Screening auf kardiovaskuläre Risikofaktoren bei Kindern

ÜBERSICHTSARTIKEL
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Less is more?
Screening auf kardiovaskuläre
Risikofaktoren bei Kindern
Magali Leyvraz a , MSc; Dr. med. Clemens Bloetzer b; Prof. Dr. med. Pascal Bovet a ; Prof. Dr. med. Joan-Carles
Suris a,b; Prof. Dr. med. Umberto Simeoni b ; Prof. Dr. med. Gilles Paradis c ; PD Dr. med. Arnaud Chiolero a,c , MER
Institut universitaire de médecine sociale et préventive (IUMSP), Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV), Lausanne; b Département de pédiatrie,
Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV), Lausanne; c Département d’épidémiologie, de biostatistique et de santé au travail, Université de McGill,
Montréal, Canada
a
Kardiovaskuläre Risikofaktoren entwickeln sich bereits bei Kindern und erhöhen
das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen im Erwachsenenalter. Aufgrund dieser
Beobachtungen wird gelegentlich vorgeschlagen, bei Kindern ein universelles
Screening auf Risikofaktoren wie Hypertonie oder Dyslipidämie durchzuführen.
Ist ein universelles Screening auf Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen
im Kindesalter zu empfehlen?
Einleitung
Kardiovaskuläre Erkrankungen (KVE) sind mit 17 Millio­
nen Todesfällen jährlich die weltweite Haupttodes­
ursache (31% aller Todesfälle weltweit). Die für KVE
verantwortlichen atherosklerotischen Veränderungen
entstehen bereits im frühen Lebensalter. Tatsächlich
können bereits im Kindesalter Risikofaktoren für KVE
Ausserdem tendieren diese, wenn sie bereits im Kindes
-
vorliegen und die Krankheitsentwicklung begünstigen.
oder Jugendalter bestehen, im Erwachsenenalter zu per­
sistieren (sog. «Trackingphänomen»).
Aufgrund dieser Beobachtungen wurde zum Scree­
ning und zur Behandlung von Risikofaktoren bereits
-
in der Kindheit und Jugend geraten, um das KVE Risiko
im Erwachsenenalter zu reduzieren. So empfahl das US
National Heart, Lung, and Blood Institute (NHLBI) das
universelle Screening auf mehrere Risikofaktoren ab
dem Kindesalter [1], was eine heftige Kontroverse über
die Rolle der Pädiater bei der Primärprävention von
KVE auslöste.
Identifikation und Behandlung von Kindern mit Risi­
zer et al. [2] beruhenden Artikel möchten wir die Ziele
kofaktoren, die sie für die Entwicklung der Erkrankun­
eines solchen Screenings untersuchen und die unter­
gen mehrere Jahrzehnte später prädisponieren (Pri­
schiedlichen Empfehlungen zum Hypertonie und Dys­
märprävention) (Tab. 1). Die Primärprävention beruht
lipidämiescreening bei Kindern kritisch hinterfragen.
auf der Identifikation von Kindern mit hohem Erkran­
-
Im nachfolgenden, auf der Veröffentlichung von Bloet­
kungsrisiko mittels Screening. Das Ziel jedes Scree­
nings besteht darin, in einer gesunden Population Per­
Ziele des Screenings
sonen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko oder
züglich der KVE Prävention im Kindesalter hat das
Magali Leyvraz
von Risikofaktoren (Primordialprävention) und (2) die
Screening demzufolge zum Ziel, Kinder mit einem
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einem Frühstadium der Erkrankung aufzuspüren. Be­
liche Strategien: (1) die Prävention der Entwicklung
-
Zur KVE Prävention im Kindesalter gibt es zwei mög­
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bersichtsartikel
Ü
oder mehreren Risikofaktoren zu identifizieren, um
lich auf Expertenmeinungen. Die U.S. Preventive Servi­
entsprechende Massnahmen zu ergreifen und das Ri­
ces Task Force (USPSTF) in den USA [7] und das UK Na­
siko für die spätere Entwicklung der Erkrankungen zu
tional Screening Committee [8], zwei Institute, die ihre
reduzieren.
Empfehlungen anhand evidenzbasierter Methoden
-
(«evidence based medicine») aufstellen, empfehlen kein
Screeningempfehlungen bei Kindern
und Jugendlichen
universelles Screening auf Hypertonie und Dyslipid­
ämie bei Kindern (Tab. 2).
Die Fachleute des NHLBI empfehlen das universelle
Screening auf arterielle Hypertonie
Screening, insbesondere auf Hypertonie und Dyslipi­
Die Hypertonieprävalenz bei Kindern liegt zwischen
dämie [1]. Die Europäische Gesellschaft für Hypertonie [3]
1 und 5% [9]. In der Schweiz wurde in einer im Kanton
und die Schweizerische Hypertonie Gesellschaft [4] emp­
Waadt durchgeführten Studie bei Kindern von 10–14 Jah­
fehlen ein universelles Screening auf Hypertonie und
ren eine Hypertonieprävalenz von 2% festgestellt [10].
die Europäischen Gesellschaften für Kardiologie und
Auch wenn immer mehr Fakten darauf hinweisen, dass
Atherosklerose [5] sowie die Schweizerische Gesellschaft
ein erhöhter arterieller Blutdruck im Kindesalter bis
für Kardiologie [6] empfehlen ein gezieltes Screening
zum Erwachsenenalter beständige kardiovaskuläre Ver­
auf Dyslipidämie (d.h. in einer Subpopulation mit er­
änderungen bewirkt, bleiben die Argumente für ein
höhtem Dyslipidämierisiko). Die Empfehlungen der
universelles Screening aller Kinder auf Hypertonie un­
oben genannten Gesellschaften beruhen hauptsäch­
zureichend.
Erstens gibt es, da KVE im Erwachsenenalter für ge­
wöhnlich erst nach dem Alter von 50 oder 60 Jahren
Tabelle 1: Primordial- und Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen.
auftreten, nur sehr wenige Informationen über den Zu­
sammenhang zwischen dem Blutdruckwert im Kin­
Art der
Prävention
Definition
Beispiele
Primordialprävention
Prävention kardiovaskulärer
Erkrankungen durch Prävention der Entwicklung von
Risikofaktoren
Reduktion der Salzzufuhr
Es gilt als gesichert, dass dieses im Vergleich zu Erwach­
Förderung einer regelmässigen
körperlichen Aktivität
senen sehr gering ist. Vor Kurzem wurde eine Studie
Prävention von Übergewicht und Adipositas
um eine direkte Korrelation zwischen erhöhtem arte­
Tabakprävention
riellem Blutdruck im Jugendalter und KVE Risiko im
-
-
des oder Jugendalter und dem absoluten KVE Risiko.
-
mit ausreichend langer Studiendauer veröffentlicht,
­
Primär
prävention
Prävention kardiovaskulärer
Erkrankungen durch Identifikation und Behandlung von
Risikofaktoren
Hypertoniescreening und -behandlung
Dyslipidämiescreening und -behandlung
Rauchentwöhnung
Erwachsenenalter herstellen zu können [11]. In dieser
Studie an über 2 Millionen Jugendlichen mit einem
Durchschnittsalter von 17 Jahren hatten diejenigen mit
Tabelle 2: Screening auf Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Empfehlungen des US National Heart, Lung,
and Blood Institute (NHLBI), der U.S. Preventive Services Task Force (USPSTF), des UK National Screening Committee, der Europäischen Gesellschaften
für Hypertonie, Kardiologie und Atherosklerose, der Schweizerischen Hypertonie Gesellschaft und der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie.
USA (NHLBI)
USA (USPSTF)
Grossbritannien
(UK National
Screening
Committee)
Europa (Europäische Gesellschaften
für Hypertonie, Kardiologie und
Atherosklerose)
Schweiz (Schweizerische
Hypertonie Gesellschaft
und Schweizerische
Gesellschaft für
Kardiologie)
Hypertonie
Jährliches Screening für
alle Kinder ab 3 Jahren.
Gezieltes Screening für
Kinder <3 Jahren mit
diagnostizierten Nieren-,
urologischen oder Herzproblemen bzw. neonataler
Intensivpflege in der Vor
geschichte.
Unzureichende
Beweise für die
Empfehlung oder
Nichtempfehlung
eines systematischen Screenings.
Ein systematisches
Screening wird
nicht empfohlen.
Screening bei Arztbesuchen für alle
Kinder ab 3 Jahren.
Gezieltes Screening bei Kindern
<3 Jahren mit neonataler Intensivpflege in der Vorgeschichte,
angeborener Herzerkrankung,
Nierenerkrankung, Medikamenteneinnahme mit der Gefahr eines erhöhten
arteriellen Blutdrucks oder Schädel
innendrucks.
Screening für alle Kinder
ab 6 Jahren.
Dyslipidämie
Screening für alle Kinder
von 9–11 Jahren.
Gezieltes Screening bei
Kindern ab 2 Jahren mit
Dyslipidämie in der Familienanamnese oder anderen
Konditionen für ein erhöhtes
Risiko.
Unzureichende
Beweise für
die Empfehlung
oder Nichtempfehlung eines
systematischen
Screenings.
Ein systematisches
Screening wird
nicht empfohlen.
Gezieltes Screening bei Kindern ab
5 Jahren mit positiver Familienana
mnese in Bezug auf eine frühzeitige
kardiovaskuläre Erkrankung oder
eine schwere Dyslipidämie der Eltern.
Gezieltes Screening
bei Kindern ab 5 Jahren
mit positiver Familienanamnese in Bezug auf
eine frühzeitige kardiovaskuläre Erkrankung
oder eine schwere
Dyslipidämie der Eltern.
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Risikofaktoren
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bersichtsartikel
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Fälle bei Personen mit normalem Blutdruck auf
A
die ausschliesslich auf dem Screening von Hochrisiko­
Ohne KVE
personen beruhen, nicht ausreichen, um KVE in der
Mit KVE
Gesamtbevölkerung zu verhindern. Dafür sind zusätz­
liche Präventionsstrategien erforderlich, welche die
Verteilung oder Prävalenz der Risikofaktoren in der
Gesamtbevölkerung günstig beeinflussen. In einer Si­
Arterieller Blutdruck
mulationsstudie fiel das Kosten Nutzen Verhältnis
-
B
-
Personenzahl
-
(Abb. 1). Daraus folgt, dass KVE Präventionsstrategien,
Personenzahl
eines universellen Hypertoniescreenings bei Jugendli­
Ohne KVE
chen ungünstiger aus als bei Präventionsmassnahmen
Mit KVE
zur Verringerung des Salzkonsums und Förderung von
körperlicher Aktivität in der Bevölkerung [15].
Folglich ist die Evidenzlage zur Empfehlung eines uni­
versellen Hypertoniescreenings bei Kindern mit dem
Ziel, das KVE Risiko zu verringern, begrenzt. Das Hy­
-
Arterieller Blutdruck
Abbildung 1: Der arterielle Blutdruck wäre ein idealer Screeningmarker, wenn sich die
Verteilung des arteriellen Blutdrucks von Personen mit kardiovaskulärer Erkrankung
(KVE) von solchen ohne KVE deutlich unterscheiden würde (A). Der arterielle Blutdruck
ist jedoch ein relativ geringer KVE-Risikofaktor (d.h. ein erhöhter arterieller Blutdruck
ist ein schwacher Diskriminator zur Unterscheidung von Personen mit späteren KVE von
solchen ohne spätere KVE), da es keinen grossen Unterschied in der Verteilung des
arteriellen Blutdrucks zwischen Personen mit KVE und solchen ohne KVE gibt (B).
Dasselbe gilt für die Blutfettwerte. (Angepasst gemäss [2, 13 und 14].)
pertoniescreening bei Kindern könnte jedoch zum Ziel
haben, eine Krankheit (z.B. eine Nierenkrankheit) zu
entdecken, die eine Hypertonie verursacht – in diesem
Fall als sogenannte sekundäre Hypertonie bezeichnet.
Ein solches Screening wäre klinisch sinnvoll, da derar­
tige Erkrankungen, auch wenn sie relativ selten auftre­
ten, schwere Folgen haben und eine Behandlung erfor­
dern können. Die Modalitäten dieses Screenings
(welche Kinder als Zielgruppe?) müssten jedoch noch
Follow up ein absolutes Risiko von 0,45%, an einer KVE
festgelegt und evaluiert werden.
-
-
im Jugendalter erhöhtem Blutdruck nach 20 jährigem
zu versterben, während dieses bei normalem Blut­
druck im Jugendalter 0,13% betrug. Auch wenn das
Screening auf Dyslipidämie
Bei Erwachsenen sind hohe Gesamtcholesterin und
höher ist, bleibt das absolute Risiko sehr gering. Aus­
LDL Cholesterinspiegel Risikofaktoren für KVE. Aus­
-
-
Risiko bei Hypertonie im Jugendalter um das Dreifache
Behandlung, zum Beispiel mit einem Statin, die KVE
nur wenige im Jugendalter an Hypertonie. Tatsächlich
Inzidenz insbesondere bei Personen mit hohem kar­
traten von insgesamt 2879 Todesfällen durch KVE le­
diovaskulärem Risiko senkt [16]. Da die Wirkung der
diglich 39 bei Personen mit erhöhtem Blutdruck im
lipidsenkenden Therapie vom absoluten KVE Risiko
Jugendalter auf. Dies waren weniger als 1% aller KVE
abhängt und das Alter der Hauptrisikofaktor für KVE
-
-
-
-
serdem ist eindeutig erwiesen, dass eine lipidsenkende
-
serdem litten von allen Personen, die nach 20 jähri­
gem Follow up aufgrund einer KVE verstorben waren,
Zweitens ist der Grenzwert des arteriellen Blutdrucks
vor einem Alter von 35 Jahren bei Männern und 45 Jah­
bei Kindern, ab dem eine Behandlung von Nutzen ist,
ren bei Frauen. Denn unterhalb dieser Altersgrenze ist
derzeit nicht eindeutig festgelegt. Überdies konnte
das absolute KVE Risiko gering und der Behandlungs­
zwar nachgewiesen werden, dass nicht pharmakologi­
nutzen somit sehr niedrig. Bei jungen Erwachsenen (ab
sche und pharmakologische Interventionen den Blut­
20 Jahren) empfiehlt die USPSTF daher ausschliesslich
druck bei Kindern kurzfristig senken, jedoch sind der
ein gezieltes Screening bei Hochrisikopersonen, das
Langzeitnutzen und das Langzeitrisiko unbekannt.
heisst solchen mit frühzeitigen KVE in der Familien­
Drittens sind KVE Risikofaktoren wie Hypertonie und
anamnese, bei Rauchern und Diabetes sowie Hyper­
Dyslipidämie relativ schwache Prädiktoren für KVE.
tonie in der Vorgeschichte.
Während also die kausale Rolle von Hypertonie und
Obgleich es vernünftig erscheint, davon auszugehen,
Dyslipidämie bei KVE eindeutig erwiesen ist [12] und
dass Kinder mit anormalen Bluttfettwerten im Er­
ihre Behandlung eine Reduktion des KVE Risikos er­
wachsenenalter ein erhöhtes KVE Risiko aufweisen,
möglicht, ist ihre Diskriminationsfähigkeit zur Vor­
gibt es keine Bevölkerungsstudie, deren Dauer lang ge­
hersage einer KVE laut Wald et al. [13] gering. So treten,
nug wäre, um die Dyslipidämie in der Kindheit direkt
obwohl Personen mit hohem arteriellem Blutdruck ein
mit dem KVE Risiko im Erwachsenenalter zu korrelie­
erhöhtes KVE Risiko aufweisen, auch zahlreiche KVE
ren. Eine Dyslipidämieform im Kindesalter, die mit
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ist, empfiehlt die USPSTF kein universelles Screening
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bedingten Todesfälle.
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Tabelle 3: Kriterien, die bei der Evaluation der Sinnhaftigkeit des Screenings auf Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen (KVE)
bei Kindern und Jugendlichen zu berücksichtigen sind (angepasst gemäss [18]).
Kriterien
Hypertonie
Dyslipidämie
Die Prävalenz des Risikofaktors muss bekannt
sein.
– Definitionsabhängig.
– Wenige Studien, in denen der arterielle Blutdruck an mehreren
Konsultationsterminen gemessen wurde.
– Prävalenz: 1–5% [9].
– Definitionsabhängig.
– Wenige Studien.
– Prävalenz: 5–20%.
Der Risikofaktor muss mit einem erhöhten
Risiko für spätere KVE und für eine spätere
erhöhte Sterblichkeit assoziiert sein.
– Wenige Studien.
– Das absolute Risiko für KVE bei Kindern und Jugendlichen ist
sehr gering.
– Generell wenige Studien zu
Dyslipidämie.
– Mehrere Studien zu familiärer
Hypercholesterinämie.
Es müsste einen validen, zuverlässigen und
akzeptablen Screeningtest zur Identifikation
der Risikofaktoren geben.
– Es werden selten Messungen an mindestens 3 verschiedenen
– Valide und zuverlässig.
Konsultationsterminen vorgenommen.
– Potentiell schwierig bei
– Die Definition eines erhöhten Blutdrucks bei Kindern beruht auf der
einigen Kindern und ihren
Verteilung einer Referenzpopulation und nicht auf der Evidenz eines
Familien (Blutentnahme).
erhöhten Risikos ab einem bestimmten arteriellen Blutdruckwert.
Die Behandlung des Risikofaktors
muss wirksam und sicher sein.
– Kurzfristig wirksam und sicher.
– Langzeitwirkung nicht dokumentiert.
– Kurzfristig wirksam und sicher.
– Langzeitwirkung nicht
dokumentiert.
– Keine Studie.
Das Screening auf den Risikofaktor muss das
Risiko für spätere KVE und Todesfälle reduzieren.
– Keine Studie.
fiehlt das National Institute for Health and Clinical
miliäre Hypercholesterinämie, eine genetisch bedingte
Excellence in Grossbritannien zum Beispiel das Kaska­
Dyslipidämie, die 1 von 200–250 Menschen in der Ge­
denscreening, bei dem eine Kombination genetischer
-
einem erhöhten KVE Risiko assoziiert wurde, ist die fa­
Angehörigen (ersten, zweiten und dritten Grades) von
für koronare Herzkrankheiten bei 50 jährigen Män­
Personen mit familiärer Hypercholesterinämie einge­
nern auf 50 und bei 60 jährigen Frauen auf 30% ge­
setzt wird.
PD Dr méd.
Arnaud Chiolero, MER
schätzt. Die Statinbehandlung von Kindern mit famili­
ärer Hypercholesterinämie hat sich als wirksam und
Médecin épidémiologue
sicher erwiesen.
Institut universitaire de
Als Alternative zum universellen Screening auf famili­
médecine sociale et
préventive (IUMSP)
äre Hypercholesterinämie wurden das zielgerichtete
Biopôle 2
Screening von Hochrisikokindern und das Kaskaden­
Route de la Corniche 10
screening (d. h. das systematische Screening Angehöri­
-
CH 1010 Lausanne
arnaud.chiolero[at]chuv.ch
ger diagnostizierter Personen) vorgeschlagen. So emp­
Fazit
Seit 50 Jahren ist die KVE Prävention bei Erwachsenen
-
-
Korrespondenz:
-
Tests und Messungen des LDL Cholesterinspiegels der
ärer Hypercholesterinämie wird das kumulative Risiko
-
samtbevölkerung betrifft [17]. Bei Personen mit famili­
in Ländern mit hohem Einkommen erfolgreich. So sind
die Sterblichkeitsraten infolde KVE zum Beispiel in den
USA, Kanada oder der Schweiz bei beiden Geschlech­
tern und in allen Altersklassen der Bevölkerung stark
gesunken. Dies ist zum Teil den auf die Gesamtbevöl­
kerung abgestimmten und zielgerichteten Präven­
Das Wichtigste für die Praxis
tionsstrategien für Hochrisikopersonen sowie den ver­
• Aus unserem Review geht hervor, dass Nutzen und Risiken für die Empfehlung eines universellen Screenings auf Hypertonie und Dyslipidämie
bei Kindern und Jugendlichen zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen (KVE) nicht ausreichend bekannt sind.
• Ein gezieltes Screening auf diese Risikofaktoren könnte hingegen sinnvoll
sein, um frühestmöglich z.B. Fälle sekundärer Hypertonie oder familiärer
Hypercholesterinämie zu identifizieren. Dafür ist jedoch die Evaluation
besserten Behandlungen für Personen mit KVE zu
verdanken. Immer häufiger wird empfohlen, die Prä­
ventionsmassnahmen für KVE auch auf Kinder auszu­
weiten. Obwohl die Krankheitsentwicklung bereits im
Kindesalter beginnt, bedeutet dies trotzdem nicht, dass
die Modelle der Präventionsmassnahmen für Erwach­
sene direkt auf Kinder übertragbar sind. Vielmehr geht
aus unserem Review hervor, dass die Evidenz für die
spezifischer Screeningstrategien erforderlich. Ferner sind Untersuchun-
Empfehlung eines universellen Screenings auf Hyper­
gen notwendig, um die Zielpopulationen, die Screeninghäufigkeit, die ent-
tonie und Dyslipidämie bei Kindern und Jugendlichen
sprechenden Interventionen und die geeignete Betreuung zu ermitteln.
fehlt (Tab. 3).
der Risikofaktoren für KVE konzentrieren, um ihre Verteilung in der Gesamtbevölkerung zu reduzieren. Ferner sollte die Erhaltung der idealen
kardiovaskulären Gesundheit z.B. durch umweltbezogene öffentliche Gesundheitsmassnahmen und pädagogische Ansätze gefördert werden, die
darauf abzielen, gesundheitsbewusstes Verhalten bereits im Kindesalter
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Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
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Bildnachweis
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Literatur
Die vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie als Anhang
des Online Artikels unter www.medicalforum.ch.
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zu verankern.
Disclosure statement
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• In der Zwischenzeit sollte man sich eher auf die Primordialprävention
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LITERATUR / RÉFÉRENCES Online-Appendix
Literatur
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