Marktausblick Entwicklungen hinter den Kulissen | Unbekanntes Terrain Ausgabe 74 | Oktober 2016 Vorwort Als ob ein ausreifender Konjunkturzyklus, eine unkonventionelle Geldpolitik und eine „langfristige Stagnation“ noch nicht ausreichen würden, mussten wir uns im vergangenen Monat auch noch mit einem „harten“ und „weichen“ Brexit, einem möglichen „Quitaly“, einem nervenzerreissenden US-Wahlkampf und Interventionen der Bankenaufsicht herumschlagen. Die Vorstellung eines „weichen“ Brexit gibt wohl eher Aufschluss über die Wunschvorstellungen derjenigen, die auf einem Verbleib in der EU gehofft hatten. Obschon wir stets der Meinung waren, dass die britische Wirtschaft im Binnenmarkt am besten aufgehoben ist, stellen wir dessen ungeachtet fest, dass sie ebenso gut ausserhalb des Binnenmarktes überleben und letztlich erfolgreich sein kann. Ein Ausscheren Italiens aus der EU ist möglich, allerdings weniger wahrscheinlich als im Falle Grossbritanniens, insbesondere da ein „Nein“ in dem anstehenden Referendum für verfassungsrechtliche Reformen künftige entschiedene Massnahmen unmöglich machen würde. Wir sind ausserdem der Meinung, dass ein Schockergebnis bei den US-Wahlen nicht zu dem Finanzgau führen muss, der befürchtet wird. Allerdings dürften die Anleger es vorziehen, dass derlei Szenario nicht auf die Probe gestellt wird. Unterdessen ist die zufälligerweise destabilisierende Intervention der USBehörden im europäischen Bankensektor ernüchternd. Das unmittelbare Risiko ist überschaubar, allerdings handelt es sich dabei um einen neuen (sprichwörtlichen) Stich ins Wespennest. Das Jahr 2016 stellt uns also weiterhin vor einige der grössten Herausforderungen in Bezug auf unser seit langem bestehenden Szenario des „Durchlavierens“. Trotzdem bleibt unser Szenario intakt. Kevin Gardiner Global Investment Strategist Rothschild Wealth Management Titelbild: Vordergrund: Unser Büro in New Court, London Hintergrund: Ein Brief des US-Finanzministeriums vom 21. November 1834 an Nathan Mayer Rothschild betreffend allgemeine geschäftliche Transaktionen. Mit freundlicher Genehmigung des Rothschild Archivs. Seite 1 | Marktausblick | Oktober 2016 © 2016 Rothschild Wealth Management Erscheinungsdatum: Oktober 2016. Stand der Daten. 30. September 2016. Quelle für Grafiken und Tabellen: Rothschild & Co und Bloomberg, sofern nicht anders angegeben. Entwicklungen hinter den Kulissen Entwicklungen hinter den Kulissen könnten Anlageaktivitäten dominieren Wir wollen durchaus nicht das Schicksal herausfordern, aber in den letzten Wochen gab es nur wenige grosse Überraschungen bei den Wirtschaftsdaten und die konjunkturellen Unwägbarkeiten scheinen ungewöhnlich gering. Am wichtigsten ist, dass sich das Geschäftsklima laut Umfragen in den USA erholt. Auch die Anzahl der Anträge auf Arbeitslosengeld ist gegenüber 1973 auf ein neues Tief gesunken. Die Entwicklung der Cashflows im US-Privatsektor, insbesondere bei den Privathaushalten, befindet sich weiterhin auf robustem und positivem Terrain (s. Abbildung 1). Folglich gerät also die USNotenbank zunehmend in Erklärungsnot bei der Frage, warum Zinserhöhungen ausbleiben und nicht, was ihrer Meinung nach für eine Zinserhöhung spricht. greifen bislang auch nicht auf eine verstärkte Kreditaufnahme zurück, um ihre Ausgaben zu finanzieren. Selbst nach einer weiteren langen Expansion (die nun schon seit acht Jahren andauert) bestehen bislang kaum Anzeichen für einen zyklischen Exzess. Die Gesamtinflation in den USA, die sehr niedrig war, erholt sich wieder, da rückläufige Ölpreise keine Rolle mehr spielen. (Sollte die OPEC in der Tat wie im September vereinbart die Produktion drosseln, könnte dies die Gesamtinflation weltweit aufgrund steigender Ölpreise zusätzlich anheben.) Noch wichtiger ist, dass die Kerninflation in den USA angesichts angespannter Arbeitsmärkte, einer wahrscheinlichen Stabilisierung der Lagerbestände sowie der industriellen Kapazität nach ölpreisbedingten Rückschlägen langsam straffer wird. Der von der US-Notenbank (Federal Reserve) bevorzugte Inflationsindex ist ein Deflator, der Veränderungen im Konsumverhalten schneller registriert und somit konventionellen Preisindizes meistens nachhinkt, aber selbst hier sind Anzeichen einer Annäherung an das Inflationsziel von 2% (s. Abbildung 2) zu erkennen. Die US-Verbraucher sind daher für die allgemeine Wirtschaft nach wie vor eine Liquiditätsquelle und keine Belastung, und sie Folglich gerät also die US-Notenbank zunehmend in Erklärungsnot bei der Frage, warum Zinserhöhungen ausbleiben und nicht, was ihrer Meinung nach für eine Zinserhöhung spricht. Abbildung 1: Wenig Anzeichen auf zyklische Exzesse in den USA Abbildung 2: US-Inflation steigt allmählich Privatsektor nach wie vor mit Finanzierungsüberschuss Gesamt- und Kerninflation der Verbraucherpreise (in % zum Vorjahr) 12 300 9 250 6 200 4 3 150 2 0 100 -3 50 -6 0 1996 2000 2004 2008 2012 2016 Finanzierungssaldo des Privatsektors, annualisiert: in Prozent des BIP, gleitender Durchschnitt über vier Quartale Aktien/zehnjährige Staatsanleihen: relativer Total-Return-Index, geglättet 6 0 -2 -4 2006 2008 US VPI 2010 2012 Kern-VPI USA 2014 2016 Kern-PCE-Deflator Quelle: Datastream, Rothschild & Co Quelle: Federal Reserve, Datastream, Rothschild & Co Marktausblick | Oktober 2016 | Seite 2 Aus Anlagesicht ist der Zeitpunkt höherer Zinsen wahrscheinlich weniger wichtig als der Kontext, in dem die Zinserhöhungen stattfinden werden. angemerkt haben, dominiert in der öffentlichen Debatte weiterhin das Gruppendenken einer „langfristigen Stagnation“. Wenn die Zinserhöhungen, wie von uns erwartet, mit einem fortgesetzten Wachstum der Unternehmensgewinne einhergehen, da die Belastung für den Energiesektor nachlässt und andere Unternehmen von einem fortgesetzten, konsumdominierten Wachstum profitieren, dann dürften die Aktienmärkte durchaus dazu in der Lage sein, die mit Zinserhöhungen einhergehende Volatilität gelassen hinzunehmen. Das derzeitige Programm der EZB zum Kauf von Anleihen läuft im März aus und mittlerweile wird spekuliert, ob die Käufe nicht schon vorher eingeschränkt werden sollten, aber die Wahrscheinlichkeit einer deutlichen geldpolitischen Straffung ist gering. Zyklische Indikatoren andernorts weisen ebenfalls auf ein anhaltendes Trendwachstum hin. Die Unternehmensumfragen in Kontinentaleuropa und in Grossbritannien sind stabil, und selbst in China scheint sich das Geschäftsklima in den letzten Monaten gefangen zu haben (s. Abbildung 3). Insbesondere in Grossbritannien ist mittlerweile klar, dass am 24. Juni eher die Stimmung und nicht die Ausgaben oder Aufträge in Mitleidenschaft gezogen wurden. Das heisst noch lange nicht, dass der Brexit ohne Konsequenzen bleiben wird (siehe unten), sondern lediglich, dass die anfänglichen Auswirkungen übertrieben wurden. Im Falle Chinas erscheint es uns nach wie vor viel zu früh, um zu dem Schluss zu kommen, dass die Abkühlung vorüber ist, obschon wir nie zu denjenigen gehörten, die von einem „Kollaps“ ausgingen. Trotz des anhaltend respektablen Wachstums ausserhalb der USA dürfte die Fed vorerst jedoch die einzige Zentralbank sein, die Zinsstraffungen vornimmt. Bislang gibt es nirgendwo Anzeichen dafür, dass die Kerninflation in eine regelrechte Deflation abrutscht. Aber ebenso bestehen kaum Anzeichen auf eine Beschleunigung der Inflation, und wie wir bereits letzten Monat Abbildung 3: Zyklische Indikatoren deuten auf Trendwachstum hin Ausgewählte Umfragen aus dem verarbeitenden Gewerbe, Standardabweichungen vom Trend 4 2 0 -2 -4 -6 2006 USA 2008 China 2010 2012 Deutschland 2014 2016 Japan GB Quelle: Datastream, Rothschild & Co Seite 3 | Marktausblick | Oktober 2016 Die Bank of England hat sich von ihren öffentlich geäusserten Bedenken über die Auswirkungen des Referendums noch nicht distanziert. Sie scheint nach der Zinssenkung im August und der Wiedereinführung von Anleihekäufen über weitere Massnahmen nachzudenken, obschon der Wechselkurs bereits zu einer zusätzlichen Lockerung des geldpolitischen Umfelds beiträgt. Wir rechnen mit einer Kehrtwende, allerdings nicht zu bald. Die jüngste geldpolitische Innovation der Bank of Japan ist ungewöhnlich. Eine Deckelung der Renditen auf 10-jährige Anleihen bei null ist eigentlich keine tiefgreifende Veränderung, solange die Renditen weiterhin negativ sind und die Zentralbank beabsichtigt, ihre Anleihekäufe fortzusetzen. Dafür bedarf es indes aller nur erdenklichen unterstützenden Annahmen zu den Inflationserwartungen, bevorstehenden fiskalischen Anreizen und dergleichen. Wir wundern uns übrigens nicht zum ersten Mal, was genau die Frage sein könnte, die nach einer derart komplizierten Antwort verlangt. Allerdings besteht kein Zweifel, dass die Bank of Japan beabsichtigt, entgegenkommend zu sein. (Noch wichtiger ist unseres Erachtens, dass sich nun auch die japanischen Ökonomen die Frage stellen, ob das jüngste BIP-Wachstum unterschätzt wurde. In Grossbritannien kam Professor Sir Charles Bean Ende in seinem Bericht Ende 2015 zur gleichen Schlussfolgerung. Wir gehen seit langem davon aus, dass die ungünstigen Produktivitätsdaten und die angebliche “langfristige Stagnation” zum Teil eher auf statistische Defizite als auf besorgniserregendere Trends zurückzuführen sind. So wird berichtet, dass die Bank of Japan mit einem alternativen Mass für das BIP experimentiert, weshalb das für 2014 ausgewiesene Wachstum beispielsweise um mehr als 3% hinter den tatsächlichen Daten zurückbleibt. Dies macht den entscheidenden Unterschied zwischen der angeblichen Rezession (ein Rückgang des BIP von 0,9%) und einer robusten Expansion aus. Glücklicherweise lassen sich Steuern, die Beschäftigungslage und die Cashflows von Unternehmen leichter messen als digitaler Mehrwert.) Nun zu den Geschehnissen hinter den Kulissen: •Die Diskussion über einen „harten“ und „weichen“ Brexit hält die Experten auf Trab und das Pfund niedrig. Wir sind jedoch davon ausgegangen, dass ein Austritt aus der EU zur Begrenzung der Freizügigkeit von Arbeitskräften selbstverständlich darauf hinausläuft, dass Grossbritannien auch den Binnenmarkt verlässt. Die Verhandlungsmacht von Grossbritannien ist leicht zu überschätzen: Wirtschaftlich ist der Rest der EU wesentlich wichtiger für Grossbritannien als umgekehrt. Ein Austritt aus der EU zur Begrenzung der Freizügigkeit von Arbeitskräften läuft sehr wahrscheinlich auch auf ein Verlassen des Binnenmarktes hinaus. ber selbst ein „harter“ Brexit, ein Szenario, A von dem wir schon immer als wahrscheinliche Konsequenz des „Leave“-Votums ausgegangen waren, dürfte wohl kaum einen kompletten Paradigmenwechsel darstellen. Wir gehen davon aus, dass die Unternehmensinvestitionen letztlich in Mitleidenschaft gezogen werden und die City überproportional leidet. Wenn sich die Lage wieder beruhigt hat, sollte Grossbritannien weiterhin zu den dynamischeren grossen Volkswirtschaften Europas zählen. Die meisten Zollgebühren sind heutzutage gering, die Bevölkerung Grossbritanniens wächst und Arbeitsrecht und Corporate Governance sind relativ liberal. •Das italienische Referendum über verfassungsrechtliche Reformen ist nun für den 4. Dezember anberaumt, was der Regierung etwas mehr Zeit gibt, um dafür Unterstützung zu gewinnen. Ein „Nein“, das den Umfragen zufolge wahrscheinlich ist, wäre für die Regierung und für den Status quo generell ein immenser Schlag. Die Spekulationen über einen Austritt Italiens aus der EU würden zunehmen. Italien ist Gründungsmitglied der EU und des Euro, mit einer grossen Wirtschaft und einem bedeutenden Anleihemarkt. Eine Abspaltung dieses Landes wäre daher ein weitaus grösserer finanzieller Schock als das Ausscheren Grossbritanniens. ber die hierfür erforderliche Kette an A Ereignissen wäre eine lange und komplexe, ironischerweise umso mehr, sollte die umständliche Verfassung des Landes nicht reformiert werden. Italienische Wähler, die wirklich einen Austritt aus der EU wünschen, sollten am 4. Dezember eigentlich für die Verfassungsreform stimmen – in der Tat ein veritables Dilemma. •Eine weitere Bedrohung nicht-wirtschaftlicher Art für die Stabilität an den Märkten ist, dass in Spanien noch immer keine Regierung gebildet werden konnte. Neue Ausgabenpläne und Steuerkonzepte müssen verabschiedet werden. Die Wirtschaft hat sich schneller erholt als von vielen für möglich gehalten: So ist die Arbeitslosigkeit von 27% Anfang 2013 auf 20% zurückgegangen. Das ist immer noch zu hoch aber nur 2% über dem Trendwert vor Einführung des Euro. Eine schwache Haushaltsdisziplin und das Risiko von EU-Sanktionen könnten allerdings destabilisierend wirken. •In Bezug auf die US-Wahlen raten wir den Anlegern wie im letzten Monat, langfristig ausgelegte Portfolios in Erwartung oder infolge eines Schock-Ergebnisses nicht voreilig umzuschichten. Wir erkennen fünf Puffer, die gegen eine potenziell extreme Politik sprechen. Erstens ist ein Wahlsieg für Trump keine ausgemachte Sache. Zweitens hat Trump sich vielleicht noch gar nicht entschieden, welche Politik er im Detail als Präsident verfolgen wird. Drittens sollte Trump von Beratern umgeben sein, die eventuell versuchen, seine Politik zu ändern, sobald er sich entschieden hat. Viertens kann Abbildung 4: Anleihen: überteuert aber keine Blase Renditen der Staatsanleihen aus Industrieländern abzüglich aktueller Inflation (in %) 6 4 2 0 -2 1990 1995 2000 2005 2010 2015 Rendite globaler Staatsanleihen mit 7–10 Jahren Laufzeit abzügl. G7-VPI zum Vorjahr 10-Jahresdurchschnitt +/- 1 Standardabweichung Quelle: Bloomberg, Datastream, Rothschild & Co Marktausblick | Oktober 2016 | Seite 4 der Kongress, obwohl er von den Republikanern dominiert ist, als Notbremse fungieren. Und fünftens gibt es zu viele Variablen: Die Wirtschaft und die Märkte werden nicht von einer Politik, ja nicht einmal von der Regierungspolitik auf beliebige Weise diktiert. Trumps streitsüchtiger Protektionismus wäre in der Tat besorgniserregend. Vorhaben für eine fiskalische Expansion könnten der Wirtschaft dagegen in der Tat zyklischen Auftrieb verleihen. Unterdessen steht die Wirtschaft in den USA und weltweit keineswegs still. •Während der globalen Finanzkrise stellte die irische Regierung unter Beweis, dass sich die Geldpolitik nicht von der Bankenpolitik trennen lässt (ein Punkt, den bis dahin die britische Regierung auf sehr öffentliche Weise ignoriert hatte). Wenn die Banken pleite sind, kann die Zinspolitik nicht funktionieren. Wenn also eine systemrelevante Bank einem ihre Kapitalbasis bedrohenden Bussgeld ausgesetzt ist, kann dies sämtliche Versuche unterminieren, die Wirtschaft zu reflationieren. Wenn dieses Bussgeld auch noch von einer ausländischen Aufsichtsbehörde verhängt wird, dann ist die geldpolitische Souveränität eines Landes wohl zum Teil eine Illusion. Die Sanktion, die über die Bank verhängt wurde, scheint nicht lebensbedrohlich zu sein: Das Bussgeld könnte in Verhandlungen noch reduziert werden, es bestehen Rücklagen, Vermögenswerte können erforderlichenfalls veräussert werden und die Bank könnte eine Kapitalerhöhung durchführen. Allerdings könnte hier eine neue Risikoquelle entstanden sein. Es bleibt zu hoffen, dass nationale Regierungen der Versuchung widerstehen werden, Banken zu Instrumenten protektionistischer Bemühungen zu machen. och ein Gedanke: Viele Beobachter sind der N Meinung, die Sorgen der Banken könnten schnell schwinden, wenn ihre Kapitalbasis deutlich wachsen würde. Das mag in der Theorie durchaus der Fall sein. Allerdings ist es unter Umständen nicht leicht, derart günstig (zu bedienendes) Kapital bei privaten Aktionären aufzutreiben. Anlagefazit Trotz der zusätzlichen Entwicklungen hinter den Kulissen, glauben wir weiterhin an das Szenario des „Durchlavierens“, nicht an eine „langfristige Stagnation“. Der von den USA angeführte Konjunkturzyklus reift derzeit aus, ist aber nicht besonders anfällig und weist kaum Exzesse auf. Das Wachstum in China hat sich abgekühlt, ist aber nicht eingebrochen; Kontinentaleuropa wächst in dem für die Region typisch moderaten Tempo; die Bedenken über dramatische Auswirkungen des Brexit-Referendums in Grossbritannien scheinen überzogen. Unterdessen ist die Inflation moderat: Die Zentralbanken dürften vorerst nicht so schnell ihre geldpolitischen Rahmenbedingungen normalisieren. Aus Top-down- bzw. makroökonomischer Sicht schlägt sich das wie folgt auf die Portfolioempfehlungen nieder: •Ein anhaltendes Wachstum deutet darauf hin, dass auch künftig die Anlagerenditen an den Aktienmärkten zu erzielen sein werden. Dafür sprechen ferner die Bewertungen. •Die negativen Anleiherenditen sind besorgniserregend. Unter Berücksichtigung der Inflation Abbildung 5: Aktienbewertungen nach wie vor unspektakulär Abbildung 6: Pfund Sterling erscheint günstig Industriestaaten, zyklisch bereinigtes KGV Realer handelsgewichteter Wechselkursindex und Trend 50x 160 40x 140 30x 120 20x 100 10x 0x 80 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 Industriestaaten, zyklisch bereinigtes KGV Gleitender 10-Jahresdurchschnitt +/- 1 Standardabweichung Quelle: MSCI, Datastream, Rothschild & Co Seite 5 | Marktausblick | Oktober 2016 1980 1990 Pfund Sterling ERI (real) Quelle: Datastream, Rothschild & Co 2000 2010 Gleitender 10Jahresdurchschnitt waren die Renditen allerdings vor noch nicht allzu langer Zeit niedriger (s. Abbildung 4). Trotzdem dürften die Renditen kaum dem realen Wohlstand der Anleger zugutekommen, und Anleihen mit langer Duration können volatil sein. Unternehmensanleihen sind weniger unattraktiv, dürften aber kaum reale Renditen abwerfen. •Die Aktienkurse sind seit der Krise stark gestiegen, allerdings auch – und wie im Übrigen zu erwarten – die Unternehmensgewinne: Die meisten Bewertungskennzahlen liegen innerhalb der historischen Spannen (s. Abbildung 5). Der jüngste Rückgang der Gewinne im Erdöl- und Bergbausektor geht wohl zu Ende und hat die Kaufkraft (und somit auch das Ertragspotenzial) der übrigen Wirtschaftsteilnehmer gesteigert. •Anleihen und liquide Mittel dienen derzeit als Ballast und Absicherung vor einem wachstumsschwächeren Umfeld. Als solches sollten sie in den Lokalwährungen der Anleger gehalten werden, denn Fremdwährungsrisiken machen sie volatiler. Die Zinssätze haben sich weltweit angenähert, insbesondere unter Berücksichtigung der Absicherungskosten. •In den meisten Regionen dürfte es auf lange Sicht, wenn auch in unterschiedlichem Tempo, zu einer Zinsnormalisierung kommen. Wir ziehen vor allem Unternehmensanleihen (Kredit) von hoher Bonität Staatsanleihen vor. Bei Schwellenländeranleihen (selbst denen in Hartwährung) können wir derzeit kaum attraktive Bewertungen ausmachen, da sie bereits eine gewisse Erholung hinter sich haben und mittlerweile nicht mehr besonders günstig sind. •Unseres Erachtens werden die Zinsen steigen und die Kreditwürdigkeit nachlassen, und zwar schneller in den USA als in Europa. Bei auf US-Dollar lautenden Portfolios stehen wir infolgedessen inflationsindexierten Anleihen kurzer Duration positiver gegenüber als spekulativen Unternehmensanleihen. Indexierte britische Staatsanleihen betrachten wir aufgrund der hohen Bewertungen längerer Laufzeiten mit Vorsicht. •Bei den Aktienkursen besteht nach oben hin weiterhin etwas Luft in Bezug auf die Gewinne und Dividenden, und wir wären in dieser Hinsicht sowohl regional als auch sektorspezifisch aufgestellt. •Wir schätzen den Ausblick für die USA, Europa ohne Grossbritannien und die Schwellenländer Asiens nach wir vor am positivsten ein. Grossbritannien und den Industrieländern Asiens ohne Japan (obschon wir selbst dort Aktien gegenüber Anleihen vorziehen) stehen wir verhalten gegenüber. Unseres Erachtens könnten die Schwellenmärkte eine Outperformance erzielen (bis Frühling waren wir gegenteiliger Meinung). •Der US-Markt ist relativ teuer und erwartet höhere Zinsen, aber unter Umständen ist das Wachstum noch nicht ganz in den Bewertungen eingepreist. Die Aktien in Kontinentaleuropa sind relativ günstig, selbst in Erwägung des dort langsameren Wachstums. In den Schwellenländern Asiens waren die Sorgen um eine weitere Krise wie die im Jahr 1997 übertrieben. Die strukturelle Attraktivität der Region bleibt selbst in Anbetracht einer Wachstumsabkühlung in China intakt. •Grossbritannien und die Industrieländer Asiens (ohne Japan) stehen vor lokalen und sektorspezifischen Problemen, die sie davon abhalten könnten, vollumfänglich am globalen Wachstum teilzuhaben. •In den USA bevorzugen wir eine Mischung aus zyklischen Sektoren und solchen, die sich durch ihre langfristigen Wachstumsaussichten auszeichnen (z. B. Technologie, Banken und Energie) im Gegensatz zu anleiheähnlichen Sektoren wie Versorgung und Basiskonsumgüter. In Europa hegen wir weniger sektorspezifische Überzeugungen: Unserer Meinung nach besteht im Finanzsektor nach den jüngsten Problemen weiterhin die Möglichkeit einer Kurserholung, allerdings handelt es sich hier um einen sehr volatilen Sektor. •Bei den Währungen sind eindeutige Empfehlungen schwierig. Abgesehen vom Pfund Sterling, das unseres Erachtens auf das Brexit-Referendum überreagiert (s. Abbildung 6) und damit in unserem zyklischen WährungsRanking nach oben katapultiert wurde, waren die wesentlichen Hartwährungen ungeachtet der negativen Prognosen (Euro, Yen und Renminbi) und positiven Prognosen (US-Dollar) der Experten unlängst relativ stabil. •Dessen ungeachtet rangiert für uns der USDollar (nach dem Pfund Sterling) weiterhin hoch: Wie US-Aktien ist er nicht günstig, allerdings aus zyklischer Sicht attraktiv. Den Schweizer Franken und den Renminbi bewerten wir dagegen negativ: Ihre zyklische Position ist schwächer und die Bewertungen (gegenüber dem Trend) sind mittlerweile anspruchsvoller. Chinas lockernde/ durchlässige Kapitalverkehrskontrollen gleichen indes den Handelsüberschuss des Landes aus. Marktausblick | Oktober 2016 | Seite 6 Unbekanntes Terrain Aber vielleicht nicht ganz so beängstigend, wie es scheint? Etwa ein halbes Dutzend Zentralbanken führt derzeit eine negative Zinspolitik und mehr als ein Viertel der Industrieländer haben negativ rentierende Staatsanleihen: Das ist ein absolutes Novum. Warum sollte man sparen oder investieren, wenn Anlagen nur eine negative Rendite abwerfen? In der Tat ist die Lage aber vielleicht weniger besorgniserregend, als es scheint. Es kann durchaus Sinn machen, sich an negativen Renditen zu beteiligen, und das Sparen war in der Vergangenheit schon mal schwieriger. Die Lehrbücher sind der Meinung, negative Zinsen kann es nicht geben, denn in diesem Falle würden die Sparer umgehend ihre Einlagen auf Bares umschichten. Allerdings ist das eine vereinfachte Sicht: Eine sichere Verwahrung hat ihren Preis, während Papiergeld auch nicht immer liquide ist. Die Zinsen spiegeln die Interaktion von Millionen von Sparern und Kreditnehmern wider. Die Bereitschaft, liquide Vermögenswerte zu halten (deren Angebot, um noch zusätzlich Verwirrung zu stiften, nicht fix ist), wird vom Konjunkturzyklus, den Zentralbanken und nicht greifbaren Aspekten wie Risikobereitschaft und Produktionsgrenzen bestimmt. Bislang liessen sich diese Aspekte noch nicht erfolgreich modellieren, was auch künftig nicht anders sein dürfte. Es fühlt sich so an, als sollten die Zinsen eigentlich positiv sein. Das waren sie immer; und die Zukunft ist ungewiss, was irgendwie eingepreist werden muss. Im Grossbritannien der Nachkriegszeit lagen die Zinsen selbst vor 2008 in einer Spanne von 2% bis 17%. Und es bedürfte schon beinahe Einfallslosigkeit, wenn man sich keine kollektive Verzagtheit vorstellen kann, bei der einer unbekannten Zukunft ein höherer Stellenwert eingeräumt wird als der Gegenwart, und sei es auch nur für vorübergehende Zeit. Renditen unterhalb von Null sind also unter Umständen gar nicht mal so verrückt. Ferner könnten andere Vermögenswerte mit noch grösseren Verlusten aufwarten. Wenn ausserdem die Anleger der Meinung sind, dass die Inflation noch negativer sein wird, dann Seite 7 | Marktausblick | Oktober 2016 könnten die erwarteten realen Renditen, die letztlich am wichtigsten sind, tatsächlich positiv sein. Und negative reale Zinsen sind keine Neuigkeit (s. Abbildung 7). In den 1970er Jahren waren die investitionsbereinigten Zinsen in Grossbritannien stark negativ (vor Steuern). So verloren Bankeinlagen in den Jahren von 1970 bis 1978 in der Regel ein Viertel ihres realen Wertes, und die Sparer reagierten, indem sie mehr von ihrem Einkommen auf die hohe Kante legten, um den resultierenden Schaden auszugleichen, was wiederum das Wachstum arg in Mitleidenschaft zog. Das waren zweifelsohne schwierigere Zeiten als die heutigen. Gegenwind für Anleihen am stärksten Allerdings bedeutet dies nicht, dass wir heute Anleihen oder liquide Mittel als langfristige Anlage vorziehen: Das Gegenteil ist der Fall. Gemäss unseren Inflationsannahmen dürften die realen Renditen und nicht nur einige nominale Verzinsungen negativ sein. Und in Anbetracht der derzeit hohen Preise dürften vor allem langfristige Anleihen alles andere als die stabile Anlageklasse sein, für die sie gehalten werden. Hier geht es nicht um Bonität: Die meisten Anleihen werden zu ihrem Nennwert getilgt. Viele werden jedoch darüber gehandelt, was auf Verluste hindeutet, die allerdings wiederum in den niedrigen Rückzahlungsrenditen ihren Niederschlag finden. Figure 7: Negative reale Zinsen keine Neuigkeit Bankzinsen abzüglich Inflationsraten: USA, GB, Schweiz (in %) 10 5 0 -5 -10 -15 -20 1970 1980 GB 1990 USA Quelle: Datastream, Rothschild & Co 2000 Schweiz 2010 Stattdessen machen wir uns um die Marktwertvolatilität Sorgen. Langfristige Anleihepreise sind vor allem bei niedrigen Renditen anfällig. Diese „Sensitivität“, auch „Duration genannt“, bedeutet, dass beispielsweise ein Anleger, der in Gilts mit Fälligkeit im Jahr 2026 investiert, einen Verlust von rund 9% erleiden könnte, sollten die langfristigen Zinserwartungen um einen Prozentpunkt steigen (was immer noch ein historisch niedriges Zinsniveau wäre). Der Preis würde beim Rückkauf nach wie vor zum Nennwert zurückkehren. Bis dahin kann es aber lange dauern und Anleger könnten unruhig werden oder gar in eine Schieflage geraten. Natürlich können Anleihen als kurzfristige Portfolioabsicherung fungieren, wenn sie gegenüber Aktien eine negative Korrelation aufweisen. Mit der Zeit dürften Anleihen angesichts sich allmählich normalisierender Zinsen mit der Inflation noch weniger Schritt halten können als (stabile) Barmittel. Wie bereits im vergangenen Monat erwähnt, machen wir uns auch Sorgen um die Politik, mit der die nominalen Zinsen derart niedrig gehalten werden, d. h. um den geldpolitischen Auftrag der Zentralbanken, die im Kampf gegen die „langfristige Stagnation“, die vielleicht gar nicht existiert, den Einsatz von „Helikoptergeld“ in Erwägung ziehen. Dessen ungeachtet ist eine Wiederholung des Inflationstraumas der 1970er Jahre sehr unwahrscheinlich. Marktausblick | Oktober 2016 | Seite 8 Hinweise Rothschild Private Wealth bietet eine objektive langfristige Perspektive beim Investment, der Strukturierung und Wahrung von Kapitalanlagen, um das Vermögen unserer Kunden zu erhalten und zu steigern. Wir bieten einigen der vermögendsten und erfolgreichsten Familien, Unternehmen, Stiftungen und Wohltätigkeitsorganisationen der Welt ein umfangreiches Leistungsspektrum. In einem Umfeld, das häufig von einer kurzfristigen Sichtweise geprägt ist, unterscheiden wir uns mit unserer langfristigen Perspektive. 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In manchen Ländern kann die Ausgabe dieses Dokuments durch Gesetze oder andere Vorschriften eingeschränkt sein. Den Empfängern dieses Dokuments wird daher empfohlen, sich dementsprechend persönlich zu informieren und alle einschlägigen rechtlichen und aufsichtsbehördlichen Bestimmungen einzuhalten. Im Zweifelsfall dürfen weder dieses Dokument noch Kopien davon in die USA versandt oder mitgenommen oder in den USA in Umlauf gebracht oder an eine US-Person ausgehändigt werden. Die in dieser Publikation enthaltenen Hinweise auf Rothschild & Co beziehen sich auf jedes zum Konzern der Rothschilds Continuation Holdings AG gehörende Unternehmen, das unter dem Namen «Rothschild» tätig ist, aber nicht notwendigerweise auf ein bestimmtes Rothschild & Co Unternehmen. Kein Unternehmen der Rothschild Gruppe ausserhalb Grossbritanniens und keine Gesellschaft der Rothschild Trust Group unterliegen dem britischen Financial Services and Markets Act aus dem Jahr 2000. 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