Die 7 Todsünden e-catalogue

V
P
GÖ
Die 7 Todsünden
No. 1 2016
Verpackerei Görisried
Vorwort von Karlheinz Knebel, Bischofsvikar 5
Sünden im System von Heinz Schütz 7
Ausstellungsfotos 7
Index 107
Impressum und Bildnachweis 109
5 Vorwort von Karlheinz Knebel, Bischofsvikar
Die Ausstellung Die 7 Todsünden in der V
­ er­packerei
Görisried von Michaela und Bruno Wank steht
im Zusammenhang mit der Ausstellung im
­Diözesanmuseum St. Afra der Diözese ­Augsburg,
die unter demselben Thema stand. Die Präsen­t ation
im Diözesanmuseum hatte neben einem großen
­Theorieteil mit verschiedensten wissenschaftlichen
Artikeln im Katalog versucht das T
­ hema mit
­historischen wie zeitgenössischen Exponaten zu
behandeln. In der Verpackerei G
­ örisried sollen allein
zeitgenössische Künstler und K
­ ünstlerinnen aus
ihrer Perspektive sich d
­ iesem Thema nähern. 21
Persönlichkeiten haben sich mit ihren Werken betei­
ligt. ­Jede/r hat ihren Blick auf den Menschen und das
Thema der S
­ ünde gerichtet. Es geht nicht um eine
Deutung der s
­ trengen t­heologischen Defini­tion,
­sondern darum den M
­ enschen in seiner Verwoben­
heit in Lust, Sinnlichkeit, Trägheit, Gewalt, Z
­ erstörung,
­Aggression, ja Todesverfallenheit zu z
­ eigen. Jedes
Kunstwerk ist eine eigene Welt, stellt eigene ­
Fragen und Rätsel und bedarf damit einer eigenen
Deutung im Kopf des Betrachters. M
­ anches ­erschließt
sich oder regt zu weiteren Fragen an oder bleibt
einem verschlossen.
Die Ausstellungsräume der Verpackerei
geben den Objekten einen eigenen Rahmen. Man
ist wie in einer Werkhalle und findet Kunst an
­ungewohnten Orten. Da laufen H
­ eizungsrohre,
beim Eingang der Männertoilette steht das Objekt
der Dreckschleuder, die Frage nach der Lust
zur Z
­ er­störung durch Schallwellen und schrille Töne
ist dann gegenüber bei den Damen. Köpfe ­
hängen an dünnen Fäden, andere sind mit dem
­Leben bedroht in Erinnerung von water boarding.
In den Kellerräumen findet man in einem
großen Rock eines Hochzeitskleides Bilder von
einem Fest zum 1. Mai. In der ­Empfangshalle
eine ­Anspielung auf den Planet der Affen und eine
Welt voller W
­ affen. Das Beicht­gespräch lädt zu
einem ­Künstlergespräch ein. Künstler und Betrachter
kommen zusammen, um sich auszutauschen
über die Bedeutung der Kunst und des
Kunstbetriebes in unserem Leben. Im letzten Raum
der Kelleranlage begegnen wir den 7 Werken der
Barmherzigkeit von Martin Schmidt. Dass die
7 Todsünden eingebunden sind mit der Siebenzahl
in die Frage nach dem Heiligen Geist, der Zuwendung
zum Nächsten und damit auch die Frage wie findet
der Mensch Erbarmen und Erlösung weitet die
­Fragestellung. Das letzte Werk thematisiert den Tod.
Die Bilder eines Kataloges haben nochmals
eine andere Aussagekraft und zeigen uns die Objekte
auch aus der anderen Sichtweise des Objektivs der
Kamera. Die Ausstellungsatmosphäre tritt zurück. Wir
haben aber die Bilder vor uns und damit eine andere
Möglichkeit Wirklichkeit zu gewinnen. Möge der
­Katalog helfen, sich der verschiedenen Kunstwerke
zu nähern und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Wir erleben eine Welt voller Vielfalt und fast un­
endlicher Deutungen, je nach der Perspektive des
Betrachters. Auch die Welt der Kunst bietet uns viele
Deutungen und Bilder, die wieder offen sind für
den, der sich damit auseinandersetzt. Kunst verändert
unseren Blickwinkel auf die Welt, sie eröffnet uns
neue Perspektiven, die wir sonst oft gar nicht hätten.
Der Dialog zwischen Kunstwerk und Betrachter
kann neue Sichtweisen auf den Menschen und
die ihn umgebende Wirklichkeit geben. Dabei ist der
Künstler oft nur ein Bote, ein Vermittler durch seine
Ge­staltung. Er weiß nicht, was sein Werk anstößt und
­bewegt. Es wäre schön, wenn wir immer wieder
­Möglichkeiten finden können zusammen mit Künstler­
innen und Künstlern einen Blick auf diese
Welt und den Menschen in ihr zu werfen. Themen
wie Sehnsucht nach Erlösung, Faszination Schönheit,
aber eben auch die Frage nach sich öffnenden
­Abgründen und Bedrohungen lassen uns, wenn auch
nicht auf den ersten Blick, die Frage nach
dem stellen, der allem zu Grunde liegt und es trägt.
7 Sünden im System von Heinz Schütz
Am Anfang der kurzen Einführung in die Sieben-­
Todsünden-Ausstellung sei die Aufmerksamkeit auf eine
alltägliche Restaurantszene gelenkt: Eine Frau und
ein Mann sitzen an einem Tisch. Sie tunken die Reste
der öligen Tomatensauce aus ihren Tellern, löffeln
ein Tiramisu, trinken Rotwein und während die
Frau das leere Glas auf den Tisch zurück stellt, seufzt
sie: „So, jetzt haben wir aber wieder gesündigt.“ Legt
man das überlieferte Todsündenregister mit s
­ einem
Verweis auf die Völlerei zugrunde, sind die beiden ihrer
zukünftigen Verdammnis in die Hölle womöglich ein
winziges Stück näher gerückt. Allerdings denkt das
wohlig gesättigte Paar, wenn es nach dem Verzehr eines
Zweigängemenüs von Sünde spricht, nicht an Völlerei,
sondern an die kon­sumierten Kalorien. „Sündigen“
bedeutet hier, den A
­ nsprüchen des herrschenden Ge­
sundheits- und Schlankheits­kultes nicht zu genügen,
wobei sich auch hier, beim Bekenntnis zum Schönheits­
ideal schlank, wiederum das Todsündenregister ­­
heran­ziehen und auf die darin verzeichnete Eitelkeit
­verweisen ließe. Auch diese Betrachtung liegt dem
Paar durchaus fern: Das Wort „sündigen“ hat im
­Alltagsgebrauch seine ­religiös-moralische Bedeutung
abgestreift. Es weist nun in erster Linie auf die
­Nichteinhaltung herrschender Normen und ­Ansprüche
und damit verbunden die Angst vor ­Stigmatisierung:
Dicksein wurde zum Mangel erklärt und zum Zeichen
­sozialer Deklassierung. Auf der einen Seite stehen nun
diejenigen, die leiden, weil sie nichts zu essen
haben, und auf der anderen Seite diejenigen, die sich
diätetisch „
­ foltern“, um nicht zu viel zu essen. Doch
bleiben wir bei der Verwendung des Begriffs Sünde. Eine
Internet­recherche mit dem Suchwort Avaritia –
diejenige der Sieben Todsünden, die sich mit Geiz und
Habgier übersetzen lässt – führt rasch auf eine im
Google-­Ranking vorne stehende Webpage mit folgender
Begrüßung: „Herzlich Willkommen bei erbsünde! erb­
sünde ist ein Mode- und Designlabel mit Sitz in München.
Erweitert um die Marke erbsündchen
für Kinder bietet es: Zeitlose, gut sitzen­
de ebooks und Schnittmuster auch für
große Kon­fek­tionsgrößen (…).“ Wer dann
die „
­ Galerie“ der „erbsünde“ mit ihrer
durchaus biederen Mode anklickt, findet
die nach den Sieben Todsünden be­
nannten Labels Avaritia, Acedia, Gula,
Invidia, Ira, Luxuria und Superbia, dane­
ben Namen wie – die Hauptsache es
klingt scharf, verführerisch,
exotisch oder süß – Chilli, Delicia Ber­
tioga, Pipoga. In einer der Beschreibun­
gen heißt es: „Am Donnerstag wurde
(…) eine neue erbsünde veröffentlicht:
Avaritia (…) Der Schnitt wurde diesmal
nach der Sünde Habgier benannt
und der Name passt ganz hervorra­
gend, denn wenn man anfängt für den
Schnitt nach Stoffen und Tüll zu s
­ uchen,
verfällt man in einen Rausch. Man
will nur noch haben, haben, h
­ aben.“
Das klingt kurios und abgedreht.
Dabei ist gewissermaßen bezeichnend,
dass die irrtümliche Benennung der
Todsünde als Erbsünde das störende
Wort „Tod“ unausgesprochen lässt.
Die Todsünden werden ihres
einstigen Schreckens beraubt und
werbetechnisch als Attraktion verkauft.
Die Habgier wird dabei zum stimu­
lierenden Habensrausch verklärt. Wie
bereits im Restaurant fällt auch hier auf,
wie der Begriff der Sünde das
Terrain des Religiösen verlassen hat.
Was der Essenssünder mit dem Tod­
sünder noch teilt, ist allenfalls das
­schlechte Gewissen. Es bedarf eines
kurzen Blicks in die Geschichte, um
heute die religiös fundierte Bedeutung
der Sieben Todsünden zu erahnen.
Kleiner Rückblick
Die Ausformulierung der Todsünden weist
zurück ins vierte und fünfte Jahrhundert.
Sie vollzog sich im mönchischen Umfeld der
Klöster und Wüsten. Bereits der im Jahr
354 geborene Euagrios Pontikos – er lebte
als Einsiedler in der ägyptischen Wüste –
­benennt acht Laster, die das Seelenheil
­bedrohen. Weiterentwickelt wurde die Acht­
lasterlehre von dem auch „Wüstenvater“
genannten, Priester, Abt und Schriftsteller
Johannes Cassianus. Der im Jahr 604
­verstorbene Papst Gregor I. formulierte dann
die sieben Laster der bis heute weitergereichten Todsünden-Liste. Sie besteht aus:
Superbia
Hochmut (Übermut,
Hoffart, Eitelkeit, Stolz)
Avaritia
Gier (Geiz, Habgier,
­Habsucht)
Luxuria
Wollust (Unkeuschheit)
Ira
Zorn (Wut, Vergeltung,
Rachsucht)
GulaVöllerei (Gefräßigkeit,
Schwelgerei,
Maßlosigkeit, ­Selbstsucht)
InvidiaNeid (Missgunst,
­Eifersucht)
AcediaTrägheit des Herzens /
des Geistes (Überdruss)
Wie mehrfach herausgearbeitet wurde,
­können Hochmut, Gier, Wollust, Zorn,
Völlerei, Neid und Trägheit eng mit einer
­charakterologischen Typologie in Verbindung
gebracht werden. Der persönliche
Charakter liefert sozusagen die Disposition
zur Verfehlung, was wiederum nicht
­bedeutet, dass jede Verfehlung aus der Tod­sünden-Liste tatsächlich eine Todsünde ist.
So unterscheidet die katholische Kirche zwischen „läss­
licher Sünde“ und „Todsünde“.: „Die Todsünde“ – so ihr
Katechismus – zerstört die Liebe im Herzen des Menschen
durch einen schweren Verstoß gegen das Gesetz Gottes. In
ihr wendet sich der Mensch von Gott, seinem letzten
Ziel und seiner Seligkeit, ab und zieht ihm ein minderes Gut
vor. (…) Die lässliche Sünde lässt die Liebe bestehen,
­verstößt aber gegen sie und verletzt sie.“ Die schweren
Verstöße werden insbesondere durch die Zehn
Gebote d
­ efiniert. Bei der grundsätzlichen Erörterung wird
das ­Prinzip der Liebe in den Vordergrund gestellt.
Trotz der als grenzenlos erachteten Liebe Gottes, droht
jenen, die von ihr abfallen, die Verdammnis, die Hölle und
der ewige Tod nach dem Tod.
Jenseits der christlichen Lehre kann der Katalog der
Todsünden als Reflexionsmöglichkeit verstanden werden,
der wie ein begrifflicher Spiegel Einblick in das eigene
Verhalten gibt und zur Selbsterkenntnis beiträgt. Er lässt
sich auch als Lehre der Mäßigung und als moralischer
Ratgeber verstehen. Sobald jedoch mit dem Begriff
Sünde christliches Territorium betreten wird, tritt die Selbst­
evidenz moralischer Prinzipien im Sinne von Immanuel
Kants „Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische
Gesetz in mir.“ in den Hintergrund. In der christlichen
Lehre steht auch noch die Hölle als drohende Strafe unter
mir. Selbst wenn es so aussehen mag, dass moralische
Grundsätze unveränderlich für immer gelten, ist ihre
­Bedeutung, wie eben auch die der Sieben Todsünden, dem
historischen Wandel unterworfen. Um damit auf den
Anfang der Einführung und auf unsere Gegenwart
­zurückzukommen: Insbesondere nach dem skandalösen
Bankendesaster, bei dem die Verluste sozialisiert
wurden und die Gewinne privatisiert blieben, wurde immer
wieder die persönliche Gier der Banker für das Desaster
verantwortlich gemacht. Richtig betrachtet ist die
Gier hier keine V
­ erfehlung Einzelner. Die gegenwärtige
Wirtschaft basiert auf dem Prinzip des permanenten
­Wachstums und der Kapitalakkumulation. In diesem
Sinne ist die Gier ins S
­ ystem gewandert, wobei eine Art
neuer Klassengesellschaft verhindert, dass alle
daran ­partizipieren.
Sowohl das alles durch­
dringende Wettbewerbs­
prinzip, das jede und jeden
Einzelnen mit dem
Satz „Du bist der Größte“
zum Erfolg peitschen
will, als auch die digitale
­Kommunikation, die
den Selfie-Rausch beflü­
gelt, frönen der Superbia,
die sich hier als „Ich
bin so super“ übersetzen
ließe. Wenn Köche in­
zwischen zu Fernsehstars,
Entertainern und
­Lebens­beratern mutiert
sind, wird die Gula – die
Völlerei und Schwelgerei – ­zumindest sym­
bolisch verklärt – realiter
sitzen die Fernseh­
zuschauer ohne Zugriff
auf die Filets, Ragouts
und Hähnchenschenkel
mit leicht wässrigem
Mund vor den Bildschirmen. Die solcherma­
ßen ins sozio-ökonomi­
sche System gewanderten ­Tod­sünden drohen
nicht mehr mit Strafe,
sondern ganz im Gegen­
teil: sie ver­sprechen
Lust, Erfolg und
Anerkennung. In d
­ iesem
Sinne wurden denn
auch der eingangs angedeutete Umgang mit
der Sünde zur V
­ erlockung und das Wort ­
„Sünde“ zum Attraktor.
Wie nun geht die Kunst mit den Sieben Todsünden um?
Es gibt eine lange Tradition der Darstellung
der Sieben Todsünden, wobei lange Zeit Allegorien zum
Zweck der Belehrung, Abschreckung und Bekehrung
überwiegen. Bis heute werden sie in den unter­
schiedlichsten Gattungen thematisiert, sei es in der
­bildenden Kunst, der Literatur, der Oper, im Film und
selbst in der Pop-Kultur.
Zu Beginn dieses Jahres widmete sich das
­Diözesanmuseum St. Afra in Augsburg der Todsünde in
der Kunst. Die Ausstellung konzentrierte sich –
nicht nur, aber doch in erster Linie – auf die Geschichte.
In der von Bruno und Michaela Wank geleiteten Verpa­
ckerei werden nun ausschließlich Positionen zeitgenös­
sischer Künstler und Künstlerinnen vorgestellt.
Geht man sozusagen von der systemischen Infiltra­
tion der Sieben Todsünden aus und stellt die Frage,
wie Kunst damit umgeht, lautet die Antwort:
es gibt u
­ nterschiedlichste Ansätze. Künstler können
savonara­leske Asketen sein aber auch Grenz­
überschreiter, die den sinnlichen Exzess als Befreiung
suchen, um gezielt in jene Bereiche vorzudringen, die die
Liste der Tod­sünden zum Tabu erklärt. Sie können
­reflektieren oder gestalten, sachlich dokumentieren
oder politisch a
­ gitieren, sie können ernst, distanziert,
zynisch oder ironisch sein, wobei dem ironischen
­Unterton, seit dem Aufstieg der Postmoderne
eine b
­ esondere Bedeutung zukommt. Die Pluralität der
Ansätze spiegelt sich in der Ausstellung der Verpackerei.
Grundsätzlich gilt: Eine Reihe von Arbeiten
wurde eigens für „Die Sieben Todsünden“ produziert,
andere wurden bewusst ausgewählt und kommentieren
nun im Kontext der Ausstellung das Thema.
Allen g
­ emeinsam ist, dass sie die Sieben Todsünden
weniger auf die Vergangenheit, als auf die
Gegenwart beziehen. In einigen allegorisierenden
­Positionen kann der G
­ egenwartsbezug exemplifiziert
werden:
Res Ingold greift die emblematischen Mittel der
­zeitgenössischen Werbung auf und erweitert sozusagen
die Liste der T
­ odsünden in die Gegenwart.
Mit dem Begriffspaar „crimine“ (Verbrechen) und
„insolvenza“ (Insolvenz) etwa stößt er unmittelbar
auch ins Herz der Finanzkrise vor. Mit zeit­
genössischen Ikonen wie Apple-Logo, Donald Duck,
Disney-Schneewittchen und Zorn-Smilie verkörpert
Torsten Mühlbach die Sieben Todsünden auf
­buttonartigen Tondi. Ins Zentrum der Ausstellungs­
halle stellt er als Allegorie einer hochgerüsteten
Spaßgesellschaft eine auf einen Holzwagen
­montierte, sich drehende und wie eine Diskokugel
glitzernde Rakete – Titel der Installation:
„Planet der Affen“. Allegorisierend sind auch die frei
­hängenden, auf Stoff gemalten Bilder von Sofi
Bird Møller. Im Rekurs auf Illustrationen eines Em­
blembuchs aus dem 18. Jahrhundert eröffnet
sie ­surreale Assoziationsräume, die sich der klaren
begrifflichen Festlegung entziehen. Interessanter­
weise lenkte der Surrealismus die Aufmerksamkeit
auf den Zusammenhang ­zwischen Emblematik
und Bedeutungen, die in der Psyche verborgen
schlummern. Er wählte dabei nicht zuletzt Hierony­
mus Bosch zum Vorbild.
Einige der ausgestellten Arbeiten lassen sich
explizit auf eine ausgewählte Todsünde beziehen.
Wenn sich Moritz Walser in seiner Performance
in Zuckerwatte hüllen lässt und sich zum Verna­
schen anbietet, kommt Gula, aber auch Luxuria ins
Spiel. Im Bezug auf die beiden Todsünden
­vergleichbar, präsentiert ein Video von Susanne
Wagner einen mit weißer Salatsauce übergossenen
und auf einem Salatbett angerichteten Callboy.
Das Performancekonzept, das auf einer Erzählung
von Mason Williams und einer Fotoserie respektive
­einem Film von Ed Ruscha basiert, kehrt die
dort angelegten traditionellen Geschlechterrollen
um. Ein düsteres Gegenstück zu Wagners „Kristijan“
liefert eine Videoprojektion von Johannes Evers.
Die auf den Mund eines Liegenden zielende
­Infiltration einer weißen Flüssigkeit evoziert das
in amerikanischen Foltergefängnissen praktizierte
Waterboarding.
Am deutlichsten und v
­ ehementesten
ist in der Ausstellung der Bezug auf das,
was in todessündiger Terminologie
Wollust genannt wird. Ugo Dossis Zeich­
nungen umkreisen Erotismen. Duncan
Robertson installierte ein Brautkleid
als Zelt, in dessen Schoss sich eine
­saturnalische Szene abspielt, die bei
den alljährlichen E
­ ster-Maifeiern in
Edinburgh aufgenommen wurde. In der
Gegenüberstellung eines, so weit man
sieht, nackten M
­ annes und einer nack­
ten Frau, die wechselseitig immer
schneller hörbar atmen, setzt Samaya
Almas Thier o
­ rgiastische Vorstellungen
beim Betrachter frei. Besonders
hervorzu­heben ist die Komplexität von
Julian Rosefeldts Film „Deep Gold“.
Er geht von Luis Buñuels surrealisti­
schem Film „L’age d’or“ aus und lässt
­Traumwelt und G
­ eschichte, Erotik und
Politik einander durchdringen.
Der zu Beginn erwähnte charakte­
rologische Bezug der Todsünden kommt
in den subtil gearbeiteten, Bronze in
allen Schattierungen einsetzenden
Masken Bruno Wanks zur Geltung und
auf andere Weise in W
­ olfgang Kaisers
Installation mit ihren Köpfen und
Kopffragmenten, in denen das Material
zum glänzenden I­llusionsträger wird.
Ein sozusagen eigenes Kapitel
bildet der Rekurs auf die Todsünde als
Sünde. Gregor P
­ assens sieben
­Zipfelmützen erscheinen wie verfüh­re­
rische Schlangen, Guido
Weggenmann lässt eine monumentale,
mechanische Hand verlockend
und Besitz ergreifend winken,
­Alexander Laner präsentiert drei
­Apparate:
eine hochmotorisierte Schub­
karrenmaschine, die eine
schwarze Reifenspur, wie
eine Teufelssignatur hinterließ,
ein Weinglas im Kubus,
das bei einer bestimmten,
vom B
­ etrachter ausgelösten
­Frequenz zerspringt und
eine Wasser schleudernde
Dauerrein-Waschmaschine.
Zum Ritual der Reinwaschung
gehören im kirchlichen
­Zusammenhang das Weih­
wasser und die Beichte. In ihrer
Videoinstallation „Gläubiger
& Schuldner“ pendeln die bei­
den Künstler der EMPFANGS­
HALLE zwischen dem Brunnen,
der vor einem Münchner
­Luxusquartier steht und dem
Weihwasserbecken der
Abtei St. Bonifaz in einer end­
losen Schleife hin und her. Mit
der Anspielung auf „kulturelle
­Verpflichtungen“ richteten
­Karolin und Daniel Bräg einen
Raum ein, in dem die
Künstler den „Kunstsündern“
Absolution erteilen. Zumindest
im Kontext der Ausstellung,
erscheint das rote Container­
atelier, zu dessen Besuch
­Sebastian Mayrhofer einlädt,
wie ein auf die schräge Bahn
geratener Kunstraum.
Im letzten Ausstellungs­
raum werden, als Gegenentwurf
zu den Sieben Todsünden,
die kirchlich sanktionierten
Sieben Werke der Barmherzig­
keit herbeizitiert, als da sind:
Hungrige speisen
Durstige tränken
Fremde beherbergen
Nackte bekleiden
Kranke besuchen
Gefangene besuchen
Tote bestatten
Mit seinen großformatigen, fotorealistischen Bleistiftzeichnun­
gen bebildert Martin Schmidt den Kanon der guten Taten mit
Motiven aus dem Alltag der Gegenwart. Wenn er dabei
etwa „Hungrige speisen“ mit einem Foto aus einem Luxus­
kochbuch illustriert, blitzt, jenseits der Guttat, der politisch-­
soziale A
­ bgrund in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Ver­
hältnissen auf.
Ganz am Ende des letzten Ausstellungsraums steht,
wie der Verweis auf die letzte Instanz, ein Skulpturenpaar von
Elke Härtel. Sie bezieht sich nicht auf die Sünde, sondern
auf den Tod: Eine alte Frau, wird von einem gnomartigen Alien
hinweggeführt.
Nachdem die Sünde als Sünde und der Tod als Tod
­erwähnt wurde, sei ans Ende eine letzte Frage in den Raum
gestellt: Was wäre denn, wenn der Tod in der Todsünde
eine Sünde Gottes wäre?
17 Ausstellungsfotos
1
6
7
8
2
3
1
Peccato / Triptichon 2016
Res Ingold
Druck auf Hartschaum
2
Hab nichts mehr außer mich 2015
Guido Weggenmann
Kunststoff, Getriebemotor, Holz, Stahl
3
Planet der Affen 2015
Torsten Mühlbach
Holz, Elektromotor, Spiegel­steine
4
4
Si /No 2016
Gregor Passens
Keramik, farbig glasiert
5
Blumenkrieg 2014
Duncan Robertson
Stickrahmen, Blumenstoffe, Stickerei
6
6
6
Die 7 Todsünden 2015
Bruno Wank
Bronze
7
Die 7 Todsünden 2016
Torsten Mühlbach
Mülltüten auf Sperrholz g
­ etackert
1
7
3
8
2
7
6
8
8
sugar-daddy 2016
Moritz Walser
Performance, Zucker­watten­maschine,
Ventilator, D
­ rehpodest, Scheinwerfer
9
Freude am Fahren 2014 / 2016
Alexander Laner
BMW 700, Motor auf Schub­karrengestell,
Gummiabrieb auf Boden
10
4
9
10
Beichten gehen 2016
Karolin und Daniel Bräg
Kunstsündenbeichtgespräch
11
Dreckschleuder 2014
Alexander Laner
Geschirrspülmaschinenteile,
Steuerungstechnik, Glasvitrine
12
Theremin 2014
Alexander Laner
3 modifizierte Radios, Glas­vitrine,
Verstärker, Lautsprecher, ­Weinglas
13
Deep gold 2013 / 2014
Julian Rosefeldt
1-channel film b/w, sound, shot on HD
16
23
14
14
Lennox Gula, S.S.S., Esohre
Dulp, Möller, Der hl. Horst 2006–2016
Wolfgang Kaiser
Polyurethan, blattvergoldet
15
Lot 2016
Johannes Evers
HD-Video
16
The callboy 2010 / 2014
Susanne Wagner
HD-Video
16
15
16
17
19
17
Cum inside 2016
Duncan Robertson
Skulptur, Videoinstallation
18
Liebesbenzin 2015
Samaya Almas Thier
Video- und Soundinstallation
19
18
18
17
20
21
19
19
Gläubiger und Schuldner 2016
Empfangshalle
HD-Video
20
21
20
Nefer 2008
Ugo Dossi
übertragene Zeichnung, ­
Plexi­glas, holografisches ­Material
21
21
20
19
21
Unkeuschheit 2005–2015
Ugo Dossi / Hara Walther
automatische Zeichnungen,
Derivate
22
Ex Emblemia 2016
Sofie Bird Møller
Acryl auf Industrieprint
22
22
24
23
22
24
23
24
23
7 Werke der Barmherzigkeit 2010
Martin Schmidt
Bleistift auf Papier
24
o. T. 2012
Elke Härtel
Gips
25
25
Rote Kapelle 2016
Sebastian Mayrhofer
Installation während der ­
Aus­stellung in Kaufbeuren
25
107 Index
1
Peccato / Triptichon 2016
Res Ingold
Druck auf Hartschaum
2
Hab nichts mehr außer
mich 2015
Guido Weggenmann
Kunststoff, Getriebemotor,
Holz, Stahl
3
Planet der Affen 2015
Torsten Mühlbach
Holz, Elektromotor,
Spiegel­steine
4
Si /No 2016
Gregor Passens
Keramik, farbig glasiert
5
Blumenkrieg 2016
Duncan Robertson
Stickrahmen,
Blumenstoffe, Stickerei
6
Die 7 Todsünden 2015
Bruno Wank
Bronze
7
Die 7 Todsünden 2016
Torsten Mühlbach
Mülltüten auf Sperrholz
­getackert
13
Deep gold 2013 / 2014
Julian Rosefeldt
1-channel film b/w, sound,
shot on HD
8
sugar-daddy 2016
Moritz Walser
Performance, Zucker­watten­maschine, Ventilator, ­
Drehpodest
14
Lennox Gula, S.S.S.,
Esohre Dulp, Möller,
Der hl. Horst 2006–2016
Wolfgang Kaiser
Polyurethan, blattvergoldet
21
Unkeuschheit 2005–2015
Ugo Dossi / Hara Walther
automatische
Zeichnungen, Derivate
9
Freude am Fahren 2014 / 2016
Alexander Laner
BMW Zoo, Motor auf Schub­
karrengestell, Gummiabrieb
15
Lot 2016
Johannes Evers
HD-Video
22
Ex Emblemia 2016
Sofie Bird Møller
Acryl auf Industrieprint
16
The callboy 2010 / 2014
Susanne Wagner
HD-Video
23
7 Werke der
Barmherzigkeit 2010
Martin Schmidt
Bleistift auf Papier
10
Beichten gehen 2016
Karolin und Daniel Bräg
Kunstsündenbeichtgespräch
11
Dreckschleuder 2014
Alexander Laner
Geschirrspülmaschninenteile,
Steuerungstechnik, Glasvitrine
12
Theremin 2014
Alexander Laner
3 modifizierte Radios, Glas­
vitrine, Verstärker,
Lautsprecher, ­Weinglas
17
Cum inside 2016
Duncan Robertson
Skulptur, Videoinstallation
18
Liebesbenzin 2015
Samaya Almas Thier
Video- und Soundinstallation
19
Gläubiger und Schuldner 2016
Empfangshalle
HD-Video
20
Nefer 2008
Ugo Dossi
übertragene Zeichnung, ­
Plexi­glas, holografisches
­Material
24
o. T. 2012
Elke Härtel
Gips
25
Rote Kapelle 2016
Sebastian Mayrhofer
Installation während der
­Aus­stellung in Kaufbeuren
109 Impressum und Bildnachweis
Katalog zur Ausstellung Die 7 Todsünden
in der Verpackerei Görisried
vom 4. bis 19. Juni 2016
Herausgeber: Michaela und Bruno Wank
Gestaltung: Schultz Wiegand
Druck: DZA Druckerei zu Altenburg GmbH
Lektorat: Michaela und Bruno Wank
Fotos: Hermann Reichenwallner, Norbert Liesz,
Sebastian Mayrhofer, Moritz Walser
Bildnachweis:
© VG Bild-Kunst, Bonn 2016
für die abgebildeten Werke von:
Karolin Bräg, Daniel Bräg, Empfangshalle,
Res Ingold, Gregor Passens, Julian Rosefeldt, ­
Susanne Wagner und Bruno Wank
© Ugo Dossi © Johannes Evers © Elke Härtel
© Wolfgang Kaiser © Alexander Laner © Sebastian Mayrhofer © Sofie Bird Møller © Torsten ­Mühlbach © Duncan Robertson © Martin Schmidt © Samaya Almas Thier © Moritz Walser © Guido Weggenmann
in Kooperation mit dem Bistum Augsburg