Abteilung: Sendereihe: Sendedatum: Produktion: Kirche und Religion Gott und die Welt 23.10.2016 17.10.2016 Redaktion: Autor/-in: Sendezeit: Anne Winter Stefanie Pütz 9.04-9.30 Uhr/kulturradio 9.15-17.00 Uhr/T9 _____________________________________________________________________________ Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt; eine Verwertung ohne Genehmigung des Autors ist nicht gestattet. Insbesondere darf das Manuskript weder ganz noch teilweise abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Eine Verbreitung im Rundfunk oder Fernsehen bedarf der Zustimmung des RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg). _____________________________________________________________________________ GOTT UND DIE WELT Alles Gute! Wünsche zwischen Floskel und Bittgebet Sprecherin: Ilka Teichmüller Regie: Clarisse Cossais 2 Musik 1 O-Ton 1 Fleischer O-Ton 1 Angelika O-Ton 3 Macho O-Ton 3 Grimm Musik 1 - Du grønne, glitrende tre – Bugge Wesseltoft (Klavier) Der Freibrief, wenn man so will, lautet "Bittet und es wird euch gegeben werden". Da wird überhaupt kein Maß gesetzt.. Das, was unser Leben so lebenswert macht, finde ich, ist, dass man Träume hat, und dass man sich nicht jeden Traum sofort erfüllen kann. Es muss auch den Wunsch des Wünschens geben, ich muss mir wünschen können, dass ich wünschen kann.. Man kann grob sagen, dass wir jeden Tag einen Wunsch erfüllen. Und das hängt dann immer individuell vom Kind und vom Wunsch ab, wie schnell wir den erfüllen können, aber erfüllen tun wir jeden Wunsch, der hier ankommt. Wenn das Kind schwer erkrankt ist. Du grønne, glitrende tre – Bugge Wesseltoft (Klavier) Titelsprecherin Alles Gute! Wünsche zwischen Floskel und Bittgebet Eine Sendung von Stefanie Pütz Sprecherin Weihnachten, Geburtstage, Hochzeiten oder Taufen: Eine Herausforderung für alle, die etwas schenken möchten. Denn oft fällt den potentiell Beschenkten nichts ein, was sie noch nicht hätten – stattdessen wünschen sie sich "liebe Kinder" oder „ein friedliches Fest“. Eine unbefriedigende Situation für Menschen, die gerne geben und Freude daran haben, Gegenstände in schönes Papier zu wickeln. So werden manche zu Detektiven und notieren heimlich jeden Wunsch, den jemand mal geäußert hat. Auch kleinste Vorlieben und Abneigungen – "Tobias liebt Lavendelduft", "Susanne mag kein Blau" – werden akribisch festgehalten. Doch etliche Familien kapitulieren vor dem Überfluss und beschließen: Wir schenken uns gar nichts mehr. In bestimmten Schichten herrscht ein regelrechter Mangel an materiellen Wünschen, sagt der Kulturwissenschaftler Thomas Macho. 3 O-Ton 4 Macho Musik O-Ton 5 Angelika Sprecherin Also man sieht das auch manchmal an Kindern, die so im Überfluss gebadet werden, dass sie schlicht Wunschblockaden erleiden, das heißt, dass wenn man sie fragt, was wünschst du dir zu Weihnachten oder zum Geburtstag, dann setzt ein gewaltiger Reflexionsprozess ein, weil sie so viel haben, dass sie eigentlich gar nicht mehr wissen, was sie sich noch wünschen sollen. Rosamunde – Franz Schubert (Cleveland Orchestra, George Szell) Ich arbeite in einem Haushalt, der fünf Personen umfasst, Vater, Mutter, drei Kinder, wobei die Kinder sich über die Woche im Internat aufhalten, der Haushalt ist schätzungsweise siebenhundert Quadratmeter groß, dazu gehört ein 4500 Quadratmeter großer Garten, und, ja, das ist also meine Aufgabe jetzt, wenn ich morgens komme, mir einen Überblick zu verschaffen, was ist wichtig, siebenhundert Quadratmeter machen Sie nie an einem Tag. Angelika ist Hauswirtschafterin für gehobene Haushalte. Die 50Jährige hat in einer speziellen Ausbildung gelernt, wohlhabenden Menschen ihr Zuhause herzurichten. Das heißt: Antiquitäten zu pflegen, Marmorbäder und goldene Wasserhähne zu reinigen, Kaschmir und Seide zu waschen, Silberbesteck zu polieren, eine Festtafel zu decken und Blumengestecke anzufertigen. Jeden Morgen geht Angelika als erstes in die Hauswirtschaftsräume im Keller. Dort bügelt sie die Wäsche vom Vortag, zum Beispiel die maßgeschneiderten Hemden des Hausherrn. Ihre Arbeitgeber besitzen neben Haus und Garten ein eigenes Schwimmbad, einen Wellness-Bereich, eine Sauna und einen Fitness-Raum. O-Ton 6 Angelika Sprecherin Das kann sein, dass meine Chefin mir einen Zettel hinlegt oder es selber sagt, gestern waren sieben Kinder im Schwimmbad, bitte nehmen Sie sich mal das Schwimmbad vor. Oder wir haben gestern die Sauna aktiviert, könnten Sie mal bitte nach der Sauna gucken. Oder es werden Gäste erwartet, können Sie den Gästetrakt herrichten, aber das, was alltäglich anfällt, da entscheide ich, was gemacht werden muss, es muss halt jeden Abend so aussehen, als wenn diese Wohnung gerade eben frisch bezogen worden wäre. Ihre Freizeit verbringen die wohlhabenden Leute in ihrem Fernsehzimmer, im Musikzimmer oder in der Bibliothek, ausgestattet 4 mit neuestem Lesestoff und hochwertiger Technik. Ein Leben wie im Hochglanz-Katalog – und für viele Menschen ein Idealbild, dem sie fleißig nacheifern. Wer es sich leisten kann, füllt im Internet mit ein paar Mausklicks immer wieder aufs Neue seinen Warenkorb: Kommunikationsgeräte, elektronisches Spielzeug, Musik für jede Stimmungslage, Bücher, über die man gerade spricht, Dekoratives für die Wohnung, Feinkost aus aller Herren Länder. Bei einigen Online-Händlern können die Kunden sogar Wunschzettel anlegen, die öffentlich einsehbar sind. Freunde und Verwandte, die auf der Suche nach einem Geschenk sind, wissen dann mit Sicherheit, dass sie einen Volltreffer landen. O-Ton 7 Fleischer Sprecherin Und da muss man sagen, zu diesem Wunschkatalog sagt die Bibel eigentlich nichts - erklärt der katholische Alttestamentler Dr. Gunther Fleischer. Denn ein solches Konsumdenken kam in der biblischen Lebenswelt nicht vor. Die Wünsche der Menschen richteten sich nicht auf irdische Habseligkeiten, sondern eher auf das Jenseits. "Wie finde ich das ewige Leben?", war eine Frage, die sie beschäftigte. Einige Bibelgestalten, wie zum Beispiel Abraham und Sara, äußern den dringenden Wunsch, ein Kind zu bekommen. Anders als heute war der Nachwuchs damals überlebenswichtig: Er sicherte die Versorgung der älteren Generation. O-Ton 8 Fleischer Musik 3 O-Ton 9 Letztlich hat aber die Heilige Schrift immer im Blick, dass es wirklich bei dem Wünschen um etwas geht. Also etwas Existenzielles, um eine tiefe Sehnsucht, die irgendetwas mit dem wirklichen Leben zu tun hat. Es geht nicht um Genuss, es geht nicht um Besitzmehrung, es geht nicht um Machtmehrung, sondern wirklich um eine innere Not am Leben. Aus tiefer Not schrei ich zu dir – Michael Praetorius (Huelgas Ensemble / Paul van Nevel) 5 Fleischer Also zum Beispiel alles, was irgendwie in Richtung Verwirklichung von Frieden geht. Gott ist ein Gott des Friedens. Jesus kommt letztlich als Friedensfürst, wie wir an Weihnachten hören. Thema Versöhnung. Thema Gerechtigkeit. Thema Barmherzigkeit. Thema sozialer Friede. Thema Gesundheit. Das sind ja alles Sachen, die biblisch schon immer angesprochen sind, und da hinein gehen dann auch entweder die Bitten, das heißt das darf ich dann auch für mich selbst erbitten, das wäre das Bittgebet, oder was in der Messfeier passiert, ich erbitte es für andere. Zitator Ich bitte für meinen Kollegen Jan um Kraft, dass er das Purgatorium seines Alkoholentzugs ohne Schaden für Leib und Seele übersteht. Amen. Sprecherin Eintrag in das Online-Fürbittenportal der Jesuiten Zitatorin Ich bitte um ein Gebet für meinen Sohn, der in der Psychiatrie ist, damit er nicht mehr so sehr leidet und damit er sich nicht selbst verletzt oder tötet. Sprecherin Hinter Bittgebeten und Fürbitten stecken meist existenzielle Sorgen, eine Leidensgeschichte, häufig sogar ein Ringen um Leben und Tod. Krankheit, Kinderlosigkeit, Einsamkeit oder Arbeitslosigkeit sind Anlässe vieler Gebete – man wünscht sich Linderung, Glück oder Hilfe. Kleinere Wünsche wie eine gute Prüfungsnote oder die Versöhnung mit einem Freund äußert man eher in anderen Situationen, in denen man sich traditionell etwas wünschen darf: Zum Beispiel, wenn man mit geschlossenen Augen die Kerzen auf seiner Geburtstagstorte ausbläst. Oder wenn man eine ausgefallene Wimper findet und sie in hohem Bogen in die Luft pustet. Oder wenn man eine Sternschnuppe am Nachthimmel sieht. Hierfür gibt es eine schöne Erklärung: Die Menschen hielten die funkelnden Lichter einst für Dochte, die den Engeln beim Putzen der Himmelskerzen herunterfielen. Wer in diesem Moment einen stillen Wunsch äußerte, durfte mit göttlichem Beistand oder einem Engel an seiner Seite rechnen. Auch wer ein vierblättriges Kleeblatt findet, hat einen Wunsch frei. Diese Symbolik wird ebenfalls religiös gedeutet: Die Form des Kleeblatts erinnert an das Kreuz Christi. 6 Musik 4, Ein bisschen dunkel war – Kurt Nolze (instrumental) Sprecherin Ganz wichtig ist laut Überlieferung, dass wir die gen Himmel geschickten Wünsche für uns behalten. Die Äußerung eines Wunsches ist also ein sehr persönlicher und intimer Moment: Wir versuchen, mit einer höheren Macht etwas auszumachen. Manche denken dabei an eine gute Fee, andere an Heilige oder Schutzpatrone, viele an den lieben Gott. Zitatorin Lieber Gott- bitte, ich wünsche mir so sehr und dringend doch noch ein Kind - und, dass es einen richtigen Vater hat. Nicht so wie ich ... Sprecherin Eintrag in das Online-Fürbittenportal der Jesuiten Zitatorin (ff): Sprecherin Bitte, ich weine (fast) jeden Tag.... Bitte. Herr, ich bitte Dich Können wir aber auch davon ausgehen, dass Gott unsere Wünsche erfüllt? Ja und nein, sagt der katholische Theologe Gunther Fleischer. O-Ton 10 Fleischer Zitatorin O-Ton 11 Fleischer Er sieht die Not und reagiert darauf, das kann aber sein, dass er anders reagiert, als man's erwartet und als es dem eigenen Wunsch entspricht oder dass es nicht so schnell geht, wie man dachte, oder dass es anders kommt, als man dachte. Aber er wird schon als einer vorgestellt, der die Wünsche, oder ich würde es vielleicht mal noch ein bisschen vergrößern, die Sehnsüchte der Menschen wahrnimmt und tatsächlich darauf reagiert. Da hinein gehört auch das Beten dann schließlich. Weil wenn Gott ein anderer wäre, würde es auch keinen Sinn machen, zu ihm zu beten. Ich hatte heute furchtbaren Streit mit meiner Mutter. Sie greift oft und gern zu Alkohol und Tabletten und ist ein ganz anderer Mensch der mir furchtbar Angst macht, mich nervt... ich bitte Gott ein Auge auf die zu haben. Ich kann es nicht mehr. Und was da aufrichtet, was da wieder hilft, dass ich, wie das zum Beispiel in einer schönen Formulierung heißt, wieder zu Atem kommen kann, dass die Seele aufleben kann, das sind alles biblische Formulierungen, das ist im wörtlichen Sinne wünschenswert und erlaubt. 7 Musik 5 Geständnis – Herman van Veen (Gitarre) O-Ton 12 Grimm Mein Name ist Sabine Grimm, und wir sind hier bei Wünschdirwas. Sprecherin Sabine Grimm ist Hochschuldozentin und nicht mit den Gebrüdern Grimm verwandt. Trotzdem ist sie eine Art gute Fee: Die junge Frau engagiert sich ehrenamtlich für den Verein Wünschdirwas. O-Ton 13 Grimm Sprecherin Kinder haben bei uns einen Herzenswunsch frei, und das darf auch nichts Materielles sein. Also das heißt, wir erfüllen grundsätzlich nur immaterielle Herzenswünsche. Der Verein ist bundesweit tätig und kooperiert mit Kliniken, die schwerkranke Kinder behandeln. Von den Krankenschwestern und Klinikbetreuern erfahren die kleinen Patienten, dass sie einen Herzenswunsch frei haben. Die Kinder senden ihre Wünsche dann an das Wünschdirwas-Büro: Manche malen ein Bild und stecken es in einen Briefumschlag, andere schicken ein Fax oder eine E-Mail. Sobald der Wunsch angekommen ist, setzt das Team von Wünschdirwas alle Hebel in Bewegung, um ihn zu erfüllen. Besonders häufig wünschen sich Kinder einen Besuch bei ihrem Lieblingstier im Zoo oder auf dem Reiterhof. Manche möchten sich für einen Tag in eine Prinzessin oder einen Ritter verwandeln, andere einen Sprung mit dem Fallschirm machen oder im Heißluftballon durch die Luft segeln. O-Ton 14 Grimm Sprecherin Viele Kinder wünschen sich natürlich ein Treffen mit ihrem Lieblingsstar. Und es gibt Prominente, die das grundsätzlich nicht machen, weil sie selber sich da psychisch nicht zu in der Lage sehen, schwerkranke Kinder und Jugendliche zu treffen, und das muss man auch respektieren, das ist auch oft eine schwierige Situation und auch eine belastende Situation. Es gibt aber auch ganz, ganz viele Prominente, die immer sofort zusagen und die das ohne Wenn und Aber immer mit uns machen. Den Wunsch nach Gesundheit kann das Team von Wünschdirwas nicht erfüllen. Das wissen auch die Kinder. Aber der Verein 8 ermöglicht ihnen, einen unbeschwerten Tag zu erleben, zu Atem zu kommen und das Leben in vollen Zügen zu genießen. Bei den kleinen Krankenhauspatienten setzt die Aussicht auf eine Wunscherfüllung manchmal ungeahnte Kräfte frei, erzählt die Ehrenamtlerin Sabine Grimm. O-Ton 15 Grimm Musik 5 O-Ton 16 Grimm Sprecherin Ja, wir hatten einen Jungen, der wollte unbedingt seinen Lieblingsstar treffen und hatte eine Chemo bereits hinter sich, die wohl auch sehr schwierig verlaufen ist, eine Chemo ist ja mit ganz vielen Nebenwirkungen verbunden, und er musste noch eine zweite machen. Und der hat sich absolut geweigert, diese zweite Chemotherapie anzufangen, und der Gesundheitszustand war so schlecht, dass wir ihm den Wunsch eben auch aktuell nicht erfüllen konnten, und dann hat der Prominente diesem Jungen ein ganz tolles Paket zusammen gestellt mit einem wirklich tollen Brief und hat ihm alle Kraft der Welt gewünscht, das zu schaffen, und danach hat der Junge gesagt, dass er die zweite Chemo anfängt, ist dann auch genesen und hat den Wunsch dann erfüllt bekommen. Geständnis – Herman van Veen (Gitarre) Leider sind schon einige Kinder dann auch verstorben. Das passiert manchmal leider auch vor dem Wunsch, manchmal nach dem Wunsch, und das ist natürlich jedes Mal für alle Betroffenen wirklich immer wieder aufs Neue ein schwerer Schlag. So schwer diese Wahrheit auch zu ertragen ist: Manchmal ist alles Wünschen vergeblich. Denn das Wesentliche ist und bleibt für den Menschen unverfügbar. Gesundheit, Frieden, Liebe und Geborgenheit lassen sich nicht im Internet und auch nicht bei Wünschdirwas bestellen. Und man könne auch nicht von Gott erwarten, dass er alles so lenkt, wie wir es uns wünschen, sagt der Theologe Gunther Fleischer. O-Ton 17 Fleischer Musik 6 O-Ton 18 Es gibt eine Souveränität Gottes, der ich es überlassen muss, was dann am Ende wirklich passiert, wenn das wegfällt, dass dein Wille geschehe. Dann wird Gott instrumentalisiert. Dann hat er nur zu tun, was ich will. Der CXVI. Psalm Davids – Michael Praetorius (Huelgas Ensemble / Pau Van Nevel) 9 Fleischer Und es wird ja auch jetzt nicht zufällig im Matthäus-Evangelium so formuliert, dein Wille geschehe, denn dieses Dein Wille geschehe korrespondiert mit einer zweiten Erzählung, wo kommt das noch vor, im Ölberg-Gebet Jesu, das heißt also, im schlimmsten Augenblick, wo das passiert, was er eigentlich nicht will, nämlich der Tod bevorsteht, lass diesen Kelch an mir vorübergehen, aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe. Also bis in diese ganz schwierige Situation hinein gilt das, und da gibt's natürlich zahlreiche Christen, die genau aus dieser Haltung heraus überhaupt solche Verfolgungssituationen, ob Nationalsozialismus, aber auch sicherlich schon früher, überhaupt überstanden haben, weil sie das sagen konnten, die sonst schier verzweifelt wären. Zitatorin Bitte lieber Gott helfe mir damit fertig zu werden, dass mein Sohn ein Soldatenleben gewählt hat. Ich schaffe es nicht ohne deine Hilfe. Helfe auch ihm, dass er den RECHTEN Weg geht, den Du für Ihn ausgesucht hast. Schenke uns allen Kraft und Licht. Amen Sprecherin Eintrag in das Online-Fürbittenportal der Jesuiten Zitator Bitte lieber Gott schicke der Olga soviel Engel wie möglich und lass sie gesund werden. O-Ton 19 Grimm Sprecherin Natürlich kommen ab und zu Wünsche rein, die sehr schwer zu erfüllen sind. Zum Beispiel letztens eine Reise zum Mond. Das schaffen wir momentan wirklich noch nicht. Da versuchen wir natürlich, ein bisschen umzuberaten, da muss man dann erst mal rausfinden, geht's da eher ums Fliegen oder geht's vielleicht um den Weltraum, und dann etwas zu finden, was dann vielleicht nahe dran ist. Auch wenn ein Kind ein Smartphone oder Computerspiel auf seinen Wunschzettel schreibt, versuchen die Mitarbeiter von Wünschdirwas, es zum Umdenken zu bewegen, erzählt Sabine Grimm. Ob das nicht auch bei Erwachsenen sinnvoll wäre? Weg von Konsumartikeln, hin zu immateriellen Wünschen? Das würde allerdings voraussetzen, dass die Menschen ihre Herzenswünsche kennen, sagt der Kulturwissenschaftler Thomas Macho: O-Ton 20 Macho Ich denke dass die Menschen heute oft unter dieser Dynamik leiden, dass auf der einen Seite ihnen Konsumverhalten als eine Antwort auf persönliche Probleme, auf Depressionen, auf Lebenskrisen offeriert wird, auf der anderen Seite die Frage, was brauche ich eigentlich noch, 10 oder was will ich eigentlich haben, was wünsche ich mir, dadurch auch beschädigt wird. Sprecherin Hinter jedem Konsumakt steckt die Hoffnung auf ein besseres Leben: Wir gehen davon aus, dass wir mit dem schnelleren Auto, dem schöneren Kleid oder dem neuestem Smartphone leichter und zufriedener durchs Leben kommen. Mehr Konsum bedeutet mehr Lebensqualität – das ist der Glauben, in dem wir aufgewachsen sind, und dem die meisten von uns immer noch anhängen. Mit grotesken Folgen, wie der Sozialpsychologe Harald Welzer beschreibt: Zitator Die alte Geschichte, die die westliche Welt seit zwei Jahrhunderten über sich erzählt, [hat] ihren emotionalen Kern, ihre Wunschenergie längst verloren. Wir haben ja schon alles, was wir uns – materiell – erträumt haben. Wir waren auch schon überall. Wir können auch überallhin. [...] Die Wunschwelt des ALLES IMMER ist in den frühindustrialisierten Ländern zur Wirklichkeit geworden und hat sich so entzaubert, dass die Anbieter sie nur noch bedienen können, indem sie ihre Produkte in immer kürzeren Zyklen auf den Markt bringen. Was Traum war, ist mit seiner Realisierung Sucht geworden: Nur die Erhöhung der Dosis hilft noch beim Wünschen. (Harald Welzer: Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013) Musik 7 Allegro aus Flötenkonzert g-Moll RV 439 – Antonio Vivaldi (Franz Liszt Chamber Orchestra / János Rolla) Sprecherin Manche Menschen übernachten vor einem Elektronikmarkt, um als erste das neueste Smartphone zu ergattern. Doch wenn ihre Freunde Geburtstag haben, singen sie voller Inbrunst "Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen". Kranken wünschen sie eine gute Besserung, dem Nachbarn einen schönen Urlaub, der Zugbekanntschaft alles Gute. So floskelhaft diese Wünsche auch klingen mögen: Oft kommen sie von ganzem Herzen. Und sie verweisen auf die urmenschlichen Sehnsüchte, die sich mit materiellen Dingen niemals befriedigen lassen. Auch wenn wir 11 alle mehr oder weniger dem Konsum verfallen sind: Niemand wünscht seinem Gegenüber allen Ernstes ein neues Auto, einen Kaschmirpullover oder einen hauseigenen Swimmingpool. Denn im Grunde weiß jeder: Darum geht es nicht im Leben. O-Ton 23 Angelika Sprecherin Natürlich gibt es dann den einen oder anderen Hausherrn, der dann schon mal so Sonderwünsche hat, wie: Können Sie mir mal bitte heute Abend eine Platte Frikadellen in den Kühlschrank stellen. Weil die Hausherren sind in der Regel ja diejenigen, die das Geld verdienen müssen, müssen ergo auch ganz viel essen gehen. Und das ist halt der Punkt, dass man dann sagt, ach, ich möchte gerne mal eine Linsensuppe haben, oder ich mal halt nicht jetzt das schön dekorierte NouvelleCuisine-Essen haben, mir gelüstet es nach Hausmannskost. Die Haushälterin Angelika hat sechs Kinder groß gezogen, mehrere Jahre als Alleinerziehende. Das Geld war immer knapp. Oft hat sie damit gehadert und gedacht, ihren Kinder würde es besser gehen, wenn sie ihnen materiell mehr bieten könnte. Seitdem sie täglich Gold und Silber poliert, sieht sie das anders: Sie möchte nicht mit ihren Arbeitgebern tauschen. O-Ton 24 Angelika Auf gar keinen Fall. Überhaupt nicht. Das, was unser Leben so lebenswert macht, finde ich, ist, dass man Träume hat, und dass man sich nicht jeden Traum sofort erfüllen kann. Ein Leben ohne Träume kann ungeheuer leer sein, also das habe ich gesehen. Da gibt es eine Form von Unglück, von Unglücklichsein, die ist fast leer. Und ich bin ich auch seither sehr zufrieden mit dem, was ich habe, weil ich mir denke, ich kann das alles noch steigern. Könnte ich mir jeden Wunsch und jeden Traum sofort und auf der Stelle erfüllen, das möchte ich gar nicht haben. Musik 8 Ich wünschte, ich wäre nicht gekommen – Herman van Veen (Gitarre) Sprecherin Wären wir also gar nicht glücklich, wenn wir wunschlos wären? Wenn uns nichts zu wünschen übrig bliebe, sei es nun etwas Dingliches oder Immaterielles? Der Theologe Gunther Fleischer: O-Ton 25 Fleischer Ich würde ja mal ganz extrem formulieren, wer keine Wünsche mehr hat, ist tot (Lachen). Ich glaube, das gibt es im Leben nicht, ich kann mir das natürlich einreden, aber eigentlich gehört die Wunschlosigkeit in den Bereich der Vollendung. Und das heißt dann, die mit dem Tod 12 erst eintritt. Ich glaube, dass selbst der auf dem Sterbebett Liegende noch wahrscheinlich wünscht unter Umständen. Und dass die große Kunst ist dahin zu kommen, dass er in dem Augenblick gut sterben kann, wenn das Wünschen dann aufhört. Und er einfach nur sagen kann, so ist es jetzt gut. Sprecherin Auch wenn viele Wünsche mit einer Leidensgeschichte verbunden sind, wenn man jammert und fleht: Das Gefühl, etwas herbeizusehnen, hat eine besondere Qualität, meint der Kulturwissenschaftler Thomas Macho – jedenfalls dann, wenn nicht unsere gesamte Existenz davon abhängt. Das heißt: Je weniger unerfüllte Wünsche es in unserem Konsumalltag gibt, desto wichtiger werden sie in anderen Lebensbereichen. O-Ton 26 Macho Musik 1 Ich muss das Begehren selber begehren können und nicht nur die Objekte des Begehrens. Dass nicht alles sozusagen, was ich will, sofort sozusagen quasi verkörpert und materialisiert wird, sondern manchmal eben auch diesen Sehnsuchtshorizont quasi eröffnen kann, und plötzlich merke ich, ich habe was nicht und das hätte ich vielleicht gern, und wenn es nur sozusagen eine kuschelige Nacht ist, aber diese Situation kann ich nicht erzeugen. Darin kann ein seltsames Glück liegen. Du grønne, glitrende tre – Bugge Wesseltoft (Klavier) Titelsprecherin: Alles Gute! Wünsche zwischen Floskel und Bittgebet Sie hörten eine Sendung von Stefanie Pütz Es sprachen: Ilka Teichmüller, Martha Görsch und Manfred Suttinger. Ton: Martin Scholz Redaktion: Anne Winter Regie: Clarisse Cossais Das Manuskript der Sendung können Sie telefonisch bei unserer Service-Redaktion bestellen, aus Berlin oder Potsdam unter 97993-2171. Oder per email: [email protected]. Und zum Nachhören oder Lesen finden Sie die Sendung auch im Internet unter kulturradio.de
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