Suche Zimmer, Preis egal - FernUniversität in Hagen

Kölner Stadt-Anzeiger Köln vom 17.10.2016
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BRITT-MARIE LAKÄMPER | DIRK RIßE
23
Frühausgabe / Spätausgabe
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2016
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Suche Zimmer, Preis egal
WOHNUNGSNOT Zahlreiche Studenten suchen zum heutigen Semesterstart eine günstige
Unterkunft - meist vergeblich. Viele zahlen hohe Mieten oder pendeln
VON BRITT-MARIE LAKÄMPER
UND DIRK RIßE
Am Ende zahlen immer Studenten die
Zeche. Weil der Mietmarkt in Köln seit
Jahren angespannt ist, haben wenig zahlungskräftige Mieter schlechte Chancen
auf dem Wohnungsmarkt. Kürzlich hat
das Moses-Mendelssohn-Institut der
Gesellschaft für Beteiligungen und
Immobilienentwicklungen ermittelt,
dass Köln, was das Mietniveau angeht,
die drittteuerste Studentenstadt in
Deutschland ist. 400 Euro müssen die
angehenden Akademiker im Durchschnitt den Vermietern überweisen zehn Prozent mehr als noch im Vorjahr.
Dabei haben sie nach Angaben des Kölner Studierendenwerks durchschnittlich
nur ein Budget von 850 Euro zur Verfügung,
Das Geschäft mit den Studenten boomt,
das hat längst auch die Immobilienwirtschaft erkannt. An mehreren Stellen entstehen möblierte StudentenappartementHäuser, in denen Zimmer bis zu 25 Euro
pro Quadratmeter kosten. Auch auf dem
herkömmlichen Mietmarkt sind 20 Quadratmeter große Appartements oft nur
zu Preisen ab 450 Euro zu haben. Kein
Wunder, dass Studenten zu Alternativen greifen. So leben überraschend viele
angehende Akademiker noch bei den
Eltern. Wer das nicht kann, hat Pech:
Ein Erasmus-Student, der namentlich
nicht genannt werden möchte, erzählt,
dass er mit zwei Kommilitonen in einem
engen Zimmer im Belgischen Viertel
hause und dafür 760 Euro zahle. Eine
anderer sagt, er könne sein Appartement nur bezahlen, weil er überwiegend
Spaghetti mit Tomatensoße esse.
Viele Hochschüler nehmen lange Pendelzeiten in Kauf. Sie kommen aus
Aachen, Wuppertal, Bochum oder aus
anderen Bundesländern nach Köln.
Charlotte Gast zum Beispiel reist täg-
lich aus Andernach in der Nähe von
Koblenz an. Vier Stunden Fahrzeit sind
normal für sie. Auch, dass sie keinen
Studentenjob annehmen kann, weil der
Tag mit Seminaren und Fahrten verplant ist.
Beim Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Uni Köln ist man ratlos. Um den Studenten zu helfen, die zu
Semesterbeginn noch keinen Schlafplatz haben, eröffnet der AStA in der
Katholischen Hochschulgemeinde
(KHG) an der Berrenrather Straße 177
erneut eine Notschlafstelle. Bis zu 20
Personen können dort derzeit unterkommen, sagt AStA-Sozialreferentin Jana
Thomas. Erstmals sei die Warteliste viel
länger als die Zahl der Schlafplätze.
"Wir fühlen uns wegen des Andrangs
ohnmächtig." Nun verhandelt sie mit der
KHG, damit ein zweiter Raum für die
obdachlosen Studenten eingerichtet
wird. Ohnehin ist es nur ein Tropfen auf
den heißen Stein, denn die Notschlafstellen können nur übergangsweise für
zwei Wochen genutzt werden.
Beim Kölner Studierendenwerk ist das
Problem seit Jahren bekannt. Die Einrichtung bietet 4844 Wohnheimplatze
an, erhält aber pro Jahr 10 000 Anfragen. "Köln hat eine der schlechtesten
Quoten, was die Pro-Kopf-Versorgung
von Studenten angeht", sagt Leiter Jörg
Schmitz. Eine Lösung des Problems ist
nicht in Sicht. Will die Einrichtung neue
Wohnheime bauen, ist sie auf günstige
Grundstücke angewiesen, die die Stadt
ihr offenbar nicht vermitteln kann.
Zumindest die Leiterin des Stadtplanungsamts, Anne Luise Müller, sagte
jüngst in einer Diskussionsrunde, dass
die raren Flächen auch für andere
Bevölkerungsgruppen vorgehalten werden müssten. Und so werden Studenten
wie Charlotte Gast wohl noch länger
täglich mit dem Regionalexpress anrei-
sen müssen, um zu ihrer Vorlesung
zukommen.
NOTSCHLAFEN BEIM ASTA
Niloofar Moosavi weiß nicht mehr weiter. Die 28-Jährige aus dem Iran studiert ab diesem Semester an der Uni
Köln im Master-Studiengang Environmental Science. Seit April war sie für
ein Zimmer im Studentenwohnheim
vorgemerkt. Aber als Moosavi am 1.
Oktober nach Köln kam, gab es keinen
Platz für sie. "Mir wurde gesagt, dass sie
vielleicht ab Dezember einen Platz
haben", erzählt sie, "aber ich brauche
jetzt einen Ort zum Wohnen und
Leben." Seither schläft sie bei einer
Freundin in Aachen oder in Hostels.
Zugtickets und Übernachtungen haben
sie bereits Unsummen gekostet. Täglich
schreibt die Studentin um die fünfzig
Mails und telefoniert herum, um ein
Zimmer zu finden. Ihre Zeit in Deutschland, wo doch sonst alles immer durchorganisiert sei, hatte sie sich ganz anders
vorgestellt. Als sie von der Notschlafstelle des AStA hörte, ließ Moosavi sich
auf die Warteliste setzen - und rückte
am Freitag, drei Tage vor Vorlesungsbeginn, nach. Für die Studentin ist es eine
kurzfristige Entlastung, immerhin muss
sie, die fremd in diesem Land ist und
nur Englisch spricht, nicht mehr jeden
Tag pendeln. Der Druck, eine langfristige Lösung binnen zwei Wochen zu
finden, bleibt jedoch. Bei der Vermittlung will der AStA helfen. Die Studierendenvertretung sucht ständig nach
bezahlbaren Appartements, die sie weitergeben kann. Wer ein Zimmer zu vermieten hat, kann sich dort melden.
ZWIELICHTIGE ANGEBOTE VOM
VERMIETER
Einen Monat lang suchte Jenna Huppertz nach einem Zimmer in einer Studenten-WG. Insgesamt hat die 20-Jährige auf mehr als 80 Anfragen nur 13
Einladungen zu Besichtigungen bekommen. Das einzige Angebot ohne Auflagen: Ein elf Quadratmeter großes Zimmer zum happigen Preis von 420 Euro
im Monat. Für die anderen Zimmer
hätte Huppertz Zugeständnisse machen
müssen: "Ob Veganer- oder BarfußWG, alles schien besser, als nichts zu
finden", sagt die Studentin. Üblich sei
es, vor der Einladung zur Wohnungsbesichtigung einen Fragebogen ausfüllen
zu müssen. Wird man eingeladen, folgt
ein Casting im Massenabfertigungs-Verfahren. Meist hat jeder Kandidat nur 20
Minuten Zeit, dann kommt schon der
nächste Bewerber. Zwischenzeitlich gab
es einen Lichtblick - scheinbar: Ein
bezahlbares Zimmer in Lindenthal,
gesucht wurde eine weibliche Mitbewohnerin zwischen 18 und 25 Jahren.
Nachdem der junge Vermieter ihr verschiedene alkoholische Getränke angeboten hatte, wurde das CastingGespräch sehr persönlich: Ob sie gut
massieren oder tanzen könne und wie
viel älter ihr Freund sein dürfte, sei die
Studentin von dem 25-Jährigen gefragt
worden. Die Miete sollte durch gewisse
Dienste gemindert werden. "Im Nachhinein war ich total blauäugig - bei dem
speziell formulierten Gesuch hätte ich
mir natürlich etwas denken können",
sagt Huppertz. Die Studentin hat die
Suche nach einer studentischen WG
inzwischen aufgegeben. Jetzt wohnt sie
bei einer Familie als Untermieterin:
"Das ist entspannter", ist sie sich sicher.
SECHS WOCHEN AUF DEM SOFA
Laura Chrispo (24) lebt seit sechs
Wochen aus dem Rucksack. Sie wäre
obdachlos in Köln, würden ihr nicht
Freundinnen regelmäßig einen Schlafplatz auf ihrer Coach anbieten. Vier
Sofas hat Chrispo in dieser Zeit bereits
getestet. Manchmal, wenn gar kein
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Schlafplatz organisiert werden kann, feiert die 24-jährige Biologie-Studentin
einfach mal eine Nacht durch. Klingt
lustig, ist es aber auf Dauer nicht.
Chrispo, die aus einem saarländischen
Ort kommt, hatte zuvor eine Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin an der Uniklinik begonnen und
in einem Wohnheim des Krankenhauses gelebt. Nachdem sie die Lehre abgebrochen hatte, verlor sie ihren Wohnheimplatz - und stand auf der Straße.
Acht Wohnungen hat sie seitdem
besichtigt - eine skurriler als die nächste. In Kalk wurde ihr ein Zimmer ohne
WC angeboten. Um die Notdurft zu verrichten, hätte die Erstsemesterin eine
benachbarte Buchbinderei und einen
Hof durchqueren müssen, um auf die
Toilette zu gelangen. In den Abendstunden, in denen die Buchbinderei
geschlossen hat, hätte sie sich erst einen
WC-Schlüssel organisieren müssen.
Jetzt deutet sich ein Happy End an: Die
Studentin hofft derzeit auf ein Zimmer
in der Südstadt.
Semesterstart
Knapp 100 000 Studenten lernen an
Kölner Hochschulen, 51 500 (inklusive
Doktoranden) davon an der Kölner Universität. In diesem Wintersemester
beginnen 5600 Erstsemester ihr Studium auf dem Campus in Lindenthal,
was ungefähr der Zahl des Wintersemesters 2015/ 2016 entspricht.
Gestiegen ist die Zahl der ausländischen Studenten von 4400 auf 4800. An
den sechs Fakultäten können im grundständigen Studium (etwa Bachelor) 88,
im Masterbereich 112 Fächer studiert
werden.
Die Kölner Uni wurde im Jahr 1388
gegründet und ist nicht nur die zweitälteste (nach Heidelberg, 1386), sondern
auch die drittgrößte Hochschule
Deutschlands. Nur die Fernuniversität in
Hagen und die Ludwig-MaximiliansUniversität München haben mehr Studenten. Die Kölner Hochschule verfügt
über ein Budget von 740 Millionen
Euro, 480 Millionen kommen vom Land
NRW, der Rest stammt im Wesentlichen aus Drittmitteln. Davon werden
unter anderem die 500 Professoren und
6700 Mitarbeiter bezahlt, die an der
Hochschule tätig sind. (ris)
DREI STUNDEN TÄGLICH I IN BUS
UND BAHN
Wenn Nadia Issifu (20) an der Kölner
Uni ankommt, hat sie schon eine kleine
Reise hinter sich. Die Erstsemester-Studentin, die an der Hochschule europäische Rechtslinguistik studiert, pendelt
jeden Morgen aus Aachen nach Köln,
weil sie hier bislang kein günstiges Zimmer finden konnte. Anderthalb Stunden
braucht sie von Walheim, einem Vorort
von Aachen, nach Köln. Macht drei
Stunden hin und zurück. Sie fährt mit
einem Bummelbus nach Aachen, nimmt
einen Regionalzug nach Ehrenfeld, und
von dort aus die Buslinie 142 zur Uni.
"Oft hat der Bus oder die Bahn Verspätung", sagt die Studentin. "Dann erreicht
man die Anschlussverbindungen nicht
und verpasst einen Teil der Vorlesung."
In Köln würde sie gerne mit einer
Freundin eine WG gründen, bis zu 900
Euro würden die beiden Studentinnen
zahlen. Etwa 100 Bewerbungen für ein
Appartement haben sie bislang geschrieben. Meist erhalten sie aber nicht einmal eine Antwort. Wenn doch, erklären
Vermieter schon manchmal ganz frei,
dass sie lieber keine Studenten im Haus
haben möchten: Zu laut, zu wenig zahlungskräftig.
Laura Chrispo wohnt seit Wochen bei Freundinnen. Foto: Rakoczy
Nadia Issifu Foto: Rako
Jenna Huppertz hat sich auf 80 Zimmer beworben. Foto: Goyert
Niloofar Moosavi
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(c) M.DuMont Schauberg