viel aufgegeben, wenn nicht sogar alles. (z. B. Lilith, die Suffragetten, die Frauen in der 28 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Black-Power-Bewegung, die Frauen von EZLN, die Frauen in der palästinensischen Bewegung, die Frauen im Baskenland, die RoteZora, die Frauen innerhalb der RAF etc.) Ihre Kämpfe sollen nicht weiter im verborgenen bleiben. Sie sollen nicht umsonst gewesen sein. Sie sollen für uns ein Vorbild sein für eine neue Generation kämpferisch mutiger Frauen die sich gemeinsam organisieren, bilden und die kapitalistische Moderne analysieren und an den richtigen Stellen ansetzten und gegen die HERRschenden kämpfen. Wir sind solidarisch zu all den Frauen weltweit, mit ihren Kämpfen individuell oder gemeinsam organisiert. Wir wollen es ihnen gleich tun, mit ihnen Seite an Seite kämpfen und eine gemeinsame Kraft bilden. Besonders Danken wir der kurdischen Frauenbewegung für ihre Kraft und Überzeugung die uns so tiefgreifend inspiriert, sodass wir hier in Deutschland endlich aufgewacht sind und anfangen aufzustehen. Sie haben uns einen Spiegel vorgehalten, in unserer Überzeugung, in unseren eurozentristischem Denken, den Kapitalismus verinnerlicht dachten wir wir wüssten viel und sahen dann das wir noch viel zu wenig wissen. Aus ihrem Beispiel sehen wir wie sehr wir uns im Kreis drehen, uns die Analysen fehlen und dem kapitalistischen System nur in die Hand gespielt haben. Doch nun haben wir das erkannt und fangen endlich an fragend voran zu schreiten. Schritt für Schritt lernen wir und erlangen eine neue Kraft die ihr hoffentlich bald ebenfalls verspüren werdet. Jin Jiyan Azadî! Oktober 2015 - Artikel des ehemaligen YXK-Jin Vorstands aus der 42.Ronahî-Ausgabe 29 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Die Rolle der Frau in Rojava Der 12. November 2013. An diesem Tag wurde in Rojava im Westen Kurdistans (Nordsyrien) die Autonomie ausgerufen. Für die Menschen und insbesondere die Frauen in diesem Gebiet hat das fundamentale Veränderungen mit sich gebracht. Schaut man nur 5 Jahre zurück in die Vergangenheit, galt die Frau noch als Besitz des Mannes. Sie war seine „Ehre“ und zugleich auch immer eine Garantie für sein ganz persönliches Wohlbefinden und seine Bequemlichkeit. Sie war sein schönes Aushängeschild. Sein Spielzeug. Ein Objekt. Vielleicht schon im Kindesalter verheiratet und nun als Zweitoder Drittfrau, ist sie an den Herd gebunden und verantwortlich für zahlreiche Kinder. Ausgebeutet und missbraucht wird sie gezielt vom gesellschaftlichen Leben und von Bildung ferngehalten. Vom Baath-Regime wurden den Kurd_innen elementare Rechte, wie das Wahlrecht, die Muttersprache und sogar die Staatsbürgerschaft genommen. Auch alle anderen ethnischen und religiösen Minderheiten werden im Gegensatz zur arabischen Bevölkerung stark ökonomisch und sozial benachteiligt. Noch heute haben terroristische Organisationen wie Daesh (ISIS/IS), die im Zuge des syrischen Bürgerkriegs aufgeblüht sind, tausende Frauen und Mädchen, insbesondere Ezidinnen und Christinnen verschleppt, gefoltert, sie zu ihren Sexsklavinnen gemacht und den Menschenhandel wieder eingeführt. Aber was wäre die kurdische Kultur ohne den Widerstand? Schon in den 1990er Jahren hat sich auf Initiative der Yekîtîya-Star in Rojava eine starke Frauenbewegung entwickelt. Die Frau wurde über ihre Rechte und ihre Geschichte aufgeklärt und weitergebildet. So wurde das Fundament für die heute stattfindende Revolution erbaut. Seit 2011 gibt es in Rojava zwei Frauenakademien, 26 Bildungszentren, einige Frauenhäuser und Frauenräte. Alle Institutionen haben die Funktion des Schutzes, der Beratung und Bildung der Frau. So wird außerdem gegen patriarchale Strukturen innerhalb der eigenen Gesellschaft gekämpft. Nicht nur in der Praxis sind Frauen an allen Prozessen beteiligt. Die Gleichstellung der Frau ist auch gesetzlich fest verankert. Zwei Beispiele hierfür sind zum einen die 40%-Quote für die Beteiligung von Frauen und zum anderen das Hev-SerokSystem (Prinzip der Doppelspitze). Gesetzliche Änderungen werden der Bevölkerung, 30 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 unter anderem durch die von Frauen für Frauen geschriebene Zeitschrift „Dengê Jîyan“ mitgeteilt. So wurde in einer Ausgabe beispielsweise das nun geltende Verbot für Kinder-/Zwangsheirat und Berdêl (Mädchentausch) veröffentlicht. Weiterhin hat sich im Jahr 2013 autonom von der YPG (Volksverteidigungseinheiten), die YPJ (Frauenverteidigungseinheiten) gegründet. Mit geschätzten 15.000 Kämpferinnen beteiligen sich Frauen allen Alters militärisch am Kampf gegen Daesh (ISIS/IS) und dem Assad-Regime und verteidigen Menschen mit ihrem Leben. Die Mainstream-Medien sind häufig begeistert von den Kämpferinnen der YPJ und loben ihren mutigen Kampf gegen so barbarische Feinde wie den sogenannten „Islamischen Staat“. Frauen aus dem Mittleren Osten werden erstmalig, zumindest in dem Maße, auch von Modezeitschriften wie „Marie Claire“ als glorreiche Kämpferinnen porträtiert. Allerdings ist zu erwähnen und daran zu erinnern, dass alle eben beschriebenen Fortschritte auf eine ganz bestimmte Ideologie zurück zu führen sind. Die Fortschritte basieren auf dem Demokratischen Konföderalismus, formuliert von Abdullah Öcalan, der 1978 die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) mitbegründete. Dieses „Detail“ bleibt von den Mainstream-Medien jedoch völlig unbeachtet. Somit werden die Motive dieser Frauen neutralisiert und man nimmt ihnen ihre politische Identität. Sie sind aber keine Maskottchen oder Aushängeschilder im Kampf gegen Daesh (ISIS/IS). Sie beteiligen sich als Subjekte im zweifachen Kampf für eine befreite Frau und eine befreite Gesellschaft. "Wir sind nicht bloß Frauen, die gegen den IS kämpfen. Wir kämpfen, um die Mentalität der Gesellschaft zu verändern und der Welt zu zeigen, wozu Frauen fähig sind. Wir wollen nicht, dass die Welt uns wegen unserer Waffen kennt. Wir wollen, dass sie unsere Ideen kennen." – Sozdar, Kommandeurin bei der YPJ Aber wie könnte man auch sonst die Frauen aus Rojava öffentlich feiern, während die PKK als terroristische Vereinigung eingestuft ist? März 2016 - Artikel der JXK Bochum aus der 43. Ronahî-Ausgabe der JXK/YXK 31 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Sara, Rojbîn, Ronahî... Wir schreiben das Jahr 2016. Es sind nun drei Jahre vergangen, seit unsere drei Genossinnen mitten in Paris kaltblütig ermordet wurden. Was sich am 09. Januar 2013 in den Räumlichkeiten des kurdischen Informationsbüros in der Nähe des Pariser Nordbahnhofs ereignete, hat eine sehr tiefe Wunde hinterlassen, die auch heute, nach drei Jahren, nicht verheilt ist. Denn an diesem kalten Januarabend wurden drei Genossinnen, drei revolutionäre Freundinnen ermordet, die sich auf dem Weg des politischen Kampfes um Freiheit, Frieden und Geschlechterbefreiung vereinigt hatten. Drei Freundinnen mit Träumen, Wünschen und einer großen Lebensfreude wurde das Leben genommen. Was genau ereignete sich am 09.01.2013 im kurdischen Informationsbüro? Das KurdistanInformationsbüro (CIK) befindet sich in der Rue la Fayette 147. Eine relativ ruhig liegende Gegend mit vielen Geschäften und Wohnungen. Im Büro befanden sich die PKK-Mitbegründerin und Aktivistin Sakine Cansız (Sara), die Pariser Vertreterin des Nationalkongresses Kurdistan (KNK) Fidan Doğan (Rojbîn) und ein Mitglied der kurdischen Jugendbewegung Leyla Şaylemez (Ronahî). Als es am besagten Tag an der Tür klingelte, zögerten die Freundinnen nicht und öffneten der bekannten Person die Tür. Schüsse fielen! Heval Sara und Heval Rojbîn wurden durch Kopfschüsse und Heval Ronahî, die sich gegen den Mörder stellte, mit Kopf- und Bauchschüssen hingerichtet. Die letz te Kugel wurde Heval Rojbîn in den Mund geschossen. Dunkelheit... Was genau in der Zwischenzeit i m Inneren des Büros geschah, ist ungewiss. Der Täter verschwand, 32 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 die Tür fiel zu. Stundenlang blieben die Anrufe an die Freund_innen unbeantwortet. Die Tür wurde nicht geöffnet. Als die Sorge größer wurde und es schon Mitternacht geworden war, fand man die drei Leichname der Freundinnen auf dem Boden des Büros. Der erste Schock saß bei allen Freund_innen sehr tief. Unverständnis, Unklarheit, Wut und Trauer verbreitete sich. Klar war von Anfang an Eines: Dies war ein politischer Mord und der türkische Staat, sowie die dunklen Kräfte waren involviert. Ömer Güney – erster Verdächtiger, erste Festnahme Ömer Güney wurde kurze Zeit nach den Morden vom französischen Staatsanwalt Francois Molins als Hauptverdächtiger festgenommen. Aufzeichnungen einer Überwachungskamera zufolge soll Güney sich zur Tatzeit in den Räumen des Büros aufgehalten haben. Auf seiner Jacke wurden später DNA-Spuren eines Opfers entdeckt und in seiner Tasche Schmauchspuren. Ömer Güney war seit zwei Jahren ein aktives Mitglied im kurdischen Verein in Paris. Vor Ort gab er den Freund_innen eine falsche Identität von sich bekannt und zeigte großes Interesse an den Arbeiten. Aufgrund seiner guten Französischkenntnisse half er vielen Kurd_innen dort als Dolmetscher. Er pflegte mit vielen Jugendlichen eine gute Beziehung und gewann schnell das Vertrauen der Vereinsmitglieder. Nach der Festnahme von Ömer Güney gab der ehemalige MIT-Agent Murat Sahin, der in der Schweiz lebt, in einem Interview bekannt, dass Güney zur selben, auf linke Organisationen spezialisierte Einheit gehöre, wie er selbst. Eine Frau, die seine in Ankara stationierte Einheit führte, hatte ihm ein Bild von Güney gezeigt und erklärt, dass er ein „Hevalci“ sei und er sich das Bild gut merken solle. Später, unmittelbar nach den Morden, konnte er die Person auf dem in der türkischen Presse weit verbreiteten Bild von Ömer Güney mit der auf der ihm damals vorgelegten Aufnahmen identifizieren. Doch bei diesem Hinweis blieb das Ganze nicht. Im Januar 2014 gab es in der Türkei einen großen Machtkampf zwischen der AKP- Regierung, sowie der Gülen-Bewegung. Während beide Seiten mit harten Mitteln ihren Machtkampf führten, wurde im Internet zunächst eine Tonaufnahme veröffentlicht. In dem über zehn Minuten dauernden Gespräch von Ömer Güney mit zwei türkischen Agenten ist zu hören, wie sie Mordpläne 33 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 und Fluchtwege planen. Darüber hinaus wurden noch viele andere Namen von kurdischen Politiker_innen genannt, an denen auch Morde geplant sind. Wenige Tage danach tauchte ein weiteres Dokument auf. Ömer Güney wird in diesem Dokument mit dem Mordattentat beauftragt. Das Dokument ist mit Unterschriften von Mitgliedern des türkischen Geheimdienstes versehen. Hintergrund –Wie sind diese Morde zu bewerten? Fest steht, dass Sakine Cansiz bewusst als Ziel ausgewählt wurde. Es handelt sich bei den Morden um äußerst gut organisierte, geplante und professionell ausgeführte Taten. Die Morde in dieser Form können nicht von einer einfachen Person verübt worden sein. Fest steht, dass dieser Mord von professionellen Kräften ausgeführt wurde. Kräfte, die eine friedliche Lösung der Kurdenfrage verhindern wollen, Kräfte wie die türkische „Gladio“, die sich auf internationale Kräfte stützen und vom tiefen Staat unterstützt werden. Die Morde in Paris waren kein Zufall, sondern wurden äußerst bewusst geplant, sehr professionell strukturiert und sind als politische Morde zu bewerten. Zweifellos wurden die Morde aus mehr als nur einem Grund verwirklicht. Solch politisch motivierten Morde werden nicht aus einfachen Gründen begangen. Schon gar nicht so professionell durchgeführte Morde. Deshalb muss man sich im Hinblick auf die Hintergründe weit aus dem Fenster lehnen. Kurz vor dem Massaker wurde der 68-tägige Hungerstreik von über Tausenden politischen Gefangenen mit dem Aufruf von Abdullah Öcalan beendet. Die AKP-Regierung war in eine ausweglose Lage geraten und sah sich gezwungen, Gespräche mit Abdullah Öcalan aufzunehmen. Die Gespräche zwischen Ankara und Imrali gelangen nun auch an die Öffentlichkeit. Sowohl von Abdullah Öcalan, als auch aus Kandil und der kurdischen Bevölkerung war ein großes Interesse und Unterstützung zu sehen, um das Blutvergießen zu beenden. An erster Stelle sollten diese Morde die anlaufenden Gespräche zukünftig verhindern und den Friedensprozess sabotieren, der ins Rollen gekommen war. Kurz nach den Morden gab Hüseyin Celik, der stellvertretende Parteivorsitzende der AKP, bekannt, dass es sich ihrer Vermutung nach bei den Morden, um eine „interne Abrechnung“ handle. Zwischen 34 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 Abdullah Öcalan und Sakine Cansiz soll es schon seit Jahren Streitigkeiten gegeben haben. Weiterhin führten sie an, dass es sich bei den Morden um Provokationen handle, um eine friedliche Lösung der kurdischen Frage zu verhindern. Offensichtlich macht sich bei diesen Aussagen bemerkbar, dass die türkische Regierung auf ihrer psychologischen Kriegsführung beharrt. Es ist offensichtlich, dass die türkische Seite versucht, diesen heimtückischen Mord zu verschleiern, zu manipulieren und zu verdrehen. Die Rolle Frankreichs... Auch Frankreichs Einfluss und Rolle darf bei diesen Morden nicht außer Acht gelassen werden. Nach Erdogans Vorwürfen, die EU würde den „Terroristen“ Raum bieten, gab der für die Anti-Terror-Angelegenheiten zuständige französische Richter Thierry Fragnoli bekannt, dass insgesamt vier Richter, acht Staatsanwälte und 28 Kommiss are ausschließlich im Hinblick auf die Kurd_innen in Frankreich arbeiten würden. Viele politisch aktive Kurd_innen, unter anderem auch Sakine Cansiz, standen 24 Stunden lang unter Beobachtung und waren starken Repressionen ausgesetzt. Der Staat führte so seine staatlichen Repressionen und seine enge Zusammenarbeit mit der Türkei durch. Die Festnahme von Adem Uzun darf in diese m Zusammenhang ebenfalls nicht vergessen werden. Adem Uzun war im Namen des KNK nach Paris gereist, um dort an einer Konferenz über die Entwicklungen in Westkurdistan am 13. Oktober in den Räumlichkeiten des französischen Parlaments teilzunehmen. Am 06. Oktober wurde er während einer Razzia in Paris festgenommen. Der Eingang zum Gebäude, in dem sich auch das Kurdistan Informationszentrum befindet, wird durch viele Kameras in der Umgebung erfasst. Direkt gegenüber des Büros befindet sich der Supermarkt Carrefour, welche über eine 360°-Kamera verfügt. Die Ermittlungsbehörden haben bis heute noch keine einzige Erklärung dazu abgegeben. Viele weitere und ähnliche Indizien gestalten das Ganze in eine sehr unseriöse und fragliche Richtung. Bei dem Attentat auf Charlie Hebdo wurden mit Hilfe der modernsten Überwachungstechniken, über die der französische Staat verfügt, die Täter in wenigen Stunden komplett ausfindig gemacht. Es ist deshalb sehr fragwürdig, was die Aufklärung der Morde vom 09.01.2013 so schwer 35 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 macht. Wie unter solch strenger Beobachtung ein derartiger Mord geschehen konnte, bleibt fragwürdig. Oder gibt es etwas zu verheimlichen, Frankreich? Auch drei Jahre nach den Morden wird weder von der französischen Regierung, noch von der türkischen Regierung das Interesse oder der Wille gezeigt, die Morde aufzudecken. Weder wurden Angehörige der Opfer, noch die kurdische Öffentlichkeit, die auch nach drei Jahren die Morde noch immer nicht verkraftet hat, kontaktiert oder über zusätzliche Informationen benachrichtigt, über die Frankreich verfügt. Frankreich schweigt. Auch wurde die Geheimhaltungspflicht über weitere Informationen nicht aufgehoben, die eventuell das Verfahren beschleunigen könnten. In welchem Zustand und wo sich Ömer Güney befindet, ist ebenfalls fragwürdig. Die juristische Untersuchung mit all den öffentlichen Hinweisen auf die Hintermänner oder Unterstützer wurde abgeschlossen. Zugleich führt Frankreich seine Beziehungen mit der Türkei fort. Weder Erdogan noch andere staatliche Vertreter_innen wurden bis dato von Frankreich konfrontiert, geschweige denn von ihnen Aufklärung oder Kooperation gefordert. Kein Interessenbereich? Ist euer Schweigen das Eingeständnis eurer Mitschuld? Aber auch dieses Schweigen und die Ignoranz hat Frankreich mit schweren Folgen miterleben müssen. Ende 2014 wurde die Satirezeitung Charlie Hebdo und kurze Zeit danach 130 Menschen Opfer fundamentalistischer Anschläge. Frankreich ist in einen Krieg involviert, von dem sie nicht wegkommen werden, wenn sie ihre politisch und ökonomischen Interessen über Gerechtigkeit und Wahrheit stellen. Solange die Morde an den drei Freundinnen nicht aufgeklärt werden, wird Frankreich in dieser Dunkelheit bleiben. Und auch wir werden nicht schweigen und bei jeder Gelegenheit für die Aufklärung der Morde kämpfen. Wir wollen Gerechtigkeit für Sara, Rojbîn und Ronahî. Der türkische Staat und die EU müssen mit ihrer Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik gegenüber Kurd_innen aufhören und die Forderungen der kurdischen Bevölkerung nach Frieden und Freiheit unterstützen. Dieser Anschlag war nicht nur gegen die Freiheitsbewegung gerichtet, sondern gegen den fortschrittlichen Kampf der kurdischen Frau. Die Vorreiterrolle der Freundinnen in diesem Kampf gegen patriarchale, feudale und sexistische Strukturen war der kapitalistischen Moderne ein Dorn im Auge. Dieser Mord 36 1. Reader der JXK (Jinên Xwendekar ên Kurdistan) 2016 war ein gezielter Angriff gegen unseren Kampf. Aber sie hat ihn nicht geschwächt, sondern uns noch einmal bewusst gemacht, wie richtig wir in diesem Kampf sind und dass wir ihn niemals aufgeben werden! Sara – Rojbîn – Ronahî, Berxwedan heya dawî. Sara – Rojbîn – Ronahî, Widerstand bis zum Schluss! März 2016 - Artikel der JXK Marburg aus der 43. Ronahî-Ausgabe der JXK/YXK 37
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