FOTOS © ROMAN PICHA PERFORMANCE AM SCHIELE FEST NÖ 2016 Bewegung im Zeitstrom – Bewegtes im Wandel EV A B R EN N E R über Lore Heuermanns Auftritt EINDRÜCKE beim SCHIELE fest NÖ 2016 in Maria Anzbach und Neulengbach. 46 Lore Heuermann, geboren 1937 in Münster, Westfalen lebt und arbeitet in Wien. Sie ist Grafikerin, Zeichnerin, Fotografin, Installations- und Performancekünstlerin. Bücher mit eigenen Texten und Fotografien. Studien an der Akademie für Bildende Künste in Wien und an der Académie de la Grande Chaumiere de Paris. Zahlreiche Studienreisen, so u. a. nach Kuba, Pakistan, Japan, China, Ägypten, Mexiko. Zahlreiche internationale Preise und Ausstellungen. 2009 Preis der Stadt Wien für bildende Kunst und das Goldene Ehrenzeichen. 2011 Museums-Ausstellung im Museum of Art Ningbo in China. A M 10. September ging in Niederösterreich das 15. SCHIELE fest NÖ 2016 (www.schielefest.org) mit einer Serie interdisziplinärer Performances, Ausstellungen, Lesungen, Diskursen und einem Konzert zu Ende. Das »junge Festival im Wienerwald« findet seit 2002 jährlich in künstlerischer Auseinandersetzung mit Egon Schieles Werk in und im Umkreis von Neulengbach statt und weitete sich rasch aus: 2007 auf Tulln, 2009 auf St. Pölten. Seit 2015 ist das SCHIELE fest wieder in Neulengbach situiert – nun ergänzt durch Maria Anzbach –, wo Schiele 1911–12 ein kleines Landhäuschen bewohnte und wegen angeblicher Verführung einer Minderjährigen verhaftet und ins Gefängnis gesteckt wurde (von der Kunstgeschichte als die sog. »Neulengbacher Affäre« apostrophiert). Der künstlerische Parcours führt durch mehrere Stationen und vereint bildende Kunst, Performance, Tanz, Musik und Diskurs. Das ästhetische Gesicht der ArenaBewegung Den Auftakt der im konservativen Umfeld ungewöhnlichen Avantgarde-Veranstaltung, die seit 15 Jahren das kulturpolitisch verschlafene Städtchen Neulengbach aufmischt, bildete eine Ausstellung und Performance der deutsch-österreichischen Ausnahmekünstlerin Lore Heuermann. Die in Münster geborene und seit Jahrzehnten in Wien lebende zählt heute zu den bedeutendsten Vertreterinnen einer neuen Moderne in der Zeichen-Kunst, die sie über realistische Anfänge in den 70er Jahren mit expressiven, auf großen Holzplatten gemalten Figuren in Bewegung über Batike-Arbeiten und Glasradierungen zu ihrer revolutionäre »Kunst des Zeichnens« menschlichen Bewegungen entwickelte, wobei sie zur Live-Performance von TänzerInnen/PerformerInnen zeichnet und ihre Bewegungsspuren zeitgleich auf asiatisches Reispapier überträgt. Das Publikum wohnt der Entstehung des Bildes bei und kann außerdem die Zeichenbewegungen über Kamera auf einem Bildschirm verfolgen. Die Performance stand am Beginn der Ausstellung und diente als Einführung: Gemeinsam mit der Tänzerin Waltraut »Manju« Pöllmann, dem Gitarristen Walter Nikowitz und den Schauspielerinnen Evgenia Stavropoulos-Traska und Michaela Adelberger präsentierte Lore Heuermann eine ihrer seltenen Performances unter dem Titel »Bewegung im Zeitstrom – Bewegtes im Wandel«, bei der das Ensemble die gesamte Zimmerflucht der einzigartigen Jugendstil-Künstlervillla »Eva&Peter« in Maria Anzbach mit Bewegung, Musik und Gedichten von Egon Schiele erfüllte. In Volksstimme · Oktober 2016 Lore Heuermann: In meinen Performances versuche ich mit Menschen [Tänzern/ Schauspielern], die sich bewegen und Anderen, die spontan Musik machen, eins zu werden für einen kurzen Augenblick – in dem Bestreben jedes Einzelnen, über ihre/ seine ihm vertrauten Grenzen zu gehen; deshalb muss alles offen sein für den Moment, die gegenseitige Beeinflussung und das Reagieren aufeinander. Es ist wirklich ein Weg, der gezeigt wird und nicht das unveränderbare, fertige Ergebnis. Die Arbeit beruht auf der eigenen Fähigkeit des Einzelnen und der Hingabe an den Augenblick – dem Sein. der Ausstellung zeigte Heuermann Grafiken einer neuen Serie von erstmalig in Farbtusche überzeichneten Blätter als Benefiz zu Sonderpreisen für das SCHIELE fest und die lokale Flüchtlingshilfe. Wer immer die Ansicht vertreten haben mochte, dass Lore Heuermann mit ihrer neuen Zeichen-Kunst das »politische« Moment der 70er-Jahre verlassen habe, wurde eines Besseren belehrt: Die exakt 21-minütige Performance begann mit einer Schweigeminute, in der das Publikum sich auf das Folgende einstimmte – dabei geht es der Künstlerin um die Unterbrechung des Alltags, die Reflexion der Entschleunigung und die gesteigerte Konzentration auf das Einmalige des Kunst-Werks, das buchstäblich vor unseren Augen entsteht. Nach der mit viel Applaus bedachten Performance sprach der Maler und Kunsttheoretiker Leander Kaiser über Heuermanns Werk und stellte ihr das kulturpolitisch signifikante Zeugnis aus, einst das »ästhetische Gesicht der Arena-Bewegung« gewesen zu sein. Mit philosophischem Anspruch beschreibt Heuermann ihre Anliegen, das »Politische« ihrer Konzeption als ein Moment geschärfter Wahrnehmung, den Blick auf das menschliche Sein-in-Bewegung, ein ständiges Werden und Vergehen, die ungeteilte Aufmerksamkeit, die sie von uns allen einfordert – Kategorien, die in einer neoliberalisierten, von technischen Apparaten, sozialem Zwang und Dauerkrisen getränkten (Um-)Welt geradezu Raritäten geworden sind. Es ist eine Kunst, die mit Beharrungsvermögen Widerstand leistet gegen die mediale Zerstreuung, die schrille Abstraktion und die modischen Fabrikate allgegenwärtiger Kunst-Oberflächen einer erschöpften und post mortem vom Kunstbetrieb weiterhin zelebrierten Post/Postmoderne. Lore Heuermann legt stattdessen den Fokus auf die Wunde/n unserer Zeit, in der die Stille, die Ruhe der Betrachtung und die Muße abhanden gekommen sind. Ähnlich wie einst Egon Schiele fordert sie die Hin- und Rückwendung auf das Humane ein, auf den menschlichen Körper, auf Figurativität, Meditation und Konzentration. Und dies kann im wahrsten Sinn als das »Neopolitische« eines neuen Realismus, der neuerdings von der Kunsttheorie wieder beschworen wird, bezeichnet werden. 47
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