11.10.2016 Energiewende als deutscher Exportschlager nicht mit Österreich SPIEGEL ONLINE Mein Spiegel DER SPIEGEL Schlagzeilen ǀ Wetter ǀ DAX 10.577,16 ǀ TV-Programm ǀ Abo Nachrichten > DER SPIEGEL > Energiewende > Energiewende als deutscher Exportschlager - nicht mit Österreich AUS DEM SPIEGEL AUSGABE 41/2016 Schmutziger Strom Österreich attackiert die deutsche Energiewende Kanzlerin Merkel will die Energiewende zum deutschen Exportschlager für Europa machen. Jetzt formieren sich die Gegner. An der Spitze: Österreich. Von Peter Müller und Gerald Traufetter DPA Braunkohlekraftwerk in Brandenburg Teilen Twittern Dienstag, 11.10.2016 09:13 Uhr E-Mail Drucken Nutzungsrechte Feedback Kommentieren Wenn die deutsche Kanzlerin von der Energiewende redet, gerät sie regelmäßig ins Schwärmen. Den Umstieg auf erneuerbaren Strom preist Angela Merkel gern als "Qualitätssprung", als Vorhaben, das "einen ganz starken Impuls in Richtung vieler Länder haben" werde. Glaubt man der Kanzlerin, könnte sich die Energiewende zum Markenzeichen made in Germany entwickeln, genauso wie schnelle Autos und präzise Maschinen. "Wenn sie uns gelingt, wird sie zu einem deutschen Exportschlager", flötet Merkel. Das Problem ist nur, dass viele in Europa das ganz anders sehen. http://www.spiegel.de/spiegel/energiewendealsdeutscherexportschlagernichtmitoesterreicha1115985.html 1/8 11.10.2016 Energiewende als deutscher Exportschlager nicht mit Österreich SPIEGEL ONLINE Weil Deutschland seine Nachbarländer mit billigem Kohlestrom überflutet, kommt dort der Umstieg auf erneuerbare Energien nicht voran. Die Energiewende, mit der die Deutschen in Europa glänzen wollen, wird nicht nur zur Last für die Nachbarn. Ausgerechnet in diesen Tagen, in denen die EU das Pariser Klimaschutzabkommen unterzeichnet, konterkariert die Energiepolitik des Merkel-Kabinetts auch die Klimaschutzziele der Europäischen Union. Nun formiert sich Widerstand. An der Spitze steht: Österreich. "Die deutsche Energiewende erschwert eine Energiewende in Österreich und anderen europäischen Ländern", sagt der österreichische Umweltminister Andrä Rupprechter. "Deutschland produziert zu viel billigen Strom, den Länder wie Österreich dann abnehmen müssen. Mit den derzeitigen Strompreisen ist eine Investition in Wasserkraft oder Windkraft ohne staatliche Hilfe nicht wettbewerbsfähig." Rupprechter führt zurzeit Gespräche in Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten mit einem klaren Ziel: Er will eine Energieallianz gegen Merkel schmieden. Wie schon in der Flüchtlingskrise droht Deutschland isoliert zu werden. Nur dass es diesmal nicht so sehr um Moral und Humanität geht, sondern vor allem um ein zentrales Projekt für die Zukunft Europas als Industriestandort. Die Themen liegen anders, die Fronten aber gleichen sich. Wie in der Flüchtlingsdebatte können die Österreicher auf die Unterstützung jener osteuropäischen Staaten setzen, die schon in der Asylpolitik gegen Merkel Front machten. "Wir nutzen alle Gelegenheiten auch mit den Umweltministern der Visegrád-Länder, um uns abzustimmen", sagt Rupprechter. "Die Richtung der deutschen Energiewende ist einfach falsch." Rupprechter, Mitglied der konservativen ÖVP, hat dabei vor allem jene Tage im Sinn, an denen Deutschlands Stromproduktion auf Hochtouren läuft. Tage wie den 17. und 18. November des vergangenen Jahres also, als das Sturmtief "Heini" mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 170 Stundenkilometern über Norddeutschland hinwegfegte. Bei Wetterlagen wie dieser liefern die deutschen Windräder so viel Energie, wie ganz Berlin an 20 Tagen benötigt. Doch Strom verhält sich ähnlich wie Wasser; er fließt dorthin, wo er den geringsten Widerstand findet, und das sind in solchen Fällen die Stromnetze der Nachbarn: http://www.spiegel.de/spiegel/energiewendealsdeutscherexportschlagernichtmitoesterreicha1115985.html 2/8 11.10.2016 Energiewende als deutscher Exportschlager nicht mit Österreich SPIEGEL ONLINE Dänemark, Niederlande, Polen, Tschechien - und Österreich. Deren Systeme sind für die Elektronenflut aus deutschen Landen aber gar nicht ausgelegt. Und, schlimmer noch: Weil die deutschen Braun- und Steinkohlekraftwerke auch an solchen Tagen praktisch ungebremst weiterlaufen, drückt die deutsche Überproduktion die Strompreise europaweit in den Keller. In vielen Ländern machen die heimischen Kraftwerke entsprechende Verluste. Die polnische Regierung hilft sich deshalb mit sogenannten Phasenschiebertransformatoren an der Grenze zu Deutschland. Sie blockieren den Strom aus dem Westen. Österreich dagegen will sich nicht mit Technik, sondern mit neuen Regeln gegen die schmutzige Energie aus dem Nachbarland wehren. Im vergangenen Jahr trug Braunkohle mit 24 Prozent zur deutschen Stromproduktion bei, Steinkohle, die derzeit günstig importiert werden kann, noch einmal mit 18 Prozent. Damit stammt im Jahr fünf des Atomausstiegs deutlich mehr deutscher Strom aus Kohle als aus regenerativen Energien (30 Prozent). Im europäischen Vergleich ist der Anteil von Kohle bei der Stromerzeugung derzeit nur in Polen, Griechenland und Tschechien höher. "Deutschland muss raus aus der Kohle, und zwar ziemlich schnell", sagt Rupprechter. Österreich will die EU-Länder, also auch Deutschland, daher verpflichten, spürbare Abgaben auf den Ausstoß an Kohlendioxid zu erheben, um die auf Hochtouren laufenden Kohlemeiler zu bremsen. Das würde die Großhandelspreise auf dem Strommarkt steigern und so den Betrieb von Wind-, Sonnen und Wasserkraftwerken wieder attraktiver machen. Heute investiert nämlich kaum ein österreichischer Energieversorger in grüne Stromquellen. Derzeit laufen zwei Projektgenehmigungen für Pumpspeicherkraftwerke in Tirol - nur bauen will sie keiner. Um das zu ändern, will der ÖVP-Mann alle EU-Staaten verpflichten, erneuerbare Energien zu fördern. Ein entsprechendes Protokoll soll den europäischen Gründungsverträgen angefügt werden. "Spätestens wenn Österreich 2018 den Ratsvorsitz in der EU innehat, wollen wir Nägel mit Köpfen machen", sagt Rupprechter. Gespräche mit Bulgarien und Rumänien, die vor und nach Österreich die Ratspräsidentschaft innehaben, laufen bereits. Ziel ist eine Allianz von Staaten, in denen der deutsche Stromüberschuss die Preise drückt. Und diesen Ländern ihre eigene Energiewende kaputt macht, eine Koalition der Billigen, wenn man so will. Da die Energiepolitik Sache der Mitgliedstaaten ist, besteht derzeit ein Flickenteppich in Europa. Während Polen und Deutschland auf Kohle setzen, erfährt die Kernenergie in Ländern wie Großbritannien, Schweden und Finnland eine Renaissance. Österreich dagegen fordert den Ausbau der Erneuerbaren. "JeanClaude Juncker will Europa zum Vorreiter bei erneuerbaren Energien machen", sagt Rupprechter. "Ich nehme ihn beim Wort. Derzeit sind wir davon noch weit entfernt." Für die Deutschen ist der Vorstoß aus Wien besonders peinlich, weil sie sich gern als Vorreiter beim Klimaschutz präsentieren. Erst vergangenen Dienstag feierte EUParlamentspräsident Martin Schulz die Unterzeichnung des Pariser Klimaschutzvertrages im Straßburger Parlament als großes Ereignis. Dabei sind längst nicht alle Fragen geklärt. Während sich Europa verpflichtet hat, bis zum Jahr 2030 mindestens 40 Prozent weniger schädliche Treibhausgase zu produzieren als 1990, ist weiterhin völlig offen, welcher EU-Staat wie viel einsparen soll. Europa droht seine Klimaschutzziele auch deshalb zu verfehlen, weil ausgerechnet der Erfinder der Energiewende, Deutschland, weiter stark auf Kohle setzt. "Bundeskanzlerin Merkel hat das Wort von der Dekarbonisierung beim G-7-Gipfel in Elmau selbst geprägt. Sie sollte es jetzt auch ernst nehmen und die Bedingungen dafür schaffen", sagt Rupprechter. http://www.spiegel.de/spiegel/energiewendealsdeutscherexportschlagernichtmitoesterreicha1115985.html 3/8 11.10.2016 Energiewende als deutscher Exportschlager nicht mit Österreich SPIEGEL ONLINE Der Österreicher kann in Brüssel mit Unterstützung rechnen, sogar von Deutschen. Der Chef der Abgeordneten von CDU und CSU im Europaparlament, Herbert Reul, hat schon länger registriert, wie der deutsche Energiesonderweg den Nachbarn auf die Nerven geht. Er mahnt die Regierung in Berlin, endlich das Gespräch zu suchen. "Die Entscheidung, die Energiewende zu machen, ohne vorher mit den europäischen Nachbarn zu reden, war ein großer Fehler." 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