Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über das Gesetz zum besseren Schutz vor Nachstellungen reden, dann eint uns etwas in diesem Haus. Wir sind uns alle einig: Stalking ist eine erhebliche Einschränkung der individuellen Freiheit und nicht zu tolerieren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb ist Stalking seit 2007 strafbar. Wir sind uns auch fraktionsübergreifend einig, dass die Opfer von Stalking geschützt werden müssen. Die Umwandlung des Straftatbestandes des Stalking von einem Erfolgsdelikt zu einem Eignungsoder potenziellen Gefährdungsdelikt betrachten wir aus grundsätzlich rechtsstaatlichen Erwägungen heraus allerdings kritisch. Grundsätzlich bringt es das geschützte Rechtsgut - das ist hier der individuelle Lebensbereich in Form der Handlungs- und Entschließungsfreiheit des Opfers - aus unserer Sicht mit sich, dass unter Beachtung des UltimaRatio-Prinzips des Strafrechts eine tatsächliche Beeinträchtigung dieser Handlungs- und Entschließungsfreiheit vorliegen muss, um eine Strafbarkeit zu begründen. Das kann aus unserer Sicht anders als durch die Umwandlung in ein potenzielles Gefährdungsdelikt herbeigeführt werden. Ich werde darauf noch hinweisen. Bevor ich aber zum rein strafrechtlichen Aspekt komme, lassen Sie mich noch etwas sagen. Wir brauchen auch in diesem Bereich dringend Aufklärung und Prävention. Dazu gehören eine Sensibilisierung von Gerichten, Staatsanwaltschaften und Polizeibeamten und auch eine gesellschaftliche Debatte zur Unzulässigkeit beharrlicher Nachstellungen sowie ein ausfinanziertes und zuverlässiges Beratungs- und Hilfsangebot. Hinzu kommen Seite 2 von 5 muss eine unkomplizierte und für Betroffene möglichst kostenfreie Unterstützung durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte im Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz und in eventuellen weiteren Rechtsauseinandersetzungen. Das Strafrecht allein löst keine Probleme. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der zentrale Punkt aus unserer Sicht muss sein, dass der Stalker oder die Stalkerin an weiteren Handlungen gehindert wird. Wir finden, dass dies mit dem Gewaltschutzgesetz im Grunde eine gute Möglichkeit ist. Ich will hier einmal kurz erklären, was es mit dem Gewaltschutzgesetz auf sich hat; denn das kommt mir etwas zu kurz. Nach dem Gewaltschutzgesetz kann ein Gericht gegenüber einer Person, die vorsätzlich den Körper, die Gesundheit und auch die Freiheit einer Person widerrechtlich verletzt, befristet anordnen, dass diese Person es unterlässt, die Wohnung der verletzten Person zu betreten, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung der verletzten Person aufzuhalten, bestimmte Orte aufzusuchen, an denen sich die verletzte Person regelmäßig aufhält, Verbindungen zur verletzten Person aufzunehmen, auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, oder das Zusammentreffen mit der verletzten Person herbeizuführen. Diese Anordnungen sind möglich gegen den ausdrücklich erklärten Willen der Person, die jemand anderem nachstellt oder wiederholt nachstellt, und sie ist auch ausdrücklich möglich, wenn diese Nachstellung nur mit Fernkommunikationsmitteln stattfindet. Hinzu kommt: Wer sich an dieses Betretungs-, Näherungs-, Aufenthalts- und Kontaktverbot sowie an das Abstandsgebot im Gewaltschutzgesetz nicht hält, kann mit Freiheitsstrafe bis zu Seite 3 von 5 einem Jahr bestraft werden, soweit die entsprechende Anordnung und später der Vergleich vollstreckbar sind. Diese Anordnungen werden auch an Polizeibehörden und andere öffentliche Stellen übermittelt. Wir sagen klar: Diese Regelungen im Gewaltschutzgesetz, konsequent angewendet, sind im Hinblick darauf, dass dem Opfer so etwas nicht wieder passiert, eine gute Lösung. (Beifall bei der LINKEN) Nun schlagen Sie vor, den Straftatbestand von einem Erfolgsdelikt in ein potenzielles Gefährdungsdelikt umzuwandeln. Was meint das eigentlich? Das muss man vielleicht noch einmal erklären. Bislang musste die Lebensgestaltung tatsächlich schwerwiegend beeinträchtigt sein, um zu einer Strafe zu kommen. Zukünftig soll es so sein, dass für die Verwirklichung des Straftatbestandes - ich zitiere aus dem Gesetzentwurf - ausreichend ist, „dass die Handlung des Täters objektiv dazu geeignet ist, beim Betroffenen eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung herbeizuführen“. Es kommt also nicht mehr darauf an, ob die Lebensgestaltung tatsächlich und konkret schwerwiegend beeinträchtigt ist, sondern ob dies objektiv der Fall sein kann. Jetzt wiederhole ich noch einmal: Vor dem Hintergrund des Ultima-Ratio-Prinzips des Strafrechts und der Existenz des Gewaltschutzgesetzes finden wir dies problematisch. Nun wird zur Begründung immer auf ein Urteil des BGH verwiesen. Ich finde, dieses Urteil wird häufig zu kurz dargestellt. Der BGH hat im Jahre 2009 ich zitiere wieder - gesagt: Die Lebensgestaltung des Opfers wird schwerwiegend beeinträchtigt, wenn es zu einem Verhalten veranlasst wird, das es ohne das Zutun des Täters nicht gezeigt hätte und das zu gravierenden, ernst zu nehmenden Folgen führt, die über durchschnittliche, regelmäßig Seite 4 von 5 hinzunehmende Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen. Das ist der Leitsatz. Wenn man dann noch einmal genauer hinschaut, heißt es: Weitergehende Schutzvorkehrungen des Opfers, wie etwa das Verlassen der Wohnung nur noch in Begleitung Dritter, ein Wechsel des Arbeitsplatzes oder der Wohnung und das Verdunkeln der Fenster der Wohnung sind dagegen als schwerwiegend anzusehen. Es ist eben explizit nicht gesagt worden, dass nur der Arbeitsplatzwechsel oder der Wohnortwechsel eine schwerwiegende Beeinträchtigung sind, sondern es handelt sich um eine Aufzählung etwa auch anderer Gründe, und diese sind nicht abschließend. Nun teilen wir das ursprüngliche Anliegen des Gesetzgebers, dass nämlich eine strafwürdige Handlung dann vorliegen soll, „wenn das Verhalten des Täters einen so hohen Druck auf das Opfer erzeugt, dass ein objektivierbarer Anlass für eine Verhaltensänderung besteht“. Wir finden, das kann man mit einer kleinen Änderung im derzeit bestehenden Gesetzestext machen. Wenn nämlich das Argument ist, dass „schwerwiegend“ die große Hürde ist, dann streicht man einfach aus dem Gesetz das Wort „schwerwiegend“. Das ist so naheliegend, dass es mich wundert, dass Sie nicht selbst darauf gekommen sind. (Beifall bei der LINKEN) Wenn das Wort „schwerwiegend“ gestrichen wird, dann reicht eine Beeinträchtigung der Lebensweise. Eine solche Beeinträchtigung wäre beispielsweise gegeben, wenn man ein ärztliches Attest oder das Attest einer Beratungsstelle vorlegen kann. Uns scheint das ein besserer Weg zu sein als Seite 5 von 5 die Umwandlung. Es sollte also einfach das Wort „schwerwiegend“ gestrichen werden. Dann hätten wir die Beeinträchtigung der Lebensweise. Wir finden - das will ich hier auch einmal kurz erwähnen - es richtig, dass der Vergleich mit den Anordnungen gleichgestellt wird. Auch finden wir richtig, dass das Privatklagedelikt gestrichen wird. Insofern kann ich Sie einfach nur ermuntern: Ich glaube, wir liegen so weit gar nicht auseinander. Es gibt viele gute Sachen in diesem Gesetzentwurf. Die vorgeschlagene Umwandlung in ein Gefährdungsdelikt teilen wir ausdrücklich nicht. Vielleicht kann aber durch eine kleine Streichung im bestehenden Gesetzestext hier auch noch erreicht werden, dass wir zustimmen könnten. (Beifall bei der LINKEN)
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