Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Das Feature

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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur
Das Feature
Der Musterflüchtling.
Episoden aus der deutschen Willkommenskultur.
Von Jenny Marrenbach
Produktion: DLF 2016
Redaktion: Ulrike Bajohr
Erstsendung: Freitag, 28.10.2016 , 20:10-21:00 Uhr
Regie: Wolfgang Rindfleisch
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Musik Alva Noto + Ryuichi Sakamoto „Berlin“ vom Album „Insen“
Atmo Soundkollage Budapest und München/Merkels „Wir schaffen das“
„Wir schaffen das“
Ansage Münchener Hauptbahnhof
Stimmen, Geklatsche „Welcome to Germany“
Mann: „Ich wollte einfach die Flüchtlinge willkommen heißen um zu zeigen, dass es
nicht nur rechte Menschenfeinde gibt, sondern auch viele, die die Flüchtlinge
unterstützen wollen. Ja, dass wir uns freuen auf sie.“
Sinthujan V.:
Für mich, als ich die Bilder in München gesehen hab, als die Geflüchteten
angekommen sind und die Schilder hoch getragen haben, war es natürlich
sentimental und rührend. Weil, ich hab auch an meine Familie gedacht und hab
gedacht, wenn wir damals so aufgenommen worden wären, hätten wir geweint, und
dann würden wir uns immer noch daran erinnern. Und ich hab so gedacht, für diese
Menschen, bevor sie jetzt diese rassistischen Erfahrungen in der deutschen
Gesellschaft machen, wird das immer ein Trost für sie sein, dass sie einmal so
aufgenommen waren. Ich glaube das ist wirklich so eine tiefe Erinnerung, die wirst du
nicht los.
Mareike G.:
Für mich war die markanteste Wegmarke sozusagen, ich glaube es war der 1.
September 2015, ich glaube, das war der Tag, also um diesen Dreh rum, als Merkel
gesagt hat „Wir schaffen das“. Und ich hatte da im Postfach an diesem 1.
September, glaube ich, 200 E-Mails. Dann haben wir um 17 Uhr ein Formular
eingerichtet, wo sich Journalisten eintragen. Und um Mitternacht hatten wir 80
Interviewanfragen. Und das war aus der ganzen Welt. BBC, CNN, aus Asien, El
Mundo, El Pais und wie die alle heißen. Also wirklich aus der ganzen Welt, die mit
uns sprechen wollten, weil wir sozusagen eines dieser Beispiele waren, die diese
Willkommenskultur auf den Punkt gebracht haben.
O-Ton Angela Merkel: Stellen sie sich mal vor wir würden jetzt alle miteinander
erklären, wir schaffen es nicht. Und dann?
Ansage
Der Musterflüchtling – Episoden aus der deutschen Willkommenskultur. Ein Feature
von Jenny Marrenbach
Musik Ende
Autorin:
Frühling 2015. Die große Ankunft in München kann sich noch keiner vorstellen.
Zwei Deutsche in einem Berliner Büro.
Die Eine: Tochter deutscher Eltern.
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O-Ton Mareike G.:
Ich bin Mareike Geiling, ich arbeite für Flüchtlinge Willkommen. Das ist eine
Organisation, die Flüchtlinge in privaten Wohnraum vermittelt.
Autorin:
Der Andere: Sohn
Süddeutschland.
srilankischer
Eltern.
Geboren
in
einem
Asylheim
in
O-Ton Sinthujan V.:
Ich heiße Sinthujan Varatharajah.
Ich bin in der Vermittlung zuständig und in Social Media. Und ich mache quasi die
direkte Vermittlung zwischen Geflüchteten, WGs und BegleiterInnen.
Autorin:
Geboren in einem Asylheim in Süddeutschland.
O-Ton Sinthujan V.:
Also ich bin staatenlos geboren und ich hab nie einen Pass gehabt, bis ich zehn war.
Autorin:
Nach dem Abitur studierte Sinthujan Varatharajah an der London School of
Economics. Erst die Stellenausschreibung bei „Flüchtlinge Willkommen“ hat ihn
zurück nach Deutschland geholt.
O-Ton Mareike G.:
Vor einem Jahr haben wir als drei Ehrenamtliche begonnen, die aus der privaten
Situation entschieden haben, jemanden aufzunehmen zu Hause und das dann auch
als bundesweite Plattform umzusetzen. Daraus ist jetzt mittlerweile eine Organisation
gewachsen, in der acht Menschen bezahlt arbeiten und die es in neun europäischen
Ländern gibt. Wenn man ein freies Zimmer hat, dann geht man auf unsere Website,
da gibt es ein Anmeldeformular, wo man einige Fragen ausfüllt. Natürlich die
Möglichkeit, wie man die Person kontaktieren kann, aber eben auch, wo das Zimmer
ist, in welcher Stadt und wie viel Menschen dort leben und welche Sprachen
gesprochen werden.
O-Ton Sinthujan V.:
Wir fangen dann von dort an, zu vermitteln, schauen wir dann nach, ob wir
irgendeinen Geflüchteten finden, der oder die den Kriterien entsprechen, die
vielleicht interessant wären füreinander und wir schlagen sie dann gegenseitig vor.
O-Ton Mareike G.:
Wenn wir glauben, jemanden gefunden zu haben, dann gibt es ein erstes Treffen
und nach diesem ersten Treffen entscheiden sowohl die geflüchtete Person als auch
die Wohnraumgebenden: Können sie sich das Zusammenleben vorstellen oder
nicht?
Musik THE PILLFACTORY THE STORM /Anna Thema
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Autorin:
Juni 2015. In unserer WG - drei Erwachsene und ein Kind - ist ein Zimmer frei
geworden. Anna und wir können uns ein Zusammenleben vorstellen. Sie zieht bei
uns an einem Samstag ein, wenige Tage nach dem ersten Treffen. Nachbarn haben
geholfen, ihr Zimmer zu möblieren. Ein Bett haben wir über Ebay Kleinanzeigen
geschenkt bekommen. Anna ist vor fünf Jahren aus Kenia geflohen, ihr einziges
offizielles Dokument ist ein grüner Flüchtlingsausweis. In Deutschland hat sie einen
Duldungsstatus, den sie vierteljährlich verlängern lassen muss. Arbeiten darf sie
nicht. In den Monaten vor ihrem Einzug bei uns gehörte Anna zu einer Gruppe
Geflüchteter, die erst den Oranienplatz und dann eine Schule in Berlin-Kreuzberg
besetzt hatte, um für ihr Aufenthaltsrecht zu kämpfen. Nach der Räumung der Schule
wurde Anna ein Platz in einem Heim in Brandenburg zugeteilt. Das Gebäude liegt am
Waldrand, 30 Gehminuten von der Bushaltestelle entfernt. In einem Zimmer, was sie
sich mit fünf anderen Geflüchteten teilen musste, hatte Anna Angst, verrückt zu
werden.
Musik Ende
O-Ton Sinthujan:
Also ich hab sechs Jahre im Heim gelebt und die Erfahrungen waren halt, klar,
Kindheitserfahrungen. Aber sie verlassen dich nicht. Und du merkst so wirklich die
Konditionierung, deine Verhaltensweisen, deine Ängste und keine Ahnung was – sie
werden halt wirklich langfristig geprägt. Und das erste Mal, als ich quasi für meinen
Studiengang wieder in dem Lager war, das war ungefähr nach 15 Jahren zum ersten
Mal wieder, hab ich gemerkt gehabt, wie ich klaustrophobisch geworden bin, wie ich
Atemnot gespürt habe, wie ich unbedingt raus musste, weil du auf einmal dich
erinnert gefühlt hast.
Musik THE PILLFACTORY THE STORM /Anna Thema
Autorin:
In diesem Sommer 2015 reicht eine Mail an Freunde und Familie. Sie spenden, um
Annas Miete für ein halbes Jahr zu finanzieren.
Wir freuen uns auf das Zusammenleben mit Anna. Wir stellen uns vor, wie wir
gemeinsam kochen, in der Küche sitzen und diskutieren. Vielleicht, denken wir, hat
Anna ja sogar Lust, ab und an unser Baby zu sitten.
Musik Ende
Atmo-Charité - Stühle werden gerückt, Gerede
O-Ton Wael Mahmoud: My name is Wael Mahmoud.
Autorin:
Ein Saal in der Berliner Charité. Die Veranstaltung heißt: „An Leib und Seele
gesunden?! - die Interkulturelle Öffnung der Gesundheitsinstitutionen in Zeiten der
Flüchtlingskrise.“ Mediziner der Charité bemühen sich um die Integration von
geflüchteten Kollegen.
In der Vorstellungsrunde sitzt Wael Mahmoud aus Syrien, er ist Anfang 50.
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O-Ton Wael Mahmoud:
Von Beruf bin ich Arzt. Ich bin Gynäkologie. Ich habe 14 Jahre Erfahrung. Seit einem
Jahr und sechs Monate bin ich in Deutschland, in Berlin. I want to work as soon as
possible and increase my knowledge and adapt it to German way of work. ...
Overvoice Wael
Ich möchte, sobald es geht, anfangen zu arbeiten und meine Arbeitsweisen an das
deutsche System anpassen.
Autorin:
In Syrien hatte Wael Mahmoud eine eigene Praxis mit Geburtsstation. Zehn Jahre
lang hat er auch in Saudi Arabien gearbeitet und in dieser Zeit über 3000 Geburten
betreut, 1000 davon waren Kaiserschnitte. Er war ein gefragter Arzt. Die letzten
Monate in Berlin hat er Deutsch gelernt.
O-Ton Arzt:
Die medizinischen Kenntnisse sind oft nicht das Problem. Ärzte, die zu uns kommen,
sind in der Regel gut ausgebildet. Sie kommen ganz schnell in den Beruf. Aber sie
kommen noch schneller in den Beruf, wenn die Voraussetzungen, vor allem das
Deutsch und die Fachsprache richtig gut ist. Also meine Empfehlung ist immer nicht
sofort in die Behandlungssituation als Arzt zu kommen, Observership und so weiter,
sondern möglichst intensiv die Zeit zu nutzen, um Deutsch zu lernen. Je schneller
man da fit ist, desto schneller geht es auch in den Beruf.
Wael M.:
Ja, aber diese Zeit dauert zu lange. Ich denke, wir brauchen schnellere Prozess, um
Arzt zu arbeiten, ich denke ein Jahr ist genug, um Sprache zu lernen und mit
Patienten zu kontaktieren.
Arzt: Aber sie haben doch jetzt schon eine Berufserlaubnis?
Wael M.: Ich brauche jetzt Fachsprachetest, ich habe B2.
Arzt:
Ja, das ist noch mal ne Hürde. Aber das ist eine Hürde, die man gut nehmen kann.
Sie müssen einfach die Fachsprachenprüfung bestehen und das werden Sie, so wie
ich Sie jetzt auf Deutsch sprechen höre und dann haben Sie die Berufserlaubnis und
dann können sie sich wie jeder andere Arzt auf jede Stelle hier in Deutschland
bewerben. Und das wird auch klappen. Mit Ihrer Berufserfahrung allemal.
Wael M.: Aber ich habe B 2 Medizin!
Arzt: Der Rest kommt von ganz alleine...
Musikakzent Alva Noto + Ryuichi Sakamoto „attack/transition“ vom Album UTP_
Autorin:
November 2015. Der Alltag mit Anna ist schwierig. Oder besser: Wir teilen gar keinen
Alltag. Seit Anna bei uns wohnt, haben wir ein einziges Mal gemeinsam gekocht,
Anna hat sich nach dem Essen schnell verabschiedet. Es war ihr anzumerken, dass
sie die grünen Blätter auf ihrem Teller nur aus Höflichkeit gegessen hat. Ansonsten
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sehen wir uns fast nicht. Anna passt auf das kleines Kind ihrer Freundin auf und
verdient sich so ein wenig Geld. Oft schläft sie dort, weil ihre Freundin bis nachts in
einem Restaurant arbeiten muss. Wenn Anna zu Hause ist, huscht sie von ihrem
Zimmer ins Bad und zurück. In der Küche stehen in ihrem Regal ein paar Dosen mit
Erbsen und Möhren und verstauben, sie isst so gut wie nie zu Hause. Ihre
Zahnbürste nimmt sie immer mit zurück in ihr Zimmer. Wir versuchen mit ihr zu
reden. „Das hier ist auch deine Wohnung,“ sagen wir. Und „fühlst du dich nicht
wohl?“ Anna antwortet dann immer nur: „It’s ok.“ Das hatten wir uns anders
vorgestellt.
Musikakzent Alva Noto + Ryuichi Sakamoto „attack/transition“ vom Album UTP_
O-Ton Mareike G.:
Die Leute haben, glaub ich, so ein Bild, wo sie sich vorstellen, ach, da hab ich mal
einen Flüchtling im Fernsehen gesehen, der wirkte total sympathisch und genau so
einen möchte ich jetzt auch bei mir haben. Wenn man sich bei uns anmeldet, weil
man ein freies Zimmer hat gibt es eben auch ein Feld was abfragt, wie die
Wohnsituation ist, wie die Wohngemeinschaft ist. Das ist ein Freitext-Feld, wo die
Leute zum Teil eben auch wirklich Texte reinschreiben. Wir wollen eigentlich darauf
hinaus, tatsächlich, wie funktioniert das Zusammenleben, wie ist die Wohnsituation
bisher und wie stellen sich die Leute das in Zukunft vor. Aber das wird eben auch
ganz stark genutzt, um so eine Art Erwartung dort reinzuschreiben.
Musik Alva Noto + Ryuichi Sakamoto „lano“ vom Album „Insen“
Sprecherin:
„Die Person, die hier einzieht, sollte den haarigen Hund und die 2 nackten Katzen
mögen und sehr gern homo-, bi-trans-intersexuell, queer sein. Wichtige Anmerkung:
Unser Kühlschrank ist vegetarisch und soll es auch bleiben (ich bin vegan).
O-Ton Mareike G.:
Männliche Geflüchtete haben es schwerer als weibliche Geflüchtete, zum Teil haben
es homosexuelle Menschen leichter als nicht homosexuelle Menschen.
Sprecher:
„Bitte einen schwulen Flüchtling. Bitte mit etwas Bildungshintergrund. Bitte erst mal
eine Probezeit von 3 Monaten.“
O-Ton Mareike G.:
Alleinfliehende Mütter mit Kind, die werden ganz oft „verlangt“, in Anführungszeichen.
Sprecher:
„Ja, das mit den "ausschließlich Frauen" kommt ganz einfach, da man zu viele
negative Geschichten gehört hat. Bei einigen dieser Jung-Spunde hat man das
Gefühl, sie haben schon vergessen, dass sie ursprünglich ihr Leben retten wollten.
Ich erwarte gesenkte Häupter und kein breites Grinsen mit hochgerissene Armen
und Victory-Zeichen...“
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Sprecherin:
„Es soll eine Frau sein, weil ich unbedingt jemanden haben möchte, der im Haushalt
mithilft. Und das kann ich mir bei einem Mann aus den Glaubenskreisen kaum
vorstellen. Mir ist die Kultur der Flüchtlinge so fremd, dass ich Angst hätte, dass
dieser Mitbewohner möglicherweise noch Partei für meine Söhne ergreift, wenn ich
(blond & ohne Kopftuch) versuche sie zu erziehen.“
Sprecher:
„Wir wollen nur eine Single Frau (im Sinne von keiner Familie in Deutschland, die
dann auch so nach und nach einzieht). Am liebsten zwischen 26 und 35 Jahren und
einfacher wäre es, wenn sie die "westliche" Kultur kennt. Das klingt ein bisschen
doof, aber wir können es uns schwer vorstellen mit jemandem aus sehr anderem
Hintergrund (wie z.B Somalia) zusammenzuleben. Wir können es zeitlich nicht
leisten, uns mega viel um sie zu kümmern. Sprich, ganz konkret, wenn Basics wie,
wie bediene ich einen Herd etc. erst noch lange beigebracht werden müssen.“
O-Ton Mareike G.:
Also, diese Anmeldungen haben uns schon deutlich irritiert. Weil - als wir gestartet
sind, war das einfach eine komplett uneingeschränkte Solidarität. Den Leuten war es
komplett egal, woher der Mensch kommt. Es war den Menschen komplett egal,
welchen Status der Mensch hat und aus welchen Gründen er geflohen ist. Und das
hat sich total gewandelt so innerhalb der zwei Jahre, die wir existieren, zu dieser
Anspruchshaltung.
Sprecherin:
„Ja, uns ist der Mensch wichtig, nicht der Status. Jedoch wäre es besser, jemanden
oder eine kleine Familie aus einem Land wie Syrien aufzunehmen. Ehrlich gesagt,
sind uns eine gewisse Bildung und auch z. B. Englisch- oder Französisch-Kenntnisse
wichtig.“
Sprecher:
„Als Mitbewohner wünschen wir uns eine christlich assyrische Familie mit kleineren
Kind(ern). Wir stellen uns eine mediterrane (auch mal ein Gläschen Wein)
Wohngemeinschaft vor.“
Sprecherin:
„Um das Gleichgewicht zu wahren wird gesucht: Mann oder Frau aus Syrien, 40
Jahre oder älter, nicht muslimisch - Alevit(in) oder Christ(in), da die Hauptmieterin
(nicht religiös) nicht "in der Minderheit sein möchte."
Sprecher:
„Im Großen und Ganzen meine ich kompatibel zu sein. Was ich ehrlicherweise nicht
weiß ist, ob ich Probleme mit Frauen habe, die aus religiösen Gründen Kopftuch
tragen“
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Sprecherin:
„Ich bin eine alleinerziehende Mutter, 38 Jahre alt und es wäre schön jemanden im
ähnlichen Alter vielleicht auch für eine spätere Partnerschaft zu finden.“
Musik geht über in Musik Ilja Coric“ Annas Thema“
Autorin:
Im Herbst 2015 kriegen wir eine Mail von „Flüchtlinge Willkommen“. Wir werden
gefragt, wie unser Zusammenleben mit Anna läuft. Ich schreibe, dass es nicht so
läuft, wie wir es uns vorgestellt hatten. Dass wir etwas ratlos sind. Und dass wir uns
angesichts der Tatsache, dass Anna häufig bei ihrer Freundin übernachtet, fragen,
ob sie ihr Zimmer bei uns wirklich braucht.
Musik Ende
O-Ton Mareike G.:
Ich glaub das ist am schwierigsten. Wenn die Leute sich anmaßen zu wissen, wer
denn jetzt am meisten Hilfe bedarf. Weil wir können ja niemanden zwingen
zusammen zu leben. Das wollen wir auch gar nicht. Aber wie kommuniziert man das
dem geflüchteten Menschen?
Autorin:
Kenia gilt als sicheres Herkunftsland. Deshalb geben viele Anna diesen hässlichen
Beinamen: Wirtschaftsflüchtling. Aber sie kann nicht wieder zurück, ohne Papiere,
ohne Geld, ohne Geschenke. Es wäre das Eingeständnis ihrer Niederlage. Der lange
Weg nach Deutschland, über den wir nie wirklich etwas erfahren haben. Das
Schlafen im Winter im Zelt auf dem Oranienplatz, das Leben am Rande der
Gesellschaft. Die miesen Jobs. Alles wäre umsonst gewesen ist. Und keiner aus
ihrer Familie würde das verstehen.
Musik Alva Noto + Ryuichi Sakamoto „Aurora“ vom Album „Insen“
Sprecher:
„Mir ist es wichtig, politisch verfolgten Menschen zu helfen. Ich habe kein Interesse
an wirtschaftlichen Flüchtlingen.“
Sprecher:
„Person sollte bevorzugt verfolgt von IS-Terror sein.“
Sprecher:
„Wir würden gerne an ein Flüchtlingspaar vermieten. Wir dachten an Syrer, Iraker,
Iraner oder so. Also - so junge Alleinstehende sowie Südeuropäer sind nicht unsere
Zielgruppe.“
Ende Musik
O-Ton Mareike G.:
Ich erkläre es mir schon so aus diesem Bild aus den Medien, was so geschaffen
wird, wo, glaub ich, beides aufgezeigt wird: Der perfekt funktionierende integrierte
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Geflüchtete, der Syrer, der eine Hochschulausbildung hat und jetzt hier nach einem
Jahr perfekt Deutsch kann - und zum anderen natürlich die „Horden“, die „Massen“,
die unkontrolliert einwandern. Ja, und da möchte man natürlich das andere Extrem
haben, man möchte den angepassten, eloquenten, ja den sauberen, den sauberen
Syrer oder so haben.
Musik Ilja Coric Annas Thema
O-Ton Wael M.:
Zum erst brauche ich C1 Niveau in Deutsch, deutsche Sprache. So I started Deutsch
lernen, jetzt ich bin fertig mit B2 Medizin und brauche und I want now
Fachsprachetest machen in Ärztekammer. Ich gehe nach Lageso, I applied all my
documents there and they accepted my paper, but they will not discuss my certificate
unless my Sprachtest finish first.
Autorin:
Dezember 2015, Wael Mahmoud sitzt in der kleinen Wohnung in Charlottenburg, die
er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern bewohnt.
Musik Ende
Wael M.:
But I want to do an Praktikum in eine Praxis oder in eine Krankenhaus to see how is
work going on in Deutschland. I must do that, I need that. Because there is a different
of course between work in Deutschland und Syrien, of course.
I can’t arbeite, I sende my certificate vor viele Orte und they sagte first I must finish
my Anerkennung. Also I wanted to help as a Arzt for the refugees coming also they
didn’t accept that.
Overvoice Wael:
Ich habe meine Unterlagen überall hingeschickt, aber ohne die Anerkennung aus
dem Fachsprachentest darf ich nirgendwo arbeiten. Auch nicht als Arzt für andere
Flüchtlinge, die gerade ankommen.
Wael M.:
First I must my certificate Anerkennung. Sehr schwer. Sehr schwer. I must stay at
Haus, at home, sehr schwer für mich, form e. Sehr, sehr sehr schwer. Because I get
used to work all these lange Zeit. And at last I must stay at home. Sehr, sehr, sehr
difficult for me.
Overvoice Wael Es ist schwer für mich, nicht arbeiten gehen zu dürfen.
Wael M.:
Usually I get up at five ò clock, usually. I make a cup of coffee. I start studying.
Because my children is sleeping, so I can read and study until seven o clock. Then I
wake my children, make with my wife breakfast for them, then they go to school.
Then I continue for another hour studying. Then I go to my course. Then I come
back, 4.15 pm, so for 8 hours. So I come here exhausted. I can eat, then I must go
outside also to bring some things form y families here then I must see my children,
what they have studied in school. I must see also and help them in their study.
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Especially in mathematics Wissenschaft and Englisch. Ja, Deutsch they teach me
(lacht).
Overvoice Wael
Ich stehe morgens um fünf Uhr auf, mache Kaffee und fange an zu lernen. Meine
Kinder schlafen dann noch, also kann ich bis sieben lernen. Dann wecke ich sie,
mache ihnen mit meiner Frau zusammen Frühstück und dann gehen sie zur Schule.
Danach kann ich noch mal eine Stunde lernen, bevor mein Deutschkurs anfängt.
Wenn ich dann um 16.15 Uhr nach Hause komme, bin ich müde. Dann esse ich
etwas und erledige Einkäufe für die Familie. Danach schaue ich, was meine Kinder in
der Schule gelernt haben und helfe ihnen bei den Mathe- und EnglischHausaufgaben. Deutsch bringen sie mir bei.
Musik Alva Noto + Ryuichi Sakamoto „attack/transition“ vom Album UTP_
O-Ton Sinthujan V.:
Und du hast dir auch nie im weitesten Sinne jemals vorstellen können, dass du
Kinder hier zur Welt bringen wirst. Dass du Kinder durch diese Welt navigieren
musst. Dass du die Sprache nicht verstehst, dass deine Kinder dir helfen müssen.
Dass deine Kinder nicht Kinder sein dürfen oder können, weil du so hilflos bist. Meine
Mutter hat uns Fremdsprachen beigebracht, ohne überhaupt eine von diesen
Sprachen zu können, also selbst sprechen zu können. Also angefangen mit Deutsch,
weiter mit Englisch, später Französisch, Latein und so weiter und so fort. Und das
sind halt wirklich künstlerische Akte, die sie durchgezogen haben. Aber oftmals
werden sie halt vergessen, also die Arbeit, die dahinter steckt. Dass, vor allem bei
der Elterngeneration, die Opfer, die sie aufgebracht haben, halt nicht genannt
werden. Weil, man hat auch keine Zeit das zu lobpreisen oder so, weil man am
Überleben ist. Weil man den Mindeststandart halten möchte oder aufbauen möchte,
weil man ein bisschen von dem schaffen möchte, was man verloren hat.
Musik Alva Noto + Ryuichi Sakamoto „attack/transition“ vom Album UTP_
Montage Köln/Clausnitz
unter folgendem O-Ton
O-Ton Radiosprecherin(DLR Kultur): Die Silvesternacht in Köln und auch in anderen
deutschen Städten beschäftigt uns weiter und auch die Frage, wie diese Nacht den
gesellschaftlichen Zusammenhalt auf Dauer verändern wird. Ende der
Willkommenskultur? – Das ist heute unser Thema hier...
O-Ton
Anrufer: ...Sofort, die müssten am gleichen Tag vor den Schnellrichter. Und harte
Strafen.
Anruferin: Hallo? Ja, guten Morgen, ich freu mich auch. Grüß Gott. Ich muss ihnen
sagen, dass ich geradezu hoffnungslos bin...
Musik Ende
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O-Ton Sinthujan V.:
Für uns war halt Solingen zum Beispiel oder Mölln und diese ganzen Attacken sehr
prägnant, weil du halt diese Angst auf einmal sehr nah an deinem eigenen Körper
gespürt hast. Du hast Angst vor deinen Mitmenschen gehabt, du hast Angst vor
deiner Umgebung gehabt, du hast Angst vor dem Land gehabt. Und es hat auch zu
Konsequenzen geführt. Du hast dich nie wieder so wohl gefühlt, du hast immer
wieder diese Ängste gespürt, dass es kommen könnte. Meine Eltern haben zum
Beispiel nie ein Haus kaufen wollen, weil sie Angst gehabt haben, dass wenn mein
Vater...mein Vater hat Schichten gearbeitet früher in der Fabrik und wenn er ´ne
Nachtschicht hat und seine Frau und seine Kinder allein zu Hause sind und jemand
einen Molotowcocktail hineinwerfen würde, dass uns niemand helfen würde. Weil
sobald wir einen sozialen Aufstieg geschafft haben, nicht mehr Opfer waren sondern
Konkurrenten, es Neid gegeben, das heißt, die Menschen hätten es nicht so schlimm
empfunden, wenn wir angegriffen würden. Und es war die Angst, die dazu geführt
hat, dass meine Eltern gesagt haben, dass sie eine Eigentumswohnung sich kaufen
werden. Weil in der Eigentumswohnung gehört nur eine Einheit ihnen. Aber drei
andere Einheiten gehören jemand anderem und das sind wahrscheinlich weiße
Mitbürgerinnen. Und wenn da ein Molotowcocktail rein fliegen würde, dann wären sie
auch davon betroffen und dementsprechend müssten sie uns helfen, weil sie sich
selbst dadurch helfen.
O-Ton Anruferin:
Und ich möchte jetzt folgende Frage stellen: Warum kommen Moslems nach
Europa?
ATMO aus Clausnitz - „Wir sind das Volk“- Rufe
O-Ton Mareike G.:
Ja also seit Silvester, die Ereignisse in Köln, haben definitiv, glauben wir, die
Anmeldezahlen beeinflusst. Die Anmeldezahlen der Wohnraumgebenden, aber auch
das ehrenamtliche Engagement ist extrem zurückgegangen. Wenn ich vor einem
halben Jahr an 700 E-Mailadressen geschrieben hab, wer will uns helfen, da kamen
dann, 40 Leute haben sich gemeldet. Und jetzt meldet sich meistens noch nicht mal
eine Person.
Musik Alva Noto + Ryuichi Sakamoto „Berlin“ vom Album „Insen“
O-Ton Mareike G.: Aber weißt du, es ist noch viel perfider.
Sprecher:
Facebookeintrag von „S. David Eckardt: Der die seite Flüchtlinge willkommen
gemacht hat gehört - sofort in die toteskammer die ausländer gleich mit. Kotze der
dreck muss weg“
O-TonMareike G.:
Da wurde das Foto von Jonas aus dem Team genommen, daraus wurde eine
Todesanzeige gemacht, darauf stand dann: Er ist von uns gegangen 1985-2015. Das
wurde auf der Bandseite von Jonas geposted. Dann haben Leute auf der Bandseite
geschrieben, oh Gott oh Gott – Jonas ist alles ok mit dir, und dann hat dieser gefakte
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Account bestätigt, ja, er ist leider von uns gegangen, er wurde heute im Wald
verprügelt.
Sprecher:
Facebookeintrag von „Alex Driver. Es kommen mit fluchtlinge auch Terroristen was
wen eins unserer kinder deswegen sterben muss weil jemand einen Anschlag
macht??“
O-Ton Mareike G.:
Also da hat sich jemand die Mühe gemacht, mit Photoshop das Bild zu nehmen, den
Schluss zu ziehen, das ist nicht nur einer der Mitgründer der Organisation, sondern
der ist auch in einer Band. Und dieser Mensch hat vor ein paar Tagen versucht, sich
mit mir auf Facebook zu befreunden. Und ich hab auch einen Fakenamen auf
Facebook. Also, wie er mich finden konnte auf Facebook - dem muss wirklich
wochenlange Recherchephase vorangegangen sein. Das heißt, die Leute geben sich
richtig Mühe. Das ist ein richtiges zeitaufwändiges Prozedere.
Sprecher:
Facebookeintrag von „Extrem Gestört: Wie kann man das Dreckspack willkommen
heSSen niX mehr reinlassen. KZ Wieder aufmachen haben die auch neunterkunft.
Wenns Zuviel wird ab durch den Ofen“
Sprecherin:
Facebookeintrag von „susanne Imper: Soviel Hass auf diese Personen - diese
Wertlosen Untermenschen. Alle ins Gas mit Ihnen!“
Sprecher:
Facebookeintrag von „Martial Oberle | -- - Ihr gehört ins kz gesteckt. Genau wie die
ganzen niggah“
Musik Ende
O-Ton Mareike G.:
Ich meine, das zeigen wir alles an. Wir bringen alles zur Polizei. Aber die Polizei ist
damit wirklich überfordert. Also mittlerweile haben wir eine Kommissarin als
Ansprechpartnerin, weil wir so viele Fälle da einreichen. Und die war überfordert,
dieses Profil zu finden und wir haben mit zwei Klicks dieses Profil wieder gefunden.
Wo man wirklich das Gefühl hat, die Polizei kann einem auch nicht helfen. Die haben
einfach nicht das Wissen, wie man damit umgehen kann. Und da fühlen wir uns
schon allein. Und ich mein, seit August haben wir unsere Adresse nicht mehr auf der
Seite.
O-Ton Sinthujan V.:
Meine Mutter ist immer noch depressiv, ist immer noch oftmals suizidal auf Grund
der Erfahrungen im Lager und der Flucht und alles Mögliche. Und das sind halt so
Dinge, die löst du nicht. Die löst du nicht über ein Jahr, die löst du nicht über zehn
Jahre. Die sickern halt wirklich ein und die sind immer noch in dir drin. Und bei mir ist
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es genauso. Ich tue mich zum Beispiel immer noch sehr schwer mit der Idee, dass
ich nur meine deutsche ID-Karte zeigen muss, um in ein Flugzeug zu steigen. Ich
mach das nie. Ich nehme prinzipiell immer meinen Pass mit, selbst bei
innereuropäischen Flügen, ich fühl mich nicht wohl. Weil ich mir immer wieder denke,
dass es mir keiner glaubt. Zum Beispiel hier diese Woche, muss ich jetzt nach
London fliegen und mein Pass ist bei meinen Eltern in Bayern und ich bin mir total
unsicher, ob ich durchkomme. Obwohl ich eigentlich weiß, theoretisch müsste ich
eigentlich durchkommen, aber ich weiß es nicht...genauso in meinem Kopf denke ich
mir die ganze Zeit, soll ich sie fragen, ob sie es mir mit nem Express schicken sollen
oder soll ich den Flug absagen oder keine Ahnung was. Also, so Gedanken gehen
dir halt durch den Kopf. Du weißt, dass dein Körper anders gelesen wird, selbst mit
dem Pass wird mir immer wieder vorgeworfen, dass es nicht mein echter Pass ist.
Musik TRENNUNG ILJA 1 TEIL 10 06 37 00 VERS 2
O-Ton Wael M.:
For me I came here for my children first. Because children have no choice in the war.
They have to live in peace and have their future.
Overvoice Wael
Ich bin wegen meiner Kinder hier hergekommen. Kinder haben im Krieg keine Wahl.
Sie haben ein Recht auf Frieden und eine Zukunft.
Wael M.:
So I come here for my children form y children first. This is my first choice. When I
come here I adapted myself to that I am coming to a new community to a new society
and of course my children will be affected and they will have their own thoughts and
opinions and I have to accept.
Overvoice Wael
Als ich gekommen bin, wusste ich, dass ich in eine völlig andere Kultur und
Gesellschaft komme. Ich wusste, dass sie meine Kinder prägen wird, und das muss
ich akzeptieren.
Wael M.:
One and a half years, I hardly know my neighbors. Nobody come to me. Why? I have
here one neighbor, four, five times I said when I passed beside him „Guten Morgen,
guten Morgen, Hallo“. He didn’t say anything. So I stopped even talking to him. First I
think he didn’t hear me, so I said next time and next time. Then I stopped. I don’t
know why. For me I don’t have problems with others. For me I think I have a pity on
the people short minded. I feel pity fort hem. When the others look to you, you can
feel changing, change in the faces. I can notice that in the faces when I go U-Bahn,
Bus, I can notice that they look, not everybody, but some people. This look it was not
existed when I first arrived to Berlin. Suspicious, it looks like suspicious.
Overvoice Wael
Ich bin jetzt seit anderthalb Jahren hier und kenne kaum einen meiner Nachbarn. Es
gibt einen, den habe ich öfter im Treppenhaus gesehen und jedes Mal “Guten
Morgen” gesagt. Aber er hat nie geantwortet. Irgendwann habe ich aufgehört, ihn zu
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grüßen. Mir tun solche engstirnigen Menschen leid. Ich bemerke in der letzten Zeit
eine Veränderung in den Blicken der Menschen. Diese Blicke gab es noch nicht, als
ich in Berlin ankam. Misstrauisch sind sie geworden.
Wael M.:
Of course I miss my family. Five years now, I couldn’t see my mother, my brothers
and sister. They are now in Latakia, they left Damascus because of the war and they
went to Latakia. They live there. It is relatively peaceful there, but when they go
outside they don’t know when a bomb can drop on them. When there is a bomb near
them directly I go to call them, but if I am not succeeded I have so much stress and
anxious, I can’t do anything. And I am nervous until I can contact them, it is very very
difficult.
Musik Ende
Overvoice Wael
Ich vermisse meine Verwandten, fünf Jahre lang habe ich sie schon nicht mehr
gesehen. Sie leben jetzt in Latakia, weil es in Damaskus zu gefährlich ist. Wenn sie
aus dem Haus gehen wissen sie nie, ob sie wieder zurückkehren werden. Ich rufe
sofort an, wenn eine Bombe in ihrer Nähe gefallen ist. Wenn ich sie nicht erreiche,
komme ich fast um vor Sorge.
Wael M.:
I miss Damascus, I miss jasmine, this is a kind of flower in Damaskus. Jasmine. This
is a kind of tree with small white roses with good smell. When you walk in Damaskus,
everywhere you can smell this smell. It is fantastic. I dream of Damaskus always. I
like it too much. In the day, in the night, anytime. We could go outside anytime. Sehr
sehr sehr schöne. In the winter, summer, spring, night, day, so so fantastic city.
Overvoice Wael
Ich vermisse Damaskus. Ich vermisse die Jasminbäume der Stadt. Und den Duft, der
durch die ganze Stadt weht.
Musik Anna THE PILLFACTORY
Autorin:
Frühjahr 2016. An manchen Tagen guckt Anna wieder und wieder die DVD, auf der
ihre Familie den Schulabschluss ihres Bruders feiert. Es gibt kleine Fortschritte in
unserem Zusammenleben: Wenn Anna doch mal kocht, teilt sie die Erbsen und
Möhren aus der Dose mit unserer Tochter – die liebt solche Momente. Außerdem
lässt Anna mittlerweile ihr Handtuch und das Duschgel im Bad.
Aber die Spendengelder für Annas Miete sind aufgebraucht. „Flüchtlinge
Willkommen“ bietet uns die Vermittlung von Mikrospenden an. Wir kontaktieren
interessierte Spender. Einige richten sofort einen Dauerauftrag ein, über 10 oder 20
Euro. Andere wollen Anna erst kennenlernen.
Musik Ende
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O-Ton
Küchengeräusche, Herd, Kindergeräusche, Türklingel, Treppensteigen, Tür wird
geöffnet
Dorothee: Hallo, Dorothee.
Anna: Anna.
Jenny: Jenny.
Dorothee: Dorothee, hallo. Schön euch kennenzulernen.
Jenny: Ja, komm rein.
O-Ton Dorothee:
I kind of want to make sure that you are not this kind of person, that lives on the
benefits of other and goes from A to B to C just getting by. Just really make some
effort to improve the situation. So I kind of want to look out for these issues. Maybe
the first step would bet hat you improve your German skills. Get a grip on that and
focus on that. You need to let me know if you get too much into financial details you
don’t want to talk about. I am just curious, how much money you get in the first
place. Because I would try to get a feeling for your life. But if this is too detailed then
you just let me know and then we can talk about something else
Autorin darauf:
Dorothee möchte nicht für eine Person spenden, die sich auf dem Rücken anderer
ausruht. Sie findet, dass Anna ihre Situation selbst in die Hand nehmen muss. Dafür
soll Anna als erstes ihre Deutschkenntnisse verbessern. Um ein Gefühl für ihre Lage
zu bekommen, möchte Dorothee wissen, mit wie viel Geld Anna monatlich lebt.
Anna bekommt monatlich einen Scheck über 200€, den sie sich nach wie vor im
Heim abholt. Dorothee staunt, dass es noch Schecks gibt.
Anna:
Ok, in the Heim I get 200 every month, I have to go and pick it up. They give check,
you go to the bank there.
Dorothee: Ah ja. So we still use checks. That’s new to me.
Anna:
The problem ist where the place is. Because you are mentally disturbed, because
you are living in a place where there is only forest. You feel like you can go mad. So
you have to come out to a place where there is people, where you can see people
every day.
Dorothee: I see. So are you planning...what’s your...plan?
Anna:
I don’t have plans at the moment. My plans...I only want to come out of this. Get
pregnant, so they give you house. That’s whats my lawyer told me. So when you are
coming to Europa from abroad, you are thinking it’s paradise. But later on when you
stay you find life is anders.
It’s no good. Because many people are forced to bond with people they don’t love.
Because the law says you bond with somebody you don’t love. There is too much
time being wasted for foreigners. It goes a lot to the head. You have to bond with
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somebody who has paper over someone without paper. You find some people
married with old man. It’s not their wish. Bonding with old man. Butt he german law
sais this. I don’t know if there is someone standing up and saying: this law sure is
frustrating people. Because when you are dating a man you should date somebody
that you love. You have a good family and you are happy.
Autorin darauf:
Dorothee will wissen, wie Anna sich ihre Zukunft vorstellt.
Die Anwälte haben Anna geraten, schwanger zu werden. Anna hat sich das Leben in
Europa anders vorgestellt. Sie will nicht gezwungen sein, mit Männern zu schlafen,
die sie nicht liebt. Deshalb seien auch so viele junge Frauen mit alten Männern
verheiratet. Das deutsche Gesetz lasse ihnen keine andere Wahl. Anna hofft auf
jemanden, der aufsteht und sagt: Diese Gesetze machen die Menschen kaputt.
Jeder soll das Recht haben mit der Person eine Familie zu gründen, die er liebt.
Dorothee:
I know I asked this before. But if we assumed that the plan with the child doens work
out fort he next half year. Do you have any idea or an ambition? I know it’s hard to
have an ambition if you’re only on a Duldung.
Anna:
And you can understand how are things in the country now. They say people with
Duldung, they are going to be deported. On monday I am going to renew my
Ausweis. Maybe when I go to the office, I am afraid...
Autorin darauf:
Und wenn das mit der Schwangerschaft nicht klappt? Fällt Anna nichts anderes ein?
Seit so viele Flüchtlinge ins Land kommen, hat Anna einfach nur Angst,
abgeschoben zu werden.
Dorothee: Have you ever thought about going back home?
Anna: Yes, if I have my documents I can travel. I miss Kenia, I miss my family.
Autorin:
Ob Anna schon mal daran gedacht hat, zurückzugehen? Anna möchte das unbedingt
- auf Besuch. Sobald sie eine Aufenthaltserlaubnis hat.
Atmo Verabschiedung
Dorothee entscheidet sich, Annas Miete ein halbes Jahr lang mit 50€ pro Monat zu
unterstützen.
Musikakzent Alva Noto + Ryuichi Sakamoto „attack/transition“ vom Album UTP_
O-Ton Sinthujan V.:
Was heißt es denn eigentlich zu reisen, was heißt es einen Pass zu haben, der nicht
so aussieht, wie du aussehen solltest? Bist du dann wirklich gleichwertig? Ist die
Staatsbürgerschaft für dich das Ziel dessen oder der Ankunftspunkt, wenn du wirklich
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in dem Land angekommen bist? Und letztendlich bist du es nicht. Heutzutage, wenn
ich zum Beispiel zu neuen Geflüchteten sage, `ich habe einen deutschen Pass´,
dann sagen sie `du bist Deutscher´. Und dann lach ich immer ein bisschen so und
denk mir so: Eigentlich ganz schön, dass ihr so naiv seid. Aber irgendwann werdet
ihr auch verstehen, dass es nicht so ist. Dass dieser Pass für viele von uns
Mobilitäten eröffnet und Privilegien eröffnet, aber nicht den kompletten Freiraum
quasi uns erkaufen kann. Und dass wir trotzdem diesen Pass immer nur als Stück
Papier, als Dokument sehen, aber nichts, was uns definiert in diesem Sinne.
Musik Alva Noto + Ryuichi Sakamoto „Avaol“ vom Album „Insen“
Autorin:
September 2016. In den letzten sechs Monaten hat Wael Mahmoud täglich acht
Stunden in einem Kurs zur Vorbereitung auf die Fachsprachenprüfung verbracht. Im
November ist die Prüfung, er fühlt sich gut vorbereitet. Aber jetzt hat er Post erhalten.
OT Wael M: liest
Sehr geehrter Herr Mahmoud, die Prüfung aller hier inzwischen vorliegenden
Unterlagen hat ergeben, dass folgende Dokumente für die abschließende
Bearbeitung ihres Antrags noch erforderlich sind...
Autorin:
Nach der Fachsprachenprüfung soll er noch eine weitere Prüfung ablegen. Wie ein
Medizinstudent.
O-Ton Wael M:
Sie sagen, ich brauche Kenntnisprüfung. Kenntnisprüfung für Ärzte. Das bedeutet,
ich muss noch einmal in Medizin eine Prüfung machen. Aber warum ich brauche das
Prüfung jetzt ich weiß nicht. Noch einmal über Ohr und Auge und ich bin
Gynäkologe. Das bedeutet, ich muss noch andere Jahre warten. Jeden Tag gibt es
neue Gesetze. Viele Kollegen arbeiten mit weniger Erfahrung und nur mit B2, weil sie
starten ein Jahr früher. Seit erste sieben 2015, sie brauchen eine
Fachsprachenprüfung.
Autorin:
Obwohl Wirtschaftsvertreter und Politiker beteuern, gut ausgebildete Flüchtlinge
würden gebraucht, sind die Hürden höher geworden. Wäre Wael Mahmoud ein Jahr
früher nach Deutschland gekommen, könnte er schon lange arbeiten.
O-Ton Wael M:
Ja. Was ist wichtig für die Kommunikation mit Patienten und mit deutschen Leuten?
Nur Übung. Weil ohne Übung, wenn ich komme nach Hause, ich vergesse alles. Ein
Praktikum in einem Krankenhaus für einen Monat, ich denke meine Sprache wäre
besser, schneller. Weil im Kurs kein Kontakt mit Deutsche...
Meine Motivation? Wenn ich hier komme, meine Motivation war besser als jetzt. Ich
denke, dass Straße sehr weit. Ich denke, dass ich kann nicht erreichen. Aber ich
muss erreichen. Ich denke ich kann arbeiten besser als so viele arbeiten jetzt. Meine
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Sprache ist nicht sehr gut, aber gut genug zur Kommunikation mit Leuten und mit
Patienten. Ich hoffe nächstes Jahr am ersten Monat kann ich anfangen.
Musik Alva Noto + Ryuichi Sakamoto „attack/transition“ vom Album UTP_
O-Ton Sinthujan V:
Zum Beispiel, wenn Wahlen sind, meine Eltern gehen immer als erste ins
Wahllokal. Alle schauen sie an: Ihr seid ja die idealen BürgerInnen, ihr seid ja die
VorzeigebürgerInnen. Und das ist auch für sie so ein Akt der „Wir sind auch Teil
dessen“. Aber sie performen dann ihre Rolle als StaatsbürgerInnen, weil sie es so
empfinden, als ob sie es performen müssen. Weil sie immer wieder angezweifelt
bekommen, dass sie die guten StaatsbürgerInnen sind.
Soundzusammenschnitt AfD Mecklenburg-Vorpommern und Berlin
Musik Ende
O-Ton Nachrichtensprecher: Viele Bürger, die noch bei den letzten Wahlen noch
zu Hause geblieben waren machten sich auf den Weg und die machten ihr Kreuz bei
der AfD. Der Spitzenkandidat Leif-Erik Holm:
L-E H: Ja, das Thema was die Menschen bewegt hat das war natürlich die
Migrationsfrage, das haben wir in jeder Veranstaltung gemerkt...
Musikakzent Alva Noto + Ryuichi Sakamoto „attack/transition“ vom Album UTP_
Autorin:
Anna ist immer noch nicht schwanger. Sie hat sich entschieden, den deutschen
Mann nicht mehr zu besuchen. Ihr fehlen die „happy hormones“ sagt sie.
Das Amt hat ihre monatliche Unterstützung gekürzt, um den Druck zu erhöhen. Anna
soll endlich zur kenianischen Botschaft gehen und dort neue Papiere beantragen.
Das wäre der Startschuss zu ihrer Abschiebung. Weil das Kind ihrer Freundin jetzt
einen Kitaplatz hat, arbeitet sie illegal in einem afrikanischen Restaurant. An sechs
Tagen in der Woche verlässt sie um die Mittagszeit das Haus und kommt erst gegen
zwei oder drei Uhr morgens zurück. Dass sie da ist, erkennen wir nur noch an ihren
nächtlichen Schritten durch die Wohnung. Sie schlurft ins Bad, stellt die
Waschmaschine an und legt sich schlafen. Vor zwei Tagen hat ihr Chef das Gehalt
von 450€ auf 350€ reduziert. Das Geschäft liefe nicht so gut. An der Miete zu ihrem
Zimmer beteiligt Anna sich jetzt monatlich mit 100€. „Flüchtlinge Willkommen“
unterstützt sie weiter. Bis Ende Januar.
O-Ton Mareike G.:
Also wir wissen nicht, wie lange wir als Organisation noch bestehen, weil wir fast
ausschließlich spendenfinanziert sind und wenn die Spenden irgendwann
wegbleiben, dann gibt es uns auch nicht mehr, und wir haben fast 60% unserer
Spenden von denen wir jetzt leben (im August, September) bekommen, als eben die
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Willkommenkultur auch an den Bahnhöfen so zelebriert wurde. Und als die Krise in
Ungarn war und die Leute dort fest hingen und als dann Merkel gesagt hat, ihr dürft
doch alle kommen. Wir sind da eben ganz stark von abhängig, wie ist das öffentliche
Bild von Geflüchteten. Wie dealt die Öffentlichkeit, die Medien, wie dealen die mit
Menschen, die hier herkommen. Dieser Diskurs bestimmt letztendlich unsere
Existenz. Und wir sind uns dessen bewusst und deswegen können wir auch nur
Halbjahresverträge ausstellen. Wir sind gerutscht von September 2015, da hatten wir
1000 Anmeldungen im Monat, das war der absolute Peak, so viel hatten wir niemals
vorher und auch niemals mehr danach, auf jetzt 50-80 Anmeldungen für freie Zimmer
bundesweit. Und ganz viele Menschen die gesagt haben, jaja, ich will unbedingt was
machen, die wir irgendwie in unsere Prozesse integriert haben, weil wir auch Hilfe
brauchen von Ehrenamtlichen, die springen reihenweise ab. Und das ist einfach, weil
das Thema nicht mehr so attraktiv ist für viele Menschen.
Was ich nicht gedacht hätte ist, dass diese sogenannte Willkommenskultur
tatsächlich so kurzlebig ist. Das ist ein Phänomen gewesen. Es ist nichts anderes als
ein Phänomen gewesen und es hat nichts Nachhaltiges, nichts Langfristiges bewirkt.
Musik Alva Noto + Ryuichi Sakamoto „Berlin“ vom Album „Insen“
O-Ton Sinthujan V.:
Wir sind so aufgewachsen. Aber ich weiß ganz genau, dass die Menschen, die heute
ankommen, die jetzt vielleicht noch Deutschland preisen – wie halt damals meine
Eltern auch – später werden sie es verfluchen. Und ich weiß genauso, (dass) die
Kinder, die hier aufwachsen, wie wir auch gehen wollen. Weißt du, und viele von uns
gehen, weil sie halt strukturell hier keine Möglichkeiten sehen für sich zu entfalten,
aber auch einfach mit Würde existieren zu können. Und ich glaub, das ist es halt
wirklich: Du kannst nicht würdevoll leben in vielerlei Hinsicht. Und da find ich halt die
Idee, dass so viele Menschen halt herkommen und wir uns so gut dabei fühlen, ist
halt so scheinheilig. Weil man halt nicht fragt, wie kommt es denn, dass zum Beispiel
wir, als Kinder von Geflüchteten, auf einmal alle gehen?
Das dürfen wir natürlich nicht als Flucht bezeichnen, das wird nicht als Flucht
bezeichnet. Ich bin mit 18 nach London gegangen und ich bin jetzt für den Job
hergekommen. So als erwachsener Mensch, so zum ersten Mal so. Aber für mich
war das ´ne Flucht. ´ne zweite Flucht noch mal.
Absage
Der Musterflüchtling. Episoden aus der deutschen Willkommenskultur.
Sie hörten ein Feature von Jenny Marrenbach
Es sprachen Inka Löwendorf, Axel Wandtke und die Autorin
Ton: Bernd Friebel
Regie: Wolfgang Rindfleisch.
Redaktion: Ulrike Bajohr.
Eine Produktion des Deutschlandfunks 2016.
Musik Ende
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