Johannes Koch FACHÜBERGREIFEND NETZE KNÜPFEN ZUR UMSETZUNG DER RAHMENLEHRPLÄNE FÜR BERLIN UND BRANDENBURG AM BEISPIEL DES ÜBERGREIFENDEN THEMAS DER BERUFS- UND STUDIENORIENTIERUNG Der neue Rahmenlehrplan für Schulen in Berlin und Brandenburg sieht fachübergreifende Kompetenzentwicklungen und dafür übergreifende Themen vor. Ein solches Thema ist die Berufs- und Studienorientierung. Schulen sind aufgefordert, fachübergreifende Curricula zu entwickeln. „Dazu werden fachbezogene, fachübergreifende und fächerverbindende Entwicklungsschwerpunkte sowie profilbildende Maßnahmen festgelegt. Die fachliche Kooperation ist dabei ebenso von großer Bedeutung wie fachübergreifende Absprachen und Vereinbarungen.“ (Teil A: S. 4.) Bietet die Erstellung eines gemeinsamen Curriculums bereits für ein Fach eine große Herausforderung für alle beteiligten Lehrkräfte, ist es ein fächerübergreifendes umso mehr. Hier wird ein Vorschlag für eine fächerübergreifende Netzplanung entwickelt. Ein einfaches Konzept ist vorstellbar als Excel-Tabelle, in die Themen für ein Leitfach, hier Wirtschaft, Arbeit, Technik (WAT), eingetragen werden, und alle anderen Fächer jeweils anfügen, mit welchen Themen sie zu einem fächerübergreifenden Curriculum beitragen wollen. Eine solche Übersicht ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber bisherigen Einzelplanungen oder der punktuellen Zusammenarbeit z. B. in Projekten, allein es ist nicht sicher, dass diese Verknüpfungen von den Schülerinnen und Schülern auch nachvollzogen werden, denn diese sind gewohnt, fächerspezifisch zu lernen. Der hohe Aufwand einer fächerübergreifenden Curriculumplanung lohnt sich nur, wenn die Verknüpfungen auch bei den Schülerinnen und Schülern ankommen. Das Knüpfen von Netzen hat damit eine doppelte Bedeutung, zum einen sind Fächer miteinander zu vernetzen, zum anderen sollen auch Netze in den Schüler-Gehirnen entstehen. Warum dies nicht leicht ist, erklärt der in der Lerntheorie gegenwärtig vorherrschende Konstruktivismus. Danach „konstruiert“ sich jeder Mensch individuell sein eigenes Bild der Realität. Lehrkräfte haben es deshalb in einer Klasse mit so viel unterschiedlichen kognitiven Netzen zu tun, wie es Schülerinnen und Schüler gibt. Jeder Versuch, an diese Netze anzudocken, ist deshalb ein Glücksspiel. Ein Fazit des Konstruktivismus ist, Schüler lernen was und wie sie wollen. Als Folge dieser Erkenntnisse sucht die Lernforschung nach Konzepten, wie Unterricht trotzdem gelingen kann. Ein Ansatz, der sich in diesem Zusammenhang anbietet, ist das „Verankern“(Anchored Instruction). Die Idee ist, unabhängig von dem individuell vorhandenen kognitiven Netz schafft man einen gemeinsamen Ankerpunkt für Neues. Vorgeschlagen wird von den Erfindern dieser Methode, das Interesse der Schüler durch eine Geschichte zu wecken, die den neuen Lehrstoff mit ihrem Alltagsleben verbindet. Ob damit jedoch die notwendige Aufmerksamkeit aller Lernenden erreicht wird, ist keineswegs sicher. Deshalb werden hier drei Ergänzungen für das Verankern vorgestellt. Zum einen lässt sich der Erfolg steigern, wenn man keine Geschichte erzählt, sondern eine dem Thema entsprechende Aktivität fordert. Verlangt man z. B. Schülerinnen und Schüler sollen eine Liste aller Geschäfte in einer Einkaufsstraße erstellen, dann sind diese ganz sicher verankert, unabhängig davon, welche bereits vorhandenen Bilder und Vorstellungen jeder Einzelne dafür mobilisiert. Hilfreich ist, wenn sich das Ergebnis der Aktivitäten leicht kontrollieren lässt. Ein Unterricht kann dann 1 auf jeden Fall auf diesem Anker sicher aufbauen, egal ob man Berufe, Produkte oder Handelsstrukturen erarbeiten lässt. Eine weitere Optimierung ist möglich, wenn man dem Konzept des situierten Lernens folgt, und die Ankeraktivität an den Handlungen orientiert, die erlernt werden sollen. Geht es um Berufsorientierung, dann bietet sich an zu den Geschäften jeweils die Berufe der darin Beschäftigten auflisten zu lassen. Ein dritter Ansatz ist die Verankerung von Begriffen. Seit den 1970ern beschäftigt sich die Lernforschung damit, welche Rolle Begriffe, bzw. Begriffsnetze für die gedankliche Repräsentation spielen und wie Lernprozesse durch die Erarbeitung von Begriffen gefördert werden können. Danach bedeutet Lernen vor allem die Zuordnung von Bedeutungen zu Begriffen und ihre Vernetzung nach Ordnungssystemen. Ohne ein gemeinsames gesichertes Verständnis der in der Verankerung genutzten Begriffe ist ein vernetztes Curriculum nicht vorstellbar. Deshalb sollten für das Curriculum eine begrenzte Zahl von Begriffen (maximal fünf) benannt werden. Mit der Erarbeitung dieser Begriffe lässt sich zudem der Zusammenhang für das in den Rahmenrichtlinien geforderte Systemkonzept herstellen. Als Folge dieser Überlegungen wird vorgeschlagen, ein verknüpftes Curriculum auf „Ankern“ als zentralem Element aufzubauen. Grundlage der Vernetzung ist das Curriculum des Leitfaches. Für die Bearbeitung jedes Themas können mehrere Anker vorgegeben werden. Sie sind die Grundlage für eine Verknüpfung. Zu ihnen müssen andere Fächer für die Lernenden eine Verbindung herstellen. Wie das geschieht, müssen die Vertreter der anderen Fächer selbst entscheiden. Um diese Entscheidungen zu erleichtern, sollte das Curriculum des Leitfaches über den Anker hinaus weitere Angaben enthalten. Darüber hinaus enthält der Rahmenplan Vorgaben, die in die Curriculumplanung aufgenommen werden müssen. Dies sind für das Fach WAT das System-, Entwicklungs- und Nachhaltigkeits-Konzept. Auch die Nennung der Methode gehört in einem Curriculum notwendig dazu. Wie dies gehen kann, soll am folgenden Beispiel zum Thema „Entscheidungen zur Berufs- bzw. Studienfindung anbahnen“ gezeigt werden. Anker soll die Sichtung von Stellenanzeigen sein. Dazu werden folgende Angaben in eine Tabelle eingetragen: Anker: Stellenanzeigen in einer Zeitung oder im Internet. Aktivität: Auswertung vorhandener Angebote. Situation: Suche nach interessanten Angeboten. Begriffe: Beruf, Qualifikation, Tätigkeit, Unternehmen, Vergütung. System: Stellenanforderung – notwendige Qualifizierung Entwicklung: Anforderungen vergleichen (und erklären), Zukunftschancen abschätzen. Nachhaltigkeit: Wege (kosten) zu den Arbeitsplätzen. Methode: Gruppenarbeit. Für ein Fach lässt sich ein solches Curriculum in einer Tabelle für jedes Thema darstellen, wenn die einzelnen Einträge kurz gehalten werden. Ein vernetztes Curriculum setzt voraus, dass jedes Fach zu jedem Anker des Leitfaches, mit dem es sich vernetzen will, eine eigenes Curriculum mit einer vergleichbaren Tabelle erstellen muss. Ein solches Tabellensystem wird völlig unübersichtlich. Es bieten sich zwei Lösungen an: Entweder jedes Fach erstellt für sich Tabellen für sein Curriculum, und für jedes fachübergreifende Thema wird eine zusätzliche Tabelle mit den Verknüpfungen erstellt. Nach 2 dem Vorschlag hier würde die Verknüpfung über die Anker des Leitfaches erfolgen. Die Alternative ist, man erstellt für die Curricula einer Schule eine kleine Datenbank, in der sich dann auch alle Verknüpfungen inhaltlich darstellen und je nach Bedarf abfragen lassen. Für das digitalisierte Berlin wäre dies sicher die angemessenere Lösung. Unterrichtsversuche haben gezeigt, dass Erweiterungen und Vertiefungen eines Themas von Lernenden leichter nachvollzogen werden können, wenn die mit dem Anker verbundene Aktivität und Begriffe sicher beherrscht werden. Dies gilt umso mehr für eine fächerübergreifende Vernetzung. Statt einer ohnehin schwierig zu organisierenden parallelen kann gerade eine nachlaufende Bearbeitung gut zur Vertiefung beitragen, wenn die Verknüpfung über den Anker gelingt, und die Lernenden das bisher Gelernte dazu wieder aktivieren. Betriebserkundungen und Praktika haben für die Berufsorientierung eine zentrale Bedeutung. Es liegt nahe, sie deshalb auch als Anker für ein vernetztes Curriculum zu nutzen. Üblich ist die Verknüpfung zur Vor- und Nachbereitung mit Fragen zu Produkten, Kunden oder Arbeitsorganisation. Darüber hinaus ist die systematische Nutzung für ein vernetztes Curriculum jedoch schwierig, weil die Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Betriebe besuchen, und sich diese auch nur teilweise den Berufsfeldern (Werkstätten) von WAT zuordnen lassen. Zwar könnten hier die Verbindungen zu den naturwissenschaftlichen Fächern und zur Mathematik sehr gute Beiträge zum besseren Verständnis beruflicher Anforderungen leisten, aus den genannten Gründen werden sie jedoch wenig genutzt. Ein möglicher Ansatz für ein verknüpftes Curriculum könnte in der Auswahl typischer Praktikumsberufe bestehen, z. B. Einzelhandel, Kosmetik, Baumärkte, und für diese durch Präsentationen ein gemeinsames Verständnis herzustellen (wie es an den meisten Schulen geschieht). Der Mathematikunterricht könnte zu diesen Berufen entsprechende Fachrechenaufgaben bearbeiten lassen. Noch schwieriger ist die systematische Verknüpfung zu den Naturwissenschaften, weil es nicht wie in der Mathematik berufsübergreifende Grundlagen gibt. Auch hier bietet sich an, aus den typischen Praktikumsberufen einzelne Referenzberufe für die jeweiligen Fächer auszuwählen. Von den Fachlehrern kann allerdings kaum erwartet werden, dass sie sich mit den inhaltlichen Anforderungen dieser Berufe auskennen. Hinweise für die inhaltliche Verknüpfung kann die Fachkunde der jeweiligen Berufe liefern. Bei auch nur einem Referenzberuf pro Fach (für den Anfang), könnte sich der Aufwand für die Verknüpfung lohnen, weil damit gleichzeitig die Relevanz des Faches für das Berufsleben belegt, und bei den Schülerinnen und Schülern ein vertieftes Verständnis für diesen Beruf erzeugt wird. Friedrichsdorfer Büro für Bildungsplanung, Berlin 2016 3
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