Marktausblick

Marktausblick
Ist das die langfristige Stagnation? | Die US-Präsidentschaftswahl
Ausgabe 73 | September 2016
Vorwort
Nach dem EU-Referendum Grossbritanniens und vor dem Hintergrund des
US-Wahlkampfs werden die Zeiten für das Establishment rau. Es heisst,
dass die Wähler gegen die Machtstrukturen aufbegehren.
Dabei sind überall Demokratiedefizite und Spannungen auszumachen.
Das hauptstädtische Bildungsbürgertum hat das restliche Grossbritannien
übergangen, und Brüssel hat Europa ausgelaugt. Die regierende Klasse
Amerikas indes hat eine frustrierte US-Mittelschicht ignoriert.
So lautet zumindest die landläufige Meinung. Im Wirtschaftsbereich
erweisen sich übernommene Auffassungen allerdings häufig als falsch.
Bleibt die Frage, warum dies in der Politik anders sein sollte. Die allgemein
erwartete globale Gegenreaktion auf das „System“ nach den Verwerfungen
von 2008 blieb aus, und das könnte dieses Mal genauso sein.
Die britischen Wähler wollten die EU nicht, doch ihre (konservative)
Regierung scheint weniger unbeliebt zu sein als die Opposition. Im Übrigen
ist der Sieg des Anti-Establishment-Kandidaten am 8. November alles
andere als gewiss und muss nicht unbedingt zu Krise, Autarkie und
geopolitischer Instabilität führen, obschon es sicherer wäre, das nicht
herausfinden zu müssen.
Anleger sollten unvoreingenommen und „grossen Ideen“ gegenüber
skeptisch bleiben. Wie von uns dargelegt, tendieren die meisten
Volkswirtschaften (gewohntermassen) aufwärts, während sich die
Rentabilität stabilisieren kann. Auch wenn wir gewisse Bedenken bezüglich
der Geldpolitik hegen, sind diese nicht akut. Die von uns bevorzugten
wachstumsorientierten Vermögenswerte sind nicht besonders teuer.
Anleihen scheinen, wenn auch mit wenig Inflation, teuer bewertet, und
die sich weiterhin in Pessimismus übenden Zentralbanken dürften diese
Haltung noch eine Weile an den Tag legen.
Kevin Gardiner
Global Investment Strategist
Rothschild Wealth Management
Titelbild:
Vordergrund: Unser Büro in New
Court, London
Hintergrund: Ein Brief des
US-Finanzministeriums vom
21. November 1834 an Nathan
Mayer Rothschild betreffend
allgemeine geschäftliche
Transaktionen. Mit freundlicher
Genehmigung des Rothschild
Archivs.
Seite 1 | Marktausblick | September 2016
© 2016 Rothschild Wealth Management
Erscheinungsdatum: September 2016.
Stand der Daten. 31. August 2016.
Quelle für Grafiken und Tabellen:
Rothschild & Co und Bloomberg, sofern
nicht anders angegeben.
Ist das die langfristige Stagnation?
Einige pessimistische Prognosen orientieren sich möglicherweise an der
Vergangenheit
Die Neigung, in den Rückspiegel und damit auf
vergangene Ereignisse und Trends zu blicken,
tritt am deutlichsten zutage, wenn die Wirtschaft
überraschend in ein grosses Loch fällt. Dann
wird schnell eine Fabel gestrickt, um zu erklären,
warum dies passieren musste und die Wirtschaft
sich nie wieder erholen wird.
Die Sicht aus der Frontscheibe bietet genauso
wenig Erkenntnisse, denn die Zukunft ist
nun einmal nicht vorhersagbar. Doch dieses
Bedürfnis nach einem plausiblen Diskurs
— d.h. einer Ex-post-Erklärung, um eine
andernfalls scheinbar willkürliche und absurde
Welt auszuschliessen — ist ein guter Grund,
vorgefertigte Überzeugungen mit einer gehörigen
Portion Skepsis zu betrachten.
Diese vorgefertigten Überzeugungen, die uns
erklären, warum wir in das riesige, von der
globalen Finanzkrise 2008/2009 verursachte
Loch fielen, gehen mit einer Vielzahl an
Schlagwörtern wie Schulden, Demografie,
Deflation, Niedergang, Abbau (knapper
Ressourcen) und Gefahren (in geopolitischer
Hinsicht) einher.
Wir haben bereits dargelegt, warum
diese Phänomene überbewertet werden
können und wir die globale Finanzkrise als
Liquiditätsereignis und nicht als kollektive
Insolvenz betrachteten. Inzwischen jedoch
verschmelzen diese altbekannten Schlagwörter
mit neuen Sorgen in Bezug auf das Spektrum
der „langfristigen Stagnation“. Hinter dieser
Einschätzung verbirgt sich der Gedanke,
dass sich das Wachstum vom westlichen
Gesellschaftsmodell verabschiedet hat.
Schwarzmalerei ist häufig widersprüchlich.
Denn so sollen wir uns um einen Mangel
(Bevölkerungsentwicklung) und ein Überangebot
an Arbeitsplätzen (Deflation) sorgen.
Gleiches gilt für zu viel Innovation (Vormarsch
der Roboter) und zu wenig davon (keine
bedeutenden neuen Erfindungen).
Doch derartige Bedenken halten die politische
Debatte fest im Würgegriff. Die Zentralbanken
werden unter Druck gesetzt, aufgrund dessen
kostenloses („Helikopter“-) Geld zu verteilen,
wobei manche Währungshüter dies bereits in
Erwägung gezogen haben.
Dies könnte als gutes Beispiel für jene
„rückspiegelorientierte“ Strategie dienen, wie wir
sie beobachten dürften.
Die Auffassung ist nicht neu. Der vorherrschende
Ausblick war in der Vergangenheit höchst
negativ, und der Begriff „neue Normalität“ hängt
eng damit zusammen. Ende 2013 erlebte der
Begriff durch US-Ökonom Larry Summers eine
Renaissance.
Gleichwohl könnte er eine vergangenheitsorientierte und falsche Einschätzung widerspiegeln.
Ende 2013 hatte sich beispielsweise der
gleitende Zehnjahresdurchschnitt des USWachstums bereits deutlich verlangsamt und
war mit weniger als zwei Prozent so niedrig wie
seit 50 Jahren nicht mehr (Abbildung 1). Damit
stellt sich die Frage, ob die Erkenntnis einer
langfristigen Stagnation einer Prophezeiung
oder einer unterbewussten Auslegung
schlechter Nachrichten entsprach, die bereits
eingetreten waren.
Arithmetisch betrachtet schlägt sich in der
Abkühlung weitestgehend die globale Finanzkrise
selbst nieder. Doch so düster die Krise auch war,
sie zerstörte keine Arbeitsplätze, natürlichen
Ressourcen, kein physisches Kapital und keine
Technologie. Die wichtigsten Produktionsfaktoren
und mit ihnen das potenzielle künftige Wachstum
blieben von ihr unberührt. Und wenn die Krise
den gleitenden Zehnjahresdurchschnitt hinter
sich lässt, wird wieder eine Erholung einsetzen —
so wie eine kürzere bereits unter Beweis gestellt
hat (Abbildung 2).
Abbildung 1: Ist das die langfristige Stagnation?
Reales US-BIP-Wachstum, gleitender Zehnjahresdurchschnitt,
annualisiert %
6
5
4
3
2
1
1960
1970
1980
1990
2000
2010
Quelle: Datastream, Rothschild & Co
Marktausblick | September 2016 | Seite 2
Wenn überhaupt, könnte dies die Auswirkungen
der globalen Finanzkrise auf die Dynamik des
Trendwachstums unterbewerten. Ohne Frage
wurde das Wachstum vor der Krise durch
finanzielle Exzesse in nicht nachhaltiger Weise
aufgebläht.
Tatsächlich unterschieden sich einige Zahlen
zum jüngsten Trendwachstum der realen
Nachfrage der Endverbraucher in den
USA (Verbraucherausgaben zuzüglich der
Wohnungsbau- und Unternehmensinvestitionen)
kaum von den Werten vor der globalen
Finanzkrise bei knapp drei Prozent. Die
deutlichsten Anzeichen einer langanhaltenden
Wachstumsschwäche zeigen die Staatsausgaben,
die in der Mär von der langfristigen Stagnation
keine grosse Rolle spielen.
Irgendwann wird es zu einer weiteren Krise und/
oder einer konjunkturellen Eintrübung kommen.
Aber wir haben an anderer Stelle bereits
aufgezeigt, dass insbesondere Verschuldung
und Bevölkerungsentwicklung nicht jene düstere
Rolle spielen, die ihnen zugeschrieben wird.
Ausserdem bezweifeln wir, dass Ökonomen
Innovation (bzw. deren Ausbleiben) besser
vorhersagen können als Wissenschaftler. Es
empfiehlt sich ein Blick auf den gleitenden
Zehnjahresdurchschnitt in drei Jahren.
Zurück zum Ausgangspunkt ...
Die US-Wirtschaft scheint derzeit in
ausreichendem Masse zu wachsen, um
weiterhin Arbeitsplätze zu schaffen und den
Lebensstandard anzuheben. Die enttäuschende
Entwicklung im zweiten Quartal war auf den
Abbau der Lagerbestände zurückzuführen;
dieser scheint jedoch nur vorübergehend
gewesen zu sein. Die Finanzlage der Verbraucher
bleibt solide. Dabei gibt es — wenn auch
verhaltene — Anzeichen für einen Anstieg
des Lohnwachstums, während sich die US-
Abbildung 2: Langfristig und kein Ende?
Reales US-BIP-Wachstum, Wachstum der Endnachfrage der
Verbraucher, gleitender Siebenjahresdurchschnitt, annualisiert %
6
5
4
3
2
1
0
1960
1970
BIP
1980 1990 2000 2010
Endnachfrage der Verbraucher
Quelle: Datastream, Rothschild & Co
Seite 3 | Marktausblick | September 2016
Kerninflation etwas beständiger präsentiert als
in Europa.
Entsprechend kann man die Anhaltspunkte der
US-Notenbank wohl für bare Münze nehmen:
Sollte das ordentliche Wachstum anhalten,
könnten die Zinsen möglicherweise noch vor
Jahresende ein zweites Mal steigen. Wichtiger
noch ist, dass die Unternehmensgewinne wieder
anziehen dürften, zumal die durch niedrigere
Ölpreise bedingten Schwierigkeiten nachlassen
und die Bewertungen am Aktienmarkt wieder
Auftrieb erhalten. (Unsere Auffassungen zur USWahl sind Gegenstand des zweiten Essays.)
Nach der referendumsbedingten Abschwächung
haben sich die eher emotional geprägten
Unternehmensumfragen in Grossbritannien
wieder erholt — so wie wir dies erwartet hatten.
Gleichwohl sind die harten Daten nach dem
Referendum noch uneinheitlich. Während die
Einzelhandelsausgaben im Juli robust waren,
brach das verarbeitende Gewerbe ein.
Wir sind sicher, dass der Brexit der Wirtschaft
und dem britischen Trendwachstum schaden
wird. Demnach scheint zumindest eine
gewisse Abschwächung der ausländischen
Direktinvestitionen wahrscheinlich. Eine
unmittelbare Rezession ist jedoch bei Weitem
nicht gewiss.
Auch wenn die Bank of England mit
Zinssenkungen und den Ankündigungen
(moderater) neuer Anleihenkäufe im August
ihre Hausaufgaben gemacht hat, dürfte
die abgewertete Währung einen grösseren
Beitrag geleistet haben. Tatsächlich vermuten
wir, dass die Zentralbank und das britische
Pfund überreagiert haben. Hierfür spricht
möglicherweise auch, dass das Pfund im Zuge
des Zinsschritts nicht auf neue Tiefstände
rutschte. Wir wären nicht überrascht, wenn sich
das Pfund und die Zinsen in einem Jahr wieder
etwas erholt hätten.
Indes wuchs die Wirtschaft der Eurozone im
Gleichschritt mit ihrem traditionell verhaltenen
Trend, allerdings ohne nennenswerte Inflation.
Die EZB kauft nach wie vor grosse Volumen
an Anleihen, um das Tempo zu beschleunigen.
Die negativen Renditen haben sich weiter
ausgebreitet, zumal die Kurse von mehr und
mehr Anleihen in die Höhe getrieben wurden.
Doch trotz unserer Bedenken hielten sich die
praktischen Auswirkungen ausserhalb des
Anleihenmarktes in Grenzen. Selbst der Euro
scheint unbeeindruckt und ist im Gegensatz zum
Pfund nicht spürbar günstig.
Auch wenn die unmittelbaren Spannungen in der
Wirtschaft derzeit gering sein mögen — selbst
im Bankensektor war es jüngst vergleichsweise
ruhig — könnten die politischen Verwerfungen
in Europa wieder auf dem Vormarsch sein. Die
Flüchtlingskrise ist nach wie vor allgegenwärtig.
Und in Frankreich, Deutschland und den Niederlanden finden 2017 Parlamentswahlen statt,
wobei sich die Protestparteien gut behaupten
(teilweise Ausdruck des von vielen Beobachtern
angemerkten Aufbegehrens an der Basis, siehe
die vorstehenden Ausführungen). Indes hat
Spanien noch immer keine Regierung.
Italien steuert am Jahresende auf ein
Verfassungsreferendum zu: das Referendum
soll das politische System stabilisieren und
damit Strukturreformen erleichtern. Der
Ministerpräsident hatte zunächst zugelassen,
dieses Referendum als anhängiges Vertrauensvotum für seine Regierung und den allgemeinen
Status quo, darunter nach Meinung einiger
Dritter auch die EU-Mitgliedschaft Italiens,
zu betrachten. Nachdem wir alle nicht in der
Lage waren, das Ergebnis des Brexit korrekt
vorherzusagen, stellt der „Quitaly” durchaus eine
Gefahr dar.
Doch bis Italien die Eurozone und die EU
verlassen könnte, wäre eine ganze Kette von
langwierigen, komplizierten und langsamen
Prozessen erforderlich. Wir bezweifeln daher,
dass dies geschehen wird. Für die EU (und
die Märkte) wäre dies gleichwohl ein noch
grösserer Schlag ins Gesicht als der Austritt
Grossbritanniens, denn Italien zählt zu den
Gründungsmitgliedern der EU und der Eurozone.
Die Schweiz wächst weiterhin noch etwas
robuster als von uns prognostiziert. Der
Franken kommt ganz langsam wieder auf den
Boden der Tatsachen zurück, bleibt jedoch
teuer. Die Ereignisse nach Januar 2015
(als die Schweizerische Nationalbank die
Untergrenze aufhob) zeigen treffend auf, dass
Wettbewerbsfähigkeit nicht nur von niedrigen
Preisen abhängt.
Andernorts sieht es so aus, als ob die
asiatischen Schwellenländer den Punkt der
grössten zyklischen Risiken überschritten
haben. Einigen Indikatoren aus China zufolge ist
nicht nur eine stabile Verlangsamung, sondern
sogar ein Aufschwung des Wachstums gegeben
(der selbst für uns eine grosse Überraschung
wäre, sofern er sich auf die breitere Wirtschaft
ausdehnen würde). Die Möglichkeit einer
weiteren Krise à la 1997, die unseres Erachtens
immer überbewertet wurde, könnte selbst dann
nicht eintreten, wenn die US-Notenbank die USZinsen weiter anhebt.
Die Debatte um die japanische Wirtschaft indes
dreht sich nach wie vor um weitere umstrittene
Schnelllösungen, wobei mehr „Helikoptergeld“
und eine Fortsetzung der Yen-Schwäche erwartet
werden. Wir sind weiterhin der Auffassung,
dass der Fokus stattdessen allgemein auf dem
Arbeitsmarkt, der Corporate Governance und der
Liberalisierung liegen sollte.
Und wie lautet das Anlagefazit?
Wie bereits vorstehend aufgezeigt, stellen
anhaltendes Wachstum, wenig Inflation und
reichliche Liquidität nicht das schlechteste
Anlageumfeld dar. Die Bewertungen an den
Märkten sind zwar nicht günstig, dafür aber
häufig auch nicht teuer.
Unsere grösste Sorge besteht nach wie vor darin,
dass die Annahme einer langfristigen Stagflation
den Auftrag der Zentralbanken schleichend
ausweitet. Wenn die Weltwirtschaft weniger
anfällig ist als befürchtet, muss die Geldpolitik
möglicherweise nicht derart entgegenkommend
sein. Doch auch dies scheint noch kein eindeutig
bestehendes Risiko zu sein.
Staatsanleihen erscheinen sehr teuer, und
die negativen Renditen sind ein Alarmsignal.
Die Inflation ist niedrig, und die Käufe der
Zentralbanken dürften in absehbarer Zeit weder
zurückgefahren noch ganz eingestellt werden.
Wir bevorzugen Unternehmenswerte. Gleichwohl
sind Unternehmensanleihen ebenfalls teuer,
wobei wir als Anleger zumeist lieber an einem
Unternehmen beteiligt sind, als ihm Geld zu
leihen. Die globalen Aktienmärkte halten
wir nach wie vor für angemessen bewertet.
Wir empfehlen, im Zuge erneuter Volatilität
Positionen aufzubauen oder aufzustocken.
Nach wie vor zählen US-amerikanische und
kontinentaleuropäische Aktienindizes zu
unseren Lieblingsanlagen. Im August nahmen
wir asiatische Schwellenländer wieder in die
Liste auf und betrachten ein US-Engagement
skeptischer. Am unattraktivsten schätzen wir
Grossbritannien und asiatische Industrieländer
(ohne Japan) ein. Ferner bevorzugen wir
gegenüber den meisten defensiven Sektoren
weiterhin eine Mischung aus strukturellem
(Technologie) und zyklischem (Finanzen,
Energie) Wachstum.
Von Währungen sind wir in noch geringerem
Masse überzeugt als gewöhnlich. Wie bereits
erwähnt, erscheint das britische Pfund
überverkauft. Auf Sicht von einem Jahr würden
wir es nunmehr knapp vor dem US-Dollar an
die Spitze des Rankings stellen. An nächster
Stelle stünden der Yen und der Euro, wobei
der Schweizer Franken und der Renminbi nach
wie vor die für uns unattraktivsten Währungen
darstellen.
Marktausblick | September 2016 | Seite 4
Die US-Präsidentschaftswahl
Politik ist nicht immer der ausschlaggebende Faktor für Anlagerenditen
Dies ist schon jetzt der lauteste
Präsidentschaftswahlkampf in jüngster Zeit.
Dessen ungeachtet ist nicht auszuschliessen,
dass sich das Ergebnis nur unwesentlich in den
Portfolios niederschlägt.
spiegelt sich hierin die Realität wider, wonach
selbst der stärkste Präsident nicht in der Lage
ist, die USA vor den konjunkturbedingten und
langfristigen Kräften zu schützen, die Wirtschaft
und Märkte beeinflussen.
Auch wenn die Demokratin Clinton einen
leichten Vorsprung gegenüber dem Republikaner
Trump zu haben scheint, sind Umfragen (und
Wettquoten) nicht endgültig und fehlbar.
Allerdings sollten sich die Anleger davor hüten,
sich durch ein Schockergebnis zu einem
drastischen Anlagefazit verleiten zu lassen.
Wie von uns bereits in Bezug auf den Brexit
aufgezeigt, können scheinbar weitreichende
politische Entwicklungen vergleichsweise geringe
wirtschaftliche und finanzielle Folgen nach sich
ziehen — zumindest eine Weile lang.
So ist es unwahrscheinlich, dass die beiden
Präsidenten Nixon und Ford Hauptursache für
die wirtschaftliche Misere der 1970er-Jahre
waren, als die Volkswirtschaften weltweit
zunehmend stagnierten und in die Inflation
abglitten (Inflation wurde damals als fatal
empfunden). In jüngerer Zeit hatte George W.
Bush das Pech, die Wahlen im Jahre 2000
unmittelbar nach den Exzessen des „New
Economy“-Booms zu gewinnen. Präsident Obama
hingegen errang seinen Wahlsieg inmitten der
Turbulenzen der Krise von 2008/2009, als sich
die Lage eigentlich nur noch bessern konnte.
Ohne Frage ist es von Bedeutung, wer in das
Weisse Haus einzieht, denn der Präsident der
Vereinigten Staaten ist und bleibt die mächtigste
Person der Welt. Doch Wahlprogramme schaffen
es nicht immer auf die Agenda des Oval
Office, zu sehr ist die Macht des Präsidenten
durch die in der US-Verfassung verankerte
Gewaltenkontrolle beschränkt. Hinzu kommt,
dass Kapitalmärkte sehr viele dynamische
Faktoren aufweisen und zahlreiche weitere
Dinge wichtig sind.
Die historische Perspektive
Die US-Debatte dreht sich in der Regel stark
um die (wirtschafts)liberale Seite der Debatte
in Europa. So würden sich beispielsweise die
meisten Demokraten in den konservativen
Parteien Europas zuhause fühlen. Die
Republikaner hingegen stehen gewöhnlich
der Wirtschaft näher, wollen weniger
Staat und könnten mit dem Ruf behaftet
sein, investitionsfreundlichere Ergebnisse
hervorzurufen.
Doch in der Vergangenheit war dies bislang
nicht der Fall. Unter demokratischen
Präsidenten waren seit 1945 das Wachstum
stärker, die Arbeitslosigkeit niedriger und die
realen Aktienmarktrenditen wesentlich höher
(Abbildung 3–5). Mögliche Ursache hierfür ist,
dass republikanische Präsidenten häufig mit
einem von Demokraten beherrschten Kongress
konfrontiert waren und sich insofern nicht
profilieren konnten. Viel wahrscheinlicher aber
Seite 5 | Marktausblick | September 2016
Diese Betrachtungsweise ist gewiss
vereinfachend. Sie unterstellt, dass die
Einflussnahme eines Präsidenten auf dessen
Amtszeit begrenzt ist und ignoriert die
Möglichkeit, dass ein gutes Ergebnis unter
einer Partei unter einer anderen noch besser
gewesen wäre. Fest steht, dass die politische
Ausrichtung eines Präsidenten keinen sichtlich
ausschlaggebenden Faktor für die Anlagerenditen
darstellte. Zum gleichen Schluss kamen wir in
Bezug auf die britische Regierungspartei im
Vorfeld der letztjährigen Parlamentswahlen.
Trump heisst nicht unbedingt Slump
Die Annahme, dass ein Sieg des
republikanischen Kandidaten für die Portfolios
am besten ist, ist historisch betrachtet falsch.
Trumps eigenwilliger Wahlkampf stellt dies in
doppelter Hinsicht infrage.
Ein Sieg von Clinton würde ohne Frage „business
as usual“ bedeuten und sich nicht auf das
makroökonomische Umfeld auswirken. Einige
Branchen wie Gesundheit und Finanzen könnten
Gegenwind ausgesetzt sein. Auch eine gewisse
fiskalische Expansion scheint wahrscheinlich,
doch dies würde keine Trendwende für die
Sektoren oder Anleihenrenditen einleiten.
Ein Sieg Trumps erscheint dagegen wie ein völlig
anderes Szenario, das jedoch in Wirklichkeit
eventuell gar nicht so unterschiedlich ausfallen
würde.
Denn zum einen sind seine politischen
Auffassungen wechselhaft — was, so sei der
Fairness halber betont, bei vielen Kandidaten
in dieser Phase üblich ist — und zum anderen
wäre er mit Sicherheit den mässigenden Tönen
von Mitarbeitenden und Kabinett ausgesetzt,
ganz zu schweigen von der Kontrolle durch die
gesetzgebende und die rechtsprechende Gewalt.
Sein Vermarktungstalent wird häufig weniger
infrage gestellt als seine geschäftliche Bilanz.
Als Verkäufer wäre er nicht der erste, der seine
Vorgaben nicht einhält.
Genau wie wir die
langfristigen Folgen eines
Protektionismus fürchten,
könnte die fiskalische
Expansion gewaltig ausfallen.
Am auffälligsten und unattraktivsten ist, dass
Trump Protektionismus und einen aggressiven
Isolationismus vertritt. Dies wäre schlecht
für die USA und die Weltwirtschaft, während
die niedrigere internationale Liquidität die
Kapitalkosten nach oben treiben könnte. Seine
einschüchternden Äusserungen gegenüber der
US-Notenbank könnten die Anleihenrenditen
steigen lassen. Selbiges könnte auch den
Kreditkosten widerfahren, wenn es die
weltweiten Kapitalmärkte aufgrund eines
gefühlten Quantensprungs der geopolitischen
Instabilität mit der Angst zu tun bekommen.
Trump hingegen behauptet, er werde die
Einkommens- und Unternehmenssteuern senken
und die Infrastrukturausgaben ankurbeln.
Genau wie wir die langfristigen Folgen eines
Protektionismus fürchten, könnte die fiskalische
Expansion gewaltig ausfallen.
die Skrupel zahlreicher Anleger auszuräumen,
einer Trump-Regierung Geld zu leihen.
Eine fiskalische Expansion, die nicht mit
deutlich höheren Zinsen einhergeht, könnte der
Wirtschaft unterm Strich kurzfristig Auftrieb
verleihen. Doch angesichts derart vieler
dynamischer Faktoren könnten — sobald der
Protektionismus Wirkung zeigt — an den Märkten
andere Aspekte die Oberhand gewinnen.
Analog dazu müssen die Wetten auf den USDollar unter Trump nicht unbedingt nach unten
gerichtet sein.
Protektionismus ist ungefähr so, als würde sich
die Wirtschaft selbst in den Fuss schiessen.
Doch eine schwache und in die Irre geführte
USA würde zu einer instabileren Welt führen,
während der US-Dollar noch immer als sicherer
Hafen betrachtet wird. Sollten die kurzfristigen
Auswirkungen dieser fiskalischen Expansion
gewaltig sein (so wie es oft geschieht), sind die
Anleger durchaus in der Lage, sich vom Status
des US-Dollars als sicherer Hafen zu lösen und
sich stattdessen wieder auf dessen zyklische
Qualitäten zu konzentrieren — und das selbst
ohne Zinsanstieg.
Das Fazit? Vielleicht gewinnt Trump die Wahl
nicht. Sollte er doch Präsident werden, muss
er entscheiden, was er wirklich vorhat. Seine
Berater indes könnten ihm trotzen und die
hieraus resultierenden Politiken vom Kongress
und der rechtsprechenden Gewalt entschärft
werden, während die Weltwirtschaft in der
Zwischenzeit nicht stillstehen wird.
Die Anleger sollten trotz der offensichtlichen
Risiken die begrenzten wirtschaftlichen und
finanziellen Folgen eines republikanischen
Sieges am 8. November im Auge behalten.
Eine angstbedingte Verkaufswelle an den
Aktienmärkten könnte auf einem höheren Niveau
einsetzen als derzeit und einen begrenzten
Umfang aufweisen.
Eine umfassende Aufstockung der USStaatsschulden könnte die US-Notenbank zu
einer Anhebung der Zinsen bewegen, während
die Anleihenmärkte selbst dann kalte Füsse
bekommen könnten, wenn dies ausbleibt.
Ein Zinsanstieg ist einer der Gründe, aus
denen einige Beobachter einen unmittelbaren
Abschwung für wahrscheinlich halten.
Allerdings bezweifeln wir, dass ein solcher
Anstieg im gegenwärtigen Umfeld erfolgen
könnte. Die US-Bilanz ist nicht so schwach, wie
das häufig behauptet wird (wir betonen das
seit Langem). Ausserdem könnte der globale
Renditehunger gegenwärtig stark genug sein, um
Marktausblick | September 2016 | Seite 6
Abbildung 3: S&P 500 reale Renditen (%), aufgelistet nach US–Präsidenten (1945–2016)
Mehrheit im
Repräsentantenhaus/Senat
Blau
Demokraten
Rot
Republikaner
Blau/Rot
Demokraten/
Republikaner
Rot/Blau
Republikaner/
Demokraten
Politische
Partei
Demokraten
Demokraten
Republikaner
Republikaner
Demokraten
Demokraten
Republikaner
Republikaner
Demokraten
Republikaner
Republikaner
Republikaner
Demokraten
Demokraten
Republikaner
Republikaner
Demokraten
Demokraten
Präsident
FDR / Truman
Truman
Eisenhower
Eisenhower
JFK / Johnson
Johnson
Nixon
Nixon / Ford
Carter
Reagan
Reagan
Bush
Clinton
Clinton
Bush
Bush
Obama
Obama
Amtsantritt
Jan 1945
Jan 1949
Jan 1953
Jan 1957
Jan 1961
Jan 1961
Jan 1969
Jan 1973
Jan 1977
Jan 1981
Jan 1985
Jan 1989
Jan 1993
Jan 1997
Jan 2001
Jan 2005
Jan 2009
Jan 2013
Jahr 1
34.1
25.7
-1.8
-13.7
26.2
10.6
-14.3
-22.9
-13.8
-14.5
28.2
27.1
7.3
31.5
-13.7
1.2
25.0
31.1
Jahr 2
-26.2
26.7
52.9
41.2
-10.0
-13.7
-1.7
-38.7
-2.4
17.0
17.4
-9.4
-1.3
27.0
-24.3
13.8
13.8
12.4
Jahr 3
-3.2
17.8
31.0
10.3
21.3
21.2
10.8
30.0
5.9
19.3
0.8
27.4
34.9
18.4
26.8
1.6
-1.2
0.9
Jahr 4
2.4
16.9
4.0
-0.9
15.3
6.3
15.5
18.9
19.9
2.2
12.3
4.6
19.7
-12.5
7.6
-38.6
14.1
-
Gesamte
Amtszeit
-1.9
119.3
104.6
33.1
59.0
23.0
7.8
-27.0
6.9
22.0
70.3
53.4
71.0
72.9
-11.0
-28.2
60.4
48.8
Annualisiert
-0.5
21.7
19.6
7.4
12.3
5.3
1.9
-7.6
1.7
5.1
14.2
11.3
14.4
14.7
-2.9
-7.9
12.5
14.2
Abbildung 4: Zusammengefasste Daten (1945–2016), %
Jahr 1 Jahr 2 Jahr 3 Jahr 4 Gesamte Amtszeit
-2.7
7.6
17.6
2.8
25.0
2.1
1.1
4.2
3.1
10.9
4.6
3.9
3.3
3.2
16.1
5.3
6.4
6.2
6.2
6.1
19.8
2.9
12.9
10.3
51.0
3.0
3.5
2.8
3.5
13.1
1.8
5.0
4.5
3.9
16.1
6.0
5.4
5.1
5.0
5.4
8.5
5.3 15.2
6.3
38.0
2.5
2.3
3.5
3.3
12.0
3.2
4.4
3.9
3.5
16.1
5.7
5.9
5.7
5.6
5.7
S&P 500 reale Renditen
Reales BIP–Wachstum
Inflation (VPI)
Arbeitslosenquote
S&P 500 reale Renditen
Reales BIP–Wachstum
Inflation (VPI)
Arbeitslosenquote
S&P 500 reale Renditen
Reales BIP–Wachstum
Inflation (VPI)
Arbeitslosenquote
Republikaner
Demokraten
Gesamter
Zeitraum
Annualisiert
4.6
2.6
3.7
6.1
10.7
3.1
3.7
5.4
7.6
2.9
3.7
5.7
to
n
Bu
sh
Bu
sh
Ob
am
a
Ob
am
a
n
in
h
to
Cl
in
Cl
ga
Bu
s
n
ga
Re
a
Re
a
r
n
or
d
/F
n
rte
Ca
Ni
xo
n
n
Ni
xo
r
ns
so
hn
oh
/J
K
Jo
r
we
JF
we
ho
ho
se
n
Ei
se
n
an
Ei
12
%
10
Tr
Arbeitslosenquote (links)
Durchschnittliche
Arbeitslosenquote (links)
Stand des S&P 500
(rechts, log. Skala)
Demokraten
Republikaner
FD
R
um
/T
ru
m
an
on
Abbildung 5: US–Präsidenten, Arbeitslosigkeit (%) und Stand des S&P 500 (1945–2016)
10,000
8
1,000
6
4
100
2
0
1949
1957
1965
1973
Hausmehrheit
Senatsmehrheit
Quelle Abbildung 3–5: Datastream, BLS, Rothschild & Co
Seite 7 | Marktausblick | September 2016
1981
1989
1997
2005
2013
10
Hinweise
Rothschild Private Wealth bietet eine objektive langfristige Perspektive
beim Investment, der Strukturierung und Wahrung von Kapitalanlagen, um
das Vermögen unserer Kunden zu erhalten und zu steigern.
Wir bieten einigen der vermögendsten und erfolgreichsten Familien,
Unternehmen, Stiftungen und Wohltätigkeitsorganisationen der Welt ein
umfangreiches Leistungsspektrum.
In einem Umfeld, das häufig von einer kurzfristigen Sichtweise geprägt
ist, unterscheiden wir uns mit unserer langfristigen Perspektive. Wir
glauben, dass die Vermögenssicherung der richtige Ansatz bei der
Vermögensverwaltung ist.
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Der Wert einer Kapitalanlage sowie der mit ihr erzielte Ertrag
kann sowohl steigen als auch sinken, und Anleger erhalten den
investierten Betrag unter Umständen nicht in vollem Umfang
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Der Wert einer Kapitalanlage und die mit ihr erzielten Erträge
können im Falle von Anlagen in Auslandswährungen aufgrund
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in Schwellenmärkten können grösseren Risiken unterliegen.
Bei Portfolios, die in Anlagen und andere festverzinsliche
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ein; die Aufnahme von Krediten zur Ertragssteigerung und
andere spekulative Anlagepraktiken erhöhen das Risiko von
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Marktausblick | September 2016 | Seite 8