SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Tandem Sehnsuchtsort Beirut Stefanie Meinecke im Gespräch mit der Stuttgarter Pfarrerin Friederike Weltzien Sendung: Freitag, 21. Oktober 2016 um 10.05 Uhr Redaktion: Ellinor Krogmann Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Tandem können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Tandem sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? 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Libanon war immer ein Sehnsuchtswort für uns, weil das einfach ein wunderschönes Land ist mit dieser Mittelmeerküste, einem schmalen Küstenstreifen und dem hohen Libanongebirge, ein ganz wildes Gebirge und dann folgt ein Hochtal, die Bekaa-Ebene, ein ganz fruchtbares Stückchen Erde, und dann kommt der AntiLibanon und da liegt da schon die syrische Grenze auf dem Anti-Libanon und da kommt dann wirklich die syrische Wüste. Also es ist ein Ländchen, was ganz, ganz vielfältig ist an Landschaftsformen, an klimatischen Zonen, auch Bevölkerungsgruppen und religiösen Gruppen die in diesem Land leben, also ganz vielfältiges Land. Stefanie Meinecke: Ist es ein Land, das nach wie vor Heimatgefühle in Ihnen auslöst? Friederike Weltzien: Ich glaube, ich bin beinahe mehr beheimatet im Libanon als in Deutschland. So mein Gefühl von Zu-Hause-Sein stellt sich im Libanon eher ein als hier. Dieses „ach, ich bin wieder da“, das ist, wenn ich aus dem Flugzeug in Beirut steige und die ersten Gerüche wieder meine Nase treffen, das ist meistens Gestank, das sind keine schönen Gerüche, weil da ist ganz in der Nähe ein großer Müllplatz, aber es ist so eine spezielle Mischung, warme, feuchte Luft, die einen da in Empfang nimmt und das hat für mich immer dieses Embryonale, man ist warm und feucht und immer ein bisschen verschwitzt, ein bisschen Wasser fließt und ich glaube dieses Gefühl von Heimat hat eigentlich damit zu tun wie die Menschen miteinander umgehen… Stefanie Meinecke: Was ist das Liebenswerte an den Menschen dort? Friederike Weltzien: Das Liebenswerte, ja es ist diese ganz große Offenheit, dieses ganz große Interesse aneinander, dieser offene Blick für den anderen. Man sieht einfach, wenn jemand kommt, man guckt auf ihn - mir fällt immer im Unterschied auf in Deutschland, wenn ich beim Friseur war, merkt das kein Mensch, aber in Libanon, ich kann gar keinen Schritt tun, ohne dass die Leute sagen „oh, warst du beim Friseur?“, also es fällt sofort auf und es wird wahrgenommen und freudig registriert. Und natürlich alle anderen Dinge auch, also alles was im Leben passiert wird irgendwie auch gewertschätzt, also man wird viel, viel mehr besucht, man geht nur zehn Minuten und trinkt einen Kaffee und fragt wie’s geht und so nimmt man viel mehr Anteil am Leben der anderen. 2 Stefanie Meinecke: Sie waren vier Jahre alt, als Sie Ihre ersten Erlebnisse im Libanon sammeln konnten. Wie kam das, dass Ihre Familie in den sechziger Jahren dorthin verschlagen wurde? Friederike Weltzien: Ja, zweiundsechzig war das sogar. Zweiundsechzig, da war mein Vater hier in Hohenheim an der Universität und kriegte einen Ruf an die amerikanische Universität nach Beirut als Phytopathologe, also er war Pflanzenarzt. Und diesen Ruf hat er angenommen und dann sind wir als ganze Familie mitgewandert, wir waren damals vier Kinder, wurden dann sechs, weil ich sag immer Libanon ist ein sehr fruchtbares Land und die Menschen sind begeistert an Kindern, die freuen sich über Kinder unheimlich. Und meine Mutter hat gesagt, für sie war das ein ganz großer Unterschied aus dem Stuttgarter Raum, wo sie mit den Kindern eigentlich überall Probleme hatte nur in den Bus einzusteigen, während sie dann im Libanon so viele helfende Hände hatte und Aufmerksamkeit, dass man sich derer kaum erwehren konnte, wenn alle die Kinder auf den Arm nehmen wollten und küssen und streicheln und… Stefanie Meinecke: Und wie haben Sie das erlebt? Ich könnte mir vorstellen, dass einen das als Kind doch auch befremdet oder einschüchtert? Friederike Weltzien: Ja, wir haben uns natürlich aufgeregt, dass man ständig geküsst wurde und in die Backen gekniffen und an die Haare gefasst und trotzdem ist es ein Gefühl von man ist willkommen. Stefanie Meinecke: Hatten Sie so etwas wie eine beste Freundin unter den Libanesinnen? Friederike Weltzien: Ja, ich bin ja da in die Schule gekommen und eine behinderte Freundin war meine erste ganz gute Freundin, die Amal, das heißt „die Hoffnung“, und die hatte Kinderlähmung gehabt und konnte nicht so gut laufen wie wir anderen, aber die hatte dann auch für meine besondere Situation in einem fremden Land und wir mussten gleichzeitig deutsch schreiben lernen und arabisch schreiben lernen, dann hatte die Geduld mit mir und hat mir das alles nochmal erklärt. Stefanie Meinecke: Libanon ist ein sogenanntes multireligiöses Land, sehr, sehr viele Religionsgemeinschaften, die aufeinander treffen. Wie haben Sie das als Kind und Heranwachsende erlebt, gab’s religiöse Grenzen über die man nicht drüber wegkam? Friederike Weltzien: Zunächst gar nicht. Zunächst hat es eigentlich keine Rolle gespielt, außer diesem Gefühl, dass Religion eine ganz, ganz große Rolle im Leben aller Menschen spielt. 3 Egal welcher Religion man angehört man nimmt sie sehr ernst und die wird auch nach außen hin gelebt, nicht nur im kleinen intimen Bereich. Stefanie Meinecke: Wäre also irritierend, wenn jemand sagt: „Ich bin Atheist“? Friederike Weltzien: Das wäre total irritierend, das kann man überhaupt nicht verstehen, das geht eigentlich nicht. Weil man gehört einfach zu einer religiösen Gruppe und wenn man Atheist ist, fällt man da raus… Stefanie Meinecke: Muss aber nicht der muslimische Glauben sein? Friederike Weltzien: Nein, es sind achtzehn verschiedene Glaubensgemeinschaften im Libanon vereint und auch in der Regierung mit einbezogen und gleichwertig eigentlich, je nach Proporz wie viele Menschen dieser Religion angehören, werden sie ins Parlament mit einbezogen, also an sich eine Gleichberechtigung der Religionen. Stefanie Meinecke: Und nochmal, sind Sie an Grenzen gestoßen? Friederike Weltzien: Ja, das kam vehement als der Bürgerkrieg ausbrach, das war für mich absolut erschreckend… Stefanie Meinecke: Das war Mitte der Siebziger. Friederike Weltzien: Genau, Fünfundsiebzig, im Grunde schon Vierundsiebzig hat sich das für uns angekündigt, und da wurde es für mich gefährlich. Meine damals beste Freundin, die war Muslima, wohnte auch nicht weit weg von uns, aber in einem anderen Viertel und das war ein streng muslimisches Viertel, eine streng muslimische Familie, die durfte ich auf einmal nicht mehr besuchen, das war für mich völlig unverständlich und nicht nachvollziehbar, wieso auf einmal die Religion zur Grenze wurde. Stefanie Meinecke: Dieser Bürgerkrieg dauerte fast fünfzehn Jahre und bedeutete für Sie auch erst mal einen Schlusspunkt im Leben im Libanon? Friederike Weltzien: Ja, ja, wir sind dann nach Deutschland, ich musste zum Abitur praktisch zurück nach Deutschland. Der Abschied aus einem Land rauszugehen, was kaputt geht, das war ganz fürchterlich, also dieses Gefühl, der Boden auf dem ich gelebt hatte, der war zerbrochen. Das war nicht verständlich für mich, weil ich die Menschen als so offen und vertrauensvoll erlebt hatte, dass die sich gegenseitig am Straßenrand abknallen, 4 passte überhaupt nicht zusammen. Und der Bruch dann von dort wegzugehen nach Deutschland war ganz, ganz schwierig, mich einzulassen auf diese heile Welt hier. Ich hatte eigentlich das Gefühl, das geht gar nicht. Ich hab' zwar mein Abitur geschafft, aber ich hatte dann Anfang meines Studiums erst mal ein soziales Jahr in Berlin gemacht, weil ich dachte, ich kann mir diesen Luxus gar nicht leisten, so vor mich hin zu studieren, ich muss jetzt hier die Welt retten. Stefanie Meinecke: Es waren dann sehr, sehr bewegte Jahre für den Libanon, die Auseinandersetzungen mit Israel, Grenzscharmützel bis Grenzkriege, dann diese Phase in der Syrien als Besatzungsmacht da war. Sie hat es trotzdem wieder zurück nach Beirut gezogen. Friederike Weltzien: Ja, der Kontakt ist nicht abgebrochen, also ich war auch in den Zeiten des Bürgerkriegs im Libanon und ja auch wie dann der Bürgerkrieg zu Ende ging, war ich einfach sofort wieder da und wir haben ein Begegnungszentrum aufgebaut mit Freunden, ein Stück weit außerhalb von Beirut, wo man Reisegruppen hinführen konnte, wo Seminare innerhalb der libanesischen Gesellschaft stattfinden konnten, um Begegnungen zu ermöglichen, auch zwischen Menschen, die sonst nicht miteinander reden würden und da haben sich ganz bewegende Begegnungen dann auch abspielen können und insofern war ich im Libanon zuhause, als dann auch diese Fachstelle ausgeschrieben wurde und wir uns dann dort hin beworben haben. Stefanie Meinecke: 1999 war das, da sind Sie mit Sack und Pack wieder zurück nach Beirut. Und wie viel Kindern? Friederike Weltzien: Damals mit drei, aber wir haben dann auch noch mal Nachwuchs bekommen, der Jüngste wurde dort geboren, wir haben jetzt vier. Stefanie Meinecke: Wir stark hat Sie die Angst im Libanon begleitet, wie stark ist die Angst jetzt heute da, wenn Sie dort hinreisen? Friederike Weltzien: Ja, die Angst begleitet mich, wenn ich im Libanon bin. Ja, leider, diese Bombenanschläge, die wir da sehr, sehr häufig miterlebt haben, also man hat irgendwo immer das Gefühl, das Auto vor dir könnte jetzt auch explodieren und was mache ich dann? Also mit diesem Hab-Acht -Gefühl ist man unterwegs. Stefanie Meinecke: Wie beeinflusst diese erlebte Unsicherheit Ihren Umgang mit den Flüchtlingen, die Sie zur zeit in Ihrer Gemeinde in Stuttgart-Obertürkheim betreuen? Sie haben ja unter anderem auch selbst miterlebt wie Syrien eine Gewaltherrschaft im Libanon errichtet hatte. Haben Sie da nicht Sorge, dass ein Stück dieser erlebten und 5 gelebten Gewalt auch hier her schwappt nach Stuttgart. Macht es den Umgang mit den Geflüchteten vielleicht sogar schwerer? Friederike Weltzien: Ja, das habe ich wahrscheinlich gelernt, also diese Vorsicht ist einfach immer mit dabei, dieses Wissen auch um die verschiedenen Gruppierungen, dass Menschen einfach im Geheimdienst arbeiten, dass die andere verraten können, dass man aufpassen muss, was sage ich wem, und ein ganz feines Gespür für die Art der Beziehung, die der Mensch mit mir auch eingeht. Das muss beides zusammenkommen, also man darf wirklich nicht naiv in die Kontakte reingehen, das ist was ganz Wesentliches, was man da auch lernt, aufzupassen, wem sage ich was und wie gehe ich mit wem um. Stefanie Meinecke: Da kommt Ihnen natürlich zu Gute, dass Sie fließend arabisch sprechen… Friederike Weltzien: Ja, und da gibt es auch wie so kleine Signalwörter, schon die Begrüßungsformel verrät manchmal einiges, die Namen verraten aus welcher Gruppierung, also religiösen Gruppierung, kommt jemand, dann weiß man schon, aha, dieser also ist also Alawit, da muss ich mal ein bisschen aufpassen, wie steht der zum AssadRegime, wie stehen die Christen, die Christen haben sehr stark Assad unterstützt, haben sie auf ihrem Handy das Assad-Bild zum Beispiel, aha, es gibt lauter so kleine Zeichen, die mir dann auch anzeigen, hier gehört jemand in die Richtung oder in diese Richtung. Trotzdem versuche ich die Menschen erst mal als Menschen wahrzunehmen und auch möglichst, jetzt in meiner Betreuung, wenn sie hier ankommen, sie gleich zu behandeln, aber eben mit dieser Vorsicht im Hinterkopf. Stefanie Meinecke: Lassen Sie uns noch mal auf Ihre Zeit als Pfarrerin in Beirut schauen - wie wurden Sie dort als Frau behandelt und wahrgenommen, in einer Gesellschaft, die doch sehr stark durch den Islam geprägt ist? Friederike Weltzien: Es ist natürlich auch wieder ganz, ganz, ganz vielschichtig. Einerseits hab' ich mich total wohlgefühlt als Frau, was ja irgendwie merkwürdig ist, weil Frauen haben viel weniger Rechte in diesen Ländern, aber sie werden als Frauen geachtet. Und auch ich als Pfarrerin wurde als Frau wahrgenommen und geachtet, hoch geachtet, also meine Würde wurde hoch unantastbar gehalten, weil ich eine religiöse Frau war und ich brauchte gar keine Angst zu haben vor Betatschung oder Anmache oder blödes Gerede. Und andererseits hatte ich die Chance mich dann für Frauen einzusetzen. Aus dieser Position der Achtung heraus konnte ich Kontakte schließen zu anderen religiösen Autoritäten, die auch uns und mich unterstützt haben in unserem Anliegen die Frauen zu unterstützen. 6 Stefanie Meinecke: Sie haben auch ganz konkret dann Schutzräume geboten für Frauen, die bedroht sind von Zwangsverheiratung, schildern in Ihrem Buch, das Sie geschrieben haben auf sehr berührende Weise wie Sie auch an die Grenze geraten sind Menschen, Frauen zu schützen, am Beispiel eines jungen Mädchens, Fida. Friederike Weltzien: Ja, so sind wir eigentlich auf diese Schiene geraten überhaupt diese Schutzräume aufzubauen für Frauen, weil die Fida wurde von ihrem Vater mit dem Ehrenmord bedroht und hatte sich geflüchtet zur deutschen Botschaft und kam da nicht weiter und kam schließlich zu uns in die Gemeinde. Sie meinte, sie könnte nur ihr Leben retten, wenn sie zurückkehrt nach Deutschland, sie war in Deutschland aufgewachsen, es waren Bürgerkriegsflüchtlinge gewesen aus dem Libanon und sie hatte dort einen Freund gehabt in Deutschland, und das war, was den Vater so gestört hat, deswegen hat er auch die Familie zurückgeholt in den Libanon und hatte sie dort ein halbes Jahr eingesperrt und da hat sie Tagebuch geschrieben und dieses Tagebuch hat der Bruder gelesen und dem Vater erzählt, dass sie da über ihren Freund schreibt und daraufhin hat er ihr den Ehrenmord angedroht und sie ist dann Hals über Kopf von Zuhause weggerannt und so landete sie bei uns. Wir sind mit ihr dann zu einer Frauenberatungsstelle gegangen, diese Stelle nennt sich „KAFA“, das heißt „es ist genug“ auf Arabisch und die haben uns damals beraten, haben gesagt, es gibt gar keinen anderen Weg für die Fida, als sich ein Jahr lang in den Bergen in einem Frauenkloster zu verstecken. Die war siebzehn und hatte keine Chance ohne Unterschrift des Vaters rauszukommen. Die Fida konnte sich nicht vorstellen jetzt ein Jahr in einem Kloster zu verschwinden, jetzt war sie ein halbes Jahr eingesperrt und kam eigentlich aus einem freien Leben in Deutschland und sie saß bei uns im Büro, wir hatten überlegt, was machen wir denn jetzt und dann steht sie auf und greift zum Telefonhörer und sagt „ich ruf’ jetzt meinen Onkel an, der wird mir helfen“. Und ich weiß immer noch wie mir das Herz in die Hose sackte, als sie diesen Onkel anrief, weil ich dachte, oh Gott der gehört zur Familie und steht unter dem gleichen Druck wie die ganze Gesellschaft und der Onkel wirkte erst mal sehr freundlich und verbindlich und hat die Fida abgeholt, hat sie aber dann wieder nach Hause gebracht und wir haben versucht Kontakt aufzunehmen zur Familie, ich habe mit der Mutter öfter sprechen können, mit Fida nie wieder, und wir haben dann aus der Zeitung erfahren, sechs Wochen später, dass der Vater sowohl Fida wie auch die Mutter erschossen hat. Merkwürdigerweise war in dem Moment wo wir diese Nachricht bekamen ein schiitischer Geistlicher bei uns im Gemeindezentrum, der genauso empört war wie wir und da haben wir gedacht, so wir müssen gemeinsam was unternehmen und die Leute von „KAFA“ waren sofort dabei und dann gründeten wir dieses Netzwerk gegen diese Ehrenmorde. Stefanie Meinecke: Und das besondere eben, was Sie vorher geschildert haben, über die religiösen Grenzen hinweg, mit Autoritäten... Friederike Weltzien: Ja, weil sich eben herausgestellt hat, dass die Ehrenmorde kein muslimisches Problem sind, sondern genauso in den christlichen Familien stattfanden und stattfinden und da gibt es auch engagierte Leute auf der christlichen Seite, die 7 versuchen, dagegen auch in der Bevölkerung zu wirken. Und die größte Unterstützung waren die Frauenklöster, wir haben nie wieder… Stefanie Meinecke: Christliche Frauenklöster? Friederike Weltzien: Christliche Frauenklöster, orthodoxe, maronitische Frauenklöster in den Bergen, die die Funktion von Frauenhäusern eigentlich übernommen haben und Frauen aufgenommen haben, die bedroht waren von ihren Ehemännern, die ausgestoßen worden waren, die fanden Aufnahme in diesen Frauenklöster. Stefanie Meinecke: In all dieser Aufbauphase, gab’s da für Sie nie den Moment, wo Sie gesagt haben: „Ah, es reicht“? Friederike Weltzien: Das gab es. Ja, weil es natürlich also furchtbar war immer wieder die Rückschläge zu erleben, also jedes Mal wenn wieder eine Frau zu uns kam, brach ja irgendwo wieder eine ganze Welt zusammen und wir mussten alles wieder in Gang setzen, um da eine Hilfe zu organisieren. Und andererseits diese ständige Bedrohung durch Gewalt aus kriegerischer Auseinandersetzung. Die Hisbollah hat unser Wohnviertel erobert, die Kugeln sind um unseren Balkon geflogen, die Auseinandersetzungen mit Israel, der Krieg 2006, das hat unheimlich zermürbt. Stefanie Meinecke: Sie mussten dann ein zweites Mal Abschied nehmen vom Libanon durch den Krieg, den Sie angesprochen haben und wurden selber für eine kurze Phase zum Flüchtling. Friederike Weltzien: Ja, ja, ich hab' wirklich das so hautnah erlebt, diesen Aufbruch, diesen schrecklichen Aufbruch, wenn man eine Stunde Zeit hat, zu überleben… Stefanie Meinecke: Ihr viertes Kind war damals noch…. Friederike Weltzien: Der war vier Jahre alt. Der hat diese Bombardierung einfach körperlich überhaupt nicht ertragen. Der hat nach jeder Detonation gebrochen und da habe ich gedacht, ich muss dieses Kind hier rausbringen, und hab' mich bei so einem Konvoi mit eingeklinkt, wo ich dann erfahren habe, in einer Stunde geht der Konvoi los, das war ein alter klappriger Bus, der uns an die syrische Grenze bringen sollte und ja, das sind Momente, die sind unvorstellbar, irgendwas in den Koffer zu schmeißen. Ich habe nur irgendwelche Sommerkleider rein geschmissen, kam in Deutschland an, hab' nur noch gefroren und ja, überhaupt dieser Weg, der Busfahrer hat uns ein paar Kilometer vor der Grenze einfach rausgeschmissen, weil die Straße bombardiert wurde und er sagte, das ist ihm zu gefährlich, er will hier weg und wir saßen am 8 Straßenrand mit Koffern und Kindern und Taschen und mussten uns dann mit Menschenmassen, die alle auf diese Grenze da zuströmten und jeder guckte nur noch, dass er vorwärts kommt ohne Rücksicht auf Kinder, auf Babys, die da alle irgendwie mitgeschleift wurden, sich durchzuboxen und an der Grenze dann zu gucken, man musste diese Formalitäten erledigen, man musste einen Stempel in den Pass kriegen und stundenlang warten bis das erledigt war und weiter durchs Niemandsland wieder kilometerlang laufen. Stefanie Meinecke: Und ähnlich wie die Menschen mit denen Sie jetzt heute in Stuttgart in Berührung kommen, wurde auch Ihre Familie damals zerrissen. Ihr Mann harrte in Beirut aus? Friederike Weltzien: Genau, der blieb dort. Ja, einer musste auch für die Gemeinde weiterhin da sein, das war uns auch ganz wichtig, dass wir jetzt nicht einfach abzwitschern, wo die Lage schwierig wird. Stefanie Meinecke: Sie kehrten dann nochmal zurück in den Libanon und dann, nach Ablauf Ihrer Fachstelle nach neun Jahren war das, kehrten Sie dann endgültig zurück nach Stuttgart und haben auch jetzt den Libanon nicht Libanon sein lassen, sondern er ist nach wie vor ein wichtiger Teil Ihres Lebens? Friederike Weltzien: Ja, da bilde ich ja Erzieherinnen und Sozialarbeiterinnen aus, also das sind Leute, die in den Palästinenserlagern leben und arbeiten, meistens auch Palästinenserinnen sind, das sind nur Frauen, und auch Frauen aus der libanesischen Gesellschaft, eben die, die sich für Frauenrechte einsetzen und zur Begleitung von Frauen, die von Gewalt bedroht sind. Die bilde ich aus im Umgang mit traumarisierten Menschen. Stefanie Meinecke: Ich denke es ist in Deutschland vielleicht gar nicht allen Menschen bewusst, welch großes Quantum an Flüchtlingen im Libanon betreut wird. Friederike Weltzien: Ja, es ist eben ein altes Flüchtlingsproblem, das sind die alten Flüchtlingslager seit achtundvierzig und das sind die Orte, wo die allermeisten syrischen Flüchtlinge anlanden, das sind über eine Millionen Flüchtlinge in dem kleinen Land… Stefanie Meinecke: Bei vier Millionen Einwohnern. Friederike Weltzien: Bei vier Millionen Einwohnern. Und die sind einfach überall, es gibt keine großen offiziellen Flüchtlingslager wie in der Türkei oder Jordanien. Die hausen unter den Brücken und in Zelten und wo sie irgendwie sich ein Plätzchen schaffen können, katastrophal für die Flüchtlinge dort im Land. 9 Stefanie Meinecke: Wie würden Sie beschreiben, wie hat sich durch das Erleben, also Ihr eigener Alltag im Libanon, aber auch durch das Beobachten der Menschen dort, wie hat sich Ihr Verhältnis zum Islam entwickelt? Friederike Weltzien: Erst mal so: als was ganz normales. Es gibt einfach Christen, es gibt Moslems und die leben nebeneinander und das ist…, für mich war das von Anfang an was sehr gleichwertiges. Meine Eltern waren beide nicht sehr christlich geprägt, die waren sehr offen und von Anfang an war das für mich überhaupt keine große Differenz. Die waren einfach Libanesen. Und später, natürlich ich hab dann im Studium zum Beispiel, hab ich dann auch einen Kurs belegt „koranisches Arabisch“ und hab am Koran koranische Texte übersetzt und hab mich einfach sehr interessiert auch für diese Religion. Also ich habe nie so eine Wertung gemacht zwischen den beiden Religionen, was vielleicht ein bisschen heikel ist, wenn man dann evangelische Pfarrerin wird, aber das ist einer meiner Grundsätze, dass ich einfach die Religion in ihrer Eigenart wirklich achte und stehen lassen kann. Ich hab’ überhaupt nicht den Antrieb Moslems zu missionieren, sondern wirklich diejenigen, die in einer echten tiefen Religiosität leben mit denen gibt es ganz, ganz direkte und tiefe Anknüpfungspunkte in der Religiosität. Und da hab ich so viel positive Erfahrungen an Zusammenarbeit im Libanon, aber auch hier, auch wirklich im tiefsten religiösen Sinne, im Beten um Gottes Kraft, ob ich jetzt als Christin darum bete oder als Moslem, es gibt jedes Mal den Halt im Leben, den Glauben wirklich wahrzunehmen. Und das versuche ich wirklich auch hier zu leben mit den Flüchtlingen und auch bei den Ehrenamtlichen ins Bewusstsein zu rufen, das ist eine ganz große Kraft, die die Flüchtlinge mitbringen, ist ihr Glaube und ihr spezieller eigener Glaube, den ich nicht verändern will, sondern eher achten will und ihnen deutlich machen, das ist was sehr wertvolles, was dir auch jetzt hilft und geholfen hat. Stefanie Meinecke: Sie zieht es immer wieder zurück in den Libanon, in den Orient. Nehmen Sie diesen Sehnsuchtsort auch bei den Leuten, die dort jetzt untergebracht sind, wahr? Sehnen die sich nach zuhause oder steht da was ganz anderes...? Friederike Weltzien: Ja, es ist ganz, ganz viel Heimweh und das teilen wir. Wir erzählen über die Orte, die wir kennen, die Erlebnisse, es ist ganz viel, ja auch Heimweh, was wir da miteinander teilen. 10
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