Teil 1 - IFZ

KULTUR
SONNTAG, 9. OKTOBER 2016, SEITE 64
QUERGEDACHT
EGYD GSTÄTTNER
über eine charmante Begegnung
am „Tag der Poesie“ in Basel
Hundert Jahre Dada oder: Bimdadabim!
S
imsalabim! Bimdadabim! Ach wäre das schön, hätten wir
in unserer kleinsten Großstadt der Welt eine Straßenbahn,
eine Tram, eine Bim, ganz wie vor 100 Jahren! Bimdadabim!
Alles einsteigen! Ach! Ach! Ach!
Den ganzen Tag lang wäre ich letzte Woche wie ein großes
kleines Kind von der Kramergasse bis zur Endstation Heiligengeistplatz und wieder zurück gefahren, Bimdadabim,
hätte ich nicht beruflich nach Basel müssen, wo ich zum
Poesiefestival eingeladen war. In Basel gibt es tatsächlich eine
Straßenbahn, lautlos, giftgrün und hochmodern: Die Baseler
Bim verlieh Basel einen besonderen Charme.
Der „Tag der Poesie“ stand diesmal ganz im Zeichen des
Jubiläums 100 Jahre Dadaismus, und im Programmheft stand
das dadaistische Manifest von Hugo Ball:
Der
„Mit edlem Gestus und mit feinem Anstand
bis zum Irrsinn, bis zur Bewusstlosigkeit.
Dadaismus
Wie kann man alles Aalige und Journalige,
ist also im
alles Nette und Adrette, alles VermoraliGrund genau- sierte, Vertierte, Gezierte abtun? Indem man
sagt.“
so alt wie die Dada
Der Dadaismus ist also im Grund genauso
liebe Straßen- alt wie die liebe Straßenbahn, allerdings kein
Gegenstand der Nostalgie und keine harmbahn.
lose Spaßkunstrichtung, sondern im Gegenteil eine hochphilosophische und politische
Protestbewegung, die allerdings mit den subversiven Mitteln
des Unsinns gegen eine unerträglich werdende Wirklichkeit
angeht: Damals waren die Verheerungen des Ersten Weltkriegs, heute sind die Verheerungen der Globalisierung und
des Turbokapitalismus zu attackieren, die neuen Diktaturen
der rigorosen Verbots- und Kontrollgesellschaft. Ganz Basel
war in Literatur getaucht, sogar auf den Bierdeckeln der
Beizen (wie in der Schweiz die Beisln heißen) stand Literatur.
Auf dem Bierdeckel, den ich nach meiner Lesung im Schmiedehof mitnahm, stand etwa: „Tut das Unnütze, singt die
Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet! Seid unbequem, seid Sand im Getriebe der Welt!“
Am Barfüsserplatz an der Haltstelle zu später Stunde über
diese Aufforderung Günter Eichs nachdenkend, kam lautlos
die Straßenbahn der Linie 8 dahergeflitzt, und über den Fenstern stand auf ihrer Karosserie in fetten Lettern „Innovation
schafft Effizienz!“ Ich war schockiert! „Pfui, Straßenbahn,
schäm dich!“, rief ich, das ist unpoetisch!
„Ah, da ist ja der Unbequeme, das Sand im Getriebe der
Welt!“, kicherte die Tramway. „Na warte! Über dich fahr ich
jetzt drüber.“ Und – bimdadabim – war ich weg. Ich konnte
nicht einmal mehr „Dada“ sagen. Frage an die Klasse: Was will
uns der Dichter damit sagen?
„
“
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I N T E RV I E W
„DieLiebe
isteineKunst“
Stardenker Clemens Sedmak (45) fordert in
seinem jüngsten Buch Qualitätssicherungsstandards für Politiker. Beim 4. Ethik Forum in St.
Georgen wird er über „Das gute Leben“ sprechen.
Herr Professor Sedmak, haben Sie
derzeit ein gutes Leben?
CLEMENS SEDMAK: In Amerika, wo
wir jetzt für zwei Jahre leben, fragen dich die Leute jedes Mal, bevor eine Interaktion beginnt:
„How are you?“. Wenn man darauf eine ehrliche Antwort gibt,
wird es mühsam. Meine Frau antwortet da schon gar nicht mehr.
Aber wenn Sie mich so fragen: Ja,
ich bin sehr glücklich hier auf Erden und sehr dankbar für vieles.
Aber ich finde es zurzeit auch
sehr anstrengend, weil meine Familie derzeit weit entfernt ist. Ich
habe auch jeden Tag bis Mitternacht Programm und muss täglich um 5 Uhr aufstehen. Das ist
wirklich anstrengend. Aber ja,
mein Leben ist gut momentan.
Was ist neben Familie sonst
noch wichtig für ein gutes Leben?
SEDMAK: Ich verstehe Aristoteles
sehr gut, der das Glücklichsein
mit einer erfüllenden Tätigkeit in
Zusammenhang bringt. Glückbringend ist auch, wenn das Leben im Gleichgewicht ist, wenn
du nicht nur gehetzt bist, sondern
auch Momente hast, wo du nichts
tust. Es ist das, was man unter
Muße versteht: Ich tu nichts,
habe aber kein schlechtes Gewissen dabei. Dazu kommen Grundhaltungen wie Dankbarkeit. Diese innere Einstellung ist auch ein
wichtiger Teil des guten Lebens.
Sie haben dieser Tage für Aufsehen gesorgt, weil Sie in Ihrem neuen Buch „Mensch bleiben in der
Politik“ Eignungstests für Politiker
gefordert haben. Ist Ihr Buch Ausdruck einer gewissen Politikverdrossenheit?
SEDMAK: Im Gegenteil. Wir haben
dafür 16 Interviews mit Politikern
gemacht, die mich sehr viel Arbeit gekostet haben. Aber ich bin
in gewisser Weise frustriert, dass
es in der Politik kaum Qualitätssicherungsstandards gibt. Bei
den allermeisten Berufen haben
sie Qualifikationsprofile. Sie
müssen irgendwelche Fähigkeiten nachweisen können und einen Ausbildungsweg zurücklegen. Es kann sich nicht jeder Automechaniker nennen. Im Nationalrat, oder noch schlimmer im
Bundesrat, spielen Qualifikationen überhaupt keine Rolle. Mir
scheint es sehr plausibel zu sein,
dass ich, wenn ich das Gehalt eines Nationalratsabgeordneten
beziehe, vorher eine Dienstprüfung ablegen muss, bei der ein bestimmtes Wissen abgefragt wird,
etwa über die Bundesverfassung,
österreichische Geschichte oder
das EU-Recht. Das macht es auch
für die Politiker besser, wenn der
Berufsstand ein gewisses Qualifizierungsniveau kriegt. Es schadet
überhaupt nicht im Bezug auf die
eigene Lebensstärke und Lebensresilienz, wenn ich mehrere
Standbeine habe und nicht auf
Gedeih und Verderb einer Partei
ausgeliefert bin.
Was wären denn neben gewissen Kenntnissen die wichtigsten