Familienbegleitung bei Demenz im ländlichen Raum

MEDIZIN
ORIGINALARBEIT
Familienbegleitung bei Demenz im
ländlichen Raum
Eine randomisierte kontrollierte Studie zur Verbesserung der Lebensqualität pflegender
Angehöriger durch qualifizierte Freiwillige
Thomas Brijoux, Cornelia Kricheldorff, Michael Hüll, Steffi Bonfico
ZUSAMMENFASSUNG
Hintergrund: Pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz sind vielfältigen
Belastungen ausgesetzt. Psychosoziale Angebote werden zur Entlastung empfohlen und tragen zur Stabilität der häuslichen Pflegesituationen bei. Im ländlichen Raum wurde nun erprobt, ob freiwillige Familienbegleiter mit einer demenzspezifischen Zusatzqualifikation Angehörige, die Demenzpatienten versorgen, stärker unterstützen als herkömmliche Pflegebegleiter.
Methode: In einem randomisierten kontrollierten Design wurden 63 Angehörige
von Familienbegleitern (Experimentalintervention) oder Pflegebegleitern (Kontrollintervention) begleitet. Die Lebensqualität der pflegenden Angehörigen war
die primäre Zielgröße und wurde in einer „intention to treat“(ITT)-Analyse über
t-Tests am Studienende evaluiert. In einer zusätzlichen „per protocol“(PP)-Untersuchung wurden zum Startzeitpunkt aufgetretene Unterschiede zwischen
den Gruppen kontrolliert. Sekundäre Zielgrößen waren eine Reduktion der Belastung und eine bessere Vernetzung mit dem Unterstützungssystem.
Ergebnisse: Die gesundheitsbezogene Lebensqualität zeigte in der psychischen
und körperlichen Skala keinen signifikanten Gruppenunterschied in der ITTAnalyse. In der PP-Analyse verbesserte sich die psychische gesundheitsbezogene Lebensqualität der Angehörigen bei Familienbegleitung mit mittlerer Effektstärke (d = 0,57; p = 0,047) im Vergleich zur Kontrollgruppe.
Schlussfolgerung: Die gefundenen Unterschiede zwischen PP-und ITT-Untersuchung können zum Teil durch die unterschiedliche Verteilung der Schweregrade der Demenzkranken in den beiden Gruppen erklärt werden.
►Zitierweise
Brijoux T, Kricheldorff C, Hüll M, Bonfico S: Supporting families living
with dementia in rural areas—a randomized controlled trial of quality of life
improvement using qualified volunteers. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 681–7.
DOI: 10.3238/arztebl.2016.0681
Institut für Angewandte Forschung, Entwicklung und Weiterbildung, Katholische Hochschule Freiburg:
Brijoux, M.Sc., Prof. Dr. phil. Kricheldorff
Klinik für Alterspsychiatrie und –psychotherapie, Zentrum für Psychiatrie Emmendingen und Klinik für
Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Freiburg: Prof. Dr. med. Hüll
Praxis für Psychotherapie Wiesbaden und Zentrum für Geriatrie und Gerontologie Freiburg, Universitätsklinikum Freiburg: Dipl. Psych. Bonfico
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 41 | 14. Oktober 2016
D
ie Pflege eines Menschen belastet Angehörige
häufig und reduziert ihr subjektives Wohlbefinden (1). Bei der Pflege eines Menschen mit Demenz
(MmD) verstärken sich diese Einbußen zusätzlich (1,
2). Neben der physischen Anstrengung, die vor allem in
späten Krankheitsstadien in Folge der Pflege auftritt, ist
auch eine psychische Belastung für die Angehörigen
spezifisch. Diese ist durch mit der Erkrankung einhergehende Rollenumkehr, Beziehungsverluste, maskierte
Trauer und Unverständnis gegenüber dem MmD und
dessen Verhaltensweisen charakterisiert (2–5). Psychosoziale Angebote wie unter anderem Angehörigenberatungen und -unterstützungen werden daher in der
S3-Leitlinie Demenz der Deutschen Gesellschaft für
Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und
Nervenheilkunde (DGPPN) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) sowie in der Leitlinie der
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) zur Entlastung der pflegenden Angehörigen empfohlen (6, 7) oder für eine gelingende häusliche Pflege als notwendig angesehen (2).
Circa zwei Drittel der Demenzkranken werden über
lange Phasen der Erkrankung im häuslichen Umfeld
versorgt, > 40 % sterben zu Hause (2, 8). Pflegende
Angehörige von MmD sind vielfach isoliert (3) und
fühlen sich mit der Versorgung der MmD allein gelassen (4). Dabei kann das häusliche Pflegesetting in der
Regel nur dann aufrechterhalten werden, wenn die
Hauptpflegeperson neben professioneller auch familiäre Unterstützung erhält (5). Im ländlichen Raum zeigen
sich darüber hinaus eine erhöhte Isolation der pflegenden Angehörigen und geringere Möglichkeiten professioneller Unterstützung (9). Daher ist die familiäre Unterstützung hier umso bedeutender (9).
Ein von Freiwilligen getragenes psychosoziales Angebot ist die Pflegebegleitung, die von 2003–2008 entwickelt und deutschlandweit an 97 Modellstandorten
implementiert wurde (10, 11). In Gesprächen mit Angehörigen vermitteln als Pflegebegleitung qualifizierte
Freiwillige pflegebezogene Kompetenzen, stärken die
Angehörigen emotional und unterstützen sie in der Inanspruchnahme weiterer entlastender Angebote. Die
Qualifikation zur Pflegebegleitung besteht aus 60 Unterrichtseinheiten (10). Allerdings werden während der
Ausbildung die spezifischen Problemstellungen in der
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KASTEN
Inhalte der Weiterbildung zur
Familienbegleitung
● spezifisches Demenzwissen (24 Unterrichtseinheiten)
● systemische Aspekte und Lösungsorientierung
(32 Unterrichtseinheiten)
● Netzwerkarbeit (vier Unterrichtseinheiten)
● Wiederholung (vier Unterrichtseinheiten)
● Organisation (vier Unterrichtseinheiten)
● Reflexion der eigenen Rolle und Haltung
(kursübergreifend, ohne Zeitfenster)
Pflege von Demenzkranken und die Bedeutung für das
familiäre Unterstützungssystem nicht umfassend behandelt.
Pflegebegleiter erleben in der Kombination der erschwerenden Faktoren Demenz und ländlicher Raum
immer wieder Grenzen. Demzufolge wurde in der vorliegenden Studie der Ansatz der Pflegebegleitung, der
sich bis dahin ausschließlich auf die Hauptpflegepersonen fokussierte, auf das pflegende Familiensystem erweitert und für demenzspezifische Problemstellungen
spezialisiert.
Die spezielle Schulung von Pflege- und Familienbegleitern füllt dabei eine Lücke zwischen Schulungsprogrammen für pflegende Angehörige (12–14) und professionellen Pflegekräften (15), die Umgang mit MmD
haben. Ob die Intervention bei Demenz wirksamer ist,
wenn die Qualifikation zur Pflegebegleitung durch die
spezielle Weiterbildung zur Familienbegleitung erweitert wird, wurde in der vorliegenden, vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Studie untersucht.
Methode
In der vorliegenden randomisierten kontrollierten Studie
(FABEL, zugehende Familienbegleitung bei Demenz im
ländlichen Raum) wurde die Wirkung der Familienbegleitung evaluiert. Die Untersuchung war als „intention
to treat“(ITT)-Analyse geplant. Da die Drop-out-Raten
aufgrund des Alters der MmD und der Länge des Beobachtungszeitraums gering waren, standen für diese Studienteilnehmer sehr heterogene Daten zu Verfügung.
Teilweise lagen schwere interkurrierende Erkrankungen
der Betreuungsperson oder des Betroffenen vor. Dementsprechend erschien die alleinige ITT-Analyse nicht
adäquat und wurde durch die „per protocol“(PP)-Analyse ergänzt. Einschlusskriterien waren eine primäre Demenzdiagnose und ein häusliches Pflegearrangement im
ländlichen Raum. Sozialarbeiterinnen erhoben die Daten
im häuslichen Umfeld der Angehörigen.
Interventionsbeschreibung und Teilnehmerrekrutierung
In der Familienbegleitung wurde der Ansatz der Pflegebegleitung in Form einer 68 Unterrichtseinheiten umfassenden Weiterbildung für Pflegebegleiter intensiviert und erweitert. Der Isolation von pflegenden Angehörigen von MmD begegnend, erweiterte sich die Perspektive der Begleitung von den Hauptpflegepersonen
auf das gesamte Familiensystem. Dabei wurde auf gut
evaluierte Verfahren zur Gesprächsstrukturierung mit
pflegenden Angehörigen und Familien zurückgegriffen
(14, 16). Zudem wurde das Wissen um das Krankheitsbild Demenz bei den Familienbegleitern gefördert und
ein Wissenstransfer zu den Angehörigen angeregt (Kasten). Kricheldorff et al. veröffentlichten das Curriculum
TABELLE 1
Kurzübersicht der Drop-outs zum Start der Intervention je Interventionsarm
Merkmal
Geschlecht
Reisberg-Skala
Ausprägung
Pflegebegleitung
Anzahl
Prozent
Anzahl
männlich
3
50,00
0
0,00
weiblich
3
50,00
4
100,00
Stufe 3
1
16,67
0
0,00
Stufe 4
0
0,00
2
50,00
Stufe 5
2
33,33
1
25,00
Stufe 6
2
33,33
1
25,00
1
16,67
0
0,00
Stufe 7
Alter
Familienbegleitung
Mittelwert
65,5
68,75
Standardabweichung
12,73
9,88
Spannweite
52–78
54–75
Vergleich
Prozent
χ2 (1, n = 10) = 2,857; p = 0,200*1
χ2 (4, n = 10) = 4,069; p = 0,657*1
t(8) = –0,429; p = 0,679*2
*1 exakte Tests nach Fisher
*2 Student’s t-Test für unabhängige Stichproben
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Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 41 | 14. Oktober 2016
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GRAFIK 1
39
Familienbegleitungen
randomisiert
39
Familienbegleitungen
begonnen
33
Familienbegleitungen
abgeschlossen
37
Pflegebegleitungen
randomisiert
34
Pflegebegleitungen
begonnen
30
Pflegebegleitungen
abgeschlossen
76
eingeschlossene pflegende
Angehörige und Familien
Rekrutierung und Drop-outs
(17). Voraussetzung zur Teilnahme an der Weiterbildung zur Familienbegleitung war ein abgeschlossener
Kurs Pflegebegleitung. Die Familienbegleiter wurden
monatlich von einer psychologischen Psychotherapeutin und einem Gerontologen supervidiert (17, 18). Die
Kontrollintervention Pflegebegleitung wurde von Freiwilligen ohne die Zusatzqualifikation Familienbegleitung durchgeführt.
In beiden Interventionsformen führten die Freiwilligen mit den Angehörigen Gespräche über die Pflegesituation, in denen zum Beispiel die Belastungssituation oder mögliche Unterstützungsleistungen thematisiert wurden. Die Begleitungen der pflegenden
Angehörigen und Familien dauerten im Verlauf der
Studie 16 Wochen. In diesem Zeitraum fanden fünf
bis 20 Kontakte zwischen der Begleitung und den An-
TABELLE 2
Stichprobenbeschreibung
Merkmal
Geschlecht
Beziehung zum MmD
Familienstand
Reisberg-Skala
Ausprägung
Prozent
männlich
11
weiblich
28
(Ehe-)Partner
(Schwieger-)Eltern
Graphic Balance Scale
Pflegebegleitung
Anzahl
Prozent
28,2
8
23,5
71,8
26
76,5
21
53,8
22
64,7
16
41,0
11
32,4
Bruder/Schwester
1
2,6
1
2,9
sonstige
1
2,6
0
0,00
verheiratet/feste Partner
34
87,2
31
91,2
geschieden
3
7,7
1
2,9
ledig
2
5,1
2
5,9
Stufe 3
3
7,7
0
0,00
Stufe 4
10
25,67
7
20,6
Stufe 5
11
28,2
19
55,9
Stufe 6
14
35,9
6
17,6
1
2,6
2
5,9
Stufe 7
Alter
Familienbegleitung
Anzahl
Mittelwert
62,41
66,12
Standardabweichung
13,29
11,87
Spannweite
33–86
40–89
Mittelwert
5,95
5,53
Standardabweichung
1,03
1,31
Vergleich
χ2 (1, N = 73) = 0,206; p = 0,650*1
χ2 (3, N = 73) = 1,796; p = 0,767*2
χ2 (2, N = 73) = 0,867; p = 0,854*2
χ2 (4, N = 73) = 8,477; p = 0,050*2
t(71) = –1,172; p = 0,245*3
t(71) = 1,53; p = 0,129*3
Stichprobenbeschreibung der pflegenden Angehörigen und der Menschen mit Demenz (PP-Population)
MmD; Menschen mit Demenz; PP, „per protocol“
*1 Pearson χ2-Tests
*2 exakte Tests nach Fisher
*3 Student’s t-Test für unabhängige Stichproben
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GRAFIK 2
55
47,28
50
45
42,93
40
41,2
42,01
Prä
Post
35
30
FB (n = 30)
PB (n = 29)
Psychische Skala des Short-Form-12
Fehlerbalken entsprechen den 95-%-Konfidenzintervallen der Mittelwerte in der „per protocol“-Population (Prä- und Post-Angaben).
Höhere Werte bedeuten eine höhere psychische Lebensqualität.
FB, Familienbegleitung; PB, Pflegebegleitung; n, Anzahl
gehörigen persönlich, telefonisch oder per E-Mail
statt.
Durchgeführt wurde die Studie von November 2012
bis Dezember 2014 im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald gemeinsam mit dem Caritasverband für
den Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald (CV) und
dem Zentrum für Geriatrie und Gerontologie des Universitätsklinikums Freiburg (ZGGF). In vier Weiterbildungszyklen absolvierten insgesamt 27 am Caritasverband angebundene Pflegebegleiter die Weiterbildung
zum Familienbegleiter.
Pflegende Angehörige wurden über Kontakte zu Betreuungsgruppen, Beratungsstellen, Pflegestützpunkte
und lokale Medien angesprochen. Weitere Teilnehmer
wurden über die Memory-Ambulanz des ZGGF akquiriert. Angehörige, die den Einschlusskriterien entsprachen, wurden zu einer der beiden Interventionsformen
randomisiert. Anschließend wurde über den CV der
Erstkontakt zwischen den Freiwilligen und den Angehörigen entsprechend der randomisierten Interventionsform initiiert. Vor und nach den Begleitungen wurden
die pflegenden Angehörigen von Sozialarbeiterinnen
mit standardisierten Fragebögen zu ihrer Lebenssituation befragt (eKasten 1). Ein Ethikvotum wurde über die
Ethikkommission der Albert-Ludwig-Universität Freiburg eingeholt.
Zielgrößen
Primäre Zielgröße der Begleitung war eine Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität der
pflegenden Angehörigen gegenüber der Standardintervention (19). Sekundäre Zielgrößen waren eine Reduzierung der Belastung (20) und eine bessere Vernetzung
ins professionelle sowie semiprofessionelle Unterstützungssystem (eKasten 1).
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Statistik
Die Wirkung der Begleitung wurde in der ITTPopulation über t-Tests der Post-Angaben bestimmt.
Drop-outs wurden für die ITT-Analyse nach „last
observation carried forward“ behandelt (Tabelle 1).
Da durch die Randomisierungen deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen entstanden, wurden
in der PP-Population Post-hoc-Kovarianzanalysen
berechnet. Wegen der beobachteten Unterschiede
zum Start der Begleitungen wurden die ReisbergSkalen als Kovariable in die Berechnungen einbezogen. Als weitere Kovariablen wurden Alter und Geschlecht der Hauptpflegepersonen sowie die von der
Hauptpflegeperson wahrgenommene Balance der
Beziehung zum MmD über die Graphic Balance
Scale operationalisiert (21) aufgenommen. Vergleiche zum Startzeitpunkt wurden mittels t-Tests und
χ2-Tests durchgeführt. Die Programme IBM SPSS
Statistics Version 22, G-Power 3.1 und Microsoft
Excel 2013 wurden für die statistischen Berechnungen verwendet. Die Untersuchung wurde vor
Durchführung im Register klinischer Studien
(DRKS00004260) registriert. Weitere Details zur
Statistik sind im eKasten 2 aufgeführt.
Ergebnisse
Von 76 Angehörigen, die die Einschlusskriterien erfüllten, wurden 73 eine Begleitung vermittelt (Grafik 1). Die drei Drop-outs entfielen auf die Kontrollintervention. Drop-out-Gründe waren ein Rückzug
der Teilnahmebereitschaft, eine Veränderung der
primären in eine sekundäre Demenzdiagnose und
der Tod des Demenzerkrankten. Während der Begleitungen traten zehn weitere Drop-outs auf, davon
entfielen sechs auf die Familien- und vier auf die
Pflegebegleitung. In der Familienbegleitung lagen
folgende Ausschlussgründe vor:
● Tod der Demenzerkrankten
● Tod der Angehörigen
● Umzug in ein stationäres Pflegesetting
● erwünschter Studienabbruch seitens der Angehörigen
● in zwei Fällen das Nichteinhalten der im Studiendesign festgelegten Kontakthäufigkeit.
Die Drop-outs in der Pflegebegleitung basierten auf
dem Tod des Demenzerkrankten, einem Umzug der
Angehörigen und dem Nichteinhalten der Kontakthäufigkeit. Somit standen Prä-Post-Angaben von 63
Angehörigen zur Verfügung, von denen 33 auf die
Familienbegleitung und 30 auf die Pflegebegleitung
entfielen. Die erwartete benötigte Stichprobengröße
wurde nicht erreicht.
74 % der eingeschlossenen Angehörigen waren
weiblich, 26 % männlich. Das Durchschnittsalter
der pflegenden Angehörigen betrug 64,26 Jahre. Der
Altersrange der pflegenden Angehörigen reichte von
33−89 Jahre. Der überwiegende Teil (89 %) der Angehörigen lebte in einer festen Partnerschaft. 58,8 %
der Angehörigen versorgten ihren (Ehe-)Partner,
37,0 % ihre (Schwieger-)Eltern. In zwei Fällen wurDeutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 41 | 14. Oktober 2016
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TABELLE 3
Gesundheitsbezogene Lebensqualität der pflegenden Angehörigen
SF-12
Prä-Angaben
Post-Angaben
deskriptive Statistik
M
psychische Skala
körperliche Skala
SD
M
SD
FB (n = 39)
42,53
11,02
45,46
11,61
PB (n = 34)
42,32
12,02
43,00
9,31
FB (n = 39)
47,03
10,36
46,78
10,53
PB (n = 34)
41,52
13,64
43,21
12,37
Gruppenunterschied
t-Test
ANCOVA
t(71) = 0,986;
p = 0,327
F(1,53) = 4,15;
p = 0,047
t(71) = 1,333;
p = 0,187
F(1,53) = 0,09;
p = 0,511
Deskriptive Daten und t-Tests der Post-Werte beziehen sich auf die ITT-Population. Für die ANCOVA wurde die PP-Population verwendet.
ANCOVA, Kovarianzanalyse; ITT, „intention to treat“; FB, Familienbegleitung; PB, Pflegebegleitung; M, Mittelwert; SD, Standardaweichung; SF-12, Short-Form-12
den Geschwister, in einem Fall die Großeltern gepflegt. Der Großteil der pflegenden Angehörigen
(84,9 %) hatte keine Erfahrung in der Pflege von
MmD. Die Randomisierungen führten in diesen Dimensionen zu statistisch vergleichbaren Gruppen
(Tabelle 2). Hinsichtlich der primären Zielgröße unterschieden sich die Angehörigen nicht in der psychischen Skala (t[71] = 0,076; p = 0,940), in der
körperlichen Skala zeigten sich tendenzielle Unterschiede (t[71] = 1,958; p = 0,054).
Die Schwere der Demenzerkrankungen wurde
mittels der Reisberg-Skala erhoben. Drei MmD befanden sich im Stadium geringer kognitiver Einbußen (Reisberg-Stufe 3), bei 23,3 % lagen mäßige kognitive Einbußen vor (Reisberg-Stufe 4). Bei 41,1 %
der MmD bestanden mittelschwere kognitive Einbußen (Reisberg-Stufe 5), 27,4 % hatten schwere kognitive Einbußen (Reisberg-Stufe 6). Bei drei MmD
existierten sehr schwere kognitive Einbußen (Reisberg-Stufe 7). Für dieses Merkmal lagen nach
Randomisierung signifikante Gruppenunterschiede
vor (χ2 [4, N = 63] = 8,477: p = 0,05). Da vor allem
die Schwere der Demenz als wichtiger Einflussfaktor auf die Belastung während der Pflege gelten
muss, wurde sie als Kovariate in die Analyse einbezogen.
Short-Form-12
In der ITT-Analyse zeigten sich zum Endpunkt der
Begleitungen sowohl in der psychischen Skala
(t[71] = −0,989; p = 0,327) als auch in der körperlichen Skala (t[71] = −1,333; p = 0,187) zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität der pflegenden Angehörigen keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen.
In der PP-Population unterschieden sich die
Gruppen signifikant auf der psychischen Skala der
gesundheitsbezogenen Lebensqualität der pflegenden Angehörigen im Verlauf (F[1,53] = 4,151;
p = 0,047), wobei die Effektstärke d = 0,57 betrug
(Grafik 2). In der Familienbegleitung stieg die psychische gesundheitsbezogene Lebensqualität von
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42,9 (95-%-Konfidenzintervall: [40,9; 45,0]) auf einen Wert von 47,3 [45,3; 49,3] (Tabelle 3). Im Kontrast dazu blieb sie in der Pflegebegleitung annähernd konstant (Prä-Angaben: 41,2 [39,0; 43,4];
Post-Angaben: 42,0 [40,4; 43,6]). Auf der körperlichen Skala zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität traten keine signifikanten oder klinisch relevanten Unterschiede zwischen den Begleitungsformen
auf (F[1,53] = 0,094; p = 0,511).
Berliner Inventar zur Angehörigenbelastung – Demenz
Die Mehrzahl der Belastungsdimensionen des Berliner Inventars zur Angehörigenbelastung – Demenz
(BIZA-D) zeigte keine signifikanten Unterschiede
zwischen den Begleitungsformen (eTabelle). Die
ITT-Analyse wies signifikante Unterschiede in den
Belastungsdimensionen basale Betreuungsaufgaben
(t[71] = 2,05; p = 0,044; d = 0,481) und erweiterte
Betreuungsaufgaben (t[71] = 3,094; p = 0,003;
d = 0,73) nach. Angehörige, die von Familienbegleitern unterstützt wurden, waren in diesen Dimensionen nach der Begleitung signifikant geringer belastet.
In der PP-Population existiert lediglich in der Dimension Belastung durch Beziehungsverlust ein signifikanter Gruppenunterschied (F[1,54] = 7,92;
p = 0,007) mit der Effektstärke d = 0,77 zwischen
den Gruppen zugunsten der Pflegebegleitung. Eine
klinisch relevante Verbesserung wurde in der Dimension Belastung durch familiäre Rollenkonflikte
erzielt (eTabelle) (d = 0,81). Da nur 24 pflegende
Angehörige in dieser Belastungsdimension Angaben
machten, konnten keine varianzanalytischen Betrachtungen vorgenommen werden.
Unterstützungsleistungen
Zwischen ITT- und PP-Population zeigten sich keine
relevanten Unterschiede. Daher wird nachfolgend
nur die ITT-Population beschrieben. Die Anzahl der
den Angehörigen unbekannten Angebote sank in der
Familienbegleitung von 1,9 [1,3; 2,6] auf 1,2 [0,7;
1,7]. Die Anzahl der in Anspruch genommenen Un-
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MEDIZIN
terstützungsangebote stieg von 2,3 [1,6; 3,0] auf 2,8
[2,3; 3,4]. Während der Pflegebegleitung nahm die
Zahl der unbekannten Angebote ebenfalls ab (PräAngaben; 1,9 [1,3; 2,5]; Post-Angaben: [0,5; 1,3])
und die Zahl der in Anspruch genommenen Unterstützungsangebote zu (Prä-Angaben: 2,4; [1,7; 3,0];
Post-Angaben: 2,9; [2,3; 3,4]). Die Gruppenunterschiede waren nicht signifikant (unbekannte Angebote: t[71] = 0,943; p = 0,349; in Anspruch genommene Angebote: t [71] = −0,478; p = 0,634).
Diskussion
In der PP-Population ist die Familienbegleitung eine wirksame Intervention bei pflegenden Familien
und verbessert die gesundheitsbezogene Lebensqualität pflegender Angehöriger. Die zugehörige
Effektstärke (d = 0,57) in Bezug auf die als Standardintervention durchgeführte Pflegebegleitung
liegt dabei nach Cohen (22) im mittleren Bereich.
In einer Metaanalyse (23) über 30 kontrollierte Studien, die Interventionen für pflegende Angehörige
von MmD evaluierten, wurde eine mittlere Effektstärke von d = 0,3 bezüglich einer Reduktion des
psychologischen Stresses durch psychosoziale Interventionen berichtet. Dieses Ergebnis wurde in
der Familienbegleitung deutlich übertroffen. In der
ITT-Population ergibt sich zum Studienende kein
signifikanter Unterschied zwischen Interventionsund Kontrollgruppe. Die Unterschiede zwischen
ITT- und PP-Analyse lassen sich anhand von
zwei Ansätzen erklären: Zum einen waren die
Gruppen aufgrund der signifikanten Unterschiede
des Demenzschweregrads nicht vergleichbar. Zum
anderen ist die Wirkung eines PP-Verlaufs höher
einzuschätzen. Dadurch wird die Bedeutung der
Supervision und der professionellen Betreuung der
Freiwilligenpraxis, die PP-Verläufe begünstigt, unterstrichen.
In der ITT-Population war die Interventionsgruppe in den Dimensionen basale und erweiterte Betreuungsaufgaben signifikant geringer belastet. Dies
wird jedoch vor allem auf die deutlich geringere Belastung zum Studienstart zurückgeführt. Entsprechend existieren in der PP-Population in den spezifischen Subskalen zum globalen Konstrukt Belastung
keine wesentlichen Unterschiede zwischen Familienbegleitung und Pflegebegleitung. Bei 18 der 20
Dimensionen lagen keine signifikanten Veränderungen im Vergleich zur Standardintervention vor. In
den explorativen Untersuchungen zeigten sich jedoch in zwei Subskalen bedeutsame Veränderungen:
Belastung durch Beziehungsverlust und durch familiäre Rollenkonflikte. Die erhöhte Belastung durch
Beziehungsverlust muss nicht im Sinne einer paradoxen Wirkung verstanden werden, sondern könnte
auch dadurch hervorgerufen werden, dass in der Familienbegleitung dieser Aspekt stärker thematisiert
und damit die sonst maskierte Trauer bewusst wird
(4). Die Familienbegleitung reduzierte die Belastung
durch familiäre Rollenkonflikte mit einer großen Ef-
686
fektstärke (d = 0,81). Demnach zeigte sich der Ansatz, das Familiensystem in den Blick zu nehmen, in
spezifischen Effekten.
Während beider Begleitungsformen wurden in der
ITT-Population mehr Unterstützungsangebote in
Anspruch genommen und den Angehörigen waren
weniger Angebote unbekannt. Angehörige sehen die
Unkenntnis von Unterstützungsangeboten als Grund
für Nichtinanspruchnahme von Leistungen an (24).
Eine vermehrte Teilnahme an Unterstützungsangeboten auch nach dem Projektzeitraum erscheint
daher plausibel, ließe sich aber nur durch weitere
Follow-up-Untersuchungen nachweisen.
Hausärzten kommt in der Versorgung der MmD
eine besondere Rolle zu. Ihnen sind die Komorbiditäten, Eigenschaften, Präferenzen und Bedürfnisse
der Patienten, aber vor allem auch der Angehörigen
bekannt (6). Nach der S3-Leitlinie Demenz gelten
die Angehörigen als eine besonders vulnerable
Gruppe, auf die sich die Hausärzte fokussieren sollen (6). Größere Praxisverbünde von Hausärzten
könnten dabei als Partner von Pflege- und Familienbegleiterinitiativen fungieren.
Als Studienlimitierung ist aufzuführen, dass aufgrund der geringen Teilnehmerzahl und der damit
einhergehenden geringeren Teststärke von multivariaten Berechnungen abgesehen wurde. Von einer
Inflation des α-Fehlerniveaus durch multiple, univariate Berechnungen ist daher speziell in den explorativen Analysen zur Angehörigenbelastung auszugehen. Aufgrund der großen Effektstärke und der
spezifischen Effekte in den Bereichen, die gezielt
durch die Weiterbildungen bearbeitet wurden, erscheinen die Ergebnisse aber valide. Dies ist vor
dem Hintergrund bemerkenswert, dass die Vergleichsintervention mit geschulten Pflegebegleitern
ebenfalls ein gut strukturiertes Unterstützungsangebot bereitstellte. Eine weitere Limitierung ist die unvollständige Verblindung der Intervention. Hier zeigen sich prinzipielle Grenzen klinischer Methoden
in gesprächsorientierten Interventionen im häuslichen Setting.
KERNAUSSAGEN
● Eine Entlastung der pflegenden Angehörigen von
Menschen mit Demenz ist notwendig, um die häusliche
Pflege aufrechtzuerhalten.
● Die Familienbegleitung ist eine demenzspezifische
Zusatzqualifikation für freiwillige Pflegebegleiter.
● Die Familienbegleitung steigert die gesundheitsbezogene
Lebensqualität der pflegenden Angehörigen.
● Begleitete Angehörige nehmen mehr Unterstützungsleistungen in Anspruch.
● Die Situation in der häuslichen Pflege wird durch
Familienbegleitungen stabilisiert.
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 41 | 14. Oktober 2016
MEDIZIN
Danksagung
Wir bedanken uns für die Förderung durch das Bundesministerium für Gesundheit im Rahmen der Förderlinie „Zukunftswerkstatt Demenz.“
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
18. Kricheldorff C, Brijoux, T: Familienbegleitung. Freiwilliges Engagement in der Begleitung von Familien bei Demenz. Lengerich:
Pabst Science Pubishers 2015.
19. Gandek B, et al.: Cross-validation of item selection and scorung
for the SF-12 health survey in nine countries: results from the
IQOLA project. J Clin Epiodemiol 1997; 51: 1171–8.
Manuskriptdaten
eingereicht: 25. 11. 2015, revidierte Fassung angenommen: 4. 7. 2016
20. Zank S, Schacke C, Leipold B: Berliner Inventar zur Angehörigenbelastung – Demenz. Kurzbeschreibung und grundlegende
Kennwerte. www.hf.uni-koeln.de/data/gerontologie/File/
BIZA-D.pdf (last accessed 30 March 2015).
LITERATUR
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Anschrift für die Verfasser
Thomas Brijoux M.Sc.
Katholische Hochschule Freiburg
Karlstraße 63
79104 Freiburg
[email protected]
Zitierweise
Brijoux T, Kricheldorff C, Hüll M, Bonfico S: Supporting families living
with dementia in rural areas—a randomized controlled trial of quality of life
improvement using qualified volunteers. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 681–7.
DOI: 10.3238/arztebl.2016.0681
@
The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
Zusatzmaterial
Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
www.aerzteblatt.de/lit4116 oder über QR-Code
eKästen, eTabelle:
www.aerzteblatt.de/16m0681 oder über QR-Code
12. Haberstroh J, Neumeyer K, Krause K, Franzmann J, Pantel J:
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aufgrund von Kommunikationsstörungen. Berlin: LIT 2007.
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Demenz. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 2016; 49:
201–8.
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 41 | 14. Oktober 2016
Die Reichweite des
Deutschen Ärzteblattes
● Das Deutsche Ärzteblatt ist mit einer Auflage von
mehr als 350 000 Exemplaren die mit Abstand größte
medizinische Zeitschrift in Deutschland.
● Einen cme-Artikel im Deutschen Ärzteblatt bearbeiten
im Durchschnitt mehr als 19 000 Teilnehmer.
● Der wissenschaftliche Teil des Deutschen Ärzteblattes
wird auch in der meinungsführenden Publikumspresse
mehr als andere deutschsprachige medizinische Journale als wichtige Quelle wahrgenommen.
687
MEDIZIN
Zusatzmaterial zu:
Familienbegleitung bei Demenz im ländlichen Raum
Eine randomisierte kontrollierte Studie zur Verbesserung der Lebensqualität pflegender
Angehöriger durch qualifizierte Freiwillige
Thomas Brijoux, Cornelia Kricheldorff, Michael Hüll, Steffi Bonfico
Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 681–7. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0681
eKASTEN 1
eKASTEN 2
Fragebögen
● Short-Form-12
Statistik
Der Short-Form-12 (SF-12) (18) ist ein 12 Items umfassender Fragebogen, um die gesundheitsbezogene Lebensqualität zu bestimmen. Über verschiedene Gewichtungen der einzelnen Fragen werden zwei T-Skalen
(Mittelwert, M: 50; Standardabweichung, SD: 10) erzeugt: psychische und körperliche gesundheitsbezogene Lebensqualität. Hohe Werte entsprechen dabei einer
höheren Lebensqualität.
● Berliner Inventar zur
Angehörigenbelastung – Demenz
Das Berliner Inventar zur Angehörigenbelastung –
Demenz (BIZA-D) (19) beschreibt mit Hilfe von 88 Items
und 20 Subskalen die Belastung pflegender Angehöriger von Menschen mit Demenz. Die 20 Dimensionen
ermöglichen einen differenzierten Blick auf das Konstrukt Belastung. In der vorliegenden Studie wurde
explorativ evaluiert, in welchen Dimensionen signifikante
oder klinisch bedeutsame Effekte auftreten. Die Skala
der sechs Unterdimensionen zu Belastungen durch
objektive Betreuungsaufgaben reicht von 0–16, in allen
weiteren Dimensionen reicht die Antwortskala von 0–4.
Stärkere Belastungen gehen mit höheren Skalenwerten
einher.
Basierend auf einem α-Fehler von 5 % (zweiseitig), einer
erwarteten Effektstärke von d = 0,5 und einer erwünschten
Power von 1–b = 0,8 wurde eine benötigte Stichprobengröße von 128 Personen ermittelt. Als Randomisierungsverfahren wurde eine Block-Randomisierung der
Länge 8 gewählt, die Zufallszahlen wurden über die Seite
www.random.org bezogen. Nach der Erstbefragung der
Angehörigen führte eine Person, die zu den Angehörigen
keinen Kontakt hatte, die Randomisierungen durch. Die
Erstbefragungen der Angehörigen erfolgten daher verblindet. Eine Verblindung des Interventionsarms gegenüber
den Angehörigen war nicht möglich, da davon ausgegangen wurde, dass in den Gesprächen zwischen Freiwilligen
und Angehörigen auch über die Weiterbildung gesprochen
wurde. Allerdings wurden mit den Teilnehmern nicht über
die Hypothese diskutiert, dass eine der beiden Interventionsformen besser wirksam sein könnte. Die für die Befragungen zuständigen Sozialarbeiterinnen standen den
Freiwilligen bei Fragen als Ansprechpartner zur Verfügung.
Daher konnte die Zweitbefragung nicht verblindet durchgeführt werden.
● Inanspruchnahme von Unterstützung
Die Inanspruchnahme verschiedener Unterstützungsformen wurde mit einem eigenen Fragebogen vor und
nach der Begleitung erfragt. Zu elf verschiedenen Unterstützungsangeboten, zum Beispiel Selbsthilfegruppen für pflegende Angehörige, ambulante Pflegedienste
und Tagespflegen, gaben die Angehörigen an, ob Ihnen
das Angebot unbekannt war oder sie es bereits nutzten.
Abschließend wurde die Gesamtzahl unbekannter und
in Anspruch genommener Unterstützungsangebote
summiert.
I
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 41 | 14. Oktober 2016 | Zusatzmaterial
MEDIZIN
eTABELLE
Dimensionen des Berliner Inventars zur Angehörigenbelastung
BIZA-DBereich
BIZA-D-Dimension
BIZA objektive Betreuungsaufgaben
erweiterte Betreuungsaufgaben
Motivieren und Anleiten
Unterstützung bei der Kontaktpflege
emotionale Unterstützung
Beaufsichtigen
BIZA subjektive Belastung
(durch Verhaltensänderung)
Spätsymptomatik
kognitive Einbußen
Desorientiertheit
Aggressivität und Widerstand
Depressivität
Beziehungsverlust
persönliche Einschränkungen
BIZA Bedürfnis- und
Rollenkonflikte (Teil 1)
Post-Angaben
deskriptive Statistik
basale Betreuungsaufgaben
mangelnde institutionelle Unterstützung
mangelnde soziale Anerkennung
negative Bewertung der eigenen Pflegeleistung
persönliche Weiterentwicklung
BIZA Bedürfnis- und
Rollenkonflikte (Teil 2)
Prä-Angaben
finanzielle Einbußen
berufliche Rollenkonflikte
familiäre Rollenkonflikte
M
SD
95-%-KI
M
SD
95-%-KI
FB (n = 39)
4,92
4,53
[4,7; 5,15]
4,92
4,53
[4,7; 5,15]
PB (n = 34)
7,29
5,34
[6,99; 7,6]
7,29
5,34
[6,99; 7,6]
FB (n = 39)
9,32
4,51
[9,1; 9,55]
9,32
4,51
[9,1; 9,55]
PB (n = 34)
12,40
3,90
[12,18; 12,63]
12,40
3,90
[12,18; 12,63]
FB (n = 39)
6,30
5,58
[6,02; 6,58]
6,30
5,58
[6,02; 6,58]
PB (n = 34)
7,96
6,09
[7,6; 8,31]
7,96
6,09
[7,6 ; 8,31]
FB (n = 39)
9,84
6,02
[9,54; 10,14]
9,84
6,02
[9,54; 10,14]
PB (n = 34)
11,89
5,43
[11,58; 12,21]
11,89
5,43
[11,58; 12,21]
FB (n = 39)
7,17
3,79
[6,98; 7,36]
7,17
3,79
[6,98; 7,36]
PB (n = 34)
7,28
3,41
[7,09; 7,48]
7,28
3,41
[7,09; 7,48]
FB (n = 39)
5,38
3,80
[5,19; 5,58]
5,38
3,80
[5,19; 5,58]
PB (n = 34)
6,79
3,62
[6,58; 7]
6,79
3,62
[6,58; 7]
FB (n = 39)
0,99
1,06
[0,94; 1,04]
0,99
1,06
[0,94; 1,04]
PB (n = 33)
0,60
0,75
[0,55; 0,64]
0,60
0,75
[0,55; 0,64]
FB (n = 39)
2,07
1,05
[2,02; 2,12]
2,07
1,05
[2,02; 2,12]
PB (n = 34)
2,09
1,02
[2,03; 2,15]
2,09
1,02
[2,03; 2,15]
FB (n = 39)
1,28
1,15
[1,22; 1,33]
1,28
1,15
[1,22; 1,33]
PB (n = 34)
1,44
0,84
[1,39; 1,49]
1,44
0,84
[1,39; 1,49]
FB (n = 39)
1,12
1,11
[1,06; 1,17]
1,12
1,11
[1,06; 1,17]
PB (n = 34)
1,30
1,17
[1,24; 1,37]
1,30
1,17
[1,24; 1,37]
FB (n = 39)
1,81
1,17
[1,75; 1,87]
1,81
1,17
[1,75; 1,87]
PB (n = 34)
1,46
1,06
[1,39; 1,52]
1,46
1,06
[1,39; 1,52]
FB (n = 39)
2,59
1,02
[2,54; 2,64]
2,59
1,02
[2,54; 2,64]
PB (n = 34)
2,27
1,12
[2,2; 2,33]
2,27
1,12
[2,2; 2,33]
FB (n = 39)
1,73
1,08
[1,67; 1,78]
1,73
1,08
[1,67; 1,78]
PB (n = 34)
1,87
1,02
[1,81; 1,93]
1,87
1,02
[1,81; 1,93]
FB (n = 39)
0,94
0,88
[0,9; 0,98]
0,94
0,88
[0,9; 0,98]
PB (n = 34)
0,73
0,75
[0,68; 0,77]
0,73
0,75
[0,68; 0,77]
FB (n = 39)
1,31
0,98
[1,26; 1,36]
1,31
0,98
[1,26; 1,36]
PB (n = 34)
1,39
0,98
[1,33; 1,45]
1,39
0,98
[1,33; 1,45]
FB (n = 39)
1,01
0,90
[0,96; 1,05]
1,01
0,90
[0,96; 1,05]
PB (n = 34)
1,03
0,68
[0,99; 1,07]
1,03
0,68
[0,99; 1,07]
FB (n = 39)
2,16
0,77
[2,12; 2,19]
2,16
0,77
[2,12; 2,19]
PB (n = 34)
2,12
0,76
[2,08; 2,16]
2,12
0,76
[2,08; 2,16]
FB (n = 39)
1,01
0,89
[0,96; 1,05]
1,01
0,89
[0,96; 1,05]
PB (n = 34)
0,92
1,10
[0,85; 0,98]
0,92
1,10
[0,85; 0,98]
FB (n = 19)
1,43
0,94
[1,34; 1,53]
1,43
0,94
[1,34; 1,53]
PB (n = 11)
1,32
0,99
[−0,62; 3,25]
1,32
0,99
[−0,62; 3,25]
FB (n = 17)
1,69
1,01
[1,57; 1,8]
1,69
1,01
[1,57; 1,8]
PB (n = 13)
1,89
1,30
[1,7; 2,09]
1,89
1,30
[1,7; 2,09]
Bedeutsame Unterschiede zwischen den Interventionsformen sind fett gedruckt. BIZA-D, Berliner Inventar zur Angehörigenbelastung – Demenz; FB, Familienbegleitung; KI, Konfidenzintervall;
PB, Pflegebegleitung; M, Mittelwert; n, Anzahl; SD, Standardabweichung
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 41 | 14. Oktober 2016 | Zusatzmaterial
II