Befreiungsschlag für die Bilanzen

Datum: 15.10.2016
Befreiungsschlag für die Bilanzen
SCHWEIZ Unternehmen wollen ihre Vorsorgeverpflichtungen anders handhaben. Das Eigenkapital würde deutlich steigen.
Wie die künftigen Vorsorgeleistungen an Arbeitnehmer verbucht werden, variiert zwischen den einzelnen Rechnungslegungsstandards.
CLAUDIA
Auf einen Schlag Millionen oder gar
Milliarden mehr Eigenkapital. Das
wäre die Folge für viele Unternehmen, wenn ihre Vorsorgeverpflichtungen
schreibt vor, wie künftige Leistungen an werden in der Schweiz zwischen den
Arbeitnehmer zu bilanzieren sind. Der zu- Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber gegrunde liegende Zinssatz für die Diskon- teilt.» Beim aktuellen, sehr tiefen IFRStierung der zukünftigen Leistungen wird Diskontsatz ergebe die Annahme von Bei-
gemäss IFRS marktnäher berechnet als tragserhöhungen oder Leistungskürzun-
im Tiefzinsumfeld künftig anders bilan-
gen, beispielsweise durch Anpassung der
ziert würden. Es könnte schon bald soweit
Umwandlungssätze, ein realistischeres
der technische Zinssatz der Pensionskassen (vgl. Grafik 1) und ist damit tiefer. Ein
sein. Die Änderung sollte bereits für das weiterer Unterschied liegt in der Definilaufende Geschäftsjahr gelten, sagen die tion für leistungs- und beitragsorientierte
Befürworter. Die grossen Wirtschafts- Pensionspläne gemäss IFRS und BVG.
prüfgesellschaften und die PensionskasAktuell führt dies vielfach zu einer Fisenexperten suchen derzeit nach einer genanzierungslücke gemäss IFRS, auch
meinsamen Linie in der Frage.
Aus den Reihen der Unternehmen for- wenn der Deckungsgrad des Vorsorgedert Swisscom eine Änderung. Ende Juni plans gemäss gesetzlichen Vorgaben über
hatte der Telecomkonzern netto 3,7 100% liegt. Der Fehlbetrag wird dem
Mrd. Fr. Pensionsverpflichtungen, Ten- Arbeitgeber voll angerechnet und mindert
denz steigend, und wies 4,3 Mrd. Fr. Eigen- sein Eigenkapital. Swisscom-CFO Rossi
kapital aus. «Unserer Meinung nach wird argumentiert, die Annahme, dass der
der relevante IFRS- Standard für Schweizer Arbeitgeber diese Finanzierungslücke
Bild der Verpflichtung. «Würde dieser Effekt einbezogen, hätte Swisscom rund 1,6
Mrd. Fr. mehr Eigenkapital», sagt Rossi.
Die Folgen der aktuellen Rechnungslegungspraxis für die Eigenkapitalquote des
Telecomkonzerns sind beachtlich. Swiss-
com kam per Ende Juni nur noch auf
einen Wert von 19,9% (vgl. Grafik 2).
Auch für Swissholdings, den Dachverband der Industrie- und Dienstleistungskonzerne in der Schweiz, ist IAS 19 ein sehr
wichtiges Thema. Aus Sicht von Denise
Laufer, Bereichsleiterin Rechnungslegung,
Vorsorgepläne nicht richtig angewandt einseitig und unbeschränkt decke, sei hat sich das Problem für die Unternehmen
und wir setzen uns für eine an die schwei- nicht realistisch und widerspreche den
wegen des wirtschaftlichen Umfelds verzerischen Verhältnisse angepasste Me- rechtlichen Bestimmungen.
schärft. «So dürften die technischen Zinsthode ein», sagt Swisscom-Finanzchef
sätze vieler Pensionskassen für das lauMario Rossi zu «Finanz und Wirtschaft».
Geteilte Risiken
fende Jahr weiter gesenkt werden, was die
jetzt schon bestehenden Verzerrungen bei
legungsstandard IAS 19 (vgl. Glossar). Er Der Swisscom-Finanzchef verweist auf die
gängige Praxis: «Die finanziellen Risiken der Bilanzierung gemäss IFRS akzentuiert»,
Konkret geht es um den Rechnungs-
Themen-Nr.: 660.003
Abo-Nr.: 660003
Auflage: 25'172
Argus Ref.: 63075488
Datum: 15.10.2016
sagt sie. «Diese Art der Rechnungslegung legung bei IAS 19 geben, müsste sie von almag in einem normalen Zinsumfeld Sinn len Auditoren für alle Unternehmen einmachen. Bei sehr hohen oder sehr tiefen heitlich angewandt werden. Oliver Köster
von Deloitte zufolge
Zinsen stösst jedoch
die aktuelle Praxis an
bietet IFRS eine geihre Grenzen», erwisse
Flexibilität.
gänzt Olivier Kern,
«Grundsätzlich erPräsident der Schweilaubt IAS 19 die Berücksichtigung einer
zerischen Kammer
der PensionskassenArbeitnehmerbeteiliExperten.
gung im Falle eines
Defizits in den PenBesonders bei
Grossunternehmen
sionsplänen. Praktiführt eine Diskontiesche Probleme liegen
rung mit einem Zinsaber insbesondere in
satz gegen null zu immensen Verpflich- der Bewertungsmethode», sagt Köster.
tungen - rein mathematisch. So wies bei- Denn es gibt eine grosse Bandbreite an
spielsweise UBS, die nach IFRS bilanziert, möglichen Annahmen.
für Ende 2015 Bruttovorsorgeverpflich-
tungen von 22,6 Mrd. Fr. aus, also ohne
Nicht ob, sondern wie
fang.» Die historische Vergleichbarkeit mit
den früheren Eigenkapitalwerten eines
Unternehmens stelle ebenfalls ein Problem dar. Auf Schwierigkeiten in der Umsetzung verweist auch Stefan Haag von
PwC. «Es ist sehr anspruchsvoll, ein längerfristig tragfähiges Bilanzierungskonzept zu entwickeln», sagt er.
Hinter der Forderung, IAS 19 anders
anzuwenden, steht gemäss Haag «das bilanzpolitische Interesse, die aktuellen
ökonomischen Realitäten abzubilden».
Diese neuen Realitäten werden sich auch
auf die berufliche Vorsorge selbst auswirken. «Die Risiken der Vorsorgeverpflichtungen in der Konzernrechnungslegung
auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufzuteilen, heisst, dass das Unternehmen da-
von ausgeht, das Leistungsversprechen
zurückzunehmen», meint Haag.
Berücksichtigung der Planvermögen.
Gemäss BVG haben VorsorgeeinrichtunUnter Experten ist es unbestritten, dass
Gemäss einer Sensitivitätsanalyse der gen mehrere Möglichkeiten der Sanie- die Zusagen an die heute Berufstätigen
Grossbank im letztjährigen Geschäfts- rung, die allerdings einen Beschluss des angesichts des voraussichtlich lange tiebericht hat bereits ein 0,5 Prozent- Stiftungsrats erfordern. Dazu zählen die fen Zinsumfelds und einer alternden
punkte tieferer Diskontsatz eine 1,6 Mrd. Einzahlung von zusätzlichen Beiträgen, Bevölkerung keinen Bestand haben werFr. höhere Verpflichtung zur Folge. Gerade die Senkung des Umwandlungssatzes, den. Insofern ist die Diskussion über IAS
im Finanzsektor und gerade bei Gross- eine Erhöhung des Rentenalters oder tie- 19 wohl nur der erste Schritt hin zu
banken liegt ein besonderes Augenmerk fere Zinsgutschriften. Fraglich ist, ob die einer realistischeren Ausgestaltung der
auf Fragen der Kapitalisierung. Und der Bilanz gemäss IFRS zu einem bestimmten beruflichen Altersvorsorge.
gleiche ökonomische Sachverhalt sieht Stichtag von einer faktischen Verpflichgemäss IFRS und BVG völlig anders aus. tung der Arbeitnehmer ausgehen kann.
UBS begrüsse, dass dieser Aspekt disku- Vor allem dann, wenn die Pensionskasse
Die Frage, ob Vorsorgeverpflichtungen
tiert werde, heisst es auf Anfrage.
gemäss nationaler Rechnungslegung gar
bilanziell künftig anders dargestellt
Die grosse Frage ist, welchen Weg die keine Unterdeckung aufweist.
Das Wichtigste
Wirtschaftsprüfer und Pensionskassen-
«Die Frage ist nicht das ob, sondern
experten einschlagen. Derzeit suchen die das wie», sagt Peter Zanella vom PenBranchenvertreter nach einer gemein- sionskassen-Spezialisten Willis Towers
samen Linie. Denn sollte es eine neue Aus- Watson zu einer angepassten Anwendung
werden, könnte bald geklärt sein.
Für die Unternehmen wird der Druck
auf das Eigenkapital im Tiefzinsumfeld immer grösser.
von IAS 19. «Da stehen wir erst am An-
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1 Zinsentwicklung
Zinsentwicklung
- Swisscom N
2 Bilanzieller Effekt bei Swisscom
1
Kurs:454.10
Kurs: 454.10Fr.
Fr. Valor: 874251
Vorsorgeverpflichtung netto
IFRS-Diskontsatz,Duration
Duration 15
15 Jahre,
Jahre, Durchschnitt
- IFRS-Diskontsatz,
Durchschnitt
Technischer Referenzzinssatz
SMI angeglichen
UBS
UBS Group
Group N
N angeglichen
angeglichen
Eigenkapitalquote (rechte Skala)
600
%
In%
in Mrd. Fr.
in %
4
4
30
550
500
25
2
450
450
2
400
400
20
1
350
300
2014
2015
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1
0
0
2013
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
06
07
15
08
09
10
11
12
13
13
14
15 11116
H116
15
Quelle SKPE/ /Gräk
Grafik:KW,
NW, sm
sm
Quelle: Unternehmen
Unternehmen // Grafik, FuW, sm
Quelle,
sm
(Berufliche-Vorsorge-Gesetz, BVG) ist die
zweite Säule der Altersvorsorge in der
Schweiz geregelt. Die berufliche Vorsorge ist
für alle Arbeitnehmer über siebzehn Jahren
und mit einem Jahreslohn von mehr als
rechnung der Vorsorgevermögen und technischen Rückstellungen berücksichtigt wird
und variiert bei den Pensionskassen.
21 150 Fr. obligatorisch. Wer solche Arbeitnehmer beschäftigt, muss sich einer Vorsorgeeinrichtung anschliessen oder selbst eine
errichten. Das Gesetz regelt Leistungen,
Organisation und Finanzierung.
Höhe der geleisteten Beiträge im Fokus. Sie
sind in Prozent des versicherten Verdienstes
definiert. Es besteht keine Garantie der Leistung im Verhältnis zum Verdienst. Im Gegen-
Quel e:Thomson
huters // FuW
Quel
sen Reuters
Glossar
IFRS (International Financial Reporting
Standards) sind Rechnungslegungsstandards. Kotierte Schweizer Unternehmen
wenden auch Swiss GAAP Fer oder US-GAAP
an. Pensionsverpflichtungen werden je nach
Standard unterschiedlich behandelt.
IAS (International Accounting Standard) 19 enthält die Bilanzierungsvorschriften für Leistungen an Arbeitnehmer.
Um den Wert künftiger Leistungen an die
Versicherten zum Bilanzstichtag zu ermitteln, werden diese Leistungen mit dem
Diskontsatz abdiskontiert und addiert.
Im Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge
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Mit dem Umwandlungssatz wird das
Altersguthaben bei Pensionierung in eine
jährliche Altersrente umgerechnet.
Der technische Zins ist der Diskontsatz,
mit dem die erwartete Rendite für die Be-
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Die meisten Schweizer Pensionskassen
haben das Beitragsprimat. Dort steht die
satz dazu richtet sich beim Leistungsprimat
die Höhe der Beiträge nach den vorgesehenen Leistungen. Sie werden in Prozent des
versicherten Lohns definiert und die dafür
nötigen Beiträge nach versicherungstechnischen Grundlagen ermittelt.
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