Lesen! Heute mit 16 Extraseiten literataz. Lesen! AUSGABE BERLIN | NR. 11150 | 42. WOCHE | 38. JAHRGANG H EUTE I N DER TAZ WAHL Nach dem Mord DIENSTAG, 18. OKTOBER 2016 | WWW.TAZ.DE € 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND Was Sie schon immer über die Buchmesse wissen wollten LESEN Ab morgen ist in Frankfurt die Hölle los. Wer da hingeht? Alle! Was man unbedingt gesehen haben muss, von der Literaturinsel der Kleinverlage bis zur Promi-Party? Steht auf ▶ SEITE 3 an der Abgeordneten Jo Cox wird in West Yorkshire neu gewählt. Rechtsradikale wittern eine Chance ▶ SEITE 4 EHE Was tun, wenn der Mann fremdgeht? In China stehen da Spezialisten bereit ▶ SEITE 11 BERLIN Arme sollen auf SPD abfahren: Das Sozialticket wird bald viel billiger ▶ SEITE 18 Fotos: picture alliance (oben), reuters VERBOTEN Guten Tag, meine Damen und Herren! In unserer Serie „Darum lieben wir die Sächsische Staatsregierung“ gilt es, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Denn die Sächsische Staatsregierung sorgt nicht nur dafür, dass Neonazis unbestraft, Pegidisten unbehelligt und islamistische Terroristen rasch beerdigt werden. Der wunderbaren Sächsischen Staatsregierung ist es auch zu verdanken, dass Sächsinnen die meisten Kinder bekommen! Darauf ein Hoch der Sächsischen Staatsregierung! Und eine Rechenaufgabe: Wenn die Sächsin 1,59 Kinder bekommt, die Deutsche aber 1,5: Wie lange dauert es, bis alle Deutschen Sachsen sind? Messeaufbau in Frankfurt am Main: Nur noch ein Tag, dann kann der große Run auf die Buchwelt beginnen Foto: Sepp Spiegl/action press Der Sturm auf die IS-Bastion Mossul hat begonnen KRIEG Irakische und kurdische Einheiten wollen die islamistischen Extremisten aus der nordirakischen Millionenstadt vertreiben MOSSUL dpa/taz | Mit einer Großoffensive auf die IS-Hochburg Mossul hat im Irak die entscheidende Phase im Kampf gegen die Extremisten begonnen. Einheiten der irakischen Armee, der Polizei sowie kurdische Peschmerga rückten am Montag nach monatelangen Vorbereitungen auf die letzte Bastion der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) im Land vor und meldeten erste Erfolge. Nach Medienberichten sollen 30.000 Mann der Allianz etwa 4.000 IS-Kämpfern gegenüberstehen. Sollte die Offensive erfolgreich verlaufen, wären die Dschihadisten im Irak militärisch weitestgehend besiegt. Als Folge der Kämpfe sieht das UNFlüchtlingshilfswerk UNHCR aber etwa eine Million Zivilisten in akuter Gefahr; bis zu 700.000 Menschen könnten Hilfe benötigen. Irakische Sicherheitskräfte begannen die groß angelegte Operation am frühen Morgen. Kurdische Peschmerga nahmen nach eigenen Angaben etwa 40 Kilometer östlich von Mos- sul sieben Dörfer ein. Iraks Armee teilte mit, ihre Einheiten hätten südlich der Stadt zwölf Orte erobert. Das IS-Sprachrohr Amak berichtete von mehreren Selbstmordattentaten auf die Angreifer. ▶ Schwerpunkt SEITE 2 TAZ MUSS SEI N Die tageszeitung wird ermöglicht durch 16.246 GenossInnen, die in die Pressevielfalt investieren. Infos unter [email protected] oder 030 | 25 90 22 13 Aboservice: 030 | 25 90 25 90 fax 030 | 25 90 26 80 [email protected] Anzeigen: 030 | 25 90 22 38 | 90 fax 030 | 251 06 94 [email protected] Kleinanzeigen: 030 | 25 90 22 22 tazShop: 030 | 25 90 21 38 Redaktion: 030 | 259 02-0 fax 030 | 251 51 30, [email protected] taz.die tageszeitung Postfach 610229, 10923 Berlin taz im Internet: www.taz.de twitter.com/tazgezwitscher facebook.com/taz.kommune 20642 4 190254 801600 KOMMENTAR VON BEATE SEEL ZUM STURM AUF MOSSUL S Ein Sieg über den IS ist zu wenig ie wurde schon oft angekündigt und lange vorbereitet. Nun hat der irakische Regierungschef Haider alAbadi am frühen Montagmorgen offi ziell den Beginn der Offensive gegen die Dschihadisten des „Islamischen Staates“ (IS) in Mossul verkündet. Hier, in der zweitgrößten Stadt des Landes, begann im Sommer 2014 der Siegeszug des IS, und hier wird er wohl auch enden. Für die irakische Regierung ist es die größte Operation seit dem Abzug der USTruppen im Jahr 2011 – eine Herausforderung, allerdings weniger in militärischem Sinn. Im Zweistromland selbst und in Syrien hat sich bereits gezeigt, dass der IS besiegbar ist, auch wenn sich die Kämpfe über Wochen oder Monate hinziehen können. In Mossul geht es um weit mehr als die Rückeroberung der zweitgrößten Stadt des Irak. Es geht genauso darum, dass Abadi, ein Schiit, Verantwortung dafür übernimmt, dass alle ethnischen und religiösen Gruppen des gespalteten Landes politisch teilhaben können. Die Regierung scheint sich dieser Problematik zumindest bewusst zu sein. Die für Gewalttaten berüchtigten schiitischen Milizen kämpfen dieses Mal nicht an der Seite der irakischen Armee vor der mehrheitlich sunnitischen Stadt Mossul im Norden. Sie werden stattdessen vor Hawija, 100 Kilometer weiter südlich e ingesetzt. Wenn die Offensive nicht im Desaster enden soll, müssen ethnische Rivalitäten von Beginn an berücksichtigt werden. Dies gilt vor allem für die seit dem Sturz von Saddam Hussein politisch an den Rand gedrängten Sunniten. Ob Bagdad das gelingt, wird man daran ablesen können, wie und von wem Mossul nach der Rückeroberung verwaltet wird – eine derzeit noch offene Frage. Für Iraks schwache Regierung wäre ein Machtkampf das Worst-Case-Szenario Es besteht durchaus die Gefahr, dass die Armee, schiitische und sunnitische Milizen, die kurdischen Peschmerga sowie die Türkei ihren Anteil an der „Beute“ mit der Macht der Waffen einfordern. Für die ohnehin geschwächte irakische Regierung wäre eine solche Entwicklung ein Worst-Case-Szenario. Erneut könnten dann politische Machtkämpfe ausbrechen, denn Abadi hat auch erbitterte Widersacher unter den Schiiten, allen voran seinen Amtsvorgänger Nuri al-Maliki. Nach einer Eroberung Mossuls aufflammende Kämpfe wären eine Steil vorlage für innerschiitische Konflikte. Für die Stabilität des Irak wäre das das denkbar schlechteste Zeichen. 02 TAZ.DI E TAGESZEITU NG PORTRAIT Schwerpunkt DI ENSTAG, 18. OKTOBER 2016 Kampf gegen den IS Mossul ist die letzte Bastion der Terrormiliz im Irak. Nun hat die Offensive auf die Stadt begonnen Die Schlinge zieht sich zu ANGRIFF Armee und Peschmerga müssen zunächst viele Kleinstädte und Dörfer unter Kontrolle bringen, Ellen Ueberschär, neue Ko-Chefin der Böll-Stiftung Foto: imago damit der eigentliche Kampf um die Stadt beginnen kann. Die USA haben jede Unterstützung zugesichert Theologin mit Coolness-Faktor E Peschmerga, die am Montag auf Mossul vorrücken Foto: Azad Laskhari/reuters AUS ISTANBUL INGA ROGG Die lange erwartete Offensive auf Mossul hat begonnen. Irakische Soldaten stießen am Montagmorgen von Osten und von Kajarah im Südosten auf die nordirakische Hochburg des Islamischen Staats (IS) vor. Gleichzeitig starteten Peschmerga, wie die Kurden die Kämpfer ihres Teilstaats nennen, einen Angriff von Kasar aus. Bereits am späten Vormittag vermeldeten die Armee und die Peschmerga erste Erfolge. Mit der Einnahme von mehreren Dörfern hätten sie bereits das Ziel des ersten Tages erreicht, sagte ein Peschmergakommandant. Die Soldaten hätten den ersten Verteidigungsring des IS durchbrochen, teilte die Armee mit. Dutzende von IS-Kämpfern seien getötet worden. Doch offenbar mussten auch die IS-Gegner schwere Verluste hinnehmen. Massenhaft würden Peschmerga in ein Feldlazarett nahe Kasar eingeliefert, schrieb der Fotograf Sebastian Mayer auf Twitter. Und: „Es ist erst zehn Uhr morgens, und in dem Feldlazarett gibt es bereits den fünften Todesfall.“ Die meisten Iraker schliefen bereits, als der irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi um kurz vor zwei Uhr morgens vor die Kameras trat und den Beginn der Offensive verkündete. „Die Stunde des Sieges ist gekommen, und die Operation zur Befreiung von Mossul hat begonnen“, sagte Abadi im Kreis von hochrangigen Kommandanten. Überraschend kommt die Offensive nicht. In den letzten Monaten hatten die Extremisten im Irak zahlreiche Niederlagen einstecken müssen, und mit der Einnahme der Militärbasis in Kajarah hatten die Iraker die Voraussetzungen für einen konzertierten Angriff auf die IS-Hochburg geschaffen. Das größte Hindernis war der politische Zwist zwischen den IS-Gegnern, die alle bei der Rückeroberung von Mossul dabei sein wollen: die regulären irakischen Truppen, die Kurden, schiitische Milizionäre, aber auch die Türkei. Ist der IS in Mossul noch stark genug, um eine lange Abwehrschlacht führen zu können? Es ist ein Erfolg der US-Amerikaner, dass sie den Dauerkonflikt zwischen dem kurdischen Regionalpräsidenten Masud Barsani und Abadi entschärfen konnten. Der Plan sieht vor, dass weder Barsanis Kämpfer noch schiitische Milizionäre in die mehrheitlich sunnitisch-arabische Stadt am Tigris einmarschieren. Ob sie sich daran halten, wird sich zeigen. Bis der eigentliche Kampf um Mossul beginnt, ist es freilich noch ein langer Weg. Erst einmal müssen die Armee und die Peschmerga die vielen Kleinstädte und Dörfer im Osten und Südosten unter ihre Kontrolle bringen. Die Amerikaner haben den Irakern jede nur erdenkliche Unterstützung zugesichert. Dazu zählen vor allem die Luftangriffe der Alliierten. Aber Präsident Barack Obama hat die Truppenstärke kürzlich noch einmal um mehr als Bald auf der Flucht ■■ Gefährdung: Im Irak droht mit dem beginnenden Kampf um Mossul nach Angaben der UNO eine humanitäre Katastrophe. Rund 1,5 Millionen Einwohner seien durch die aufziehenden schweren Kämpfe akut gefährdet, warnte das UN-Büro zur Koordinierung humanitärer Hilfe (OCHA) am Montag in Genf. ■■ Flucht: UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien warnte, die Offensive der irakischen Armee und ihrer Verbündeten könnte bis zu eine Million Menschen in die Flucht schlagen. Zehntausende wehrlose Männer, Frauen und Kinder seien dem Risiko ausgesetzt, vom IS als Schutzschilde missbraucht zu werden. ■■ Schutz: O’Brien betonte, dass die UNO und ihre Partner Vorbereitungen für eine große Flüchtlingsbewegung getroffen hätten. Rund 60.000 Menschen könnten in bereits eingerichteten Flüchtlingscamps außerhalb Mossuls Schutz finden. Weitere Aufnahmelager für gut 250.000 Flüchtlinge würden bereitgestellt. (epd) 50 km TÜR KEI SY RI E N Mossul Kasar Sindschar Erbil Kajarah Kirkuk IRAK Tikrit Irak Bagdad taz.Grafik: infotext-berlin.de s gibt diese wunderbaren llen-Ueberschär-Momente E – wie damals im Frühjahr, beim taz-Kongress. Die evangelische Theologin soll mit einem Muslim, einer Jüdin und einem Atheisten die Frage erörtern: „Wäre die Welt ohne Religion ein besserer Ort?“ Darüber kann man sich ordentlich in die Haare kriegen, und manche schwallen bei so einer Frage ganz schrecklich. Ellen Ueber schär aber umschiffte diese Klippen lässig, blieb charmant schnoddrig, nicht zu harmonisch und machte ihren Punkt: Die Religionen seien nicht das Problem, aber Fundamentalisten in ihnen, und nicht zuletzt die im Christentum, klar. Mit dieser Grundeinstellung und der ihr angeborenen Coolness passt sie perfekt in den neuen Job, der nun vor ihr liegt: Die 48-Jährige wird nach dem Wunsch des Aufsichtsrats im Sommer eine von zwei Chefinnen der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung werden – als Nachfolgerin von Ralf Fücks und neben der bisherigen Ko-Chefin Barbara Unmüßig. Mit Fücks teilt Ellen Ueberschär, die seit zehn Jahren Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentags ist, die Freude an der aktuellen gesellschaftlichen Debatte. Und dass nun zwei Frauen die Böll-Stiftung leiten werden, muss ihr gefallen. Denn Ellen Ueberschär scheut den Streit für die Sache der Frauen – auch in ihrer Kirche – nie. In einem taz-Interview bemerkte sie 2011 trocken: „Die Kirche war nie ein Ort der Emanzipation.“ Ellen Ueberschär liebt das offene Wort, überall. Und sie weiß zu kämpfen. Als engagierter Christin blieb ihr in der DDR ein Medizinstudium verwehrt. Sie machte eine Ausbildung zur Facharbeiterin für Datenverarbeitung, ehe sie ihr Theologiestudium im Sprachenkonvikt in Ostberlin begann – einer ziemlich freien kirchlichen Hochschule, der viele kluge Leute entstammen. Nach der Wiedervereinigung galt Ellen Ueberschär schnell als eine der weiblichen Hoffnungen ihrer Kirche. Völlig zu Recht. Als sie sich jedoch 2013 als Bischöfin der großen rheinischen Kirche bewarb, unterlag sie dem dortigen Homeboy der Synodalen. Ueberschär hat sich das nicht zu Herzen genommen, ist aufgestanden und hat cool einfach weitergemacht. Wie das ihre Art ist. PHILIPP GESSLER 500 Mann erhöht, sodass inzwischen rund 5.000 amerikanische Soldaten im Irak stationiert sind. Darüber hinaus sind im Nordirak mehrere Hundert Elitesoldaten aus verschiedenen Ländern im Einsatz. Doch Kriege verlaufen selten nach Plan. Die große Frage ist: Ist der IS in Mossul noch stark genug, um eine lange Abwehrschlacht führen zu können? Für die Extremisten geht es in Mossul um viel. Es ist nicht nur die größte Stadt, die sie noch kontrollieren. Es ist auch die Stadt, in der sie 2014 das Kalifat ausgerufen haben. Wenige Tage später hatte IS-Chef Abu Bakr alBaghdadi seinen ersten und einzigen öffentlichen Auftritt, als er in der berühmten Nuri-Moschee die Freitagspredigt und damit gewissermaßen seine Antrittsrede als Kalif hielt. Zur Verteidigung der Stadt haben die Extremisten einen tiefen Ringgraben angelegt, den sie mit Öl füllen und in Brand stecken könnten. Sie haben Straßen mit Sprengfallen vermint und ein Tunnelnetz gegraben. Die Amerikaner schätzen, dass sich noch um die 4.000 IS-Kämpfer in der Stadt befinden. Viele rechnen damit, dass sie erbitterten Widerstand leisten werden. In den letzten Monaten häuften sich die Fälle von Widerstand gegen die Extremisten. Auf eine Rebellion hofft auch Abadi. Über das Radio und mit Flugblättern, die Piloten über der Stadt abwarfen, rief die Regierung die Bevölkerung auf, die Häuser nicht zu verlassen. Für die jungen Männer in Mossul hatten sie jedoch eine ganz eigene Botschaft: „Erhebt euch gegen Daesh (IS), wenn die Schlacht beginnt.“ Die Stadt am Tigris Einst Zentrum für Kultur und Wissen MOSSUL BERLIN taz | Mossul, die Haupt- stadt der Provinz Ninive, liegt am Ufer des Tigris, etwa 400 Kilometer nördlich der irakischen Hauptstadt Bagdad. Kennzeichen der Stadt ist der gleichnamige Staudamm. Vor der Eroberung durch den „Islamischen Staat“ (IS) hatte Mossul etwa 2 Millionen Einwohner; heute sollen es 500.000 weniger sein. Die zweitgrößte Stadt des Irak war zugleich das Wirtschaftszentrum für die Region mit Zement-, Textil- und Zuckerindustrie sowie Erdöl. Die Stadt blickt auf eine lange Geschichte zurück; manche der historischen Gebäude gehen auf das 13. Jahrhundert zurück. Freilich hat der IS auch hier Schreine, Moscheen und Kirchen zerstört. Die ehemals eher liberal gesinnte Stadt steht auch für Bildung und Wissenschaft. Sie ist Standort einer bekannten medizinischen Universität und der größten Bildungseinrichtung und des größten Forschungszentrums in der ganzen Region. Die Universität ist heute geschlossen. Auf Beschluss der örtlichen IS-Führung blieb die medizinische Fakultät geöffnet, arbeitet aber kaum noch. In der Stadt leben mehrheitlich Sunniten, aber auch zahlreiche Christen, vor allem Assyrer, sowie Kurden, Turkmenen, Armenier; bis zur Eroberung durch den IS gab es auch Jesiden. B.S. Schwerpunkt DI ENSTAG, 18. OKTOBER 2016 Frankfurter Buchmesse TAZ.DI E TAGESZEITU NG 03 Am Mittwoch beginnt die größte Buchfachmesse der Welt. Damit auch Privatbesucher was davon haben, hier ein paar Tipps DJ-Bobo-freie Zone „Alle lieben ihn!“ Bob Dylan, everywhere Autoren zum Anfassen Buchmesse ist, wenn sich riesige Menschenschlangen durch riesige Hallen an riesigen Verlagsständen vorbeischieben, um Wolf Biermann, Thorsten Schäfer Gümbel, DJ Bobo, Fredi Bobic, Andrea Sawatzki, Bärbel Schäfer oder Donna Leon über ihr Leben reden zu hören. Außerdem ist Buchmesse, wenn sich riesige Menschenschlangen durch riesige Hallen an riesigen Verlagsständen vorbeischieben, um riesige Tüten der Verlage abzugreifen, in denen Werbeprospekte für die Memoiren von Wolf Biermann, Thorsten Schäfer Gümbel, DJ Bobo, Fredi Bobic, Andrea Sawatzki, Bärbel Schäfer oder Donna Leon liegen. Wen das nicht interessiert, der geht direkt zu Halle 4.1. und sucht in Gang C die Standnummer 37. Dort ist die Leseinsel der unabhängigen Verlage, also DJ-Bobo-freie Zone. Hier kann man die komplette Buchmesse verbringen. Denn hier sind die meisten der jungen, kleinen, unabhängigen, anderen Verlage. Im 30-Minuten-Takt stellen die Autoren dieser Verlage ihre Bücher vor, also stehen da ständig Leute rum, mit denen man wunderbar übers Tütenabgreifen und Schlangestehen für DJ Bobo plaudern kann. AKR Als Christoph Links seinen Verlag gründete – am Tag der Aufhebung der Zensur in der noch existierenden DDR am 1. Dezember 1989 – da war dies eine der ersten und spannendsten Verlagsgründungen Ostdeutschlands kurz nach dem Mauerfall. Anliegen war es zunächst, die „weißen Flecken“ der jüngsten deutschen Geschichte aufzuarbeiten, so der Verleger. Und auch, wenn heute brisante Bücher zu aktuellen Fragen erscheinen: Die Forschung zur Gesellschaft der DDR, zur Geschichte von Stasi, Mauer und Flucht steht nach wie vor im Fokus. Es ist eine wunderbare Sache, dass der Ch. Links Verlag jetzt den renommierten Kurt Wolff Preis zur Förderung einer vielfältigen Verlagsszene bekommen hat. Ausgezeichnet wurde hier ein beharrlicher Verleger, der auch in einer Zeit weiter über die DDR publiziert hat, als viele meinten, eine Gesellschaft, die nicht mehr existiert, sei auch nicht mehr der Rede wert. „Unfassbar kollegial“ sei der Verleger, heißt es von einem seiner Autoren. „Alle lieben ihn“, sagt ein Berliner Verleger. Wollen Sie nachsehen, ob das stimmt? Dann gehen Sie doch mal am Verlagsstand vorbei, Halle 4.1, Stand F 61. SM An dieser Stelle wollten wir den Besuch des Verlags empfehlen, der die Bücher des diesjährigen Nobelpreisträgers herausgibt. Dieses Jahr ist das halt ein bisschen schwierig – könnte man denken. Stimmt aber nicht. Denn selbstverständlich gibt es von und zu Bob Dylan Bücher. Und so lohnt es sich, im Erdgeschoss der Buchmessen-Halle 3 einmal beim Verlag Hoffmann und Campe vorbeizuschlendern. Der Verlag dreht in dieser Sache gerade auf. Eine Ausgabe seiner Songtexte ist unter dem klassischen Titel „Lyrics (1961–2016)“ in Vorbereitung. Gisbert Haefs wird sämtliche DylanTexte bis zu seinem Album „Tempest“ übersetzen. Englischer Originaltext und deutsche Übertragung werden beide abgedruckt. Außerdem ist auch Dylans Autobiografie „Chronicles. Volume One“ bei Hoffmann und Campe erschienen. Und etwas durch die Hallen schlendern kann man in Sachen Dylan auch. Beim Stand des Palmyra Verlags findet sich etwa der Band „Bob Dylan. In eigenen Worten“. Der Reclam Verlag wird die Studie „Bob Dylan“ des Literaturwissenschaftlers Heinrich Detering gut präsentieren. Und sicher gibt’s da noch viel mehr. DRK Autoren, Übersetzer, Verleger, Buchhändler, Agenten, PR-Leute und Journalisten bleiben in Frankfurt bis zum Wochenende unter sich. Dann öffnet die Messe ihre Tore fürs Publikum. Haben Leserinnen und Leser bis dahin gar nichts von der Messe? Doch, haben sie. Im Jahr 2009 organisierte das Frankfurter Kulturdezernat das Pilotprojekt Open Books, um „eine Brücke von der Buchmesse ins Herz der Stadt“ zu schlagen. Es hat funktioniert, seither hat Open Books jedes Jahr stattgefunden. Neu ist der „Slow Reading Room“, der zum Lesen von Büchern einlädt, die in diesem Jahr erschienen sind. Sonst alles wie gehabt: Im Frankfurter Kunstverein und an anderen Orten rund um den Römer finden sich ab Dienstagabend Autoren ein, um aus ihren Werken vorzulesen und über sie zu diskutieren. Darunter Slavenka Drakulić, Özlem Özgül Dündar, Ulrike Herrmann, Felicitas Hoppe, Laksmi Pamuntjak, Kathrin Röggla, Mithu Sanyal, Marlene Streeruwitz, Gisela von Wysocki und Marcia Zuckermann. Auch männliche Kollegen werden in ausreichender Zahl vertreten sein, etwa Leon de Winter, der schon 2009 mit von der Partie war. Der Eintritt ist frei. GUT Langweilig? Dann sind Sie wohl auf der falschen Veranstaltung gelandet. Damit das nicht noch mal passiert, sagen wir Ihnen, wo wirklich was los ist Fotos: Martin Lengemann/laif Ein Tag zwischen Büchern, Partys und Schnaps PLAN Sie wollen nicht Schlange stehen für DJ Bobo, sondern sich lieber auf Verlagspartys schnorren? Wir sagen Ihnen, wo und wie Treffpunkt „an der Bar“ Betrunkene Grandezza Das Hotel Frankfurter Hof ist das erste Haus am Platze. Hier übernachten die Stargäste, die Juroren des Buchpreises und Jetset-Menschen. Ein Zimmer dort kann man vergessen. Zu teuer. Außerdem sowieso ausgebucht. Aber es lohnt sich, einfach mal so am frühen Abend durch die Hotellobby zu flanieren: USamerikanische Literaturagenten mit Jetlag treffen sich mit deutschen Verlegern mit stressgeröteten Wangen (sie haben drei, vier Termine pro Stunde). Bekannte Schriftsteller suchen nach ihren Übersetzern. Überhaupt sucht jeder jeden, man hat sich „an der Bar“ verabredet – so wie etwa 300 andere Verlagsmenschen auch, hat seinen Termin noch nie Face to Face gesehen und scannt jetzt hektisch alle Jackettaufschläge nach Namensschildern ab. Manche brüllen den Namen ihrer Termine auf gut Glück durch die ehrwürdigen Hallen. Schön auch, wenn sich zwei verabredete Buchmenschen endlich getroffen haben, der eine aus New York, der andere aus Hongkong – und dann feststellen, dass man in dem Getöse kaum mehr als Floskeln austauschen kann … Dabei wäre eine Verabredung im Café um die Ecke wahrscheinlich effektiver. DRK Wer im Literaturbetrieb zu früh berühmt wird, verpasst das Beste: die Buchmessenpartys. Also nicht die Partys als solche, sondern die Partys, auf die man nicht eingeladen ist. Oder besser: Es ist der Weg dahin, das Partycrashen. Sich uneingeladen auf eine Buchmessenparty zu schnorren, ist großer Sport, und wenn es gelingt, ein großes Vergnügen. Es geht dabei vor allem um Hochstaplerqualitäten. Man lernt, sich als etwas auszugeben, was man gar nicht ist, und das ist die halbe Miete im Literaturbetrieb. Schließlich sind die wenigsten Autoren nur annähernd so interessant wie ihre Bücher. Deren Auftritt lässt sich spielend leicht imitieren. Man kann sich aber auch als empörter Kritiker ausgeben, der hier schon immer auf der Gästeliste stand, als Jung- oder Altautorin, für deren Anwesenheit sich andere Partyveranstalter krummlegen würden. Oder einfach als jemand, der anonym bleiben will, weil er schließlich die persönliche Zusage des Gastgebers habe, dass Diskretion gewahrt werde. Man darf nur nicht vergessen, sich am Ende mit betrunkener Grandezza zu verabschieden: „Bonne nuit, à tantôt, AKR Monsieur le Marquis“. Bier, Schnaps, Äppelwoi Die Frankfurter Buchmesse ■■Messe: Vom 19. bis 23. Oktober findet sie auf dem Frankfurter Messegelände statt. Die ersten drei Tage dürfen nur Fachbesucher rein, am Wochenende öffnet die Messe auch für Privatleute. Eine Tageskarte kostet 19 Euro, ermäßigt 13 Euro, die Wochenendkarte gibt es für 28 Euro. Im letzten Jahr kamen rund 275.000 Besucher zur Messe. ■■Geschichte: Im Jahr 1949 wurde sie vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels gegründet, wenngleich ihre Geschichte mehr als 500 Jahre zurückreicht. Seit 1988 wird jedes Jahr ein Gastland besonders herausgestellt, in diesem Jahr Flandern und die Niederlande, wie bereits 1993. Afrikanische Länder waren bisher übrigens noch gar nicht dabei. ■■Auszeichnungen: In den fünf Tagen der Buchmesse werden der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, der Deutsche Jugendliteraturpreis, der deutsche Buchpreis und viele andere verliehen. Dass Literatur und Schnaps irgendwie zusammenhängen, macht sich ja an diversen Empfängen an Messeständen und den Verlagspartys am Abend bemerkbar. Wer am späten Abend immer noch in Feierlaune ist, landet meist im Frankfurter Bahnhofsviertel. Einerseits weil es so zentral liegt, dass man es notfalls schnell und zu Fuß ins Hotelzimmer schafft. Andererseits natürlich aufgrund des verruchten Ghettocharmes. Für das Basisprogramm (Jukebox, Bier, tiefe Augenringe) empfiehlt sich die Traditionskneipe Moseleck (Moselstr. 21), die nur von 4 bis 6 Uhr schließt. Wer gerne zu R & B an der Stange tanzt, geht in den unprätentiösen Nachtclub Pik Dame (Elbestr. 31), wo aber ab und zu kuriose Mottopartys stattfinden. Es muss aber nicht immer das Bahnhofsviertel sein. Eine absolute Institution ist die Kneipe Zur Stalburg im Stadtteil Nordend (Glauburgstraße 80, mit der U-Bahn 6 Minuten vom Hauptbahnhof), wo die Zeit – auf sympathische Art – stehen geblieben scheint. Es gibt garstige Kellner, politische Stammtischdiskussionen und den besten Apfelwein der Stadt. Den aber bitte nicht „süß gespritzt“ bestellen – das wird hier schon mal als Beleidigung aufgefasst. FAY
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