2016 2 Zum Forschen ins Feld Studierende vermessen die Natur w w w . m a ga z i n . u n i - h a l l e . d e Auf Spurensuche in Äthiopien Fluch und Segen des Erdöl-Abbaus D A S M A G A Z I N D E R M A R T I N - L U T H E R - U N I V E R S I T Ä T H A L L E - W I T T E N B E R G e f orsc hen und publ iz ier en sc ient ia hal ensis 2 / 2016 r, b i s & St u z u A d en All-In Mitgliedschaft * N 19,90 € /Monat statt 29,90 € Angebot gültig für die schnellsten 150 Neuanmeldungen. vollklimatisiert te n r Sc h ü ü f r u l 2 sc ient ia hal ensis 2 / 2016 editor ial Liebe Leserinnen, liebe Leser, wir alle machen Fehler, aber selten sind sie so außergewöhnlich wie das, was Feldforscher unter dem Hashtag #fieldworkfail twittern. Sie reichen vom Geologen, der ein Fossil verschluckt, bis zur Zoologin, die sich beim Befestigen eines Funksenders versehentlich selbst an einem Krokodil festklebt. Feldforscher bringen nicht nur große Datenmengen von ihren Reisen mit, sondern auch unzählige Geschichten, die selten alltäglich sind. Auch die Wissenschaftler der Universität Halle, mit denen die Redaktion für diese Ausgabe des Unimagazins gesprochen hat, sammeln auf ihren Feldstudien einzigartige Eindrücke: Zum Beispiel Dr. Andrea Behrends, die über zwölf Jahre hinweg immer wieder in den Tschad zurückgekehrt ist, um zu erforschen, wie sich eines der ärmsten Länder der Welt durch den Erdöl-Abbau verändert. Als Ethnologin lebte sie mit der Bevölkerung vor Ort zusammen, lernte ihre Sprache und sah die Kinder ihrer Gastfamilien aufwachsen. Durch diese langfristigen Beziehungen lernte sie nicht nur die Fakten kennen, sondern auch die persönlichen Geschichten der Menschen, deren Leben durch das Erdöl beeinflusst wurde. Ganz anders gestaltet sich die Feldforschung von Naturwissenschaftlern, wie dem Bodenkundler Prof. Dr. Bruno Glaser: Auf einem abgeschiedenen Hochplateau in Äthiopien suchen sie nach menschlichen Spuren aus der letzten großen Eiszeit vor 16.000 Jahren. Dazu nutzen sie Feldmessgeräte und nehmen Bodenproben. Wie bei Feldstudien Daten gesammelt und analysiert werden, das lernen Studierende auf Exkursionen oder bei Freiland-Praktika, wie den Feldtagen im Naturpark Saale-UnstrutTriasland, die unser Titelfoto zeigt. Grundsätzlich gilt: Die kontrollierte Umgebung eines Labors lässt sich im Feld nicht herstellen. Feldforschung ist stets mit Unwägbarkeiten verbunden. Das ist für Wissenschaftler Herausforderung und Reiz zugleich, wie Prof. Dr. Georg Breidenstein im Interview über Feldforschung in den Sozialwissenschaften berichtet. „Die ganze Komplexität des Geschehens, um das es geht, die hat man nur im Feld“, sagt der Erziehungswissenschaftler. Komplex ist auch das passende Stichwort für die neue Rubrik „Kontext“ im Unimagazin: In jeder Ausgabe wird sich künftig ein Wissenschaftler der Universität mit einem aktuellen wissenschaftlichen Thema auseinandersetzen, das auch außerhalb seines Fachs Diskussionsstoff bietet. Den Anfang macht Dr. Johannes Stuttmann auf Seite 32. Der Biologe erklärt die Gen-Schere CRISPR/Cas9 – sie gilt als eine revolutionäre Methode das Erbgut zu verändern. Viel Spaß beim Lesen und Entdecken wünscht Corinna Bertz, Redakteurin Corinna Bertz (Foto: Maike Glöckner) Aktuelles rund um die Uni Halle: www.magazin.uni-halle.de, www.newsletter.uni-halle.de, www.uni-halle.de/social-media Kontakt: [email protected] Telefon: +49 345 55-21420 IMPRESSUM scientia halensis Magazin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) Ausgabe 2/2016, 24. Jahrgang Auflage 6.000 Exemplare ISSN 0945-9529 erscheint halbjährlich im April und Oktober sowie im Internet: www.magazin.uni-halle.de Herausgeber: Rektor der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Redaktion: Manuela Bank-Zillmann (mab), verantwortlich Corinna Bertz (cb), Koordinierung Sarah Huke (sh) Tom Leonhardt (tol) Kontakt: Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Stabsstelle des Rektors / Pressestelle Universitätsplatz 9, 06108 Halle (S.) 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Eine Verwendung im gewerblichen Bereich bedarf der Genehmigung durch die MLU. scientia halensis erscheint mit freundlicher Unterstützung der Vereinigung der Freunde und Förderer der MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg e. V. (VFF). Titelbild: Für eine Feldstudie vermessen Biologie-Studenten Diptam-Pflanzen, mehr dazu ab Seite 6. (Foto: Maike Glöckner) 3 4 inhalt sv er z eic hnis sc ient ia hal ensis 2 / 2016 Luthers Erbe {14} Mit einem Weltkongress und wertvollen Leihgaben beteiligt sich die Universität an den Vorbereitungen zum Reformationsjubiläum 2017. Vier Rektoren-Zepter und weitere Exponate sind für eine Luther-Ausstellung bereits in die USA gereist. (Foto: Michael Deutsch) Das Gedächtnis der Stadt {26} Erstmals erschließen Historiker der Uni Halle Stadtbücher aus dem Mittelalter systematisch für die Forschung. Das Langzeitprojekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit vier Millionen Euro gefördert. (Foto: Maike Glöckner) Zum Forschen ins Feld {6} Forscher und Studierende sind nicht nur am Uni-Campus und im Labor anzutreffen, sondern auch im Feld. Die Methoden der Feldforschung lernen Biologie-Studenten zum Beispiel im Naturpark Saale-Unstrut-Triasland, wo sie unter Anleitung von Ökologen Daten über eine Pflanze namens Diptam sammeln (S. 6). Auch in Afrika sind Wissenschaftler der Universität unterwegs: Im Tschad hat die Ethnologin Dr. Andrea Behrends zwölf Jahre lang untersucht, wie sich eines der ärmsten Länder der Welt durch den Erdöl-Abbau verändert (S. 10). In Äthiopien sucht ein Team, dem auch Prof. Dr. Bruno Glaser angehört, auf einem abgeschiedenen Hochplateau nach menschlichen Spuren aus der letzten großen Eiszeit (S. 12). Welche Felder die Sozialwissenschaftler erforschen, darüber spricht der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Georg Breidenstein ab Seite 8. (Foto: Maike Glöckner) Some stories are also available in English: www.magazin.uni-halle.de/en sc ient ia hal ensis 2 / 2016 inhalt sv er z eic hnis inhalt titelthema 6 Die Natur vermessen Im Saale-Unstrut-Triasland lernen Biologie-Studierende im Feld zu forschen 9 „Es gibt keinen Fahrplan“ Der Pädagoge Georg Breidenstein im Interview über Feldforschung in den Sozialwissenschaften 10 Erdöl: Segen und Fluch Die Ethnologin Andrea Behrends hat die Auswirkungen der Erdölförderung im Tschad erforscht 12 Eiszeit in Äthiopien: Zuflucht im Hochgebirge? Auf einem abgeschiedenen Hochplateau suchen Bodenkundler nach menschlichen Spuren varia 14 Luthers Erbe Mit wertvollen Exponaten und einem Weltkongress ist die Uni Halle an den Vorbereitungen zum Reformationsjubiläum 2017 beteiligt 16 Eine Million Euro für Gleich stellung an der Uni Halle 17Meldungen 18 ULB digital Die neue Direktorin Anke BerghausSprengel über die Zukunft der Universitäts- und Landesbibliothek studieren, lehren, leben 20 Die neue Vielfalt Wie können Hochschulen einer heterogener werdenden Studierendenschaft gerecht werden? 23 Meldungen 24 Zum Debattieren oder nach Baschkortostan? Drei Studentische Gruppen vorgestellt Forschen und publizieren 26 Das Gedächtnis der Stadt Historiker erschließen Stadtbücher dank Millionen-Förderung 29 Biodiversität: DFG fördert iDiv weiter 30Meldungen 32 Kontext: Die Gen-Schere CRISPR/ Cas9 Der Biologe Johannes Stuttmann über eine Methode, das Erbugt zu verändern 34 Neu erschienen 36 Gene zum Klingen bringen Der Biologe Martin S. Staege kann mit Genen Musik machen Die neue Vielfalt {20} Studierende sind keine homogene Gruppe. Wie können Hochschulen der wachsenden Vielfalt gerecht werden? Darüber sprechen die Hochschulforscherin Peggy Trautwein und die Mediendidaktikerin Lavinia Ionica im Interview. (Foto: Markus Scholz) Personalia 38 In der Sammlung zu Hause Porträt über Karla Schneider, Kustodin der Zoologischen Sammlung 40 „Genscher half, Türen zu öffnen“ Alt-Rektor Schilling erinnert sich an den verstorbenen Ehrensenator Hans-Dietrich Genscher 42 20 Fragen an Kathrin Hirschinger 44Neuberufen 46Meldungen schlussstück 50 Abgefahren: Das Mondmobil auf dem Feld In der Sammlung zu Hause {38} Seit über 20 Jahren arbeitet Dr. Karla Schneider mit Tierpräparaten, die bis zu 230 Jahre alt sind. Die Kustodin der Zoologischen Sammlung liebt ihren Job, weil er Hobby und Beruf verbindet. (Foto: Markus Scholz) 5 6 t it elt hema sc ient ia hal ensis 2 / 2016 t i t el: f e l df or sc h ung Die Natur vermessen Grillen zirpen am Waldrand, sonst ist es still im Naturpark Saale-Unstrut-Triasland. Neun Studierende der Uni Halle arbeiten konzentriert trotz der Mittagshitze. Es ist ihr letzter Tag im Feld, und noch ist vieles zu tun. Im Mastermodul Freilandökologie lernen die angehenden Biologen in vier Untersuchungsgebieten bei Freyburg, was es heißt, im Feld zu forschen. An diesem schwül-warmen Sommertag kommen die Teilnehmer des Mastermoduls Freilandökologie nochmal richtig ins Schwitzen. Nicole Schindler und Sam Levin kämpfen sich durch den Wald. Die beiden Biologie-Studierenden biegen ein paar Äste zur Seite, um die einzelnen Diptam-Pflanzen besser zählen und vermessen zu können. Dictamnus albus lautet die korrekte lateinische Bezeichnung der ein Meter hohen Staude mit den großen rosa Blüten. Von Mitteleuropa bis China ist die Pflanze zu Hause, und überall steht sie unter Naturschutz – in Deutschland bereits seit 1936. In einigen Bundesländern gilt das Rautengewächs heute als ausgestorben. Aber im Naturpark Saale-Unstrut-Triasland sind noch einige Populationen der Art zu finden. „Wir befinden uns in einer der artenreichsten Regionen Deutschlands mit einer extrazonalen Vegetation – aufgrund des trockenen Klimas finden Sie hier Pflanzen, die für Mitteleuro- pa sonst eher untypisch sind“, sagt Prof. Dr. Isabell Hensen. Mediterrane Sträucher sind in dieser Gegend, eine Fahrstunde südwestlich von Halle, ebenso zu finden wie osteuropäische Steppenpflanzen. „Südgeneigte Hänge und kalkreiche Böden stellen besonders günstige Standortbedingungen dar, die sich positiv auf die Biodiversität auswirken“, erklärt die Professorin für Pflanzenökologie. Seit zwölf Jahren kehrt sie gemeinsam mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dr. Monika Partzsch immer wieder zu denselben Diptam-Populationen zurück. Diese liegen teils so versteckt, dass sie ohne Ortskenntnis nicht zu finden wären: An den vier Standorten Ennsberg, Langer Berg, Nüssenberg und bei Balgstädt führen die Studierenden in diesem Jahr in kleinen Gruppen ihre Feldstudien durch. Über Handy halten Hensen und Partzsch zu allen Kontakt. Nicole Schindler, Sam Levin und Martin Andrzejak untersuchen die Diptam- sc ient ia hal ensis 2 / 2016 t it elt hema Population bei Balgstädt. Sie arbeiten entlang eines zuvor festgelegten Transekts – einer markierten Linie, an der alle Messpunkte ausgerichtet sind. Ihr Untersuchungsgebiet liegt an einem Hang und verläuft über mehrere Lebensräume: Die Diptam-Pflanzen wachsen hier im schattigen Wald, am Waldrand – in Form eines Saums – und vereinzelt auch auf dem angrenzenden Trockenrasen. „Wir haben das längste Transekt und wissen noch nicht, ob wir heute fertig werden“, sagt der 25-jährige Andrzejak. Alle drei waren in diesem Jahr bereits für eine Feldwoche in Portugal gemeinsam mit Prof. Dr. Henrique Pereira, der 2013 von der Uni Halle und dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig berufen wurde. Die Studierenden profitieren dem Zentrum, das seit seiner Gründung durch die drei Universitäten Halle, Jena und Leipzig und das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) im Jahr 2012 Biodiversitätsforscher aus aller Welt anzieht. Sie alle untersuchen die globale Artenvielfalt. „Die Ökologie befasst sich zurzeit mit drei großen Herausforderungen: dem Klimawandel, der Stickstoffbelastung durch Überdüngung und dem Verlust von Artenvielfalt. Letzteres ist ein besonders dringendes Problem, von dem alle Organismen betroffen sind“, sagt Hensen. Feldstudien sind ein wichtiges Instrument, um die komplexen Beziehungen zwischen den Arten zu erforschen: „Die Pflanzenarten, die wir untersuchen, wachsen im Freiland unter ganz anderen Bedingungen als im Labor oder Gewächshaus. In der Natur interagieren sie mit Tieren und mit anderen Pflanzen, die ihre Entwicklung entscheidend beeinflussen können.“ Für die Studierenden bedeutet das konkret, dass nicht allein der Diptam von Interesse ist: Auch die Bestäuber der Pflanzen sind zu erfassen, ebenso die restliche Vegetation im Untersuchungsgebiet. Die Biologie-Studierenden sollen wissen, was im Berufsleben einmal auf sie zukommt, falls sie sich für die Forschung im Freiland entscheiden. „Auch wer nicht in die Wissenschaft geht, wird oft draußen unterwegs sein – egal ob als Gutachter oder Botaniker“, so die Professorin. Mit Hilfe der Feldwochen können die Studierenden testen, ob ihnen diese Arbeit liegt. Denn Freilandökologen dürfen nicht zimperlich sein. „Wer später einmal in diesem Bereich tätig sein will, muss zum Beispiel lange Strecken mit Gepäck laufen können und manchmal auch im Gelände übernachten“, sagt Hensen, die in den südamerikanischen Anden viele Feldstudien geleitet hat. Auch die Untersuchungen bei Balgstädt sind arbeitsintensiv: Heute sind die verschiedenen Lebensstadien des Diptams zu zählen, ihr Wasserhaushalt zu untersuchen und Laubblätter und Blüten für mikroskopische Untersuchungen im Labor zu sammeln. Vor allem wollen Martin Andrzejak, Nicole Schindler, und Sam Levin heute die Datenerhebung zur Vegetation am Waldsaum abschließen. Das heißt: Alle Pflanzenarten auf den drei zuvor abgesteckten Plots unterschiedlicher Größe sind zu bestimmen und zu notieren. Mehr als 200 verschiedene Arten hat die Gruppe auf dem Trockenrasen, am Saum und im Wald bereits gefunden. Die Bestimmung von Pflanzen, mit denen die Artenkenntnis vertieft werden soll, ist ein entscheidender Bestandteil des Moduls. „Artenkenntnis ist wichtig. Denn was man nicht kennt, kann man nicht schützen“, sagt Hensen. Nicole Schindler kennt sich besonders gut mit Kräutern aus, Martin Andrzejak eher mit Gräsern. Doch bei manchen grünen Blättern beginnen beide zu rät- Von links: Monika Partzsch bei der Artenbestimmung mit den Studierenden; Großaufnahme des iButtons, mit dem der Temperaturverlauf gemessen wird; Martin Andrzejak beim Kalibrieren des Porometers; Isabell Hensen mit Diptam-Pflanzen. (Fotos: Maike Glöckner) 7 8 t it elt hema sc ient ia hal ensis 2 / 2016 seln. Helfen können Monika Partzsch und „der Rothmaler“, ein Standardwerk der Pflanzenbestimmung. Der Botaniker Prof. Dr. Werner Rothmaler hatte die erste Ausgabe vor 66 Jahren veröffentlicht, als er noch als Professor an der Uni Halle lehrte. Jetzt blättert Schindler in dem knapp 1.000 Seiten dicken Band, während Partzsch das nächste unbestimmte grüne Blatt an die Studierenden weiterreicht. „Euphorbia cyparissias – Zypressen-Wolfsmilch. Vor vier bis sechs Wochen hat diese Art bereits geblüht“, sagt sie schließlich. „Wie sieht die Blüte aus?“, will Sam Levin wissen. Mit nordamerikanischen und tropischen Pflanzenarten kennt sich der US-Amerikaner besser aus als mit der Pflanzenwelt Mitteleuropas. Genau wie seine Kommilitonen ist auch er lieber draußen unterwegs als im Labor. „Im Feld ist es viel abwechslungsreicher.“ Und doch kann selbst diese Arbeit eintönig werden. Etwa, wenn die Messungen mit dem automatischen Porometer anstehen. Das Gerät, das an ein DiptamBlatt geklemmt wird, misst den Verlust von Wasserdampf durch die Spaltöffnungen an der Blattunterseite. Die Daten geben Aufschluss über den Zustand der Pflanze und darüber, wie sie auf sich verändernde Umweltbedingungen reagiert. „Wir messen 20 Mal in jedem Lebensraum“, sagt Andrzejak. Vor den Messungen ist je eine Kalibrierung notwendig, die Konzentration und eine schnelle Reaktion bei der Bedienung des Geräts erfordert. Einfacher sind da die zentimetergroßen iButtons zu handhaben, die, markiert mit kleinen Fähnchen, auf dem Boden platziert werden. Die kleinen Mikrochips messen die Temperatur. Die Daten können anschließend direkt am Computer ausgelesen werden. Viele Mess- und Analysemethoden wenden die Studierenden während der Feldwochen zum ersten Mal Absicherung - Wohneigentum – Risikoschutz – Vermögensbildung - Finanzierung: Bau, Kauf, Umschuldung oder Modernisierung einer Immobilie - Wüstenrot Wohnsparen mit staatlichen Förderungen* praktisch an. Im Vorbereitungsseminar haben sie sich mit den Feldmessgeräten und mit neuen Computerprogrammen vertraut gemacht. Denn den Großteil ihrer Arbeitszeit verbringen sie im Labor und am Computer, bei der Analyse der Daten. Erst nach Auswertung aller erhobenen Umweltfaktoren, die mit Hilfe komplexer Statistikprogramme vorgenommen wird, können Aussagen über die Vegetationsökologie der Diptam-Populationen getroffen und Forschungshypothesen bestätigt oder verworfen werden. Die Ergebnisse der studentischen Arbeiten fließen in die Forschung von Monika Partzsch ein. Nach den ersten fünf Untersuchungsjahren hat sie 2009 die erste Studie über den Diptam im unteren Unstruttal in der Fachzeitschrift Tuexenia veröffentlicht. Ein Großteil der Populationen ist seitdem stabil geblieben. Zur Freude der halleschen Botaniker. „Populationen brauchen eine bestimmte Größe. Bei weniger als etwa 50 Einzelpflanzen funktioniert der Genfluss irgendwann nicht mehr, und die Population stirbt schließlich aus“, erklärt Isabell Hensen. Auch einige Diptam-Populationen, die in diesem Jahr eigentlich erneut untersucht werden sollten, gelten mittlerweile als zu sensibel, um gestört zu werden. Unabhängig davon gilt bei der Feldarbeit: „Wir bewegen uns so achtsam durch das Gelände, dass von uns auch nicht mehr zerstört wird als durch das Rotwild, das hier unterwegs ist“, sagt Hensen. Corinna Bertz Kontakt: Prof. Dr. Isabell Hensen Institut für Biologie Telefon: +49 345 55-26210 E-Mail: [email protected] Ihr Ansprechpartner vor Ort Ulrich Christmann * Die Voraussetzungen ergeben sich aus den Allgemeinen Bestimmungen für Bausparverträge - Günstiges Einsteiger Paket der Württembergischen (auch für Studenten) für den notwendigen Versicherungsschutz Auslandskrankenversicherung (z.B. für Auslandssemester) KfW Studienkredit (ein Angebot der KfW Bankengruppe) Stand September 2016 Kostenloses Top Giro-Konto G e i s t s t r a ß e 2 3, 0 6 1 0 8 H a l l e - Wüstenrot Vorsorgecenter Mobil Tel. : Fax. 0172 / 97 09 879 0345 / 217 79 612 07141 / 168 36 357 [email protected] - Bi tte Termin vereinbaren sc ient ia hal ensis 2 / 2016 t it elt hema „Es gibt keinen Fahrplan“ Auch Geistes- und Sozialwissenschaftler forschen im Feld. Aber wie? – Das beschreibt Prof. Dr. Georg Breidenstein mit zwei Kollegen im Lehrbuch „Ethnografie – die Praxis der Feldforschung“. Im Interview spricht der Erziehungswissenschaftler über die Besonderheiten der sozialwissenschaftlichen Feldforschung. In welches Feld begeben sich Sozialwissenschaftler? Georg Breidenstein: Für sie kann sehr vieles zum Forschungsfeld werden, das Feld hängt stark vom Interesse des Forschers ab. Für Schulpädagogen sind zum Beispiel das Klassenzimmer oder der Pausenhof klassische Forschungsfelder. In den Erziehungswissenschaften kann die Jugendhilfe ein Feld sein. Aber auch Streetball kann zum Forschungsfeld werden. Heute sind viele Phänomene, für die wir uns interessieren, gar nicht mehr so einfach zu verorten. Wie ist das Feld zu verstehen, wenn man sich für eine soziale Praxis interessiert, die hauptsächlich im Internet stattfindet? Darüber wird zurzeit intensiv diskutiert. Wie ist Ihre Position dazu? Mir ist klar, dass Feldforschung bei vielen Untersuchungen die digitale Kommunikation mit einbeziehen muss, weil sie auch eine soziale Praxis ist. Andererseits neige ich dazu, das klassische Verständnis von Feldforschung aufrecht zu erhalten, bei dem man den Schreibtisch verlässt, sich als Person auf das Forschungsfeld und dessen Bedingungen einlässt und dadurch Erfahrungen macht, die forschungsrelevant werden. Die eigene Erfahrung im Feld wird dann zum Gegenstand der Reflexion. Welche Erkenntnisse kann man nur vor Ort sammeln? Bestimmte Dinge kann man nur erfahren, indem man selbst teilnimmt – zum Beispiel, wie sich die Perspektive auf das Klassenzimmer verändert, wenn man selbst den Sitzplatz wechselt. Ich habe für ein Projekt in der Kindheitsforschung einmal beim Fangen mitgespielt und dabei die eindrucksvolle Erfahrung gemacht, was es bedeutet, nicht gefangen zu werden. Dann hat man zwar seine Ruhe, ist aber auch nicht involviert. Man ist für die Fänger offensichtlich auch nicht attraktiv. Das ist ein Ergebnis teilnehmender Beobachtung. Wie bringen Sie Studierenden die Methoden der Feldforschung praktisch bei? Feldforschung lernt man nur in der konkreten Durchführung. Sie ist nicht standardisierbar. Viele Entscheidungen werden erst im Prozess gefällt. Es gibt keinen Fahrplan. Aber es gibt offensichtlich einen Bedarf nach Anleitung. Die erste Auflage unseres Lehrbuchs zur Praxis der Feldforschung war schnell vergriffen. In der Praxis lernen die Studierenden die Methoden der Ethnografie, indem wir ihnen im Seminar kleine Projekte übertragen, auf dem Markt oder in der Straßenbahn. Dort üben sie das Beobachten und Protokollieren. Anschließend sprechen wir darüber, wie man daraus Forschungsfragen und Theorien entwickeln kann. Für viele Naturwissenschaftler ist die Feldforschung ein Highlight ihrer Arbeit. Für Sie auch? Ja, ich genieße das. Ich komme heute leider selbst nicht mehr oft dazu, weil ich Feldforschung meist eher anleite. Bei allen Projekten versuche ich aber, mindestens einige Tage vor Ort zu sein, und da geht mir jedes Mal das Herz auf. Die ganze Komplexität des Geschehens, um das es geht, die hat man nur im Feld. Um ein Gespür dafür zu bekommen, muss man auch selbst vor Ort sein. Da reichen Protokolle nicht aus. Interview: Corinna Bertz Kontakt: Prof. Dr. Georg Breidenstein Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik Telefon: +49 345 55-23902 E-Mail: [email protected] Georg Breidenstein (Foto: Markus Scholz) Was macht einen guten Ethnografen aus? Die Langfassung des Interviews sowie Angaben zur Publikation von Georg Breidenstein gibt es unter: www.magazin.uni-halle. de/19998 9 10 t it elt hema sc ient ia hal ensis 2 / 2016 Erdöl: Segen und Fluch Wenn ein Land über Ölreserven verfügt, birgt das ungeahnten Reichtum – oder? Der Tschad zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Seit 2003 wird in dem Staat in der Mitte Afrikas Öl gefördert. Die Ethnologin Andrea Behrends hat über zwölf Jahre soziale und kulturelle Veränderungen durch die Erdölförderung vor Ort untersucht. „Kommen Sie nicht in den Tschad!“ war die erste Reaktion, die Dr. Andrea Behrends Anfang 2000 zu ihren Plänen erhielt. Die Ethnologin wollte das Land und seine Bewohner erforschen. Sie interessierte sich speziell für die Grenze zum Sudan im Osten des Landes, eine Krisenregion. Nach zahlreichen weiteren Telefonaten, Behördengängen und den nötigen Impfungen konnte Behrends dann doch einreisen. Dass sie das Land in Zentralafrika und seine Bevölkerung bis in die Gegenwart begleiten würden, war damals wohl noch nicht abzusehen. 2003 hat die Regierung begonnen, Erdöl zu fördern. Behrends war als Ethnologin von Anfang an dabei. „Wir wollten beobachten, wie sich eines der ärmsten Länder der Welt durch den Erdöl-Abbau verändert“, fasst sie zusammen. Eigentlich lässt sich davon ausgehen, dass sich die Situation im Land durch die Ölförderung verbessert: Wird viel Öl abgebaut, entstehen dadurch neue Jobs, der Staat verdient am Verkauf des Erdöls und den Steuern für den Export. Über die Mehreinnahmen kann die Regierung die Infrastruktur Tradition und Moderne: Im Tschad liegen die Ölfirmen in unmittelbarer Nähe zu den traditionellen Hütten der Bevölkerung. (Foto: Andrea Behrends) verbessern und zum Beispiel neue Schulen oder Krankenhäuser bauen. Damit die Regierung im Tschad die nötigen Rahmenbedingungen für die Ölförderung schaffen konnte, musste sie bei der Weltbank einen Kredit aufnehmen. Der war an bestimmte Bedingungen geknüpft: „Die Regierung wurde verpflichtet, ihre Gewinne transparent darzustellen, die Infrastruktur im Land auszubauen und einen Teil des Geldes in einem Treuhandfonds für zukünftige Generationen anzulegen.“ Klingt gut. Eigentlich. Anstelle von Krankenhäusern und Schulen wurden moderne Märkte und Fußballstadien errichtet. Der Westen habe das Vorgehen toleriert, weil Präsident Idriss Déby für relativ stabile Verhältnisse habe sorgen können. Aufstände tschadischer Rebellen konnte er wiederholt niederschlagen. Das machte das Ölgeschäft stabiler. Ethnologen arbeiten in der Regel vor allem qualitativ: Sie führen keine großen Befragungen durch, um ein allgemeines Bild zu erheben: „Wir versuchen, die Hintergründe und Entwicklungen anhand von Schlüsselpersonen und -ereignissen zu verstehen.“ sc ient ia hal ensis 2 / 2016 t it elt hema „Wenn man die Menschen im Tschad fragt, was ihnen das Erdöl gebracht hat, sagen sie: rien. Rein nichts.“ Dr. Andrea Behrends Dafür müssen sie längere Zeit vor Ort sein und mit vielen Menschen sprechen. Feldforschung ist ein wesentlicher Bestandteil ihrer Arbeit. „Als Ethnologin lebt man direkt mit der Bevölkerung vor Ort zusammen und lernt auch ihre Sprache.“ Wichtig sei dafür auch, passende Kleidung zu finden. Sie muss den lokalen Vorstellungen von angemessener Kleidung entsprechen, praktisch und robust sein, denn die meisten Gespräche finden nicht auf Stühlen an einem Tisch statt, sondern auf dem Boden. Für Ethnologen sind diese persönlichen Gespräche das Zentrum ihrer Arbeit: Kommen sie in einem neuen Land an, versuchen sie schnell, Kontakte zur Bevölkerung aufzubauen und sich so an weitere Personen vermitteln zu lassen. So war es auch bei Andrea Behrends, die im Tschad bei mehreren Gastfamilien lebte. Nach all den Jahren sei sie fast ein richtiges Familienmitglied geworden: „Einige der Kinder aus den Familien habe ich aufwachsen sehen. Bei Familienfesten sind auch mir unbekannte Menschen auf mich zugekommen und haben gesagt: Ach, du bist also Andrea“, berichtet sie lachend. Durch die engen und langfristigen Beziehungen lernte Behrends nicht nur die Fakten kennen, sondern auch die persönlichen Geschichten der Menschen, deren Leben durch das Erdöl beeinflusst wurde. Behrends berichtet von einem Mitarbeiter einer Ölfirma, der für die Errichtung der Bohrlöcher zuständig ist. Er analysiert die verschiedenen Erdschichten im Boden und fügt den Bohrmaschinen Chemikalien zu, damit sie besser arbeiten. Eigentlich müsste die Firma darauf achten, den Boden nicht zu stark zu belasten, denn Landwirtschaft spielt im Tschad eine große Rolle. Doch die Messwerte würden häufig beschönigt, so Behrends. Die Leidtragenden sind die Bauern – eine große Bevölkerungsgruppe. Auf ihrem einst fruchtbaren Ackerland wachsen Pflanzen nur noch schlecht oder gar nicht mehr. Dass die Ölförderung dafür verantwortlich ist, verstehen sie mitunter nicht: „Die Menschen merken zwar, dass ihr Boden schlechter wird, aber die wirklichen Gründe dafür werden ihnen nicht mitgeteilt“, weiß Behrends. Das Erdöl habe viel geändert: Die wenigen Menschen, die einen Job in der Erdölbranche gefunden hatten, stellten ihren Reichtum zur Schau. So habe Behrends die Geschichte eines Mannes gehört, der in Bier gebadet habe. „Die Menschen haben geglaubt, es geht immer weiter so. Dann kam die große Enttäuschung“, so Behrends. Der sinkende Ölpreis und die stagnierende Nachfrage der letzten Jahre machen dem Tschad zu schaffen. Von den Vorsorge-Plänen sei nicht viel übrig geblieben: „Wenn man die Menschen im Tschad fragt, was ihnen das Erdöl gebracht hat, sagen sie: rien. Rein nichts.“ Die Erfahrungen im Tschad decken sich mit denen anderer Länder: Obwohl große Gewinne eingefahren wurden, ging die breite Bevölkerung leer aus. Mitunter hat sich die Lage sogar verschlechtert. Dieses paradoxe Phänomen wird in der Forschung als Ressourcenfluch beschrieben. Auch das Wertesystem habe sich verändert: Zuvor habe privater Besitz keine große Rolle gespielt. Jetzt ziehe der Reichtum der Ölarbeiter viel Neid auf sich. Auch die Mitgift für eine Hochzeit sei im Erdölgebiet wesentlich teurer geworden, ebenso privater Landbesitz. Nach mehr als zwölf Jahren, vielen Forschungsreisen, Gesprächen und wissenschaftlichen Publikationen will Behrends die Ölforschung abschließen. Kein leichter Abschied: „Bei dem Gedanken daran ist mir aufgefallen: Das kann ich nicht.“ Sie hält noch immer Kontakt zu ihren Gastfamilien – und hat dort einen festen Platz. Die Frage, wie man als Forscherin nach so langer Zeit aus dem Feld wieder herausgeht, wird sie noch eine Weile beschäftigen. Behrends wird weiterhin zu globalen Ungleichheiten und deren Auswirkungen in ländlichen und städtischen Gebieten Afrikas forschen. Tom Leonhardt Kontakt: Dr. Andrea Behrends Seminar für Ethnologie E-Mail: [email protected] Andrea Behrends (Foto: Maike Glöckner) 11 12 t it elt hema sc ient ia hal ensis 2 / 2016 Eiszeit in Äthiopien: Zuflucht im Hochgebirge? Sind die Menschen in Äthiopien während der letzten großen Eiszeit vor 16.000 Jahren in die Berge geflohen? Das erforscht ein internationales Team aus Bodenkundlern, Archäologen und Biologen im neuen Projekt „The Mountain Exile Hypothesis“. Dafür reisen hallesche Bodenkundler künftig in das Sanetti-Hochplateau und untersuchen den Boden mit modernen biogeochemischen Methoden auf Jahrtausende alte Spuren von Menschen. Für ihre Forschung reisen die Bodenkundler in die abgelegenen Bale-Berge. (Foto: Indrik Myneur / CC 2.0 BY) Es ist nicht gerade die menschenfreundlichste Region auf der Welt: Die Bale-Berge im Süden Äthiopiens sind ein sehr regenreiches Gebiet mit teilweise stark schwankenden Temperaturen. Der Landstrich liegt zwischen 3.700 und 4.100 Metern über dem Meeresspiegel – hier wird die Luft dünn: Der deutlich geringere Sauerstoffgehalt macht den Menschen zu schaffen, ihr Stoffwechsel verschlechtert sich. So ist es wesentlich anstrengender, sich in den Bergen fortzubewegen, als es im Tal der Fall ist. Deshalb gilt diese Gegend noch immer als relativ naturbelassen. Gleichzeitig gibt es in der Region einige einmalige Tier- und Pflanzenarten. „Wegen der schlechten Lebensbedingungen für den Menschen geht man häufig davon aus, dass der afro-alpine Raum erst sehr spät besiedelt wurde“, sagt Bruno Glaser, Professor für Bodenbiogeochemie an der Uni Halle. Im Rahmen der Forschergruppe „The Mountain Exile Hypothesis“, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und der Uni Marburg geleitet wird, will Glaser mit seinem Bayreuther Kollegen Prof. Dr. Wolfgang Zech im Idealfall das Gegenteil beweisen. Sie arbeiten im Projekt mit Forschern aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Ihre Hypothese: Schon während der letzten Eiszeit vor 16.000 bis 10.000 Jahren haben sich Menschen auf das Plateau zurückgezogen. Während einer Kaltzeit ist es in den Bergen eigentlich kälter. In den letzten 500.000 Jahren zogen sich die sc ient ia hal ensis 2 / 2016 t it elt hema Menschen in Europa deshalb immer in wärmere Täler zurück. „In Afrika haben die Warm- und Kaltzeiten aber nicht so gravierend gewirkt“, erklärt Glaser, der Äthiopien aus früheren Projekten zur nachhaltigen Wald- und Bodennutzung gut kennt. So waren die Bergplateaus nicht vereist, im Tal war es aber zu trocken. Bisher gebe es keine schlüssige Erklärung, wo sie in dieser Zeit Zuflucht gefunden haben. Den Boden als Archiv nutzen Wenn es die Menschensiedlungen in den Bergen tatsächlich gab, müsste es davon auch Spuren geben – diese müssten selbst nach tausenden von Jahren noch zu finden sein: im Boden oder in der Pflanzenwelt. Genau diese Bereiche wollen Glaser und Zech untersuchen. „Anders als Archäologen, die zum Beispiel nach Steinartefakten in der Natur suchen, verwenden wir den Boden als Informationsquelle.“ Schon mit bloßem Auge lasse sich teils erkennen, wo Menschen gesiedelt haben: „Der Boden ist dunkler, weil er sehr viel Ruß enthält. Es handelt sich um einen sehr fruchtbaren Boden.“ Damit die Arbeiten der Bodenkundler erfolgreich sind, brauchen sie möglichst unbelastete Naturflächen. Das Bodenprofil darf nicht zu sehr durch deutlich jüngere Einflüsse gestört sein. Hier bieten sich die relativ menschenunfreundlichen Bale-Berge an. „Der Boden wurde in den letzten Jahrhunderten und Jahrtausenden nur oberflächlich verändert, die Abfolge ist erhalten geblieben.“ Deshalb plant die Gruppe mehrere Expeditionen, um an verschiedenen Stellen Bodenproben zu nehmen. Mit den Proben können die Forscher chemische Analysen durchführen und so ihre Rückschlüsse ziehen: Menschen scheiden etwa eine bestimmte Menge an Phosphor pro Tag aus – so lässt sich anhand der Rückstände im Boden berechnen, wie viele Menschen in einer Gegend lebten. „Damit lassen sich ganze Flächen kartieren und man kann rekonstruieren, zu welchem Zeitpunkt wie viele Menschen in einem Gebiet gelebt haben.“ Natürlich kann die Gruppe keine auf Person und Tag genauen Angaben treffen, für ein „Gefühl, wie intensiv und groß die Siedlungen waren“, reichen die Daten aber. Und für einen Zeitraum von bis zu 16.000 Jahren lassen sich erstaunlich genaue Angaben machen: „Wir können am Ende zum Beispiel sagen: Diese Fläche war für etwa 500 Jahre von durchschnittlich 1.000 Menschen besiedelt.“ Auch die Pflanzenwelt weise, so Glaser, viele Spuren von menschengemachter Veränderung auf. Es sei auffällig, dass das Heidekraut Erika im Sanetti-Plateau nur fleckenartig wächst – große, zusammenhängende Flächen gibt es nicht. Da die Sträucher empfindlich auf Feuer reagieren – was die Menschen damals in die Region mitgebracht hätten, wenn sie dagewesen wären – könnte diese Besonderheit ein Indiz dafür sein, dass die Gegend besiedelt wurde und der Mensch die hiesige Pflanzenwelt verändert hat. Es könnte aber genauso gut sein, dass das Vegetationsmuster eine Folge von Klimaveränderungen ist. Untersuchungen im Isotopenlabor Um zu verstehen, welche Auswirkungen das Klima auf die Pflanzen hat, müssen die Wissenschaftler zunächst einmal wissen, welche klimatischen Bedingungen vor über 10.000 Jahren in den Bergen geherrscht haben. Das zu modellieren ist Aufgabe des zweiten Projekts, das von Dr. Michael Zech, einem Mitarbeiter Glasers, geleitet wird. Die Wissenschaftler werden versuchen, einige Wetterkenngrößen über die Jahrtausende nachzuvollziehen: dazu gehören beispielsweise Temperatur, die Luftfeuchtigkeit und die Niederschlagsmenge. Auch hier dienen vor allem Sedimentablagerungen im Boden als Archiv für die Analysen. Diese werden mit Hilfe eines von Zech und Glaser entwickelten neuartigen Paläothermometers basierend auf Sauerstoff- und Wasserstoffisotopen im halleschen Isotopenlabor untersucht. Die Ergebnisse fließen in das übergeordnete Projekt ein, an dem noch weitere Geologen, Archäologen und Biologen arbeiten. Am Ende soll eine kohärente Antwort auf die Frage gegeben werden, ob Menschen tatsächlich vor 16.000 Jahren vor Kälte und Trockenheit in die Berge geflohen sind. „Gelingt uns das, wäre das eine kleine Sensation“, sagt Glaser. Bis dahin sind aber noch einige Expeditionen in Äthiopien und Analysen im Labor nötig. Tom Leonhardt Kontakt: Prof Dr. Bruno Glaser Bodenbiogeochemie Telefon: +49 345 55-22532 E-Mail: [email protected] 13 14 var ia sc ient ia hal ensis 2 / 2016 var ia Luthers Erbe „Wer etwas will anfangen, der mag es beizeiten tun.“ So plauzte Martin Luther vor einem halben Jahrtausend wohl jeden an, der im Umgang mit kostbarer Zeit sündigte. Ganz sicher wäre der Reformator, der am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen den Missbrauch des Ablasshandels an die Tür der Wittenberger Schlosskirche gehämmert haben soll, heute zufrieden. Zufrieden mit den guten Geistern seiner Alma Mater, die das 500-jährige Reformationsjubiläum mit vorbereiten. Auf dem Weg nach Übersee: Dr. Michael Ruprecht und seine Mitarbeiterin Susann Fritsche verpacken die Rektoren-Zepter. (Foto: Michael Deutsch) Beim großen Luther-Event 2017 spielt die MartinLuther-Universität, die seit über 80 Jahren den Namen des Reformators trägt, eine Sonderrolle. Ein halbes Jahrtausend ist es her, dass Luther als Theologieprofessor an der alten Wittenberger Universität – Leucorea genannt – lehrte und von hier aus die weltverändernde Reformation in Bewegung setzte. Als mit dem Wiener Kongress die Leucorea schließlich nach Halle verlegt und dort 1817 Teil der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg wurde, trat man quasi das geistige Erbe Luthers an. Und das verpflichtet. Neben regen Forschungsakti- vitäten zur Reformationsgeschichte und der damit einhergehenden Ausrichtung des im August 2017 geplanten Weltkongresses zum Thema „Kulturelle Wirkungen der Reformation“ beteiligt sich die Uni Halle auch an der Lutherausstellung „Here I stand“, die Anfang Oktober in den USA gestartet ist. Das Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, die Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt und weitere Partner realisieren gemeinsam mit drei US-amerikanischen Museen drei Ausstellungen zum Leben und Wirken des Reformators. Die Ausstellungen laufen im Minneapolis Institute of Art, im Morgan Library sc ient ia hal ensis 2 / 20 16 var ia & Museum in New York sowie in der Pitts Theology Library der Emory University Atlanta. „Man kann getrost behaupten, dass kurz vorm Reformationsjubiläum die hiesige Museums- und Gedenkstättenlandschaft ,Luther-leer‘ gefegt ist“, scherzt der Leiter des halleschen Universitätsarchivs und der Zentralen Kustodie Dr. Michael Ruprecht. Auch die Uni Halle und die Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (ULB) sind mit Leihgaben vertreten. „Vom Thema steht die 1502 vom Kurfürst Friedrich III. gegründete Wittenberger Universität Leucorea im Mittelpunkt. Sie war das Zentrum, ja die Wiege der Reformation“, betont der Historiker. Zwei besonders wertvolle Exponate steuert die ULB bei: Der erste Matrikelband der Wittenberger Universität, in dem im Jahr 1508 auch ein gewisser „fr. Martinus Luder des Mansfeldt“ eingetragen wurde, sowie ein 1518 gedrucktes Pappheftchen mit Luthers Erläuterungen seiner 95 Thesen. Auch die kostbarsten, stets sicher verwahrten Stücke der Universität verlassen Halle. Mit dabei sind die Gründungsurkunde Kaiser Maximilians für die Uni Wittenberg von 1502, die päpstliche Bestätigung der Gründung aus dem Jahr 1507 sowie das Siegeltypar des ersten Rektors von 1514 zum Siegeln von Urkunden. Zur wertvollen Fracht gesellen sich zudem die vier ältesten Rektoren-Zepter aus den Jahren 1502 und 1509. Ihr Wert: unschätzbar. „Wir haben lange beraten, ob wir wirklich die Originale hergeben. Es gibt schließlich auch Duplikate“, sagt Ruprecht. Doch man war sich einig, dass der Charme einer solchen Ausstellung von echten Leihgaben lebt. „Mit nichts anderem rechnen auch die Amerikaner, die Luther verehren.“ Dennoch gehe man ein hohes Risiko ein. Eigens für den Transport hat der Präparator Michael Stache vom Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen deshalb Spezialkisten angefertigt. Durch einen 3-D-Scan der Zepter konnten die inwendigen Dämmmaterialien passgenau ausgefräst werden. „Das ist die sicherste Transportverpackung, die es für die Zepter je gab“, sagt Ruprecht. Doch warum gibt es an der Martin-Luther-Universität eigentlich so wenig Handfestes von Luther? Das kann Prof. Dr. Ernst-Joachim Waschke, der Rektoratsbeauftragte fürs Reformationsjubiläum und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Leucorea in Wittenberg, beantworten. „Natürlich war die Leucorea Luthers Universität. Hier war er von 1513 bis 1546“, sagt der 67-Jährige. Dass andere Standorte mehr Exponate besitzen, hänge mit dem Schmalkaldischen Krieg von 1546 zusammen. Durch diesen ging das Ernestinische Wittenberg an das Fürstengeschlecht der Albertiner verloren. „Wichtige Lutherschriften finden sich deshalb heute in Jena, Coburg, Dresden und Weimar“, sagt Waschke, der zurzeit gemeinsam mit dem Theologen PD Dr. Christian Senkel den Weltkongress zum Thema „Kulturelle Wirkungen der Reformation“ vorbereitet. Die öffentliche Tagung, die vom 7. bis 11. August 2017 läuft, wird im Verbund der drei Unis Halle, Jena und Leipzig ausgerichtet. Rund 250 Gäste aus zehn Ländern werden erwartet. Bereits 2006 wurde auf Initiative von Rektor Prof. Dr. Udo Sträter die Reformationsgeschichtliche Sozietät gegründet. 18 Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Disziplinen suchen im Diskurs nach Antworten. Dank Landesförderung konnte die Uni auch fünf Stipendien für Forschungsarbeiten zur KongressThematik vergeben. Der Kongress und die Sozietät sind Eckpfeiler, um die Stiftung Leucorea weltweit als ein Zentrum für reformationshistorische Forschungen zu etablieren. Für Ernst-Joachim Waschke ist Luther untrennbar mit Wittenberg verbunden. Er appelliert an Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, diesen historischen Bonus besser auszuspielen. „Wittenberg ist die Wiege der Reformation.“ Das Bekenntnis hierfür müsse noch deutlicher ausfallen. Was hätte wohl Luther dazu gesagt? Vielleicht: „Nur wer sich entscheidet, existiert.“ Michael Deutsch 200 Jahre Uni Halle-Wittenberg Das Jahr 2017 steht auch im Zeichen eines weiteren Jubiläums, denn am 21. Juni 2017 jährt sich die Vereinigung der beiden Universitäten Halle und Wittenberg zum 200. Mal. Anlass genug für die Universität zu feiern und im Juni gleich eine ganze Festwoche vom 18. bis 25. Juni zu gestalten. Das Programm gibt es in Kürze unter www.uni-halle.de/200. mab 15 16 var ia sc ient ia hal ensis 2 / 2016 Eine Million Euro für Gleichstellung Viel Geld für mehr Chancengleichheit: Im Juli hat die Martin-Luther-Universität für das Projekt „Frauen in die Wissenschaft“ mehr als eine Million Euro erhalten. Die Mittel wurden im Rahmen des Landesprogrammes „Chancengleichheit für Männer und Frauen in Wissenschaft und Forschung“ vom Europäischen Sozialfonds der EU und dem Land Sachsen-Anhalt vergeben. „Mit diesen Mitteln fördern wir jetzt über einen Zeitraum von sieben Jahren Maßnahmen, die die Teilhabe von Frauen auf allen Ebenen der Hochschule langfristig erhöhen sollen“, sagt der Prorektor für Struktur und strategische Entwicklung Prof. Dr. Wolfgang Auhagen, der für Gleichstellungsthemen an der Universität verantwortlich ist. „Geplant sind vier Module“, sagt Helga Lohse, Referentin für Gleichstellung im Prorektorat. Sie hat die Projektskizze gemeinsam mit dem Gleichstellungsbüro der Universität entwickelt. Die Module umfassen Maßnahmen der Personalentwicklung, aber auch Vorhaben im Bereich der Frauen- und Geschlechterforschung und der Öffentlichkeitsarbeit. So wird die stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte Verena Stange in einem Projekt das Thema Chancengleichheit im Studium wissenschaftlich bearbeiten. Stange will geschlechtsspezifische Ungleichheiten und Benachteiligungen im Studium an der Uni Halle analysieren und dabei Fächer mit niedrigem Frauenanteil in den Blick nehmen. „Aus den Forschungsergebnissen lassen sich dann Handlungsempfehlungen ableiten, wie die Studierendengewinnung und das Studium gender- und diversitätsgerechter gestaltet werden können“, so Lohse. Ziel sei es, die Anzahl der Absolventinnen in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern zu erhöhen und die Studentinnen stärker zum Einstieg in eine wissenschaftliche Laufbahn zu motivieren. Ein anderes Modul soll dazu beitragen, den Anteil der Professorinnen gezielt zu erhöhen: „An zwei Fakultäten können wir – vorausgesetzt, die ausgeschriebene Juniorprofessur mit Tenure Track wird mit einer Frau besetzt – die Professur dank der Fördermittel mit einer zusätzlichen halben Mitarbeiter-Stelle ausstatten. Damit wird für die Fakultäten ein zusätzlicher Anreiz geschaffen, die Besetzung der Professur mit einer Frau intensiv zu prüfen“, sagt Lohse. Das dritte Modul nimmt die Postdoktorandinnen in den Blick. „Sie befinden sich an einem entscheidenden Punkt ihrer Karriere und genau an dieser Stelle verlassen sehr viele Frauen die Universität“, sagt Lohse. „Um sie zu gewinnen und zu halten, sind Weiterbildungsangebote durch externe Coaches für Postdoktorandinnen sowie für neuberufene Professorinnen geplant.“ Auch die öffentliche Wahrnehmung von Frauen in der Wissenschaft soll gestärkt werden. „Durch Publikationen und Veranstaltungen wollen wir die Leistungen von Frauen in der Wissenschaft sichtbarer machen“, so Lohse. Corinna Bertz MENTORING-PROGRAMM FÜR WISSENSCHAFTLERINNEN Seit Oktober gibt es an der Uni Halle ein neues Mentoring-Programm für Nachwuchswissenschaftlerinnen aller Fachdisziplinen. In drei Programm- und zwei Ergänzungsmodulen können Frauen künftig zwischen maßgeschneiderten Angeboten wählen, die von individuellen Beratungen durch Mentoren bis zu Netzwerktreffen und Strategie-Workshops zu Karriereperspektiven in der Wissenschaft reichen. „Damit wird das Mentoring für unsere hochqualifizierten Forscherinnen zu einer festen Größe an der Universität“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Auhagen, Prorektor für Struktur und strategische Entwicklung. Das Programm wird aus Mitteln des Professorinnen-Programms II des Bundes bis 2019 finanziert. In das neue Programmkonzept flossen die Erfahrungen aus den Mentoring-Programmen „Im Tandem zum Erfolg“ und des Programms im Universitätsbund HalleJena-Leipzig ein. Bewerbungen für die einzelnen Module können ab sofort bis zum 31. Januar 2017 eingereicht werden. Informationen zu allen Angeboten unter www.mentoring-MLU.de. cb sc ient ia hal ensis 2 / 20 16 var ia Strukturveränderungen an der Universität Mit Beginn des Wintersemesters 2016/17 hat die Universität Strukturänderungen umgesetzt: Gegründet wurde innerhalb der Philosophischen Fakultät II das Institut für Musik, Medien- und Sprechwissenschaften. Damit sollen Kooperationen zwischen den drei Fächern gestärkt werden und Synergieeffekte, etwa über die Einrichtung sogenannter Brückenprofessuren, zum Tragen kommen. Der Akademische Senat hatte in seiner Sitzung im Juli zugestimmt, das Institut für Medien, Kommunikation und Sport zu schließen, ein eigenständiges Institut für Sportwissenschaft zu schaffen und aus dem Institut für Slawistik und Sprechwissenschaft die Sprechwissenschaft herauszulösen. „Wir müs- sen die verfügbaren Ressourcen für Forschung und Lehre an der Universität sinnvoll einsetzen und ein attraktives Angebot für Studierende und Wissenschaftler schaffen“, sagte Rektor Prof. Dr. Udo Sträter. Zugleich wurde auch das Zentrum für Ingenieurwissenschaften zum 30. September endgültig geschlossen. Das Zentrum hatte bis dahin – gemäß Beschluss der Landesregierung von 2004 zur Schließung der Ingenieursausbildung in Halle – zwölf Jahre lang die Ausbildung und Qualifizierung der Ingenieure zu Ende geführt. Forschungsprojekte sowie Promotionsvorhaben werden von einer neuen interdisziplinären Einrichtung weitergeführt. mab Frauenstudium in Halle: Broschüre neu aufgelegt Die Broschüre „Rückblickend – Nach Vorn. Frauenstudium in Halle – damals und heute“ von Maike Lechler ist jetzt wieder im Gleichstellungsbüro der Universität erhältlich. Nachdem die erste Auflage des 2015 erschienenen Hefts schnell vergriffen war, wurden 1.000 Exemplare nachgedruckt. In der 64-Seiten starken Broschüre zeichnet die Autorin die Geschichte des Frauenstudiums an der Uni Halle nach. In zahlreichen Archiven und in persönlichen Gesprächen mit Historikern und Nachfahren hatte Lechler dazu Informationen über zehn Vorreiterinnen recherchiert und zusammengetragen. Die Publikation wurde von der Landeskoordinierungsstelle der Frauen- und Geschlechterforschung, dem Studierendenrat, dem Prorektorat für Forschung und Wissenschaftlichen Nachwuchs und dem Gleichstellungsbüro unterstützt. Interessierte können ein Exemplar der Broschüre auch per Post erhalten, eine Bestellung ist per E-Mail an [email protected] möglich. cb Universität trägt weiter das Gütesiegel „Familiengerechte Hochschule“ Die Universität Halle hat zum dritten Mal in Folge das Zertifikat „audit familiengerechte hochschule“ erhalten. Prof. Dr. Wolfgang Auhagen, Prorektor für Struktur und strategische Entwicklung, nahm Ende Juni das Gütesiegel in Berlin aus den Händen von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig entgegen. Das Zertifikat würdigt die erfolgreiche strategische Ausrichtung der Universität hinsichtlich familiengerechter Arbeits- und Studienbedingungen. 2009 wurde das Zertifikat erstmals an die Uni Halle verliehen, die erste Re-Auditierung erfolgte 2012. Im Zuge des Verfahrens wurden seit 2009 viele Angebote zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder von Familie und Studium zusammengeführt sowie zahlrei- che neue etabliert. Insgesamt wurden mehr als 140 kleine und große Maßnahmen erfolgreich umgesetzt. Dazu zählen auch Angebote wie die „Weinberg Kids“, eine Einrichtung speziell zur Kurz- und Randzeitenbetreuung von Kindern. „Das Thema Familie ist seitdem deutlich in den Fokus gerückt“, sagt Andrea Ritschel, Leiterin des Familienbüros der Hochschule, die das Verfahren gemeinsam mit den Familienbeauftragten in den Fakultäten und mit Unterstützung des Rektorats koordiniert. „Aber diese Erfolge können die Sichtbarkeit innerhalb der Uni weiter erhöhen. In den neuen Zielvereinbarungen ist daher festgehalten, die interne Kommunikation zu stärken und die Sensibilisierung für das Themenfeld voranzutreiben.“ mab 17 18 var ia sc ient ia hal ensis 2 / 2016 ULB digital Hort der Bücher? Raum stiller Lektüre? Ort des Wissensgewinns per Exzerpt? Für Anke Berghaus-Sprengel, seit einem halben Jahr Direktorin der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB), ist eine Bibliothek heute bereits viel mehr. Sie führt ein Traditionshaus, das sich ständig erneuert hat, sich aber weiter wandeln muss. Die gebürtige Norddeutsche beantwortet Fragen freundlich und direkt. Ohne Schnörkel. Journalisten schätzen das. Auch für sie nimmt Anke BerghausSprengel sich immer wieder Zeit, obwohl sie keine hat. Drei Stunden Drehzeit für 2:37 Minuten Sendezeit im MDR? Das muss gehen. Kommunikation ist ihr wichtig. Nach außen, aber auch in der täglichen Arbeit im eigenen Haus: „Die Kollegen hier müssen ihre Sichtweisen einbringen können, sie kennen ja auch die Probleme viel länger als ich.“ Seit 1. April ist Anke Berghaus-Sprengel Direktorin der ULB. Bereits ihre Vorgänger Dr. Heiner Schnelling (1996-2013), Dr. Dorothea Sommer (kommissarisch bis 2015) und Dr. Karl-Ernst Wehnert (kommissarisch 2015/2016) standen vor Herausforderungen. Zum Beispiel die Zusammenführung aller AußenMagazinbestände in ein einziges Magazin in Halle- Anke Berghaus-Sprengel in der neuen Bibliothek am Steintor-Campus (Foto: Markus Scholz) Neustadt, der Bau der neuen Steintor-CampusBibliothek und damit die Zusammenführung von 17 Zweigbibliotheken an einen Ort. „Ich kann auf sehr vieles aufbauen. Meine Vorgänger haben sich intensiv um die Standortkonzentration gekümmert, aber auch enorme Drittmittel zur Digitalisierung unserer Altbestände eingeworben. Das ist beeindruckend“, sagt Berghaus-Sprengel. Aber: Sie will und wird eigene Schwerpunkte setzen: „Zuallererst ist dringend die IT-Infrastruktur zu modernisieren, die Lernorte sollten folgen. Die forschungsnahen Dienstleistungen von Open-Access-Publikationsangeboten über Forschungsdatenmanagement bis zur Langzeitarchivierung müssen wir ausbauen. Personalentwicklung ist ebenfalls notwendig. Da wartet überall viel Arbeit.“ An der Berliner Humboldt-Universität hat Berghaus-Spren- sc ient ia hal ensis 2 / 20 16 var ia gel mehrere Großprojekte geleitet, zuletzt war sie Projektleiterin bei der Einführung eines Cloud-basierten Bibliotheksmanagementsystems. Sie ist die Fachfrau, die die ULB in Halle in diesem Bereich in die Zukunft führen soll. „Die Bibliotheken befinden sich alle in einer Umbruchsituation. Sie haben nach wie vor ihre klassischen Aufgaben, aber weil der gesamte Bereich der Digitalisierung dazu kommt, verändern sich auch die Berufsbilder grundlegend.“ Das hat auch etwas mit den Bibliotheksnutzern zu tun: „Die heutige Generation der Studierenden arbeitet anders als noch vor zehn Jahren, auch die Suchprozesse sind andere. Und es gibt den Anspruch, sich am Bildschirm die Texte als PDF anzeigen zu lassen, anstatt im Regal zu suchen“, sagt sie. Was dem Nutzer da hilft, sind sogenannte Discovery-Systeme, die online den Zugang zum Wissen der Welt schaffen und nicht zu Tausenden von Einzel-Katalogen. Ein solches System braucht auch die ULB. „Im Moment arbeiten wir daran, eine Verbundlösung zu finden, also gemeinsam mit Partnern ein solches System anzuschaffen und zu betreiben. Im ersten Quartal 2017 könnte darüber entschieden werden und der Start einer Beta-Version danach zeitnah folgen.“ Was man noch für Discovery-Systeme braucht? „Den Bibliotheksmitarbeiter als Metadaten-Manager“, sagt Berghaus-Sprengel. Denn letztlich brauche es nicht allein Schlagworte im Katalog, sondern auch durchsuchbare Abstracts und Volltexte. Und dort, wo die Metadaten schon da sind, „müssen diese abrufbar werden.“ Auch die Lesebereiche in den Zweigbibliotheken stellt sie sich für die Zukunft anders vor, als sie heute sind. „Wir brauchen Lernräume, keine reinen Lesesäle. Wir brauchen eine Lernatmosphäre und müssen auch gemeinsames Arbeiten ermöglichen.“ Plätze zum stillen Lesen soll es weiterhin geben, aber eben auch Gruppenräume zum gemeinsamen Arbeiten. Abgesehen davon: Selbstbedienungssysteme sollen möglichst in allen Zweigbibliotheken zum Einsatz kommen. Für Anke Berghaus-Sprengel stehen immer die Nutzer im Zentrum ihrer Überlegungen. Nutzer sind aber nicht nur Studierende. „Wir müssen uns auch weiter in Richtung Wissenschaft öffnen“, sagt sie. Das heißt nicht nur, dass die Möglichkeit zur OpenAccess-Publikation jetzt technisch neu aufgesetzt wird. Eine große Herausforderung für die ULB ist das Forschungsdatenmanagement. Das bedeutet: Die einer wissenschaftlichen Publikation zugrundeliegenden Daten sollen in Zukunft direkt über die Publikation abrufbar werden. „Das ist auch gefordert und wir sind gefordert. Denn im Sinne einer guten wissenschaftlichen Praxis sollen Daten so auch für alle überprüfbar werden.“ Dafür jedoch muss die ULB zukünftig über die Daten verfügen, sie aufbewahren und digital direkt zugänglich machen. Das ist nicht einfach und betrifft alle wissenschaftlichen Arbeiten ab der Promotion. Manche Daten – zum Beispiel in der Medizin Patientendaten – müssen aber auch geschützt werden können. „Das bedeutet also auch ein komplexes Rechtemanagement einzuführen.“ Hier gibt es bereits Gespräche mit dem IT-Servicezentrum der Uni, wie man dies schon bald umsetzen und die Daten lange aufbewahren könne. Letztlich – wie die Bücher auch – für die Ewigkeit.Manuela Bank-Zillmann Kontakt: Anke Berghaus-Sprengel Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt Telefon: +49 345 55-22000 E-Mail: [email protected] Zur Person Anke Berghaus-Sprengel wurde 1962 auf Norderney geboren, ist gelernte Buchbinderin und studierte Geschichte, Philosophie und Deutsche Literaturwissenschaft in Hannover. Nach ihrem Referendariat arbeitete sie in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, dort zuletzt als Leiterin der EDV-Abteilung. Fast zehn Jahre lang war Anke Berghaus-Sprengel im Anschluss an der Bibliothek der Humboldt-Universität Berlin tätig. Als Direktorin leitete sie die Abteilung Zweigbibliotheken und Controlling, verantwortete Großprojekte zur Automatisierung und Einführung neuer Bibliothekssysteme. mab 19 20 studi er en, l ehr en, l eben sc ient ia hal ensis 2 / 2016 studier e n, l e h r e n , l e be n Die neue Vielfalt Studierende sind keine homogene Gruppe. Was das für die Lehre bedeutet, hat die Soziologin Peggy Trautwein vom Institut für Hochschulforschung untersucht. Ihre Studie ist auch für das landesweite Projekt „Heterogenität als Qualitätsherausforderung für Studium und Lehre“ relevant, in dem Lavinia Ionica von der Uni Halle mitarbeitet. Ines Godazgar sprach für das Unimagazin mit beiden darüber, wie Hochschulen der wachsenden Vielfalt gerecht werden können. Viele Studierende wünschen in den ersten Semestern mehr Orientierungshilfen. (Foto: Markus Scholz) Frau Trautwein, wie verschieden sind denn die Studierenden von heute? Und warum ist das so? Trautwein: Generell lässt sich sagen: Die Heterogenität an den Hochschulen nimmt zu. Die Studierenden kommen nicht mehr nur mit dem klassischen Abitur zum Studium. Neben denjenigen, die über den zweiten Bildungsweg an die Hochschule gelangen, steht seit einigen Jahren Interessierten auch der dritte Bildungsweg offen: Sie können über die berufliche Qualifikation und eine Feststellprüfung ein fachgebundenes Studium aufnehmen. Diese Studierenden sind dann meist älter und haben häufig schon Familie. Dadurch steigt die Zahl derer, die früher eher nicht studiert hätten. Erfreulicherweise nimmt auch die Zahl internationaler Studierender in Sachsen-Anhalt von Jahr zu Jahr zu. Sie machen die Uni ebenfalls heterogener und brauchen spezielle Angebote und Hilfen. sc ient ia hal ensis 2 / 2016 studier en, l ehr en, l eben Ist diese Entwicklung ein Spezifikum SachsenAnhalts? Trautwein: Nein, das ist in der gesamten Bundesrepublik zu beobachten. In Sachsen-Anhalt tritt die Entwicklung jedoch besonders deutlich zu Tage. Dafür gibt es mehrere Gründe: Das Land ist am stärksten vom demografischen Wandel betroffen. Damit wird es schwieriger, Fachkräfte zu generieren und auch im Land zu halten. Weil das so ist, sind natürlich auch die Hochschulen gefordert. Sie müssen versuchen, auch Leute anzusprechen und für das Studium zu gewinnen, die früher vielleicht nicht studiert hätten. Warum? Trautwein: Das ist nicht nur politisch so gewollt, auch die Hochschulen haben ein ureigenes Interesse daran. Sie können nur überleben, wenn sie Nachwuchs finden, den sie erfolgreich ausbilden, davon hängt auch ein Teil ihrer Finanzierung ab. Insofern gilt es auch, die Studierenden erfolgreich an der Hochschule zu halten und zu einem Abschluss zu führen. An dieser Stelle sollte ein weiteres Spezifikum der Hochschulen in unserem Bundesland nicht unerwähnt bleiben: die hohe Quote an Studienabbrechern. Die Studienerfolgsquote im Land beträgt 67 Prozent und liegt damit sechs Prozentpunkte unter dem Bundesdurchschnitt. Vor allem in den MINT-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, macht sich das negativ bemerkbar. Dieser Entwicklung muss etwas entgegengesetzt werden. Die Hochschulen haben auch eine Pflicht, Türen zu öffnen und Bildungschancen zu erhöhen. Das Institut für Hochschulforschung hat eine Studie angefertigt, um die Heterogenität an SachsenAnhalts Hochschulen zu erfassen. Wie muss man sich das vorstellen? Trautwein: Wir haben im Querschnitt erhoben, wie heterogen die Situation an den Hochschulen im Land ist und was sie brauchen, um darauf optimal reagieren zu können. Die Ergebnisse waren dazu gedacht, das seit 2012 bestehende Verbundprojekt „Heterogenität als Qualitätsherausforderung für Studium und Lehre“ mit Informationen zu unterstützen. 2013 haben wir deshalb alle Uni-Studierenden und einen Großteil derer an den Fachhochschulen des Landes befragt, welche Hilfen sie sich im Studium wünschen. Insgesamt haben wir knapp 6.000 Fragebögen ausgewertet. Was haben sich die Studierenden gewünscht? Trautwein: Die meisten Befragten gaben an, mehr Orientierung zu benötigen. Diese Aussagen decken sich übrigens mit Gesprächen, die wir mit Mitarbeitern der Studienberatungsstellen geführt haben. Sie berichteten, dass gerade Erstsemester mit dem hohen Grad an Selbstverantwortung, der bei Studienbeginn auf sie einstürmt, Probleme haben. Frau Ionica, was tut denn die MLU aus Ihrer Sicht, damit sich die Studierenden besser zurechtfinden? Ionica: Es gibt bereits jetzt viele Maßnahmen, die dazu beitragen. Das Hochschulmarketing steht dafür als gutes Beispiel. Es gibt die Kampagne „Ich will wissen“, in deren Rahmen schon vor dem Studienbeginn viel Orientierung und Hilfe angeboten wird. Dass diese Instrumente greifen, zeigt sich dadurch, dass die Studieninteressierten inzwischen viel konkreter nachfragen als noch vor ein paar Jahren. Aber auch andere Institutionen bieten Hilfe und Orientierung an: Das Career Center, das zum Beispiel Angebote für Studierende mit Zweifeln am Studium bereithält. Das Familienbüro, das Entlastung und konkrete Hilfen für Studenten mit Kindern anbietet. All das gibt Struktur. Wie begegnen Sie im Rahmen des Projekts „Heterogenität als Qualitätsherausforderung für Studium und Lehre“ (HET-LSA) der studentischen Vielfalt? Ionica: Bei HET-LSA arbeiten alle Hochschulen des Landes gemeinsam daran, die Qualität der Lehre für eine heterogener werdende Zielgruppe zu verbessern. Alle Hochschulen profitieren dabei auch von den Projekten der anderen Standorte. Am LLZ – dem Zentrum für multimediales Lehren und Lernen der Uni Halle – liegt unser Fokus auf der Gestaltung einer guten Lehre mit Hilfe moderner Medien. Im Rahmen des Verbundprojekts haben wir deshalb auch eine Arbeitsgruppe zum E-Learning gegründet, die den Aufbau eines landesweiten E-Learning-Netzwerks zum Ziel hat. Die digitalen Medien sind für uns besonders interessant, denn mit ihnen kann man das Lernen und auch das Lehren sehr individuell und zeit- und ortsunabhängig gestalten. Wir bieten eine Ergänzung der bisherigen Möglichkeiten. Um diese Medien optimal nutzen zu können, werden im LLZ Dozenten geschult und beraten. Denn einfach nur Technik hinzustellen, reicht nicht aus. Der gesamte Prozess vom traditionellen hin zum multimedialen Lehren und Lernen muss begleitet werden. Wird das gut gemacht, wird die Lehre bereichert. Sie wird auch heterogenitätssensibler. Das Projekt HET-LSA wird seit 2012 im Rahmen des Qualitätspakts Lehre von Bund und Ländern gefördert. Die zweite Förderphase läuft von 2017 bis 2020. 21 22 studi er en, l ehr en, l eben sc ient ia hal ensis 2 / 2016 Können Sie ein Beispiel aus Ihrem Bereich nennen? Ionica: Das LLZ bietet seit einigen Jahren die Möglichkeit, Vorlesungen aufzuzeichnen. Bis Jahresende sollen 25 Hörsäle mit entsprechender Technik ausgestattet werden. Die Dozenten und Dozentinnen können sich dann während ihrer Vorlesung aufnehmen lassen. Im Anschluss wird die Datei von uns bearbeitet und auf einer Lernplattform online zur Verfügung gestellt. „Gute Lehre und gelungenes Lernen“ stehen am Tag der Lehre am Montag, 24. Oktober 2016, an der Uni Halle im Mittelpunkt. Das Programm und alle Informationen gibt es unter: http:// tagderlehre.uni-halle.de. Für wen ist das interessant? Ionica: Dafür gibt es viele unterschiedliche Nutzer: Zum Beispiel studentische Eltern, deren Kinder krank sind und die deshalb nicht an einer Vorlesung teilnehmen können. Aber auch internationale Studierende sind dankbare Abnehmer. Vor allem dann, wenn sie der Vorlesung aufgrund der Sprachbarriere nicht so schnell folgen konnten. Zudem ist diese Möglichkeit auch in Prüfungsphasen hilfreich, um sich damit optimal vorzubereiten. Oder wenn sich zwei Lehrveranstaltungen zeitlich überschneiden. Dieses Angebot wird zunehmend genutzt. Müssen die Dozierenden befürchten, dass keiner mehr zu ihren Vorlesungen kommt? Ionica: Das ist ein weit verbreitetes Vorurteil. Dafür gibt es jedoch keine Belege. Es bleiben den Vorlesungen nicht mehr Studierende fern als bisher. Und noch etwas ist zu beobachten: Das Angebot steigert letztlich die Qualität der Lehre. Wir haben die Dozenten befragt, wie sie sich auf eine Vorlesung vorbereiten, die aufgezeichnet wird. Einige haben gesagt, dass die Vorbereitung intensiver ausfällt und sie sich mehr Gedanken machen über Inhalte, Materialien und Vortragsstil. Das ist doch eine positive Entwicklung. Abgesehen von den multimedialen Angeboten – wie können Lehrende der wachsenden Vielfalt der Studierenden noch gerecht werden? Trautwein: Neben den erwähnten Orientierungssemestern bieten Hochschulen oft bereits vor Studienbeginn Auffrischungskurse an, beispielsweise Mathebrückenkurse. Daneben gibt es häufig Tutorien oder Mentorenprogramme, bei denen fortgeschrittene Studierende den Studienanfängern gezielt unter die Arme greifen. Nicht zuletzt setzen Hochschulen immer stärker auf bessere Vereinbarkeiten von Studium und Familie – beispielsweise durch die Unterstützung von Familienbüros sowie durch verlängerte Öffnungszeiten der Uni-Einrichtungen. Interview: Ines Godazgar Die Diplom-Soziologin Peggy Trautwein ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Hochschulforschung, einem An-Institut der Uni Halle in Wittenberg. In einer deskriptiven Studie hat sie 2015 den Stand der Heterogenität Studierender an den Hochschulen in Sachsen-Anhalt ermittelt. (Foto: privat) Publikation: Peggy Trautwein: Heterogenität als Qualitätsherausforderung für Studium und Lehre. 2015, 116 S., ISSN 1436‐3550 KONTAKT Institut für Hochschulforschung Telefon: +49 3491 466138 E-Mail: [email protected] Die Mediendidaktikerin Lavinia Ionica ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für multimediales Lehren und Lernen der Uni Halle. Seit September 2012 arbeitet sie im Verbundprojekt „Heterogenität als Qualitätsherausforderung“ und ist Co-Moderatorin der Arbeitsgruppe E-Learning. (Foto: Anke Tornow) KONTAKT Zentrum für multimediale Lehren und Lernen Telefon: +49 345 55-28672 E-Mail: [email protected] sc ient ia hal ensis 2 / 2016 studier en, l ehr en, l eben Spitzenplatzierungen für Erziehungswissenschaften und Chemie Im Ranking des CHE Centrums für Hochschulentwicklung 2016 hat die Uni Halle in den Fächern Erziehungswissenschaften und Chemie Bestwerte erreicht. Die halleschen Erziehungswissenschaften sind in den Kategorien Studiensituation insgesamt, Abschlüsse in angemessener Zeit und Veröffentlichungen pro Professor in der Spitzengruppe vertreten. Auch das Fach Chemie punktet mit sehr guten Werten in den Kategorien Studiensituation insgesamt, Vermittlung von fachlichen Kompetenzen und Abschlüsse in angemessener Zeit. In beiden Fächern sind die Studierenden mit der Studiensituation insgesamt sehr zufrieden. „Das Ranking zeigt, dass wir in der Lehre mit der Verbindung von grundlegendem und spezialisiertem Wissen richtig liegen“, sagt Prof. Dr. Torsten Fritzlar, Dekan der Philosophischen Fakultät III. Die Studierenden werden zu Beginn des Studiums in begleitenden Tutorien intensiv betreut. „Uns gelingt es außerdem, aktuelle Forschungsprojekte und -ergebnisse ganz wesentlich in die Lehre einzubringen“, so Fritzlar. Es werden sehr viele Seminare und Workshops zu aktuellen Forschungsprojekten angeboten und Studierende können über Abschlussarbeiten direkt an Forschungsvorhaben teilhaben. Die Lehre genießt einen hohen Stellenwert in der Fakultät: „Jährlich findet der Tag der Lehre statt, zu dem sich Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter und Studierende in allen Studiengängen über aktuelle Entwicklungen und Verbesserungsmöglichkeiten austauschen.“ Das CHE-Hochschulranking ist das umfassendste Ranking im deutschsprachigen Raum. Mehr als 300 Universitäten und Fachhochschulen beteiligen sich. Jedes Jahr wird ein Drittel der Fächer neu bewertet. Neben Fakten zu Studium, Lehre und Ausstattung umfasst das Ranking Urteile der Studierenden über die Studienbedingungen an der Hochschule. sh/tol „Gutes Sehen ist nicht nur eine meiner Forschungsinteressen, sondern hat für mich auch viel mit Erlebnisqualität zu tun: Es erleichtert die Arbeit am PC, das Bücherlesen, letztlich auch das Lesen von Gesichtern.“ Prof. Dr. Jutta Schnitzer-Ungefug Generalsekretärin der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften TROTHE OPTIK. FÜR ANSICHTSVOLLE. trothe.de 23 24 studi er en, l ehr en, l eben sc ient ia hal ensis 2 / 2016 Zum Debattieren oder nach Baschkortostan? Das Studentenleben hat mehr zu bieten als Vorlesungen und Seminare – zum Beispiel die folgenden drei Gruppen und Initiativen für Studierende der Uni Halle. Mehr über diese und andere Gruppen ausführlicher im Onlinemagazin: http://bit.ly/studgruppen. Freunde Baschkortostans e. V. Über 3.000 Kilometer liegen zwischen der russischen Republik Baschkortostan und Halle. Dennoch gibt es in der Saalestadt seit fast 20 Jahren die Freunde Baschkortostans. 1997 wurde der gemeinnützige Verein gegründet. Ein Großteil der Vereinsmitglieder studiert an der Uni Halle. Bereits seit den 1960er Jahren bestehen nicht nur zwischen Halle und der Republik-Hauptstadt Ufa partnerschaftliche Beziehungen, sondern auch zwischen den Universitäten der beiden Städte. Das größte Projekt des gemeinnützigen Vereins ist der jährliche Jugendaustausch, der es je 15 russischen und 15 deutschen Jugendlichen und Studenten ermöglicht, das jeweils andere Land besser kennenzulernen. Das Projekt wird von der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch unterstützt. Daneben organisieren die Freunde Baschkortostans eine Vielzahl anderer Veranstaltungen: Beim deutsch-russischen Kulturabend veranstaltet der Verein Konzerte, Poetry-Slams oder Improvisationstheater, bevor im Anschluss eine sogenannte Russendisko mit landestypischer Popmusik stattfindet. Aller zwei Wochen treffen sich die Veriensmitglieder zum baschkirischen Stammtisch, um die nächsten Vorhaben zu planen. Auch die Patenschaft für den baschkirischen Spielplatz auf der Peißnitzinsel gehört zu den Projekten. Zur Vereinswebsite: www.freundebaschkortostans.de. Text und Foto: mlk Erasmus Student Network Halle Damit internationale Studierende an der Uni Halle schnell Anschluss finden, kümmert sich die Hochschulgruppe Erasmus Student Network (ESN) Halle um die Neuankömmlinge. Das ESN möchte alle, die zum Erasmus-Studium nach Halle kommen, nicht nur so gut wie möglich in der Saalestadt integrieren, sie sollen auch Land und Leute besser kennenlernen. Neben Tages- und Wochenendausflügen in die Region veranstaltet die Gruppe auch Quiz- und Länderabende. Unterstützt wird die Hochschulgruppe unter anderem vom International Office. Zur ESNWebsite: www.halle.esn-germany.de Text: mlk, Foto: ESN Halle sc ient ia hal ensis 2 / 2016 studier en, l ehr en, l eben Klartext e. V. Sollen deutsche Soldaten in den Krieg ziehen? Sollten Wähler für Donald Trump als USPräsidenten stimmen? Über diese und weitere aktuelle politische Themen streiten die Mitglieder des Debattierclubs Klartext. Der Verein bietet Studierenden die Möglichkeit, ihre rhetorischen Fähigkeiten mit Hilfe von Debattenabenden zu verbessern. Klartext e. V. wurde von Jurastudenten gegründet und besteht seit 2005 an der Uni Halle. Der Verein trifft sich wöchentlich im Juridicum. Interessierte aus allen Fakultäten sind willkommen. Gerade die Vielfalt an möglichem Debattenstoff und, dass aus fast allen Themen eine spannende Diskussion entstehen kann, reizen Deniz Lü. Seit drei Jahren ist der 24-jährige Jurastudent Präsident des Debattierclubs. Bei jeder Debatte gehe es darum, das Publikum mit fundierten Argumenten zu überzeugen. „Beim Debattieren wird nicht die eigene Meinung vertreten, sondern die, die zugelost wird“, so Lü. Für die simulierten Debatten nehmen die Studierenden die Rollen von Abgeordneten eines Parlaments ein. Auf der einen Seite steht die Regierung, die einen Vorschlag einreicht und auf der anderen Seite eine Opposition, die dagegenhält. 15 Minuten haben die Debattierer Zeit, sich auf den jeweiligen Sachverhalt vorzubereiten. Danach folgen im Wechsel Für- und Widerrede. Zusätzlich gibt es Juroren, die die Debatte leiten und Feedback geben. Bewertet wird anschließend nach den Kriterien Auftreten, Sprachkraft, Kontaktfähigkeit, Sachverstand und Urteilskraft. Zur Website des Clubs: www.klartexthalle.jimdo.com Text und Foto: mlk 25 26 var ia sc ient ia hal ensis 2 / 2016 f orsc hen und publ i z i e r e n Das Gedächtnis der Stadt Wie organisierten die Menschen einer mittelalterlichen Stadt ihr Zusammenleben? Wie regierte der Rat? Wie wurden Umweltsünden bestraft? Das und vieles mehr steht in den Gesetzen, Protokollen oder Briefen der Stadtverwaltungen. Bereits seit dem 13. Jahrhundert wurden diese in Stadtbüchern niedergeschrieben. Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) kann ein Team um die Historiker Prof. Dr. Andreas Ranft und Dr. Christian Speer diese Bücher nun erstmals für die Forschung erschließen. Prof. Dr. Andreas Ranft und Dr. Christian Speer arbeiten an dem Projekt, das Stadtbücher systematisch für die Forschung erschließen soll. (Foto: Maike Glöckner) Es waren wohl Salzsieder, die beim Zahlen der Steuern säumig waren. Im städtischen Kämmereibuch, das im Stadtarchiv Halle überliefert ist, findet sich jedenfalls für das Jahr 1517 die Verordnung des Amtshauptmannes Hans von Peck, die besagt, dass diejenigen, die innerhalb von 14 Tagen nach dem 25. Januar ihre Steuern dem Rat noch nicht gezahlt haben, aus der Talstadt verwiesen werden. Ordnung muss sein. Ein lebendigerer Einblick in das Leben einer mittelalterlichen Stadt lässt sich schwerlich finden, denn Stadtbücher sind im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit das Rückgrat der kommunalen Verwaltung. sc ient ia hal ensis 2 / 2016 f orsc hen und publ iz ier en In einem Stadtbuch, lateinisch liber civitatis, sind alle administrativen und rechtsrelevanten Angelegenheiten einer Stadt verzeichnet. Die Kodizes gehören daher zu den wichtigsten Quellen für Historiker: Listen von Ratsmitgliedern, Privilegien, Ordnungen, Rechtssprüche oder Rechnungen, aber auch Steuersünden und vieles mehr wurden dort verzeichnet. „Mit Hilfe von Stadtbüchern lassen sich Phänomene wie Herrschaft und Verwaltung hervorragend erforschen“, sagt Prof. Dr. Andreas Ranft, Historiker an der Universität Halle. Aber nicht nur die gesamte Verwaltungsgeschichte einer Stadt lässt sich nachvollziehen, Kultur- und Kunsthistoriker sowie Germanisten können ihre Quellen in kommunale Kontexte – Löhne, Preise, Stadtratsentscheidungen, Chronikalisches – einordnen, die bislang wenig bis kaum beachtet wurden. Denn tatsächlich: Stadtbücher sind bisher wenig erforscht, da sie breit gestreut überliefert, zum Teil nicht zugänglich und daher bisher in Gänze kaum zu überblicken sind. Mit ihrer Arbeitsgruppe wollen Andreas Ranft und sein Projektkoordinator Dr. Christian Speer nun helfen, diesen historischen Schatz zu heben. Dafür muss das Team Grundlagenarbeit leisten. Die ist auch der DFG so wichtig, dass sie aus ihrem Langfristprogramm über zwölf Jahre hinweg insgesamt vier Millionen Euro zur Verfügung stellt. Das passiert nicht oft. Onlineverzeichnis Jahrhunderte alter Quellen Im Februar dieses Jahres fiel der Startschuss für das Großprojekt, in dem alle überlieferten Stadtbücher überregional erfasst und systematisch aufbereitet werden, um sie der Forschung zur Verfügung zu stellen. „Hauptziel ist, eine komplette Datenbank aufzubauen, mit deren Hilfe sich Stadtbücher aus ganz Deutschland und sogar darüber hinaus ausfindig machen lassen“, erläutert Ranft. Dabei bauen die Forscher auf einem Pilotprojekt auf, in dem ein bereits vorhandenes – in den 1980er Jahren in der DDR zusammengetragenes – Stadtbuchverzeichnis überarbeitet, in die Datenbank übertragen und kommentiert wurde. Die Datenbank ist bereits unter www. stadtbuecher.de direkt nutzbar. Ein erstes Angebot, das abgerufen wird: „Wir verzeichnen steigende Zugriffszahlen aus aller Welt“, sagt Ranft. Auch die Stadtbücher Halles sind in der Datenbank zu finden. Im Stadtarchiv der Saalestadt sind immerhin 424 Exemplare aus verschiedenen Jahrhun- derten überliefert. Ein besonders altes ist ein in Leder gebundenes Kämmereibuch, dessen erster Eintrag aus dem Jahr 1451 stammt. Notizen über Kometenerscheinungen am Himmel finden sich darin ebenso wie solche über die Gebühren für den Totengräber und zur Entsorgung von Abfällen: So ist ein Eintrag aus dem Jahr 1462 mit den Worten überschrieben: „Den pful und unflot sal man nicht uff die gassen schoten“ – Unrat ist nicht auf der Straße zu entsorgen. „Durch solche Einträge erhalten wir schlaglichtartig sehr anschauliche Bilder aus dem Leben jener Zeit“, sagt Ranft. Der Stadtschreiber als zentrale Person Häufig sind es kleinere Kommunen, in denen die Historiker selbst unterwegs sind, um die Bestände zu sichten. Nicht immer finden sie Dokumente, die ideal gelagert werden. So entdeckte Stadtbuchexperte Christian Speer in einer mitteldeutschen Kleinstadt historische Quellen, unter denen sich auch das Fragment eines Stadtbuchs befand. Sie lagerten jahrzehntelang im Rathausturm unterhalb der Schießscharten, verpackt zwar in Kartons, aber unter ungünstigen Bedingungen: Kälte, Staub und Luftfeuchtigkeit hatten diesen Quellen bereits zugesetzt. Von Nord- nach Süddeutschland wollen sich die Historiker in den nächsten Jahren vorarbeiten. So nehmen sich zwei Doktoranden in einem ersten, auf drei Jahre angelegten Teilprojekt die norddeutschen Bundesländer vor sowie Pommern und Schlesien – denn auch weite Teile des zwischen dem 13. und 18. Jahrhundert deutschsprachigen Raums östlich von Oder und Neiße fließen in die Arbeit ein. „Ziel ist es auch, verschiedene Stadtbuchlandschaften zu erfassen, denn es gibt verschiedene Traditionen von Stadtbüchern und durchaus signifikante Unterschiede in der Praxis der städtischen Verwaltung“, erklärt Ranft. Diese Unterschiede spiegeln sich auch in der Person des Stadtschreibers wider. Als oberster Verwaltungsbeamter der Kommune spielte er eine zentrale Rolle. Er war sehr gut ausgebildet, wurde von den Ratsherren gewählt und blieb in aller Regel sehr lange im Amt. „Das war ein einträglicher Posten, der hohes Ansehen mit sich brachte und auch Einfluss“, sagt Ranft und ergänzt: „Bei ihm liefen alle Fäden zusammen, rasch verfügte er damit über ein Herrschaftswissen, auf das ein jeder städtische Rat angewiesen war.“ Welche Rolle genau ein Stadtschreiber im 27 28 f orsc hen und publ iz ier en sc ient ia hal ensis 2 / 2016 Geflecht der mittelalterlichen Kommune spielte und was für Männer dieses Amt ausübten – auch das soll im Lauf des Projekts untersucht werden. Eine Doktorandin Ranfts arbeitet bereits an diesem Thema. Überhaupt sollen analytische Studien – Masterarbeiten, Promotionen oder Habilitationen – zu Fragen der Genese, Praxis, Ausdifferenzierung, zu Wandel und Struktur kommunaler Verwaltung im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit betrieben werden. Diese gehören, neben dem weiteren Ausbau der Datenbank, zum wichtigsten Anliegen des Projekts. Doch zurück zu den kleinen Orten. Im Gegensatz zu Großstädten schlummerten dort Stadtbücher oft wenig beachtet und lange unberührt in den Archiven. Gerade das macht sie für die Forschung interessant. Denn sie liegen in vielen Fällen lückenlos vor und dokumentieren damit eine „eingefrorene Situation“, wie Ranft bemerkt. Die Orte lagen oft schon im Mittelalter etwas abseits und auch später strategisch nicht sehr günstig. „Sie befanden sich fernab großer Handelsstraßen und Verkehrswege. Positiver Nebeneffekt dieses eigentlichen Nachteils: Sie sind oft von größeren Kriegen verschont geblieben“, ergänzt Christian Speer. Und das hat einen entscheidenden Einfluss auf die Anzahl und Art der Überlieferungen: Denn wo kein Krieg tobt, gibt es auch weniger Feuer. So konnte Christian Speer etwa Neben Stadtbüchern, wie das Hallische Kämmereibuch 1451 – 1541 (im Hintergrund), finden die Historiker auch Aushänge, wie die „Gesatzte belonunge der widder kauff briue Anno etc. Decimo“ – die „Verordnung über die Höhe der Zinsen bei Krediten“ aus dem Jahr 1510, die wahrscheinlich am oder im Rathaus öffentlich sichtbar angeschlagen war. (Foto: Maike Glöckner) in Görlitz, das von Krieg oft verschont blieb, auf einen Fundus von rund 6.000 Stadtbüchern zugreifen. Zum Vergleich: „In manchen Städten sind nur zwei oder drei Stadtbücher erhalten geblieben.“ Gerade die Archive großer Städte haben oft ihre alten Stadtbücher in regelmäßigen Abständen selbst vernichtet. „Makulieren“ nannte man diesen Vorgang. Dabei wurden etwa im 19. Jahrhundert Papierkodizes als Altpapier verkauft oder die Pergamentseiten alter Stadtbücher zu Leim verkocht – aus heutiger Sicht ein Frevel, der nicht mehr wiedergutzumachen ist. Umso wichtiger ist es, die bisher ungenutzten Quellen zugänglich zu machen. „Die mittelalterliche Stadt ist der Nukleus für die heutige Kommune und ihre Strukturen. Sie zu verstehen, heißt auch, sich darüber bewusst zu werden, was für eine Errungenschaft eine funktionierende Selbstverwaltung für das Gemeinwesen ist, die vor allem auf dem Engagement und der Einsatzbereitschaft ihrer Bürger beruht“, sagt Ranft. Ines Godazgar Kontakt: Prof. Dr. Andreas Ranft Institut für Geschichte Telefon: +49 345 55-24295 E-Mail: [email protected] sc ient ia hal ensis 2 / 2016 f orsc hen und publ iz ier en Biodiversität: DFG fördert iDiv weiter Am iDiv erforschen Wissenschaftler aus aller Welt die globale Artenvielfalt. (Foto: Stefan Bernhardt) Zweite Runde für das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-JenaLeipzig: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Zentrum für weitere vier Jahre und erhöht die Fördersumme sogar um rund ein Drittel auf 36,5 Millionen Euro. „Auf eine moderate Erhöhung hatten wir gehofft. Aber wir hatten nicht damit gerechnet, dass unsere neuen Vorschläge auf so große Resonanz stoßen“, sagt Prof. Dr. Helge Bruelheide, Geobotaniker an der Uni Halle. Er hat die Gründung des Zentrums 2012 maßgeblich vorbereitet und ist seitdem einer der Co-Direktoren von iDiv. Die Uni Halle betreibt das Zentrum gemeinsam mit der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Uni Leipzig – sowie in Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und sieben weiteren Max-Planck- und LeibnizInstituten. Die iDiv-Wissenschaftler erforschen das Feld der globalen Artenvielfalt im Kleinen wie im Großen: Dazu zählen Laborversuche im Reagenzglas, Feldexperimente weltweit oder auch die Analyse von Satellitendaten. So haben die Forscher in der ersten Phase etwa zwei separate Datenbanken entwickelt. In „sPlot“ ist der Pflanzenbestand von 1,1 Millionen Untersuchungsflächen aus der ganzen Welt notiert. Die „TRY“-Datenbank enthält Eigenschaften von über 100.000 Pflanzenarten. „Mit den zusätzlichen Mitteln können wir die Datenbanken miteinander verknüpfen und globale Karten dazu erstellen, welche Vegetationstypen besonders produktiv sind, aber auch solche, die zeigen, wie diese auf Klimaänderungen oder bio- logische Invasionen reagieren“, erläutert Bruelheide. Seit seiner Gründung ist iDiv zu einem weltweit führenden Forschungszentrum gewachsen. Mehr als 700 wissenschaftliche Arbeiten haben seine Mitglieder bereits publiziert – über 50 davon in renommierten Journalen wie „Science“, „Nature“ oder „PNAS“. Viele dieser Publikationen sind im Rahmen der Arbeit des Synthesezentrums „sDiv“ entstanden. Darin arbeiten iDiv-Wissenschaftler mit Kollegen weltweit an aktuellen Themen der Biodiversitätsforschung und veranstalten regelmäßig Arbeitstreffen und Workshops in Mitteldeutschland. Die DFG-Gutachter lobten auch die internationale Sichtbarkeit des Zentrums: Knapp 60 Prozent der etwa 950 sDiv-Teilnehmer kamen aus dem Ausland. In der Graduiertenschule „yDiv“ (Young Biodiversity Research Training Group) finden sich viele internationale Promovierende und fünf der acht am iDiv neu geschaffenen Professuren sind international besetzt. In der zweiten Phase wollen die Forscher auch stärker am Themenbereich „Biodiversität und Gesellschaft“ arbeiten. Damit solle, so Bruelheide, das Thema stärker in die Gesellschaft getragen werden und dort zu einem Umdenken im Handeln führen. Tom Leonhardt Kontakt: Prof. Dr. Helge Bruelheide Institut für Biologie Telefon: +49 345 55-26222 E-Mail: [email protected] 29 30 f orsc hen und publ iz ier en sc ient ia hal ensis 2 / 2016 „Nature“: Forscher entkräften Pflanzenökologie-Lehrsätze Publikation: Addition of multiple limiting resources reduces grassland diversity. W. Stanley Harpole et al. Nature 2016, DOI: 10.1038/nature19324 Zwei etablierte Lehrsätze der Pflanzenökologie haben in Bezug zur Artenvielfalt offenbar nur begrenzte Gültigkeit. Zu diesem Ergebnis kommt eine internationale Studie, an der auch Forscher aus Halle und Leipzig beteiligt waren und die im renommierten Fachjournal „Nature“ veröffentlicht wurde. Der erste Lehrsatz geht davon aus, dass der knappste Nährstoff einer Wiese die Pflanzenvielfalt bestimmt: Die Pflanzen, die die begrenzte Menge des Nährstoffs am effizientesten nutzen können, haben einen Vorteil gegenüber den anderen Pflanzen. Langfristig nimmt die Artenvielfalt also ab. Harpole und seine Kollegen fanden auf ihren Versuchsflächen jedoch bis zu 30 verschiedene Arten innerhalb eines Quadratmeters. Der zweite Lehrsatz beschreibt den Zusammenhang zwischen Dünger, Schatten und Artenvielfalt: Das Pflanzenwachstum auf einer Wiese nimmt nach einer Düngung zu. Dadurch gelangt weniger Licht in die unteren Pflanzenschichten und folglich verschwinden die Arten, die die stärkere Beschattung nicht tolerieren können. Die Experimente der Forscher zeigten aber: Auf einem Drittel der 45 Untersuchungsflächen steigerte sich das Pflanzenwachstum durch die Düngung nicht. Folglich gab es auch keine stärkere Beschattung. Nach drei bis acht Jahren nahm die Artenvielfalt auf diesen Flächen dennoch ab. Die beiden Lehrsätze, so die Kritik der Forscher, zielen auf eindimensionale Wechselbeziehungen zwischen Einflussfaktoren und Pflanzenwachstum ab. Diese seien aber nicht geeignet, um reale Systeme hinreichend zu beschreiben. Sie plädieren daher für einen komplexeren Ansatz: „Wir müssen multidimensional denken, wenn wir die Auswirkungen des globalen Wandels verstehen und vorhersagen wollen, da diese ebenfalls multidimensional sind. Es ist die Vielfalt der Ressourcen, die die Vielfalt der Arten an einem Standort bestimmt“, sagt Prof. Dr. Stanley Harpole, Erst-Autor der Studie, abschließend. tol Biologen punkten mit Bienen-Studien Publikationen: Theodorou P. et al. 2016 Pollination services enhanced with urbanization despite increasing pollinator parasitism. Proc. R. Soc. B 20160561. DOI: 10.1098/ rspb.2016.0561 D. P. McMahon et al. 2016 Elevated virulence of an emerging viral genotype as a driver of honeybee loss. Proceedings of the Royal Society of London - Biological Sciences 20160811, DOI: 10.1098/rspb.2016.0811 Bienen, so die halleschen Biologen in einer Studie, finden in Städten bessere Lebensbedingungen. (Foto: Maike Glöckner) Die Wissenschaftler um den Biologen Prof. Dr. Robert Paxton haben gleich zwei viel beachtete Studien im internationalen Fachjournal „Proceedings of the Royal Society of London B“ veröffentlicht. In einer Publikation konnte eine Forschergruppe der Universität und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) HalleJena-Leipzig zeigen, dass Hummeln in städtischen Gebieten häufiger Pflanzen bestäuben als in eher ländlichen Regionen. Und das, obwohl sie in der Stadt vermehrt von Parasiten befallen werden, die ihre Lebensdauer verkürzen können. Städte bieten demnach trotzdem bessere Lebensbedingungen für die Insekten als moderne landwirtschaftlich genutzte Gebiete. In einer zweiten Studie wiesen die Forscher nach, dass eine genetische Variante des Flügeldeformationsvirus gefährlicher für Honigbienen ist als der ursprüngliche Virenstamm. Die Variation tötet die Bienen schneller und sei, so die Forscher, womöglich schon in weiten Teilen Europas verbreitet. Das Flügeldeformationsvirus kann bei Bienen unter anderem zu verkrüppelten Flügeln führen. Wenn die Varroa-Milbe – die als größter Bienenschädling gilt – das Virus überträgt, kann die Infektion auf ganze Bienenvölker übergehen. tol sc ient ia hal ensis 2 / 2016 f orsc hen und publ iz ier en Aufklärungsforscher Hans Adler kommt nach Halle Die Alexander von H u m b o l d t- S t i f t u n g ehrt den Germanisten Prof. Dr. Hans Adler von der University of Wisconsin – Madison mit dem HumboldtForschungspreis und würdigt damit sein bisheriges wissenschaftliches Schaffen. Der Preis ist mit 60.000 Euro dotiert. Hans Adler, der zu den profiliertesten Aufklärungsforschern weltweit zählt, nutzt das Preisgeld für mehrere Forschungsaufenthalte an der Uni Halle. Gemeinsam mit seiner Gastgeberin, Humboldt-Professorin Elisabeth Décultot, wird Adler die Edition der Werke des Philosophen Johann Georg Sulzer vorantreiben, der als einer der wichtigsten Akteure der deutschsprachigen Aufklärung gilt. Seit 2013 arbeiten beide zusammen an der Edition der gesammelten Schriften des Schweizers – einem Desiderat der Aufklärungsforschung. Der erste Band erschien bereits 2014, in rascher Folge werden weitere neun Bände folgen. mab Hans Adler (Foto: privat) Projekt soll Koordination freiwilliger Helfer verbessern Bei Hochwasser ist das Engagement freiwilliger Helfer wichtig und gefragt. Deren Selbstorganisation über sozialen Medien stößt aber schnell an Grenzen. Werden tausende Freiwillige spontan aktiv, führt das oft dazu, dass diese an überfüllten Orten ankommen, während an anderen Stellen helfende Hände fehlen. Das stellt auch die Behörden vor Herausforderungen. Hier setzt das an Uni Halle koordinierte Projekt „KUBAS“, kurz für „Koordination ungebundener vor-Ort-Helfer zur Abwendung von Schadenslagen“, an: Mit drei Verbundpartnern soll ein System entwickelt werden, das zwischen dem Bedarf der Behörden und den Helfern zielgerichtet vermittelt. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 1,8 Millionen Euro. Die entstehende Plattform soll Teil der bereits bestehenden IT-Strukturen der Katastrophenschützer werden und für die freiwilligen Helfer über ihre gewohnten Kommunikationskanäle, also Soziale Netzwerke oder Apps, funktionieren. mab Uni nimmt Hochleistungsrechner in Betrieb Geballte Rechenkraft für riesengroße Datenmengen: Das IT-Servicezentrum (ITZ) der Universität hat den neuen Hochleistungsrechner „Janus“ in Betrieb genommen. Das neue Rechencluster verfügt über 48 Terabyte Arbeitsspeicher und kann auf bis zu 6.560 Prozessorkerne zugreifen. Das entspricht einer Leistung von 270 Computern. Mit dem Gerät können zum Beispiel Physiker, Chemiker oder Informatiker extrem komplexe und datenintensive Berechnungen durchführen. Das neue System hat eine theoretische Rechenleistung von 260 Billionen Gleitkommaoperationen pro Sekunde (TFLOPS) und eine Festplattenkapazität von einem Petabyte, also einer Million Gigabyte. Die Gesamtkosten für die Neuanschaffung betragen 2,25 Millionen Euro. Mit Hilfe des Hochleistungsrechners „Janus“ können Wissenschaftler komplizierte Berechnungen durchführen. (Foto: Markus Scholz) Jeweils die Hälfte der Mittel stammt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Land Sachsen-Anhalt. tol 31 32 f orsc hen und publ iz ier en sc ient ia hal ensis 2 / 2016 KONTEXT Die Gen-Schere CRISPR/Cas9 Die Gen-Schere „CRISPR/Cas9“ gilt als revolutionäre Entdeckung für die Biowissenschaften. Noch nie war es so einfach, das Erbgut von Pflanzen, Tieren oder Menschen zu verändern. Dr. Johannes Stuttmann vom Institut für Biologie ordnet die Technik sowie ihre Vor- und Nachteile ein. Das Erbgut, die DNA, lässt sich mit Gen-Scheren gezielt verändern. (Foto: Colourbox.com) Bei der biotechnologischen Anwendung besteht ein CRISPR/Cas9-System aus wenigen Komponenten. Da ist zum einen das Protein Cas9, das stets vorhanden sein muss. Dieses fungiert als Schere, welche DNA an einer bestimmten Stelle schneidet. Hinzu kommt als variable Komponente die Guide-RNA, welche das Cas9-Protein an eine bestimmte Stelle im Genom dirigiert, um dort zu schneiden. Die Guide-RNA kann ich verändern und damit Cas9 auf neue Zielsequenzen umprogrammieren. Dabei folgt die Ansteuerung von Zielsequenzen den gleichen Regeln, welche auch in der doppelsträngigen DNA Anwendung finden: Diese besteht aus den Bausteinen A, G, C und T, wobei sich in einem Doppelstrang stets A-T bzw. G-C gegenüberliegen und kontaktieren. Um ein bestimmtes Gen anzusteuern, muss man nur die Sequenz kennen. Je nach verwendetem System lassen sich Gene aber nicht nur kaputtschneiden, sondern auch aktivieren oder deaktivieren, ohne dabei eine tatsächliche Veränderung am Erbgut vorzunehmen. sc ient ia hal ensis 2 / 2016 f orsc hen und publ iz ier en Wurde in der DNA ein Schnitt gesetzt, so kommt es in der Zelle anschließend zur Reparatur. Dafür existieren zwei konkurrierende Mechanismen: Im einfachsten Falle werden die freien Enden wieder zusammengeklebt. Dabei passieren meist kleine Fehler, wodurch ein Gen zerstört werden kann. Alternativ kann eine Matrize, also ein DNA-Fragment mit gleicher oder ähnlicher Sequenz, zur Reparatur herangezogen werden. Diesen Mechanismus kann man sich zu Nutze machen, um „neues“ Erbgut an einer bestimmten Stelle einzufügen, oder ein defektes Gen zu korrigieren. Die Herstellung einer mit CRISPR/Cas gezielt veränderten Pflanze ist prinzipiell relativ einfach. Zunächst muss ich das angepasste CRISPR/Cas-System in die Pflanze bringen. Zu diesem Zweck kann man das Agrobacterium einsetzen, welches von Natur aus Teile seines Erbmaterials in Pflanzenzellen übertragen kann. An Stelle dieses Erbmaterials setzt man nun das CRISPR/Cas-System. Bei Pflanzen sind alle Zellen totipotent, das heißt theoretisch kann jede einzelne Zelle wieder einen kompletten Organismus bilden. Tatsächlich schneide ich also von meiner Pflanze ein paar Blatt- oder Sprossstückchen ab, behandle diese mit meinen Bakterien und versuche dann, aus den Stückchen wieder komplette Pflanzen mit Spross und Wurzel zu züchten. Die CRISPR-Komponenten werden dann von der Pflanzenzelle selbst hergestellt und so kann es zur Modifikation der Zielsequenz im Erbgut der Pflanze kommen. Unter diesen Pflanzen suche ich dann nach Individuen, in welchen die gewünschte Veränderung stattgefunden hat. Zur Nutzung der CRISPR-Technologie in der Medizin müssen natürlich ganz andere Wege begangen werden. Doch häufen sich vielversprechende Berichte: Zahlreiche Krankheiten lassen sich mit CRISPR vielleicht besser therapieren oder gar heilen. Die Duchenne-Muskeldystrophie ist zum Beispiel eine unheilbare und final tödiche Muskelkrankheit. In Versuchen mit Mäusen hat man die Tiere mit einem CRISPR-Konstrukt behandelt. Dadurch hat man den Defekt in einem gewissen Anteil der Zellen korrigieren können. Das hat schon ausgereicht, dass die Mäuse wesentlich länger lebten. Vergleichbare Ansätze bei Menschen werden aktuell durch Zulassungsbehörden geprüft und mit großer Hoffnung von Betroffenen erwartet. Durch CRISPR können aber auch sogenannte „offtarget“ Effekte auftreten. Das sind weitere, unerwünschte Veränderungen des Erbguts in Bereichen, welche der eigentlichen Zielsequenz sehr ähnlich sind. Wenn wir in der Grundlagenforschung einen Organismus modifizieren, ist das weitestgehend egal. Wir überprüfen das Genom der veränderten Pflanzen nicht vollständig. Würde tatsächlich ein Produkt beispielsweise zur Nutzung in der Landwirtschaft hergestellt, was aktuell ohnehin verboten bleibt, müsste dieses natürlich weitere Prüfungen durchlaufen. Unterm Strich können jedoch zusätzliche, unbeabsichtigte Veränderungen nie vollständig ausgeschlossen werden. Andererseits: Was passiert bei der klassischen Züchtung? Durch Kreuzungen werden tausende von Genen aus verschiedenen Genomen gemischt. Die Konsequenzen kann man unmöglich voraussagen. Wenn man an einer bestimmten Stelle eine gezielte Modifikation vornimmt und es dabei mit geringer Wahrscheinlichkeit zu ein, zwei weiteren Modifikationen kommt – dann ist das meiner Meinung nach wesentlich kontrollierter und auch kontrollierbarer als jegliche Kreuzung, aber das ist eine Glaubensfrage. Protokoll: Tom Leonhardt Dr. Johannes Stuttmann ist seit August 2012 Forschungsgruppenleiter in der Abteilung für Pflanzengenetik bei Prof. Dr. Ulla Bonas. In seiner Arbeit beschäftigt er sich unter anderem mit der Herstellung genetisch veränderter Pflanzen. (Foto: Ralph Stuttmann) KONTAKT Dr. Johannes Stuttmann Institut für Biologie / Genetik Telefon: +49 345 55-26345 E-Mail: [email protected] In der Rubrik „KONTEXT“ setzen sich Wissenschaftler der MartinLuther-Universität mit einem aktuellen Thema aus ihrem Fach auseinander, erklären die Hintergründe und ordnen es in einen größeren Zusammenhang ein. 33 34 f orsc hen und publ iz ier en sc ient ia hal ensis 2 / 2016 neu erschienen Historiker entzaubern die Helden der Aufklärung Demokratie, Menschenrechte, Toleranz – die Ursprünge unserer heutigen Werte und Normen sind in der Aufklärung zu suchen, heißt es meist. Aber waren die großen Denker des 18. Jahrhunderts ihrer Zeit tatsächlich so weit voraus? Waren sie frei von den damals weitverbreiteten Auffassungen, die wir heute als rassistisch, sexistischen oder kolonialistische empfinden? – Das waren sie nicht, sagen Prof. Dr. Andreas Pečar und Dr. Damien Tricoire in ihrem Buch „Falsche Freunde“. Mit ihrer Streitschrift wenden sich der Professor für die Geschichte der historischen Neuzeit und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter gegen einen aktuellen Trend in der Aufklärungsforschung: Die alten Schriften werden heute stets mit den Maßstäben der Moderne gemessen; dabei seien eine urteilsfreie Distanz und die wissenschaftliche Einordnung beck kompakt Die kleinen Erfolgsratgeber mit großer Wirkung Die neuen Bände jetzt in Ihrer Lehmanns-Filiale Lehmanns Media GmbH Universitätsring 7 06108 Halle in den historischen Kontext unbedingt erforderlich. Ganz gleich, wie vertraut uns viele Begriffe und Konzepte von Aufklärern sein mögen – genauer betrachtet sind sie uns heute fremd, schreiben Pečar und Tricoire. In sechs Kapiteln analysieren sie die Texte berühmter Denker wie Voltaire, Hume und Kant und die darin enthaltenen Vorstellungen von Toleranz, Rassen, Sklaverei oder dem Frauenbild. Dabei entzaubern sie den ein oder anderen „Propheten der Moderne“ und liefern dem Leser zugleich einen aufschlussreichen Blick in eine Zeit, über die noch längst nicht alles gesagt ist. cb Andreas Pečar, Damien Tricoire: Falsche Freunde. War die Aufklärung wirklich die Geburtsstunde der Moderne? Frankfurt / M. 2015, 231 S., 24,90 Euro, ISBN: 978-3-5935-0474-2 sc ient ia hal ensis 2 / 2016 f orsc hen und publ iz ier en Vom konstruktiven Potenzial der Fremdheit Das Fremde und das Eigene – ewiger Widerspruch oder wunderbare Chance für eine globale Symbiose mit Zukunft? Eine Tagung zum Forschungsschwerpunkt „Gesellschaft und Kultur in Bewegung“ an der Uni Halle ging im Sommer 2013 dieser Frage nach; nun erschien der Tagungsband. Elf Wissenschaftler, sechs von ihnen in Halle lehrend und forschend, analysierten diverse Aspekte des Phänomens der Fremdheit – relevant für Soziologen, Philosophen, Pädagogen, Ökonomen, Juristen, Kommunikations- und Kulturwissenschaftler, Journalisten sowie für jeden von uns – und legten ihre Erkenntnisse dar. Globalisierung versus Nationalstaatlichkeit in Theorie und Praxis, im psychosozialen, ethischen und kulturellen Kontext, das provoziert Fragen, löst diffuse oder konkrete Ängste aus, erfordert genaue Erkundung der Gefahren potenziell destruktiver Elemente und der optimalen Nutzung konstruktiver Impulse, die jeder Form von Fremdheit und Befremdung innewohnen. Im Fokus der Forschungen stehen die Auswirkungen, auch aktueller Flüchtlingsströme weltweit, auf Bildung und Erziehung sowie im juristischen Diskurs, ihre Widerspiegelung in Literatur und Kunst, in Literatur- und Kulturtheorie, ebenso die Bedeutung des Reisens, einst und jetzt. Wie kann Erfahrung mit dem Fremden produktiv werden, im Idealfall für alle Beteiligten? Das gilt es zu lernen! Das Resultat wäre wohl gelingende Integration – ohne die Globalisierung nicht erfolgreich sein wird. Sehr detaillierte Literaturverzeichnisse am Ende jedes Beitrags halten eine Fülle von Leseempfehlungen für alle einschlägig interessierten Leser bereit. mawe Ralph Buchenhorst (Hg.): Von Fremdheit lernen. Zum produktiven Umgang mit Erfahrungen des Fremden im Kontext der Globalisierung (Reihe Global Studies) Bielefeld 2015, 306 S., 34,99 Euro, ISBN 978-3-8376-2656-8 (auch als E-Book erhältlich: ISBN 978-3-8394-2656-2) WEITERHIN SIND ERSCHIENEN: • Martina Dömling, Peer Pasternack: Studieren und bleiben. Berufseinstieg internationaler HochschulabsolventInnen in Deutschland. Wittenberg 2015, 98 S., 10 Euro, ISBN: 978‐3‐937573‐49‐6 • Uta Eichler, Arne Moritz (Hg.): Ethik kompetenzorientiert unterrichten II. Eine Konzeption für die Klassen 9/10 mit kopierbarem Unterrichtsmaterial. Göttingen 2016, 159 S., 35 Euro, ISBN: 978-3-52578-003-9 • Robert Fajen: Amüsement und Risiko. Dimensionen des Spiels in der spanischen und italienischen Aufklärung. Halle 2015, 104 S., 10 Euro, ISBN: 978-3-95462-576-5 • Günter Mühlpfordt, Erich Donnert (Hg.): Baltische Geschichte: Esten, Letten und Litauer unter fremden Mächten. Von der Frühzeit bis zu Beginn der nationalen Befreiungsbewegung. Halle 2016, 320 S., 29,95 Euro, ISBN: 978-3-95462-688-5 • Andreas Pečar, Holger Zaunstöck, Thomas Müller-Bahlke (Hg.): Wie pietistisch kann Adel sein? Hallescher Pietismus und Reichsadel im 18. Jahrhundert. In: Quellen und Forschungen zur Geschichte Sachsen-Anhalts, Bd. 10. Halle 2016, 176 S., 25 Euro, ISBN: 978-3-95462-703-5 • Florian Steger, Maximilian Schwochow: Traumatisierung durch politisierte Medizin. Geschlossene Venerologische Stationen in der DDR. Berlin 2016, 255 S., 29,95 Euro, ISBN: 978-3-95466240-1 35 36 f orsc hen und publ iz ier en sc ient ia hal ensis 2 / 2016 Gene zum Klingen bringen Der hallesche Biologe Martin S. Staege kann mit Genen Musik machen. Das erinnert dann zwar vom Klang her teilweise eher an Avantgarde-Musik, aber es geht hierbei weniger um Fragen der Ästhetik, als darum, Unterschiede zwischen verschiedenen biologischen Objekten hörbar zu machen. Publikation: Staege, M. S. A short treatise concerning a musical approach for the interpretation of gene expression data. Sci. Rep. 5, 15281; doi: 10.1038/ srep15281 (2015). Die Musikstücke sind kurz, häufig nicht mal eine Minute lang. Die Melodien sind eher frei, tiefe und hohe Töne wechseln sich mitunter rasant ab – harmonisch klingen sie häufig nicht, die Stücke von Martin S. Staege, die er mit Hilfe von Gendaten erstellt hat. „Mich erinnert das ein wenig an Musik des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts“, sagt die Musikwissenschaftlerin Dr. Christine Klein, die in Halle Musiktheorie und Gehörbildung lehrt. Beim ersten Hören weiß sie noch nicht, wie die Lieder entstanden sind. Sie hätten aber eine gewisse Ähnlichkeit mit serieller oder avantgardistischer Musik. Nach einem Blick in die Notenblätter fällt sie ihr erstes Urteil: „Gar nicht so schlecht.“ Als sie erfährt, dass die Noten aus biomedizinischen Daten gewonnen wurden, lacht sie kurz und sagt: „Das ist eine schöne Idee, Wissenschaft und Kunst so miteinander zu verbinden!“ Die Stücke, die Klein gehört hat, stammen aus einer Arbeit von Martin S. Staege, die im Journal „Scientific Reports“ des renommierten Nature-Verlags erschienen ist. „Man kann die Stärke der Expression von Genen in Tonhöhe und Tonlänge umsetzen, um Melodien zu erzeugen“, sagt der vor kurzem zum außerplanmäßigen Professor an der Medizinischen Fakultät Halle ernannte Biologe. Staege leitet das Forschungslabor der Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin und forscht vor allem im Bereich der Genexpressionsanalyse von Tumorerkrankungen bei Kindern und deren Immuntherapie. Er untersucht also, wie genetische Informationen in Zellen umgesetzt werden. Seit 2001 führt er hier auch sogenannte MicroarrayUntersuchungen durch, mit denen aus kleinen Probenmengen in kurzer Zeit Analysen zur Erfassung der Genexpression möglich sind. Inzwischen verfüge man über umfangreiche Datensätze zu den unterschiedlichen Tumortypen. Und deren Genexpression ergibt, übersetzt in Musik, unterschiedliche Melodien. „Ich beschäftige mich auch außerhalb des Labors mit Musik, spiele unter anderem Klavier und Spinett“, erklärt der Wissenschaftler seine Affinität zu dem Thema. Der ungewöhnliche akustische Ansatz zur Analyse von Genexpressionsdaten könne dazu dienen, die Tumorforschung um einen neuen Aspekt zu bereichern. Die generierten Melodien lassen sich als Noten darstellen und aus dem jeweiligen Notenbild lässt sich die Stärke der Genexpression ablesen. „Neben der akustischen gibt es also auch eine neue optische Darstellungsmethode“, sagt er. Die Melodien lassen sich dadurch auch auf Instrumenten spielen. Da die Melodien allerdings oft relativ abstrakt sind, ist eine elektronische Erzeugung naheliegend. Normalerweise müsse man sich die zugrunde liegenden Daten wie Zahlenkolonnen vorstellen, aus denen dann die Gene rausgefiltert werden, die einen interessieren, sagt Staege. Die Idee sei dann gewesen, die Informationen akustisch darzustellen. Eine hohe Genexpression könne zum Beispiel durch einen hohen oder einen langen Ton dargestellt werden. „Mir erschien es zunächst am sinnvollsten, die Stärke der Expression in der Frequenz eines Tones zu kodieren“, sagt er. Der Bereich der Frequenzen sei dabei üblicherweise so gewählt, dass er der Klaviertastatur entspricht. „Am Anfang habe ich die notwendigen Berechnungen in Excel entwickelt und programmiert“, erzählt Staege. Als hilfreich erwies sich der Kontakt zum halleschen Bioinformatiker Konstantin Kruse, der Ratschläge zur Umwandlung der erzeugten Tonfrequenztabellen in abspielbare Musikdateien am Computer beisteuern konnte. „Zum Schluss wurde der Algorithmus aufgrund von Gutachterwünschen in der Programmiersprache R geschrieben“, so der Forscher weiter. Das R-Script wurde als Anhang zu der Arbeit in „Scientific Reports“ veröffentlicht und kann leicht verändert werden. sc ient ia hal ensis 2 / 2016 f orsc hen und publ iz ier en Das Programm, so Staege, benötige die Angaben, welcher der tiefste Ton sein soll, in wie viele Tonstufen die Oktave geteilt werden soll und wie viele Tonstufen es insgesamt geben soll. Dadurch werde der höchste Ton definiert. Zusätzlich müsse man zudem festlegen, wie viele Töne das Programm erzeugen soll. Das Programm suche sich dann die Gene, bei denen die Variabilität am höchsten sei. „Diese Gene können dann zum Beispiel auf verschiedene Tumortypen hinweisen“, sagt der Biologe. Die Hoffnung, dass man Unterschiede, die nicht zu sehen sind, zumindest hören könnte, hat sich allerdings noch nicht konkret bestätigt. Insgesamt seien noch viele Aspekte dieser Methode unerforscht. Das Problem war am Ende nicht, die Töne aus den Datensätzen zu erzeugen, sondern diese Tonbeispiele dann auch in einer publizierbaren Form zu speichern. Mittlerweile sind die Melodien als MP3Dateien in der „Petrucci Music Library“ eingestellt, einer Musik-Bibliothek, in der man sie sich auch anhören kann. Die ist aber weniger für Biologen und ihre ungewöhnlichen Ideen angelegt, sondern für eher „konventionelle“ Musik. Doch auch das ist kein Problem, denn dementsprechend ist Staege dort nicht als Biologe registriert, sondern eben als Komponist. Die Grenze von Wissenschaft und Kunst ist hier in gewisser Weise unscharf. Martin S. Staege glaubt zudem, dass die bisher verwirk- lichte Variante des „Gene Expression Music Algorithm“ nicht die letzte sein wird. Mehrstimmigkeit biete hier beispielsweise interessante zusätzliche Möglichkeiten. „Es können darüber hinaus auch bekannte Melodien als Modell verwendet werden und die Eigenschaften einer Probe dementsprechend als eine Abweichung von der Referenz-Melodie dargestellt werden. Die Analyse funktioniert damit überraschend gut, wie die Arbeit in Scientific Reports zeigt“, sagt er. Als bloße Spielerei würde auch Christine Klein die Musikstücke nicht bewerten: „Bei zeitgenössischer Musik geht es meiner Meinung nach um das kreative Umgehen mit den Tönen, die Idee steht im Vordergrund.“ Und diese sei im Fall der Genmusik sehr plausibel. Die Forscherin geht sogar noch einen Schritt weiter: „Wenn man die Stücke noch etwas bearbeiten und zum Beispiel um eine Mehrstimmigkeit ergänzen würde, dann könnte ich mir sogar ein Konzert mit diesen Liedern vorstellen!“ Cornelia Fuhrmann Kontakt: apl. Prof. Dr. Martin S. Staege Universitätsklinik und Poliklinik für Pädiatrie I Telefon: +49 345 55-72388 E-Mail: [email protected] Martin S. Staege zeigt am Laptop, wie eine Melodie aussehen kann, wenn Genexpressionsdaten in Musik umgesetzt werden. (Foto: Fotostelle UKH) 37 38 personal ia sc ient ia hal ensis 2 / 2016 pers on al i a In der Sammlung zu Hause Schildkröten, Bisons und Rüsselkäfer: Seit mehr als 20 Jahren arbeitet Dr. Karla Schneider mit Tierpräparaten, die bis zu 230 Jahre alt sind. Die Kustodin der Zoologischen Sammlung liebt ihren Job, weil er Hobby und Beruf verbindet. Kustodin Karla Schneider in der Zoologischen Sammlung am Domplatz. (Foto: Markus Scholz) Ein weißer Kittel hängt an der Tür zum Büro von Karla Schneider im denkmalgeschützten Magazingebäude am Domplatz 4. Die Kustodin der Zoologischen Sammlung nennt ihr Büro liebevoll Rumpelkammer, obwohl alles seinen Platz hat. Bestimmungsbücher stehen ordentlich aufgereiht in einer alten, großen Vitrine, daneben Regale mit Ordnern und Schachteln. Aus ihrem Computer ist Vogelzwitschern zu hören, das gedämpfte Licht und die Sonnenstrahlen, die durch die Jalousien blitzten, vermitteln fast das Gefühl eines Arbeitsplatzes im Wald. Um Tiere und manchmal Pflanzen geht es auch in Karla Schneiders Beruf. Seit mehr als 20 Jahren betreut die Biologin zuerst die Entomologische Sammlung – also die der Insekten – und seit 2011 die gesamte Zoologische Sammlung der Universität. Fischtrockenexponate oder SüßwasserSchnecken: Fast zweieinhalb Millionen Präparate mit einer bis zu 230-jährigen Geschichte beherbergt die Sammlung. Als Kustodin kümmert sich Schneider um den Bestand, ordnet und erweitert ihn. Wissenschaftler aus aller Welt besuchen die Schau- und Lehrsammlungen ebenso wie Schüler aus Halle. sc ient ia hal ensis 2 / 2016 personal ia Karla Schneider liebt ihren Job. „Ich hatte großes Glück, als ich 1994 gefragt wurde, ob ich die Entomologische Sammlung der Uni leiten wolle. Da musste ich gar nicht lange überlegen. Das war die einmalige Chance, Hobby und Beruf zusammenzubringen.“ Und eine neue Aufgabe. Nach ihrem Biologiestudium in Halle arbeitete Schneider zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Pädagogischen Hochschule, war in der Lehre tätig und sollte das Fachgebiet der Geschichte der Biologie übernehmen. „Die Arbeit als Kustodin war mir aber nicht völlig fremd. Ich habe schon immer Tiere bestimmt, nur der Rahmen wurde größer. Und das hat Spaß gemacht, es ist jeden Tag etwas Neues dazugekommen“, erzählt sie. So viel Enthusiasmus hat aber auch Nachteile: „Weil man immer kein Ende findet. Deshalb habe ich auch noch keinen Computer zu Hause.“ Viel lieber nutzt Karla Schneider ihre Freizeit zum Basteln, Lesen, Wandern und Reisen gemeinsam mit ihrem Mann oder mit Freunden. „Mein Lieblingskontinent ist Afrika. Schon zu DDR-Zeiten wollte ich die Serengeti und andere Savannen sehen, den Regenwald und den Kilimandscharo. Nach der Wende war das meine erste Reise, die Erfüllung eines großen Traumes.“ Auch ihr Garten in Lettin birgt jede Menge Beobachtungsmaterial. „Ich mag keine akkuraten Gärten, bei mir darf erstmal alles vor sich hin wachsen. Die Menschen beschweren sich, dass es kaum noch Schmetterlinge und Insekten gibt, aber wo sollen sie auch herkommen, wenn keine Blüten mehr vorhanden sind?“ Deshalb hat Karla Schneider auch einen breiten Streifen Brennnesseln hinter der Garage. „Die benötigen viele Schmetterlinge als Futterpflanze für ihre Raupen.“ Schon in ihrer Kindheit im Erzgebirge in Oberwiesenthal hat Schneider viel Zeit in der Natur verbracht und alles genau beobachtet. „Als ich klein war, hatte mein Opa einen Garten, in dem habe ich diverse Experimente durchgeführt – zum Beispiel Blumenzwiebeln zerschnitten und wieder neu zusammengesetzt“, sagt sie und lacht. Eine neue Sorte ist daraus nicht entstanden, vielmehr die Faszination für Pflanzen und Tiere. Besonders für Rüsselkäfer, denn über die hat sie ihre Dissertation geschrieben. Heute arbeitet sie als Spezialistin für diese Käfergruppe an der Bestandssituation, an der Roten Liste sowie an Arten- und Biotopschutzprogrammen in Sachsen-Anhalt. „Seit 2012 beschäftige ich mich auch intensiv mit Wölfen und das Schöne daran ist: Es ist ein weiteres sehr interessantes Arbeitsgebiet.“ Aber als Expertin will sie nicht bezeichnet werden. „Ich kann nicht Spezialistin für alle Tiere sein. Ich bin Biologin und Zoologin, die sich auf einige Käferfamilien, Schnecken, Muscheln und ja, auch ein wenig auf Säugetiere spezialisiert hat.“ Ihr Wissen ist nicht nur in Radio- oder Fernsehbeiträgen gefragt. „Ich bekomme auch viele Anfragen aus der Bevölkerung – bis zu einhundert E-Mails im Jahr mit Fotos und der Frage, was das für ein Tier sei. Meist kann ich sie schnell beantworten, weil es heimische Tiere sind.“ „Ich kann nicht Spezialistin für alle Tiere sein.“ Dr. Kar l a Sc hneider In Bestimmungsübungen und Präparationskursen schult sie außerdem angehende Lehrer und Biologen. Schneider ist es sehr wichtig, dass sie die heimische Tierwelt kennen und bestimmen können. Auch Schulklassen können am Domplatz 4 Tierpräparate bestaunen. „Meist behandeln die Klassen gerade ein bestimmtes Thema in der Schule und ich suche die passenden Präparate heraus.“ Fast genauso lange wie Karla Schneider als Kustodin arbeitet, ist sie als Gleichstellungsbeauftragte tätig. Ab 1995 in der Fakultät, später als Stellvertreterin der Gleichstellungsbeauftragten der Universität. In drei Jahren geht Schneider in Rente und sie freut sich darauf. „Wir haben die Möglichkeit als Gastwissenschaftler in der Sammlung zu arbeiten und ich weiß schon jetzt, dass ich wieder hier sein werde. Und endlich all das machen kann, wozu ich noch nicht gekommen bin. Bestimmte Präparate müssen noch sortiert und in eine Datenbank aufgenommen werden.“ Ihren weißen Kittel wird sie also noch lange nicht an den Nagel hängen. Nur um einen Ausstellungschrank wird sie auch in Zukunft einen Bogen machen: Um den mit den Spinnentieren. Die mag sie nämlich nicht. Sarah Huke Kontakt: Dr. Karla Schneider Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen Telefon: +49 345 55-26444 E-Mail: [email protected] 39 40 personal ia sc ient ia hal ensis 2 / 2016 „Genscher half, Türen zu öffnen“ Bis zu seinem Tod Ende März 2016 war Hans-Dietrich Genscher der Universität Halle eng verbunden. Im Jahr 1946 hatte der wohl bekannteste Hallenser und Bundesaußenminister a. D. hier sein Jura-Studium begonnen. Insbesondere nach 1990 setzte er sich aktiv für seine Alma Mater ein. Im Interview erinnert sich Prof. Dr. Günther Schilling, von 1990 bis 1993 erster Rektor der Uni Halle nach der politischen Wende, an einen außergewöhnlichen Politiker und sein Wirken für die Hochschule. Für sein Engagement für die Universität Halle verlieh Rektor Günther Schilling (rechts im Bild) Hans-Dietrich Genscher 1992 die Ehrensenatorwürde. (Foto: Uni Halle) Erinnern Sie sich noch daran, wie Ihr erster Kontakt zu Hans-Dietrich Genscher zustande kam? Günther Schilling: Wenn man so will, war dabei auch der Zufall im Spiel. Genscher sollte im Mai 1991 die Ehrendoktorwürde der staatlichen University of South Carolina in Columbia, der Hauptstadt des US-Bundesstaats South Carolina, erhalten. Von amerikanischer Seite hatte man ihm signalisiert, er könne sich bei seiner Reise anlässlich der Verleihung von einer deutschen Delegation begleiten lassen. Im Wesentlichen war er es, der auf die Idee kam, einen Theologen und mich als Rektor seiner Alma Mater mit dorthin zu nehmen. Die Einladung hat mich natürlich sehr gefreut. Sie war der Auftakt für viele weitere und enge Kontakte. Welche Erinnerungen haben Sie an diese erste Begegnung? Bevor wir nach Columbia geflogen sind, verbrachten wir noch einige Tage in New York und Washington. Genscher war von Anfang an sehr offen. Obwohl er ja nur drei Jahre älter war als ich, habe ich ihn durch seine Ausstrahlung eher als väterlichen Freund empfunden. Beeindruckt hat mich, wie er Gespräche führte: Er war immer locker, trotzdem war alles, was er sagte, gut durchdacht. Er war stets um Ausgleich bemüht und nie auf direkte Konfrontation aus. Das war seine absolute Stärke. Und oft endete ein Gespräch mit einer kleinen Anekdote oder einem Wortwitz. Können Sie Beispiele für Genschers Wirken an der Universität Halle nennen? Die Tatsache, dass er der Stadt Halle und der MartinLuther-Universität stets zugetan war, äußerte sich sehr konkret. Er kanalisierte materielle Hilfen, die sc ient ia hal ensis 2 / 2016 personal ia sonst zwar auch irgendwo in den Osten geflossen wären, aber eben nicht unbedingt nach Halle. Ein Beispiel dafür war die großzügige Schenkung einer US-amerikanischen Kasernenbibliothek aus dem schwäbischen Göppingen. Im März 1992 erhielten wir von dort 16.000 Bände unterschiedlicher wissenschaftlicher Fachgebiete für unsere Universitätsund Landesbibliothek. Er hatte mit dem ihm eigenen diplomatischen Geschick dafür gesorgt, dass die Universität Halle als neue Besitzerin für diesen Bestand in Frage kam. Wie konnte Genscher auf der politischen Bühne helfen? Die Erneuerung der Universität war das große Thema jener Zeit. Es galt, neue Strukturen sachlicher und personeller Art aufzubauen, die Demokratisierung voranzutreiben, die Freiheit des wissenschaftlichen Denkens zu garantieren und die Internationalisierung der Universität voranzutreiben. Wir hatten damals über 70 Studiengänge, deren Inhalte überprüft und angepasst werden mussten. Dabei galt es per Gesetz, alle Einrichtungen und Studiengänge abzuwickeln, die zu DDR-Zeiten die Ideologie des Marxismus-Leninismus verbreitet hatten. Genscher hat diesen Prozess durch Gespräche begleitet. Er war ein guter Zuhörer. Und es gelang ihm, sich in sein Gegenüber hineinzudenken. Er war einfach Diplomat durch und durch. Aber er fand ja offenbar auch klare Worte, wie ein Beispiel aus Ihrer Zeit als Rektor zeigt. Ja, das stimmt. Ich erinnere mich an das Jahr 1991. Damals stand eine neue Spar-Runde an der Universität Halle an. Das für uns zuständige Landesministerium für Kultur und Wissenschaft in Magdeburg hatte einige Tage zuvor bekanntgegeben, dass wir innerhalb weniger Monate weitere 1.000 Stellen abbauen sollten. Zu dieser Zeit – im Juni 1991 – wurde Genscher gerade die Urkunde als Ehrenbürger der Stadt Halle verliehen. Als Rektor war ich auch zur Festveranstaltung eingeladen und saß mit Genscher an einem Tisch. Ich erzählte ihm von den Nachrichten aus Magdeburg und sagte, dass ich mich auf harte Verhandlungen einstellen würde und auch, dass die verlangte Stellenkürzung mit großen Risiken für den Fortbestand der Uni verbunden sei. Kurz nach unserem Gespräch entschuldigte sich Genscher und wechselte an den Nachbartisch, wo Gerd Gies, der damalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, saß. Die beiden waren dann längere Zeit in ein Gespräch vertieft. Ich weiß bis heute nicht, worüber sie gesprochen haben. Aber ich glaube, es war kein Zufall, dass am nächsten Tag ein Fernschreiben aus Magdeburg bei uns im Rektorat ankam, in dem man die beabsichtigte Stellenkürzung zurücknahm. Wusste man Genschers Hilfe an der Universität zu schätzen? Wie hat man sich bedankt? Ich denke, es war allen Akteuren jener Zeit klar, was Genscher für uns getan hat. Nicht zuletzt deshalb ist ihm 1992 die Ehrensenatorwürde verliehen worden. Eine Auszeichnung, die bisher nur wenige Persönlichkeiten erhalten haben, so etwa Halles ehemaliger Bürgermeister Richard Robert Rive, der Bankier Heinrich Lehmann oder auch die Schwedin Elsa Brändström. Und Genscher hat sich damals sehr darüber gefreut. Er fand auch die Talare gut, die wir zu besonderen Anlässen wieder trugen. Vor der Verleihung kam er deshalb sogar zu einer Anprobe des für ihn bestimmten Talars an die Universität. Sie fand im Dienstzimmer des Rektors statt. Interview: Ines Godazgar UNIVERSITÄT GEDENKT IHRES EHRENSENATORS Hans-Dietrich Genscher starb am 31. März im Alter von 89 Jahren. In der April-Sitzung des Akademischen Senats gedachten die Senatsmitglieder Genschers mit einer Schweigeminute. Rektor Prof. Dr. Udo Sträter würdigte die großen Verdienste des Verstorbenen: „Hans-Dietrich Genscher war ein unermüdlicher Fürsprecher Halles, er setzte sich auch für die kulturellen und wissenschaftlichen Belange seiner Heimatstadt ein. Genscher war unserer Universität seit seinem Studium der Rechtswissenschaft verbunden. Auch dank seines großen Engagements wurden die Franckeschen Stiftungen, die die Universität als Campus nutzt, saniert und mit neuem Leben gefüllt. Wir gedenken seiner mit Respekt und Dankbarkeit.“ mab Zur Langfassung des Inter- views: http://bit.ly/hdg-uni 41 42 personal ia sc ient ia hal ensis 2 / 2016 Dr. Kathrin Hirschinger An dieser Stelle wird’s persönlich … Den Fragebogen des Unimagazins beantwortet diesmal Dr. Kathrin Hirschinger. Im Mai wurde die Musikpädagogin zum dritten Mal zur Gleichstellungsbeauftragten der Universität Halle gewählt. Seit acht Jahren ist sie neben ihrer Arbeit am Institut für Musik auch im Gleichstellungbüro tätig. 1 | Warum leben Sie in Halle und nicht anderswo? Ich bin gebürtige Hallenserin, habe hier studiert und beruflich Fuß gefasst. Mein Mann ist ebenfalls durch seine Tätigkeit an Halle gebunden, sodass es für mich nie einen Grund gab, Halle den Rücken zu kehren. Aus der Vita geboren 1966 in Halle 1983 bis 1987 Studium am Institut für Lehrerbildung Halle (Musik, Deutsch, Mathe) 1987 bis 1991 DiplomFernstudium Musikpädagogik Gitarre an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig Seit 1993 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Halle in den Bereichen Erziehungswissenschaften/Musik 1998 Promotion an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar 2008 bis 2010 stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte der Uni Halle Seit 2010 Gleichstellungsbeauftragte der Universität 2 | Wenn nicht Musikpädagogin, was wären Sie dann geworden? Tierärztin oder Bauzeichnerin waren Berufswünsche während meiner Schulzeit. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass ich nach dem abgeschlossenen Studium Grundschullehrerin geworden wäre. 3 | Was war an Ihrer Studienzeit am besten? Rückblickend war die Verlässlichkeit und Organisiertheit einer Seminargruppe nicht die schlechteste Studienform. Andererseits gab es so natürlich weniger Möglichkeiten, sich auszuprobieren und über den Tellerrand hinauszuschauen. 4 | Welchen Rat fürs Überleben würden Sie den Studierenden heute geben? Nutzen Sie die Möglichkeiten, auch andere Fachdisziplinen kennenzulernen! Haben Sie den Mut, den Studiengang zu wechseln, wenn er doch nicht Ihren Vorstellungen entspricht! Sammeln Sie Erfahrungen im Ausland und bei Praktika! Und genießen Sie trotz allem Stress die Studienzeit! 5 | Wenn Sie Rektorin einer Universität wären, was würden Sie als erstes tun? Als Rektorin würde ich mich dafür einsetzen, dass für alle Beschäftigten die passenden Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit sie ihre Arbeit den Anforderungen entsprechend bewältigen können. Es wäre mir wichtig, allen Angehörigen der Uni deutlich zu machen, dass es nur gemeinsam gelingen kann, die Universität voran zu bringen, und zwar unabhängig von Status, Geschlecht, Alter und so weiter … Und dann würde ich noch meine E-MailAdresse in [email protected] ändern lassen. 5 | Was ist für Sie die erste Aufgabe der Wissenschaft? Auch mehr als 200 Jahre nach Goethes „Faust“ sehe ich die Suche nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ als vorrangige Aufgabe der Wissenschaft. Wichtig ist dabei jedoch, dass das Streben nach wissenschaftlichen Erkenntnissen der Menschheit nutzt und nicht schadet. 7 | Was haben Intelligenz und Menschlichkeit miteinander zu tun? Beides sind positive Eigenschaften, dennoch sind sie nicht voneinander abhängig und treten oft genug auch einzeln auf. So kann einerseits Intelligenz ohne Menschlichkeit sehr gefährlich werden. Aber zum Glück setzt andererseits menschliches Verhalten nicht zwangsläufig einen hohen IQ voraus. 8 | Worüber ärgern Sie sich am meisten? Über Ignoranz und Machtspiele. Außerdem ärgere ich mich maßlos über immer wieder zu beobachtende Unsensibilitäten im Umgang der Geschlechter miteinander. 9 | Was bringt Sie zum Lachen? Ich kann über humorvolle Bücher und lustige Filme genauso lachen wie über Satire, Komik und die Kuriositäten des Alltags. sc ient ia hal ensis 2 / 2016 personal ia 10 | Was schätzen Sie an Ihren Freunden? Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Humor und die Tatsache, dass sie dafür Verständnis haben, wenn auch mal längere Zeit Funkstille herrscht. 11 | Wo sehen Sie Ihre Stärken? Kollegialität, Offenheit, Empathie … aber andere können das besser beurteilen als ich selbst. 12 | Was erwarten Sie von der Zukunft? Ich habe die Hoffnung, dass irgendwann das Amt der Gleichstellungsbeauftragten nicht mehr notwendig sein wird, weil Frauen und Männer in allen Lebens- und Arbeitsbereichen gleichgestellt sind. 13 | Woran glauben Sie? Dass ich das (Punkt 12) noch erleben werde. 14 | Welchen bedeutenden Menschen unserer Zeit hätten Sie gern als Gesprächspartner? Spontan fällt mir niemand ein. Wichtiger sind für mich die Menschen im privaten und beruflichen Umfeld, mit denen ich mich unterhalten, aber auch streiten oder diskutieren kann. 15 | Wer war oder ist für Sie der wichtigste Mensch in Ihrem Leben? An erster Stelle stehen natürlich meine beiden Kinder, auch wenn sie der Kindheit schon entwachsen sind. Darüber hinaus sind mir mein Mann und meine Eltern sehr wichtig. 16 | Welchen Ort der Welt möchten Sie unbedingt kennen lernen? Die Orte, die vor dem Mauerfall auf meiner Wunschliste standen, habe ich inzwischen besucht. Island ist noch ein reizvolles Ziel. 17 | Womit verbringen Sie Ihre Freizeit am liebsten? Mit der Familie natürlich, gelegentlich auch mit Freunden. Ich gehe gern in Konzerte und in die Oper und höre zu Hause vor allem klassische Musik. Aber auch ein gutes Buch und Fahrradfahren gehören zur Freizeit dazu. 18 | Was wären Ihre drei Bücher für die Insel? „Gustav Mahler. Erinnerungen“ von Alma MahlerWerfel und „Unorthodox“ von Deborah Feldman. Beide stehen schon – noch ungelesen – im Bücherschrank. Zur entspannten Unterhaltung nehme ich dann noch auf Empfehlung einer Freundin das Buch „Bella Germania“ von Daniel Speck mit. 19 | Wenn Sie einen Wunsch frei hätten …? … wüsste ich wahrscheinlich nicht, wofür ich mich entscheiden sollte. Um die aktuellen Herausforderungen an der Universität zu meistern, würde ich mir jedoch eine sachgerechte und lösungsorientierte Auseinandersetzung wünschen, der alle Beteiligten erst einmal offen gegenüberstehen. 20 | Ihr Motto? Behandle andere so, wie Du selbst gern behandelt werden möchtest! Zwischen ihren beiden Arbeitsplätzen pendelt Kathrin Hirschinger am liebsten mit dem Fahrrad. (Foto: Markus Scholz) 43 44 personal ia sc ient ia hal ensis 2 / 2016 neu beruf en Biopharmazeutin erforscht Möglichkeiten der Nanomedizin Prof. Dr. Lea Ann Dailey Institut für Pharmazie Telefon: +49 345 55-25001 E-Mail: lea.dailey@ pharmazie.uni-halle.de (Foto: Maike Glöckner) Wie können Nanopartikel dabei helfen, Tumoren rechtzeitig zu erkennen, zu identifizieren und zu bekämpfen? Das erforscht Prof. Dr. Lea Ann Dailey, die zum 1. April 2016 als Professorin für Biopharmazie an die Naturwissenschaftliche Fakultät I berufen worden ist. Es ist nicht der erste Aufenthalt der US-Amerikanerin in Deutschland: Die gebürtige Kalifornierin hatte zunächst Pharmazie an der Philipps-Universität in Marburg studiert, bevor sie dort 2003 auch promoviert wurde. Die 41-Jährige erforscht, wie Nanopartikel in der Medizin eingesetzt werden können, um bessere Diagnosen und Therapien zu ermöglichen. Beispielsweise werden aus neuen Polymeren Nanopartikel entwickelt, die in bildgebenden Diagnoseverfahren eingesetzt werden können, um Tumoren frühzeitig und präzise zu erkennen, zu identifizieren und zu bekämpfen. Noch ist ungeklärt, wie verträglich die neuen Polymere für den Menschen sind. Diese Frage steht im Mittelpunkt von Daileys Forschung. Damit sie die zugrundeliegenden komplexen Wechselwirkungen zwischen Mensch, Medizin und Technik untersuchen kann, muss sich die Biopharmazeutin in vielen Disziplinen sehr gut auskennen: in der physikalischen Chemie, der Verfahrenstechnik und der Toxikologie ebenso wie in der Pharmazie und der Medizin. Vor ihrem Wechsel nach Halle war sie zuletzt elf Jahre als Lecturer am Institute of Pharmaceutical Science des King’s College in London tätig und wurde dort 2011 für ihre Lehrtätigkeit als „Most Innovative Teacher“ geehrt. Für einen Wechsel an die Uni Halle sprachen fachliche sowie persönliche Gründe: „Ich kannte bereits viele Kollegen in der Fakultät und wusste, dass meine Forschung sehr gut zu den Schwerpunkten an der Uni passen würde. Außerdem wollte ich schon seit einigen Jahren sehr gerne zurück nach Deutschland ziehen. Für mich ist es eine Art Heimkehr und für meinen Mann, der aus Großbritannien stammt, ist es ein neues Abenteuer.“ mlk Neue Wege der Gesundheitsinformation Prof. Dr. Anke Steckelberg Institut für Gesundheitsund Pflegewissenschaft Telefon: +49 345 55-74106 E-Mail: anke.steckelberg@ medizin.uni-halle.de (Foto: Michael Deutsch) Die Kommunikation zwischen medizinischem Personal und Patient muss stimmen – vor allem, wenn es um Diagnose und Therapie geht. Haben Ärzte früher oft allein über die Behandlung entschieden, sollen Patienten künftig immer mehr in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Dabei können sie zudem von anderen Angehörigen der Gesundheitsfachberufe unterstützt werden. Dieses Modell, das so genannte Shared Decision Making, setzt voraus, dass auch die erforderlichen Informationen vorgehalten werden. Dazu forscht Prof. Dr. Anke Steckelberg, die seit dem 1. Mai die Professur für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Medizinischen Fakultät innehat. Die gebürtige Niedersächsin hat bis 1994 als Krankenschwerster gearbeitet, bevor sie an der Universität Hamburg Lehramt für Berufliche Schulen mit der Fächerkombination Gesundheitswissenschaften und Sozialwissenschaften studierte. Dort wurde sie auch 2005 mit ei- ner Arbeit über evidenzbasierte Patienten- und Verbraucherinformation promoviert. Danach arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Universitäten in Bremen und Hamburg. Evidenzbasierte Gesundheitsinformation und kritische Gesundheitsbildung sind die Forschungsschwerpunkte der 54-Jährigen. Beide haben die Förderung des selbstbestimmten Handelns der Patienten in gesundheitsrelevanten Fragen zum Ziel. Steckelberg möchte den Patienten befähigen, an Entscheidungen teilzuhaben und will zu diesem Zweck an der Uni Halle auch ein Referenzzentrum errichten, welches Patienten in medizinische Entscheidungen gleichberechtigt einbezieht. Für Halle entschied sich die Wissenschaftlerin ganz bewusst: „Die Gesundheits- und Pflegewissenschaften sind hier seit langem etabliert und gewürdigt.“ Privat trifft man Steckelberg oft in der Natur: Sie mag Radtouren und Wanderungen und interessiert sich für Kultur und Reisen. mlk sc ient ia hal ensis 2 / 2016 personal ia Wie wirken Steroidhormone im Menschen? Prof. Dr. Claudia Großmann erforscht, wie Steroidhormone und ihre Rezeptoren die molekularen und zellulären Prozesse im menschlichen Körper beeinflussen und was das für Erkrankungen des Herzens, der Nieren oder Gefäße bedeutet. Zum 1. Juni wurde die Medizinerin und Biologin zur Professorin für Physiologie an die Medizinische Fakultät berufen. Sie stärkt dort im Forschungsschwerpunkt „Molekulare Medizin der Signaltransduktion“ den Bereich der Herz-Kreislaufforschung. Vor ihrer Berufung hatte Großmann bereits seit 2010 als Juniorprofessorin am Julius-BernsteinInstitut für Physiologie der Universität eine Nachwuchsforschergruppe geleitet und in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Michael Gekle das Forschungslabor mit aufgebaut. Mit eigenen Projekten ist die 42-Jährige unter anderem an den beiden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Graduiertenkollegs 1591 und 2155 „PromoAge“ beteiligt. Der besondere Reiz ihres Fachgebiets liegt für sie in der Verknüpfung von naturwissenschaftlich orientierter Forschung mit klinisch relevanten Fragestellungen: „Aus dem Wissen, wie der gesunde Körper funktioniert, kann man sich die Veränderungen bei Erkrankungen und ihre Therapiemöglichkeiten herleiten“, erläutert die Professorin, die Studierende für die theoretische Medizin mit aktiver und moderner Lehre begeistern will. Die gebürtige Berlinerin studierte zunächst Humanmedizin an der Freien Universität Berlin und arbeitete anschließend als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Charité Berlin, wo sie 2002 promoviert wurde. Mit einem Stipendium des Interdisziplinären Zentrums für Klinische Forschung studierte sie an der Universität Würzburg und wurde dort anschließend im Fachbereich der Biologie promoviert. 2007 kam sie zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Julius-BernsteinInstitut. Seit 2014 besitzt sie die Anerkennung zur Fachphysiologin. cb Prof. Dr. Claudia Großmann Julius-Bernstein-Institut für Physiologie Telefon: +49 345 55-7440 E-Mail: claudia.grossmann @medizin.uni-halle.de (Foto: Maike Glöckner) Entwicklung und Zukunft der Erwachsenenbildung Das Lernen hört mit dem Ende der Schulzeit oder des Studiums nicht auf. Auch im Erwachsenenalter ist der Erwerb von Fähigkeiten und Wissen mittlerweile eine Selbstverständlichkeit, nicht nur im Beruf, sondern auch weit darüber hinaus. Wie Situationen des Lernens im Erwachsenalter entstehen, wie sie sich entwickeln und wie sie gestaltet werden können, erforscht Prof. Dr. Jörg Dinkelaker. Seit 1. August hat er die Professur für Erwachsenenbildung und berufliche Weiterbildung inne. In seiner Forschung arbeitet er zum Beispiel mit Videoaufzeichnungen, um das Geschehen in Weiterbildungsveranstaltungen zu analysieren. „Halle ist für die deutschsprachige Erziehungswissenschaft sehr bedeutend. Die Forschungs- und Arbeitsbedingungen hier sind in dieser Weise einzigartig“, lobt Dinkelaker seinen neuen Arbeitsort. An der Uni will er Studien zur Struktur und zum Wandel des Lernens Erwachsener durchführen. Über die Erkenntnisse aus seiner Forschung will er sich nicht nur in Seminaren mit Studierenden austauschen, sondern auch mit Praxispartnern im Feld der Erwachsenen- und Weiterbildung. Der gebürtige Stuttgarter studierte Soziologie, Erziehungs-, Politik- und Musikwissenschaft in Tübingen, Freiburg/Breisgau und zuletzt in Frankfurt am Main. Hier wurde er 2007 mit einer Arbeit zum Lernen Erwachsener in hybriden Lernräumen promoviert. In diesen Lernräumen vermischt sich das Lernen mit anderen Formen des Umgangs mit Wissen, zum Beispiel der Anwendung oder dem Aushandeln von Wissen. 2015 habilitierte sich Dinkelaker ebenfalls in Frankfurt zu Verläufen des Teilnehmens an Bildungsangeboten. Der 41-Jährige war zuletzt als Vertretungsprofessor an der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg und davor an der Pädagogischen Hochschule Freiburg/Breisgau tätig. In seiner Freizeit macht der Vater dreier Kinder gern Musik und engagiert sich in der Jugendbildungsarbeit. tol Prof. Dr. Jörg Dinkelaker Institut für Pädagogik Telefon: +49 345 55-23812 E-Mail: joerg.dinkelaker@ paedagogik.uni-halle.de (Foto: Maike Glöckner) 45 46 personal ia sc ient ia hal ensis 2 / 2016 Von links: der Präsident der Humboldt-Stiftung Helmut Schwarz, Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen, Tiffany Knight, Rektor Udo Sträter und der Geschäftsführer des UFZ Leipzig Georg Teutsch bei der Preisverleihung (Foto: Humboldt-Stiftung / David Ausserhofer) Preise und Ehrungen Für ihre hervorragende Dissertation zu selbstheilenden Polymeren hat Dr. Diana Döhler, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Chemie, im Juli den mit 5.000 Euro dotierten SKWP-Forschungspreis der Uni Halle erhalten. Das Preisgeld stiftet die SKW Stickstoffwerke Piesteritz GmbH. Für seine Promotion zum rechtlichen und ethischen Status künstlich hergestellter Stammzellen hat der Jurist Dr. Timo Faltus im Juli den Dissertationspreis 2015 des Juristischen Bereichs erhalten. Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert und wird jährlich für eine herausragende Arbeit im Bereich der Rechtswissenschaften vom Freundeskreis der Juristischen Fakultät vergeben. Ministerpräsident Reiner Haseloff überreichte Gesine Foljanty-Jost das Verdienstkreuz am Bande. (Foto: Staatskanzlei / Victoria Kühne) Für ihr großes Engagement um die Internationalisierung hat die Japanologin Prof. Dr. Gesine Foljanty-Jost im August das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland erhalten. Damit werde insbesondere ihr Einsatz für die Internationalisierung des Hochschulstandorts Sachsen-Anhalt gewürdigt, den sie in Japan bekannt gemacht habe, heißt es in der Begründung. Foljanty-Jost hat das von ihr 1992 an der Universität Halle gegründete Fach Japanologie zu einem zentralen Standort deutscher Japanforschung ausgebaut und unter anderem Partnerschaften mit sechs japanischen Spitzenuniversitäten initiiert. Die Studentin der Agrarwissenschaften Lena Kathe ist im Juni für ihre Bachelorarbeit zum Thema „Schwarzfäule an Möhre“ mit dem zweiten Wilhelm-Rimpau-Preis der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft geehrt worden. Die Auszeichnung ist mit 1.500 Euro dotiert und wird für innovative und praxisnahe Arbeiten im Bereich Pflanzenproduktion vergeben. Im Mai ist die US-Biologin Prof. Dr. Tiffany Knight mit der Alexander von Humboldt-Professur, Deutschlands höchstdotiertem internationalen Forschungspreis, ausgezeichnet worden. Den Preis nahm die Wissenschaftlerin in Berlin von Cornelia QuennetThielen, Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung, und Helmut Schwarz, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, entgegen. Die Uni Halle und das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ hatten Knight gemeinsam für den mit fünf Millionen Euro dotierten Preis der Alexander von Humboldt-Stiftung nominiert. Im Februar war sie zur Professorin für „Räumliche Interaktionsökologie“ berufen worden. Für die beste Dissertation im Bereich Lebens- und Naturwissenschaften hat Dr. Stephanie Krüger im Juli den mit 1.000 Euro dotierten DorotheaErxleben-Preis der Uni Halle erhalten. Die Biologin wurde mit einer Arbeit über das Reproduktionsverhalten von Pflanzensaft saugenden Insekten promoviert. Im Bereich Sozial- und Geisteswissenschaften wurde der Soziologe Dr. Oliver Winkler für seine herausragende Dissertation über die Öffnung von Bildungswegen mit dem Erxleben-Preis ausgezeichnet. Für seine sehr gute Dissertation über Investitionsrisiken am Finanzmarkt ist der Wirtschaftswissenschaftler Dr. Christian Lau im Juni mit dem mit 1.500 Euro dotierten Kantorowitsch-Forschungspreis des Instituts für Unternehmensforschung und Unternehmensführung an der Uni Halle ausgezeichnet worden. Die Betriebswirtschaftlerin Uta Preil erhielt den mit 750 Euro dotierten Kantorowitsch-Forschungspreis für ihre Masterarbeit zur Besteuerung von Einkünften, die durch Ausschüttungen ausländischer Familienstiftungen und Zwischengesellschaften erzielt worden sind. sc ient ia hal ensis 2 / 2016 personal ia Für seine Forschungsarbeiten zu Biometallen hat der Mikrobiologe Prof. Dr. Dietrich H. Nies im Juli den Igor Stojiljkovic Award for Outstanding Research 2016 erhalten. Die International Biometals Society vergibt die Ehrung seit 2006 jedes zweite Jahr im Rahmen eines Symposiums. Der Physiker Prof. Dr. Torsten Rahne und der Mediziner Dr. Ingmar Seiwerth sind im Mai mit den ersten Plätzen des Broicher-Preises geehrt worden. Die mit je 1.000 Euro dotierten Preise werden für die beiden besten wissenschaftlichen Poster-Präsentationen auf der Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie verliehen. Rahne erhielt den Preis in der Kategorie „Experimentelle Forschung“, Seiwerth wurde in der Kategorie „Klinische Forschung“ ausgezeichnet. Das English Department der US-amerikanischen Harvard University hat Prof. Dr. Erik Redling, Leiter des Mühlenberg-Zentrums für Amerikastudien, im April zum „Visiting Scholar“ für das akademische Jahr 2016/17 ernannt. An der Harvard University widmet sich der Professor für Amerikanische Literaturwissenschaft einem neuen Forschungsprojekt, das eine kulturhistorische Entwicklung sprachlicher Experimente im Rahmen der amerikanischen Dialektliteratur nachzeichnen will. Für ihre großen Verdienste um die französische Kultur hat die französische Regierung die Romanistin Prof. Dr. Dorothee Röseberg zum „Officier dans l‘Ordre des Palmes Académiques“ ernannt. Im Mai überreichte ihr der französische Kulturrat Emmanuel Suard an der Uni Halle die Ordensinsignien. Die Professorin für Romanische Landes- und Kulturwissenschaften erhielt damit eine der höchsten Auszeichnungen Frankreichs. Der Physiologe Prof. Dr. Oliver Thews hat im Juli den mit 10.000 Euro dotierten Lehrpreis der Medizinischen Fakultät erhalten. Der Preisträger wird von den Studierenden der Fakultät vorgeschlagen und gewählt. Sie würdigten insbesondere die Qualität von Thews‘ Lehrveranstaltungen sowie sein umfassendes Engagement für studentische Belange. Der Student Marc-Andreas Vitinius hat für seine außerordentlichen Studienleistungen im Wirtschaftswissenschaftlichen Bereich und für sein gesell- schaftliches Engagement im April ein Stipendium der Investitionsbank Sachsen-Anhalt erhalten. Er wird für zwei Semester mit monatlich 300 Euro gefördert. Der Germanist PD Dr. Jörn Weinert ist im Juli für seine Habilitationsschrift über die Sprache Eikes von Repgow mit dem Christian-Wolff-Preis 2016 ausgezeichnet worden. Den Preis in Höhe von 1.500 Euro vergibt die Universität jedes Jahr für die beste Habilitation. Für ihre Masterarbeit über die Ernährung von Sauen ist Viktoria Welker, Studentin der Agrarwissenschaften, von der H. Wilhelm Schaumann Stiftung im April mit dem Preis für eine der besten Studienleistungen 2015 ausgezeichnet worden. Der Preis ist mit 500 Euro dotiert. Ämter und Mitgliedschaften Prof. Dr. Gesine Foljanty-Jost ist im Juni durch das Auswärtige Amt für eine weitere Amtszeit zum Mitglied des Stiftungsrates des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin ernannt worden. Das Zentrum fördert die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Japan. Prof. Dr. Daniel Fulda, Direktor des Interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der Europäischen Aufklärung, und Prof. Dr. Heike Kielstein, Direktorin des Instituts für Anatomie und Zellbiologie, sind im April als ordentliche Mitglieder in die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig aufgenommen worden. Der Dekan der Medizinischen Fakultät Prof. Dr. Michael Gekle ist im April erneut in das Fachkollegium Medizin der Deutschen Forschungsgemeinschaft gewählt worden. Gekle gehört bereits seit 2012 dem Fach Physiologie innerhalb des Fachkollegiums Medizin an. Zudem wurde er im Juni in das Präsidium des Medizinischen Fakultätentages gewählt. Die Koordinatorin des Gründerservice der Universität Dr. Susanne Hübner ist im März zur Sprecherin der Denkfabrik Gründerhochschulen, einer unabhängigen, hochschulübergreifenden Initiative im Bereich Transfer und Gründung, gewählt worden. Sie vertritt gemeinsam mit ihren beiden Amtskollegen über 30 deutsche Hochschulen. 47 48 personal ia sc ient ia hal ensis 2 / 2016 VILLA IN EXKLUSIVER LAGE © Siewert Hausbau GmbH | Abbildung enthält Sonderausstattungen PURISTISCHE Modernes, lichtdurchflutetes Architektenhaus – individuell, massiv und ökologisch nachhaltig. Ein Designhaus vollendet in Stil und Qualität – maßgeschneidert für die exklusive Lage direkt an der Heide. Bauweise: massiv | Grundstück: ca. 800 m² | Wohn-/Nutzfläche: 177 m² – verteilt auf Wohnen, Arbeiten, zwei Kinderzimmer, Schlafzimmer mit Ankleide, Bad, Gäste-WC und offener Küche. Ihr persönlicher Ansprechpartner: Uwe Schneider | Tel.: + 49 345 52 41 527 www.siewert-hausbau.de sc ient ia hal ensis 2 / 2016 personal ia Der Jurist Prof. Dr. Heiner Lück wurde im Mai als korrespondierendes Mitglied in die Nationale Akademie für historisch-juristische Wissenschaften von Andalusien zu Córdoba aufgenommen. Als erste Pflegewissenschaftlerin ist Prof. Dr. Gabriele Meyer, Leiterin des Instituts für Gesundheitsund Pflegewissenschaft, im April für vier Jahre in den Deutschen Ethikrat berufen worden. Die Mitglieder werden von der Bundesregierung und dem Bundestag vorgeschlagen und vom Bundestagspräsidenten ernannt. Der Ökologe Prof. Dr. Josef Settele ist im August vom Weltbiodiversitätsrat (IPBES) als einer von drei CoChairs berufen worden, die die Erstellung des Global Assessment zu Biodiversität und Ökosystemleistungen leiten werden. Settele ist stellvertretender Leiter des Departments Biozönoseforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und lehrt als außerplanmäßiger Professor an der Uni Halle. Der Physiologe Prof. Dr. Oliver Thews ist im Juli zum neuen Präsidenten der International Society on Oxygen Transport to Tissue gewählt worden. Die Fachgesellschaft beschäftigt sich mit Aspekten des Sauerstofftransports im Organismus und seiner klinischen Relevanz. Der Professor für internationale Beziehungen und europäische Politik Prof. Dr. Johannes Varwick ist im April zum Vizepräsidenten der Gesellschaft für Sicherheitspolitik gewählt worden. Die Gesellschaft ist mit rund 7.000 Mitgliedern der größte sicherheitspolitische Fachverband Deutschlands. Prof. Dr. Rebecca Waldecker, Direktorin des Instituts für Mathematik, ist auf der Jahresversammlung des Deutschen Hochschulverbands im April in dessen Präsidium gewählt worden. Der Verband ist die Vertretung der Lehrenden an Hochschulen in Deutschland. Rufe Die Biochemikerin J.-Prof. Dr. Carla Schmidt ist neue Nachwuchsgruppenleiterin am Zentrum für Innovationskompetenz HALOmem. Sie wurde im Juli als Juniorprofessorin für „Biophysikalische Charak- terisierung von medizinisch relevanten Membranproteinen“ an die Universität Halle berufen. Zum 1. April ist Prof. Dr. Torsten Schubert zum Professor für Allgemeine Psychologie an der Uni Halle ernannt worden. Seit Juni ist er zudem Geschäftsführender Direktor des Zentrums für multimediales Lehren und Lernen. Prof. Dr. Florian Steger, bis Ende Juni Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin, hat zum 1. Juli einen Ruf an die Universität Ulm erhalten und angenommen. In Ulm leitet er das Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. Ruhestand Ende März traten in den Ruhestand: Prof. Dr. Bodo Dittmar (Naturwissenschaftliche Fakultät II), Prof. Dr. Henning Dralle (Medizinische Fakultät), Prof. Dr. Thomas Hauschild (Philosophische Fakultät I), Prof. Dr. Heinz-Hermann Krüger (Philosophische Fakultät III), Prof. Dr. Christoph Lempp (Naturwissenschaftliche Fakultät III), Prof. Dr. Josef Lukas (Philosophische Fakultät I), Prof. Dr. Jan-Wilhelm Prüß (Naturwissenschaftliche Fakultät II), Prof. Dr. Christa Schlenker-Schulte (Philosophische Fakultät III), Prof. Dr. Edeltraut Werner (Philosophische Fakultät II), Prof. Dr. Hans-Ulrich Zabel (Juristische und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät). Ende September traten in den Ruhestand: Prof. Dr. Wilfried Grecksch (Naturwissenschaftliche Fakultät II), Prof. Dr. Johannes Haerting (Medizinische Fakultät), Prof. Dr. Stefan Leder (Philosophische Fakultät I), Prof. Dr. Pia Schmid (Philosophische Fakultät III), Prof. Dr. Gretel Schwörer-Kohl (Philosophische Fakultät II), Prof. Dr. Rolf Peter Spielmann (Medizinische Fakultät), Prof. Dr. Joachim Ulrich (Zentrum für Ingenieurwissenschaften) Verstorben Am 7. April verstarb Prof. Dr. Joachim Prasse, emeritierter Professor für Ökologie und Bodenzoologie. Von 1979 bis 1992 war er als ordentlicher Professor für Ökologie und Bodenzoologie an der damaligen Landwirtschaftlichen Fakultät tätig. Erfasst sind in dieser Rubrik aktuelle Personalia, die der Redaktion in der Zeit bis Mitte September 2016 mitgeteilt wurden. Haben Sie auch Personalmeldungen für die kommende Ausgabe des Unimagazins? Dann schreiben Sie an: [email protected]. 49 50 sc hlussstüc k sc ient ia hal ensis 2 / 2016 Auf dem UniversitätsCampus Halle ist allerlei Erstaunliches, Spannendes und Seltsames zu finden. Die letzte Seite des Magazins ist den Mythen und Schätzen, Kuriositäten und Unikaten der Universität Halle gewidmet. (Foto: Olaf Christen) Abgefahren: Das Mondmobil auf dem Fel d Der Petersberg zeichnet sich einige Kilometer entfernt gut gegen das Blaugrau des Himmels ab. Die Felder in Merbitz sind saftig grün. Es ist Sommer. Genau genommen die Zeit, in der die Gerstenfelder wie weiche, grüne Teppiche wirken. Mittendrin hat es sich ein Border Collie gemütlich gemacht. Und dann kommt es: das Mondmobil. Die grüne Konstruktion auf vier Rädern wirkt sehr komplex. Mit Anglerhut und blauen Lärmschutzkopfhörern bewaffnet sitzt eine Mitarbeiterin der Agrarwissenschaften neben einem Bildschirm zu ihrer Linken und hält mit der rechten Hand konzentriert einen Joystick. Hinter ihr ragt der orange farbene Kran-Arm des AgRovers in die Luft und über das Feld. Das Herzstück des geländegängigen Forschungslabors sind die Kameras. Drei Stück, versteckt hinter schwarzen Decken. Die offenbar Computerspielerfahrene Mitarbeiterin steuert die Kameras mit Hilfe des Joysticks geschickt über die Gerstenpflanzen. Dabei registriert Kamera Nummer eins die Größe, Form und Farbe der Blätter. Eine zweite Kamera misst die Entfernung zu den Pflanzen und kann damit Aufschluss über die Höhe und das Wachstum der Gerstenpflanzen geben. Das wichtigste und neueste Messinstrument ist jedoch die Hyperspektralkamera. Infrarotstrahlen schießen aus ihr auf die Gerstenblätter und werden unvermittelt reflektiert – je nach Blattinhaltsstoff mehr oder weniger, schneller oder langsamer. In bisher nicht erreichter räumlicher, zeitlicher und mengenmäßiger Auflösung können damit das Wachstum und die Nährstoffanreicherung in den Pflanzen mit Eisen, Zink oder Stickstoff dargestellt werden – ohne sie zu beschädigen. Aber es werden nicht irgendwelche Gerstenpflanzen untersucht. Vielmehr hat Prof. Dr. Klaus Pillen für das Forschungsprojekt „Barley Diversity“ die Kulturpflanze mit der Wildgerste gekreuzt. 3.000 solcher Pflanzen wurden in diesem Sommer von Pillen, seinem Team und den Kameras des Mondmobils durchleuchtet. Die Forscher wollen herausfinden, ob der Einsatz dieser Messmethode und die Kreuzung der Gerste mit der Wildgerste eine Auswirkung auf die Leistungsfähigkeit der Pflanzenzüchtung und auf die landwirtschaftliche Produktion haben. Die Erntezeit ist jetzt vorbei, das Mondmobil macht Pause. Im Labor geht es nun dem Korn an die Schale. Dort sammelt die Hyperspektralkamera auch im Winter fleißig Daten, bis im April der AgRover in voller Ausstattung wieder seine Runden in Merbitz dreht. Sarah Huke Wohnen mit Perspektive schaftliche Ich bin eine genossen WG-BEWOHNERIN LISA (18): „Meine Mitbewohnerin und ich sind bereits in eine der neuen 2er WGWohnungen im Stadtzentrum von Halle eingezogen und nutzen viele Vorteile: die moderne Ausstattung und die Inklusiv-Nutzungsgebühr haben uns beide überzeugt. Jetzt genieße ich das Wohnen in der Genossenschaft, konzentriere mich auf mein Studium und vor allem auf mein neues selbstständiges Leben!“ > Inklusiv-Nutzungsgebühr: alle Nebenkosten wie Strom, Heizung und Wasser sind bereits enthalten > Moderne Einbauküche: mit Herd, Kühlschrank und Mikrowelle > Schnelles WLAN: bis zu 150 Mbit/s > Frisch sanierte Wohnung WEITERE INFOS & ANGEBOTE: Wohn- und Spargeschäft Große Steinstraße 8 | 06108 Halle > Nah an der Universität PERSÖNLICHER KONTAKT: [email protected] Telefon: (0345) 53 00 - 139 > Gute Verkehrsanbindung: mit Bus und Bahn schnell unterwegs & flexibel Angebote zzgl. Genossenschaftsanteilen! Pro Bewohner eigener Nutzungsvertrag, keine Kombination mit anderen Aktionsangeboten! www.frohe-zukunft.de HALBE MIETE! Von uns die Hälfte obendrauf. Während der Semesterferien zahlst Du nur den halben Mietpreis!* Alle Infos unter: Tel.: 0345 527-1065 www.hwgmbh.de * Die Aktion gilt nur für Neumieter, in ausgewählten Beständen und ist zeitlich befristet. Hallesche Wohnungsgesellschaft mbH, Hansering 19, 06108 Halle (Saale) Telefon: 0345 527-0 • E-Mail: [email protected] • www.hwgmbh.de
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