Indra Wussow: Chile und die Literatur der Mapuche

Nordwestradio, Buchpiloten, 16. Oktober 2016
Indra Wussow:
Chile und die Literatur der Mapuche
„Mit dem Makel der Verstoßenen oder der Auserwählten, was in meinem Fall aufs
Gleiche hinausläuft, wurde mein Blut seit der Kindheit mein Schicksal.
Mein Großvater Manuel Curriao nahm mich bei sich auf und füllte meine Seele mit
den Geschichten der Ahnen meines Blutes, die sich so erbittert gegen die
Auslöschung zur Wehr setzten.
Seine Mutter Margarita wurde eines Tages vom Land ihrer Vorfahren in Pehuén
vertrieben.“
So beginnt das Gedicht „Schlechte Träume“ der chilenische Dichterin Maribel Mora
Curriao und ihre Geschichte ist kein Einzelfall sondern bildet die kollektive Erfahrung
eines unterdrückten Volkes ab. Moribel ist Mapuche und mit dieser chilenische
Minderheit hat sich unsere Kolumnistin Indra Wussow in Chile beschäftigt.
Ein wichtiges Thema, dass uns sehr viel über unseren postkolonialen Umgang mit
Minderheiten und mit dem Vermächtnis des Kolonialismus erzählt. Das Gedicht von
Maribel Mora Curriao ist in einer wichtigen Anthologie von Mapuche-Dichtung im
Jahr 2013 erschienen. Das Buch heisst „Poetry of the Earth“ und versammelt sieben
Mapuche Dichter unterschiedlicher Generationen und ist auf Spanisch, Englisch und
in der Sprache der Mapuche – Mapudungun – veröffentlicht worden. Wobei der Titel
des Buches den Namen Mapuche in sich trägt: Mapuche bedeutet übersetzt
„Menschen der Erde“.
Die chilenische Minderheit der Mapuche
Die Mapuches bevölkerten das heutige südliche Chile und Argentinien seit
Jahrhunderten, widersetzten sich lange den spanischen Kolonialherren, die das Land
südlich des Bio-Bio Flusses, der 500 km südlich von Santiago die ehemailge Frontier
markierte, nie erobern konnten. Dabei kam ihnen die Besonderheit ihrer
gesellschaftlichen Struktur zu gute. Die Mapuche hatten keinen König oder Führer
sondern jede ihrer Gemeinden einen eigenen Häuptling, sodass sie mit ihrer
Guerilla-Taktik die Spanier scheitern ließen.
Aber am Ende wurden sie dennoch besiegt vom chilenischen Staat, der seit der
Unabhängigkeit in den 1850 Jahren mit der Politik der „Pacificacion“ begann. Diese
so genannte „Befriedung“ ist ein euphemistischer Ausdruck für die Auslöschung und
Enteignung der Mapuche. Soldaten bekamen Kopfgeld für jeden toten Mapuche,
Siedler wurde enteignetes Land geschenkt um dort Landwirtschaft zu betreiben. Das
ist auch im Hinblick auf Deutschland spannend, denn viele Siedler wurden aus
Deutschland angeworben, ihnen wurde wie zum Beispiel am Llanquehue-See Land
gegeben - ihre Farmtätigkeit und ihre Kultur prägen noch heute die Landschaft dort
und sind doch auf Unrecht gewachsen.
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Die Mapuche haben sich nie wieder von dieser für sie fatalen Landnahme und dem
Genozid erholt und werden seitdem in der chilenischen Gesellschaft marginalisiert
und känpfen auch als Volk um ihr Überleben. Heute sprechen nur noch 240.000
Mapuche Mapudungun, aber es gibt Initiativen das zu ändern.
Es ist ein wichtiges Thema, inwieweit sich diese Kultur wieder auf ihr altes
vorkoloniales Selbstvertrauen rückbesinnen kann und wie man sich wieder auf die
verlorene Kultur zurückbesinnt. Ihre Sprache Mapudungun als Ort des Erinnerns,
der Identität aber auch des Aufbruchs – das ist ein wichtiges Thema unter den
Intellektuellen Mapuche.
Der Filmemacher Nahuel Lopez und die Mapuche
Der deutsche Filmemacher Nahuel Lopez hat ein Buch über die Mapuche
geschrieben, das 2013 in der Gütersloher Verlagsanstalt erschienen ist. Er ist der
Sohn einer deutschen Mutter und eines chilenischen Vaters, der vor Pinochets
Schergen nach Deutschland floh. Beide gaben ihrem Sohn einen Mapuche Namen
und der weckte das Interesse des Filmemachers und so verbrachte er längere Zeit in
einigen Gemeinden in der Nähre der Stadt Concepcion.
Das Buch erzählt vom ungleichen Kampf eines Volkes gegen eine gleichgültige und
verachtende chilenische Mehrheit gegen das Stigma des Außenseiters, gegen Armut
und wirtschaftliche Ausbeutung. Was Lopez sieht ist eine Welt in Auflösung, da alte
Traditionen nicht mehr bestehen. Aber auch den Kampf um das land, das ihnen
einst genommen wurde, für ihre Menschenrechte und den Schutz der Natur, der im
Kapitalismus mit Füssen getreten wird.
Die Armut in den Gemeinden, in denen er lebt ist erdrückend. Die Ausgrenzung über
Generationen und der versuch durch Anpassung Teil der Mehrheitsgesellschaft zu
werden schlug fehl. Ausbildung und Jobs fehlen auf dem Land und viele Mapuche
gingen in die Städte, wo heute etwas 60% der eine Million chilenischer Mapuche
leben.
Lopez spricht mit Mapuche, die aus der Stadt zurückkehren und sich ihrer Identität
stellen und sich mit ihrer Kultur und ihren Traditionen aussöhnen, wieder ihre
Sprache erlernen und damit eine wichtige Renaissance ihrer Kultur einleiten. Er trifft
aber auch auf Auflösung. In der Gemeinde Canete trifft er die letzte Machi –
Medizinfrau der Mapuche. Wenn sie nicht mehr ist wird ein wichtiger Teil der Kultur
mit ihr verschwunden sein. Die Landfrage und das chilenische Rechtssystem, das
die Mapuche benachteiligt wird ebenso beschrieben wie die sogenannten „Tomas“,
die Versuche von Gruppen der Mapuches, sich ihr Land gewaltsam von den Siedlern
zurückzuholen.
Renaissance der Mapuche-Literatur
Seit Jahren gibt es so etwas wie eine Renaissance der Poesie der Mapuche. Es
werden immer mehr Stimmen des Widerstandes gegen die Wingka-Gesellschaft,
wie die Mapuche die Kultur der Chilenen nennen laut. Hier entsteht schon –
allerdings wohl eher im gebildeten urbanen Räumen – eine neue selbstbewusste
Identität. Indra Wusseo hat mit dem Dichter und Herausgeber Jaime Huenun über
diese Renaissance gesprochen. Er ist Mapuche, wuchs in der Nähre von Osorno (
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ganz in der Nähe der wichtigsten Siedlungsgebiete der Deutschen in Chile) in einer
armen Familie auf, die wie so viele dort nur noch Spanisch sprach und er erinnert
sich sehr an die Entwurzelung, die er in seiner Kindheit deutlich gespürt hat und die
ihn zum Schreiben führte. Seine Eltern arbeiteten beide in der lokalen Kneipe und
durch deren Geschichten lernte er schon früh viel über die Armut und den
Identitätsverlust seines Volkes. Und den Alkohol als Seelentröster für die Schmerzen
des Identitätsverlusts und der Enteignung. „Wir alle haben Geschichten von Verlust
und Enteignung erlebt, alles von uns und es ist wichtig, dass zu thematisieren“., sagt
er.
Jaime schreibt auf Spanisch, denn er ist wie so viele andere Mapuche auch nur mit
dieser Sprache aufgewachsen, Es wird vornehmlich in Spanisch geschrieben –
natürlich auch, weil es wichtig ist, die Wingka-Gesellschaft zu erreichen und deren
ungerechte Strukturen anzusprechen. Jaime lebt heute in Santiago und kämpft
politisch für die Anerkennung von Mapudungun. Mittlerweile ist Sprache der
Mapuche als Schulfach obligatorisch, wenn mindestens 20 Prozent der Schüler
Mapuche sind. Ein Meilenstein und ein wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung mit
der eigenen Geschichte und Kultur. Zum Verständnis für die eigenen Traditionen und
die eigene Geschichte. Jaime Huenun ist sehr realistisch und sagt, dass ein Kampf
für die Anerkennung der Rechte von Minderheiten nur gemeinsam mit der Mehrheit
der Chilenen erfolgen kann. Nur gemeinsam kann man die ungerechten
postkolonialen Strukturen und Denkschemata auflösen.
Und da leistet jede Lesung, jede Veröffentlichung einen wichtigen Beitrag ist aber nur
der Beginn. Jaime erarbeitet mit dem Kulturministerium Ideen, wie man die Kultur der
Mapuche stärken und der breiten Öffentlichkeit als integralen Bestandteil der
chilenischen Gesellschaft beibringen kann. Dazu gehören aber natürlich auch so
schwierige Themen wie die Frage nach einer Landreform, nach einer Infragestellung
der kapitalistischen Werteordung, die durch die Pinochet-Jahre eine Beschleunigung
erreicht hat, die seitdem viel Lebensraum und die Natur zerstört hat (wie das ja auch
schon Nahuel Lopez in seinem Buch geschildert hat).
„Es ist wichtig, dass die Chilenen begreifen, dass die Kultur der Mapuche sie auch
etwas neues und wichtiges lehrt, dass wir gemeinsam stärker sind als einzeln“, sagt
Jaime und sieht die literarische Welt Chiles und das Zusammenwachsen der
Kulturen hier als ein „role model“ für eine erfolgreiche gesellschaftliche und kulturelle
Transformation.
Die Literatur der Mapuche und die Veränderung der Gesellschaft
Es ist sehr wichtig, dass sich die Mehrheit mit diesem Thema beschäftigt und das
Problem der Marginalisierung erkennt und auch die eigene Verstrickung in diese
Gemengelage akzeptiert. Die Mapuche-Dichterin Graciela Huinao zum Beispiel zeigt
in ihren Gedichten, wie die Kolonialisierung und die Verachtung durch die Mehrheit
den Selbstwert und die Identität ihres Volkes bis ins Mark zerstört haben Wie sich
das Innerste des Individuums damit fühlt und daran verzweifelt. Damit schlägt sie
eine Brücke zum Ganzen und zeigt, dass Unterdrückung sich im Körper manifestiert,
zeigt, wie Körper und Psyche unterwandert werden. Wie der Einzelnen und die
Gesellschaft untrennbar miteinander verbunden sind und nur gemeinsam überleben
und wachsen.