zukunft jetzt - Ausgabe 3/2016

AUSGABE 3.2016
www.deutsche-rentenversicherung.de
Das Magazin der Deutschen Rentenversicherung
Das Leben
meistern
Hilfen bei der Pflege nutzen
Pflege bei Demenz
Warum professioneller
Rat zu empfehlen ist
Rehabilitation
Wenn Pflegende selbst
eine Auszeit brauchen
Inhalt
Der Preis
des Alterns
Titelfoto: wdv/B. Rüttger; Fotos: Bildarchiv DRV Bund/Laurence Chaperon, wdv/O. Szekely
Die Pflege älterer Menschen ist eine der großen
Herausforderungen unserer Gesellschaft. Etwa
1,9 Millionen Menschen werden zu Hause von
Angehörigen gepflegt. Hunderttausende finden
Unterstützung in stationären oder teilstationären
Einrichtungen. Die Pflegenden übernehmen eine
große Verantwortung – oft neben ihrem Beruf.
Dafür gebührt ihnen unsere Anerkennung.
Die gesetzliche Rentenversicherung unterstützt
Pflegende – etwa bei der Begründung von Rentenanwartschaften oder durch eine Rehabilitation. Informationen dazu finden Sie in
dieser Ausgabe. So erklären wir zum
Beispiel, welche Rentenansprüche
Menschen für ihre Pflegetätigkeit
erwerben und welche Änderungen
sich ab 2017 ergeben. In einer
Reportage geben wir pflegenden
Angehörigen und den von ihnen
betreuten Menschen ein
Gesicht. Und wir zeigen, wie
wichtig eine Reha gerade auch
für Menschen sein kann, die
beruflich andere Menschen
pflegen.
Dr. Axel Reimann,
Präsident der Deutschen
Rentenversicherung Bund
LEBEN
4 Panorama: Mehr Rente
für Pflege
6 Fragen zur Pflege: Tipps für
Angehörige
8 Pflegealltag: Was Hilfe rund
um die Uhr bedeutet
13 Meine Zukunft: Eldin Hodzic
ist gern Altenpfleger
16 Dialog: Sophie Rosentreter im
Gespräch über Demenz
VOR ORT
20 Jubiläum: 125 Jahre im
Dienst der Versicherten
22 Interview: Die Vorstandsvorsitzenden zu Reformen und
Gesundheitsleistungen
VORSORGE
24 Pflege und Job: Möglichkeiten
für Beschäftigte
GESUNDHEIT
28 Rehabilitation: Auszeit von
der Altenpflege
32 Häusliche Pflege: Welche
Leistungen Sie nutzen können
34 zukunft NETZ
34 Impressum
Ausgabe 3.2016
zukunft jetzt 3
Leben
Mehr Rente für Pflege
Ab 2017 werden Rentenbeiträge für
pflegende Angehörige nach Pflegegrad
statt Pflegestufe gezahlt
Neuregelung ab 2017
ie häusliche Sorge um pflegebedürftige Menschen wird ab 2017
neu geordnet. Die bisherige Zuordnung Pflegebedürftiger zu einer von
drei Pflegestufen wird durch fünf Pflegegrade ersetzt (siehe Seiten 6/7). Das
wirkt sich auch auf die Rentenansprüche der Pflegenden aus.
Seit 1995 gibt es für die häusliche
Pflege „Bonuspunkte“ in der Rentenversicherung. Wer pflegebedürftige Menschen nicht erwerbsmäßig pflegt, bekommt von der Pflegekasse des oder der
D
4 zukunft jetzt
Gepflegten Rentenbeiträge gezahlt. Dazu muss man lediglich einen Fragebogen ausfüllen, den es bei der Pflegekasse
des Pflegebedürftigen gibt. Zudem gilt:
∏ Die Pflege muss insgesamt mindestens 14 Stunden wöchentlich umfassen.
∏ Die oder der Pflegende („Pflegeperson“) darf nicht mehr als 30 Stunden
pro Woche erwerbstätig sein.
Die Höhe der gezahlten Rentenbeiträge
richtet sich nach dem zeitlichen Pflegeumfang und der Pflegestufe.
Ab 1. Januar 2017 treten an die Stelle
von drei Pflegestufen fünf Pflegegrade.
Dabei werden pflegebedürftige Menschen
ohne erneuten Antrag und ohne erneute
Begutachtung automatisch in einen ihrer
Pflegebedürftigkeit entsprechenden Pflegegrad übergeleitet. Für den Rentenanspruch von Pflegenden („Pflegepersonen“)
bedeutet das: Häusliche Pflege steigert
künftig die Rente, wenn man einen oder
mehrere pflegebedürftige Menschen
nicht erwerbsmäßig pflegt (mindestens
Pflegegrad 2), und zwar
∏ insgesamt mindestens 10 Stunden
wöchentlich, verteilt auf regelmäßig
mindestens zwei Tage in der Woche,
∏ und nebenher nicht mehr als
30 Stunden pro Woche arbeitet.
Ausgabe 3.2016
Leben
AB 2017: PFLEGE-RENTE NACH NEUEN BERECHNUNGSREGELN
Der persönliche Rentenanspruch des
Pflegenden hängt neben dem Pflegegrad
des Pflegebedürftigen auch davon ab, ob
dieser Pflegesachleistungen, Kombinationsleistungen oder Pflegegeld erhält
(mehr dazu auf den Seiten 32/33). Zum
Vergleich: Ist der Pflegebedürftige künftig Pflegegrad 2 zugeordnet, ist der Rentenanspruch des Pflegenden meist etwas
niedriger als derzeit bei Pflegestufe I (in
die mehr als 60 Prozent der häuslich Gepflegten eingruppiert sind). Der Rentenanspruch bei Pflegegrad 3 entspricht etwa der bisherigen Pflegestufe II.
Außerdem gilt unter anderem: Wer
am 31.12.2016 einen Pflegebedürftigen
in der sogenannten Pflegestufe 0 im genannten zeitlichen Umfang pflegt, ist ab
1.1.2017 ebenfalls rentenversichert.
Illustration: R. Schöningh
∏ INFO
Weitere Informationen zur Neuregelung der Pflegebedarfsgrade
erhalten Sie bei Ihrer Kranken- oder
Pflegekassse und unter
dem QR-Code in einem
Erklärvideo.
Ausgabe 3.2016
Rentenanspruch nicht erwerbsmäßiger Pflegepersonen
(ab Januar 2017*)
Pflegegrad
Mindestpflegezeit je Woche
Monatliche Rente für
ein Jahr Pflege (in Euro)
(in Stunden, verteilt
auf mindestens zwei
Tage pro Woche)
* Rentenanspruch auf Basis
der Werte für das 2. Halbjahr 2016
West
Ost
1
–
–
2 a)
10
5,53*
5,18*
b)
10
6,72*
6,30*
c)
10
7,90*
7,41*
3 a)
10
8,81*
8,26*
b)
10
10,70*
10,03*
c)
10
12,58*
11,80*
4 a)
10
14,34*
13,44*
b)
10
17,41*
16,32*
c)
10
20,49*
19,20*
5 a)
10
20,49*
19,20*
b)
10
24,88*
23,32*
c)
10
29,27*
27,43*
–
a) wenn der Pflegebedürftige nur Pflegesachleistungen erhält
b) wenn der Pflegebedürftige Kombinationsleistungen erhält
c) wenn der Pflegebedürftige nur Pflegegeld erhält
Quelle: Deutsche Rentenversicherung
zukunft jetzt 5
Leben
4
Tipps für
den Start in
die Pflege
Wer einen Angehörigen
pflegt, hat vor allem am
Anfang jede Menge
Fragen. Hilfe gibt es bei
der Pflegekasse, im
Internet und auch bei
der Rentenversicherung. Hier ein Einblick
in einige Angebote.
6 zukunft jetzt
Pflegegrade
statt Pflegestufen
Aus drei mach fünf: Ab 2017 werden
Pflegebedürftige nicht länger in eine
von drei Pflegestufen, sondern in fünf
Pflegegrade eingruppiert. Die Einstufung richtet sich nicht mehr nach der
für die Pflege notwendigen Zeit, sondern danach, wie selbstständig ein
Mensch noch ist. Das wird in einem
„Begutachtungsassessment“ ermittelt. Dabei spielen auch geistige oder
psychische Einschränkungen eine
Rolle. Je nach der in sechs Bereichen
vergebenen Punktzahl ergeben sich
die Pflegegrade von 1 (geringe Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit
oder der Fähigkeiten) bis 5 (schwerste
Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten).
INFO: Erklärvideo zur Umstellung
auf Pflegegrade im E-Journal unter
https://z-j.link/1603pflegegrad
Pflegen – aber wie?
Wer plötzlich einen Angehörigen zu
Hause pflegen muss, steht oft vor der
Frage: Wie geht das? Wie lagere ich
einen Pflegebedürftigen, wasche,
reiche Essen und versorge ich ihn?
Antworten auf diese und viele andere
Fragen bieten Pflegekurse. Alle Pflegebeziehungsweise Krankenkassen
bieten ihren Versicherten kostenlos
solche Kurse an. Zu den Inhalten von
Basispflegekursen gehören Grundkenntnisse in der Pflege ebenso wie
spezielle Informationen zur persönlichen Pflegesituation. Darüber hinaus
schaffen die Kurse ein Forum, in dem
sich pflegende Angehörige mit anderen
in ähnlicher Situation
austauschen können.
Die Kassen bieten auch
Aufbaukurse zu besonderen Themen wie zum
Beispiel Demenz. Informationen gibt es auf
den Webseiten der Krankenkassen unter dem
Stichwort „Pflegekurse“.
Ausgabe 3.2016
Leben
Demenz-Infos im Internet
1,5 Millionen Menschen in Deutschland sind an Alzheimer oder anderen
Formen von Demenz erkrankt. Das
Bundesfamilienministerium will sie
und ihre Angehörigen mit dem Webangebot www.wegweiser-demenz.de
unterstützen. Das Angebot umfasst
Informationen von Expertinnen und
Experten für Betroffene ebenso wie
Weblogs, in denen Erkrankte ihre ganz
persönlichen Erfahrungen schildern.
Demenzkranke und Angehörige
sind ebenso eingeladen, ihre Erlebnisse zu teilen, wie ehrenamtliche
und professionelle Pflegekräfte.
Darüber hinaus bietet die Seite
Informationen und Hilfestellungen
von Tipps für Demenzkranke im
Frühstadium bis hin zur Pflege in
stationären Einrichtungen.
INFO: www.wegweiser-demenz.de
Fotos: stocksy/Davide Illini; wdv/B. Rüttger; wdv/J. Lauer; privat
Leistungen im Überblick
Sachleistungen oder Pflegegeld?
Ambulante, teilstationäre oder stationäre
Pflege? Urlaubsvertretung oder Kurzzeitpflege? Wer die Pflege eines Angehörigen
übernimmt, steht vor einer Vielzahl an
neuen Begriffen und hat jede Menge
Fragen. Einen ersten Überblick zu gesetzlichen Leistungen, Unterstützungs- und
Hilfsmöglichkeiten bietet der Ratgeber
„Pflegen zu Hause“ des Bundesgesundheitsministeriums. Die 132-seitige
Broschüre basiert auf dem 2016
gültigen Rechtsstand. Für 2017 ist eine
Neuauflage geplant, die die Änderungen
des ab dann gültigen zweiten PflegeINFO: www.bmg.bund.de
stärkungsgesetzes berücksichtigt.
Suchbegriff: Pflegen zu Hause
Ausgabe 3.2016
Hilfe für Pflegende
Karola Erhard
ist Pflegeberaterin
der Knappschaft
im Pflegestützpunkt
der Stadt Kassel.
¿Was ist die größte Sorge, wenn Angehörige mit der Pflege zu Hause beginnen?
Die Sorgen pflegender Angehöriger sind so
individuell und vielfältig wie die Lebenssituationen, in denen sie sich befinden. Eine
wichtige Frage, die in der Beratung beantwortet werden sollte, ist, ob ihre Lebenssituation es zulässt, die Pflege längerfristig
durchzuführen und welche Unterstützung
sie dafür benötigen.
¿Was leisten Pflegestützpunkte?
Pflegestützpunkte sind zentrale Anlaufstellen bei allen Fragen rund um die Pflege.
Menschen mit Unterstützungs- und Pflegebedarf sowie deren Angehörige erhalten
hier umfassende, trägerneutrale und kostenlose Information und Beratung auch dann,
wenn die Pflegesituation noch nicht eingetreten ist. Die Mitarbeiterinnen helfen unter
anderem bei der Beantragung von Leistungen und der Organisation beziehungsweise
Koordination der Versorgung. Wir beraten
telefonisch, persönlich im Pflegestützpunkt
oder im Rahmen eines Hausbesuchs.
¿Wie finde ich einen Stützpunkt in der Nähe?
Pflegestützpunkte gibt es in vielen Bundesländern. Allein in Hessen sind es inzwischen
25. Die Kontaktdaten des nächstgelegenen
Pflegestützpunktes bekommt man bei der
zuständigen Kranken- beziehungsweise
Pflegekasse, bei der Stadt- oder Gemeindeverwaltung sowie über Internetportale wie
www.bmg.bund.de oder www.zqp.de.
zukunft jetzt 7
Leben
Marita Warnke ist im Alltag die rechte Hand
ihrer Mutter Eva Lauwigi. Unterstützt wird
sie an drei Tagen der Woche durch die tagesambulante Pflege in der Diakonie.
8 zukunft jetzt
Ausgabe 3.2016
Leben
Hilfe rund um die Uhr
Der Pflegealltag verlangt Familienangehörigen viel ab.
Drei Beispiele aus dem Leben
iesen einen Tag, an dem sich
alles geändert hat, weil die
Mutter zum Pflegefall wurde,
gibt es im Leben von Marita Warnke
nicht. Mit der zuvor so agilen Eva
Lauwigi ging es eher schleichend,
aber stetig bergab – bis die heute 79Jährige nur noch im Bett lag und
nicht mehr aufstehen wollte. Immer
häufiger fuhr Warnke die 260 Kilometer von Kassel nach Köln, um den
Vater bei der Betreuung zu unterstützen. An Wochenenden, freien Tagen,
im Urlaub – ein Pendeln, das viel
Kraft gekostet hat.
Zusätzlich zum schweren Rheuma,
dem Herzschrittmacher und künstlichen Kniegelenken diagnostizierten
die Ärzte nun auch eine beginnende
Alzheimer-Erkrankung. Es war der
Anfang der Überforderung des Vaters, der mit der Situation nicht umgehen konnte. Einmal musste der
D
Ausgabe 3.2016
Notarzt gerufen werden. Er stellte eine Dehydrierung fest. Danach hat die
Tochter eine Pflegerin der AWO organisiert, die wöchentlich zur Kontrolle
vorbeikam und die Mutter bei der
Körperpflege unterstützte, die sie
„nicht mehr für nötig hielt“, wie es
Marita Warnke umschreibt.
Wer Eva Lauwigi heute trifft, sieht
auf den ersten Blick eine 79-Jährige,
die gut ins Bild einer alternden, aber
relativ fitten Gesellschaft passt. Der
zweite Blick zeigt die Welt, mit der
Marita Warnke hautnah konfrontiert
ist, seit der Vater an Weihnachten
mit 81 Jahren „urplötzlich gestorben
ist“. Dieser zweite Blick eröffnet eine
Ahnung davon, was es bedeutet,
häusliche Pflege mit dem eigenen
Leben zu kombinieren. Er zeigt auch
die Chancen, wenn ein Teil der Aufgaben an professionelle Helfer delegiert wird.
Marita Warnke hat diesen Mix gewählt. An drei Tagen in der Woche ist
Eva Lauwigi in der tagesambulanten
Pflege, in einem Betrieb der Diakonie. Um kurz nach 7 Uhr wird sie abgeholt, gegen halb sechs abends zurückgebracht. Ein paar Stunden zum
Durchschnaufen.
Mit ihrem Arbeitgeber hat die
56-jährige Universitätsangestellte ein
Arrangement: Von 7 bis 14 Uhr ist sie
im Prüfungsbüro vor Ort, die restlichen Stunden arbeitet sie zu Hause.
„Ich bin froh, dass es so ist, wie es
ist“, sagt sie. Froh über ihre Erholungspausen, froh über die Rückkehr
ihrer Mutter in ein soziales Leben.
Die Tage in der Ambulanz tun Mutter und Tochter gut. Aktivierung, Förderung von Kreativität und Bewegung in einer klaren Tagesstruktur
sind die Säulen des Konzepts der
diakonischen Einrichtung. Die meist
zukunft jetzt 9
Leben
jungen Betreuer bieten ein abwechslungsreiches Programm, ausgerichtet
auf die besonderen Bedürfnisse älterer Menschen speziell mit demenzieller Erkrankung. „Ich fühle mich dort
wohl“, sagt Eva Lauwigi. Für die
Tochter ist es genau die gewünschte
Unterstützung. Denn es bleibt genug
zu tun.
Um 4.30 Uhr klingelt bei Marita
Warnke der Wecker. „Sonst schaffe
ich das alles nicht“, sagt die 56-Jährige. Der Hund muss raus, der Haushalt
wartet, Alltagsbewältigung auf vielen
Ebenen. Die Tochter muss der Mutter
viel Hilfestellung geben, ist ihre rechte
Hand beim Waschen, Duschen, Haaremachen. Sie muss für zwei denken,
Arzttermine organisieren und koordinieren, die Medikamenteneinnahme
überwachen. An den Tagen ohne ambulanten Pflegedienst weckt sie die
Mutter um 9.30 Uhr per Telefon, am
späten Vormittag kommt dann eine
Freundin zum Frühstück und zur Unterhaltung der Mutter.
» Ich kann sie doch nicht allein lassen. «
Roland Peter
∏ HILFE FÜR PFLEGENDE ANGEHÖRIGE
Ein umfangreiches Beratungs- und Hilfsangebot soll dafür sorgen, das Pflegende vor Überforderung geschützt werden.
Beratung
Hilfe und Beratung in allen
Fragen rund um die Pflege gibt
es in bundesweit knapp 400
Pflegestützpunkten, die von
Gemeinden, Pflegekassen und
Hilfsorganisationen betrieben
werden. Eine Suchmöglichkeit im Internet bieten unter
anderen folgende Seiten:
www.pflegestützpunkteonline.de und www.zqp.de
Kurse
Pflegen will gelernt sein.
Dazu gibt es Pflegekurse,
zum Beispiel bei Pflegediensten oder in Altenpflege-
10 zukunft jetzt
schulen. Die Kosten übernimmt die Pflegekasse. Die
Kurse werden in Gruppen,
aber auch individuell zu
Hause angeboten. Informationen gibt es bei der Pflegekasse oder einem Pflegestützpunkt vor Ort.
Finanzielle Hilfe
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten der finanziellen
Unterstützung für Pflegebedürftige und Pflegende. Da
fällt es nicht leicht, den
Überblick zu wahren. Dabei
helfen Pflege- und Krankenkassen, aber auch das Ver-
sorgungsamt – wenn es zum
Beispiel um einen Schwerbehindertenausweis geht.
www.versorgungsaemter.de
Urlaub
Wer pflegt, braucht irgendwann auch mal eine Auszeit.
Einige Kranken- und Pflegekassen bieten Pflegenden
angesichts ihrer besonderen Belastung spezielle
Erholungs- und Urlaubsreisen in geeignete Einrichtungen an, bei denen Pflegebedürftige oder behinderte
Kinder teilweise auch fachkundig betreut werden.
Verhinderung
Auch Pflegende erkranken
oder brauchen Urlaub. Dann
greift die Verhinderungspflege. Unter bestimmten
Voraussetzungen finanziert
die Pflegekasse für bis zu
sechs Wochen im Jahr in solchen Zeiträumen eine
Ersatzpflegekraft – zu Hause
oder in einer Pflegeeinrichtung. Informationen dazu gibt
es bei der Pflegekasse oder
im Pflegestützpunkt vor Ort.
Weitere Informationen finden Sie auf
den Seiten 24-26 (Pflege und Job)
sowie auf den Seiten 32-33 (Geld und
fachliche Hilfe).
Ausgabe 3.2016
Leben
Roland Peter will rund
um die Uhr für seine Frau
da sein – so lange es geht.
So lange es geht
Roland Peter weiß seit zehn Jahren,
was auf seine Frau zukommt. Und
auf ihn. Die Erstdiagnose damals:
Posteriore kortikale Atrophie, so der
Fachausdruck für langsame Rückbildung des Gehirns. Gehirnzellen
sterben ab und sind nicht mehr aktivierbar. Es gibt keine Therapie, keine heilenden Medikamente. „Ein
langsamer Prozess, die Kurve zeigt
stetig nach unten“, sagt Roland Peter, der seine Frau Irmtraud Tag und
Nacht begleitet.
Im Sommer 2006 wurde plötzlich
alles anders. Seine „Irmi“, die doch
immer ein „Arbeitstier“ war, im Vorzimmer des Landrats und im Privatleben, wollte und konnte nicht mehr. Da
war sie 55, konnte nicht mehr
arbeiten, hatte Probleme beim Autofahren. Nichts ging mehr richtig von
der Hand und aus dem Kopf.
Der frühere Postler entscheidet
sich, in Altersteilzeit zu gehen. Seine
Frau brauchte ihn von Tag zu Tag
mehr, litt wie er am zunehmenden
Verfall, den sie beide nicht beeinflussen konnten. Roland Peter übernimmt die Pflege im Eigenheim in
Oberursel.
Ausgabe 3.2016
Ihre Stammplätze am Tisch und auf
dem Sofa sind wichtig für die letzte
Ordnung im Leben von Irmtraud Peter. Heute geht kaum noch etwas. Sehen, schreiben, lesen – nichts. Sie
sitzt fast nur noch, der Kopf hängt
nach unten, die Augen sind meist geschlossen. Nur die Finger sind unruhig, flattern nervös.
Der Fernseher ist die letzte Tür zur
Welt. Sie liebt den Sender, der ohne
Pause all die Stars der Heimatmusik
präsentiert. Da lächelt sie sofort,
summt mit und wippt ein wenig mit
den Füßen, die Hände wirken für
Momente weniger verkrampft. Das
TV-Gerät ist auch für ihren Mann der
Kontakt nach draußen. Er würde
sonst „durchdrehen“, bekennt der
67-Jährige. „Ich bin hier gefesselt“,
sagt er, aber niemals würde er sich
beklagen. Liebevoll führt er die zittrige Hand seiner Frau mit der Kaffeetasse zum Mund, reicht ihr Plätzchen.
Roland Peter macht alles, kocht,
putzt, räumt auf. Und ist Pfleger in
allen Lebenslagen. Bringt seine Frau
in Schwerstarbeit morgens die Treppe vom Schlafzimmer des Reihenhauses herunter, abends wieder hoch.
Anziehen, Duschen, Waschen, Betthil-
fe – was bei anderen teilweise der
Pflegedienst übernimmt, macht er allein. „Ich kann sie doch nicht allein
lassen“, sagt er.
„Wo biste denn?“, fragt sie schon
nach wenigen Minuten pausenlos,
wenn er mal im Haus unterwegs ist.
Die lichten Momente sind seltener geworden. Einfache Fragen, die einfache Antworten ermöglichen, das
schafft Irmtraud Peter noch. Manchmal gehen sie zur Eisdiele um die
Ecke, sie liegt schon am Rand des immer engeren Aktionsradius. Vor ein
paar Jahren waren sie zuletzt im geliebten Rheingau, vor vier Jahren
zum Urlaub in Füssen. Sie weiß es
nicht mehr.
An den „Tag X“ mag Roland Peter
nicht denken. Er weiß, dass er
kommt. Wenn nichts mehr ohne professionelle Pflege im Heim geht. Bis
dahin wird er rund um die Uhr für
seine Frau da sein.
zukunft jetzt online
Zwei weitere Beispiele für
häusliche Pflegesituationen finden
Sie im „zukunft jetzt“-E-Paper:
www.deutsche-rentenversicherung.de
zukunft jetzt 11
Leben
» Ich musste immer die Starke sein. «
Sibille Schiemann ist nach einem Hirnschaden durch Sauerstoffmangel auf Hilfe
angewiesen. Ihre Tochter Beate Grabow
kümmert sich neben ihrem Job um sie.
Aus Mutter wird Kind
Zeit zum Nachdenken hat Beate
Grabow nie gehabt. „Ich musste immer die Starke sein“, sagt sie. So einfach ist das. So schwer, wenn sich die
Verhältnisse plötzlich drehen. „Jetzt
bin ich die Mutti, sie ist das Kind.“ Es
klingt nüchtern-sachlich, wenn Beate Grabow das sagt. Die Mutter der
46-jährigen Berlinerin ist erst 62
Jahre alt, aber schon seit 14 Jahren
ein Pflegefall. Und die Tochter seit
dem Rollentausch ihre Pflegerin. Bis
sie selbst eine Therapie braucht. Arbeitsstellen hat sie verloren, Beziehungen sind gescheitert. Beate Grabow musste akzeptieren, auch ein eigenes Leben zu haben.
Es geht verloren, als die Mutter
kollabiert. Eigentlich ein leichter
Herzinfarkt, in Kombination mit einem epileptischen Anfall und weiteren Komplikationen wird daraus ein
12 zukunft jetzt
hypoxischer Hirnschaden. Ausgelöst
durch Sauerstoffmangel im Gehirn –
zu lange dauert die Reanimation. Bei
Sibille Schiemann sind mehrere
Hirnareale abgestorben, die Ärzte
geben ihr kaum Überlebenschancen.
Am 10. Tag erwacht sie aus dem Koma, erkennt die Tochter nicht. Alles
muss sie neu lernen.
Beate Grabow versucht, Arbeit, Alltag und Pflege unter einen Hut zu
bringen – eine der vielen Frauen, die
den größten Teil der Pflegelast in
Deutschland tragen. In neun von
zehn Fällen übernehmen Frauen die
Pflege im häuslichen Umfeld. 1,9 Millionen Menschen werden so betreut.
Bei Beate Grabow war das mehr
als ein bisschen Hilfe. Jeden Morgen
um 6 Uhr ist sie nach Berlin-Spandau
gefahren, um die Mutter fertig zu machen für den Tag in der ambulanten
Reha. Waschen, Anzieh- und Essenshilfe, das volle Programm morgens
und abends. Ihr Job bei einer Hausverwaltung wurde wegen der vielen
Ausfallzeiten gekündigt. Nach der
Reha hat sie die Pflege komplett übernommen. „Die Mama konnte doch
nicht alleine gelassen werden,
brauchte Hilfe bei allem.“
Sibille Schiemann wirkt alt mit
ihren 62 Jahren. Meist sitzt sie auf
ihrem Lieblingsplatz auf dem Sofa.
In der Wohnung darf nichts verändert werden, die Ordnung muss stimmen. Einiges ist zurückgekommen
im Laufe der Jahre, aber Feinmotorik
und Kurzeitgedächtnis funktionieren
nicht. Ein paar Meter mit dem Rollator
zur Toilette, das geht noch. Vor die
Haustür kommt sie nur mit Rollstuhl
und in Begleitung.
Seit ihrer Therapie hat Beate Grabow die Pflege der Mutter zum Teil
abgegeben und arbeitet wieder rund
30 Stunden als Arzthelferin. Für die
Pflege hat sie Hilfskräfte aus dem
Freundeskreis engagiert, rund fünf
Stunden täglich. Bezahlt werden sie
vom Pflegegeld, die Differenz übernimmt das Grundsicherungsamt.
Bleibt genug Pflegezeit für die
Tochter. Jedes Wochenende übernimmt sie, alle Feiertage und die freien Nachmittage. Den 24-StundenHandydienst ohnehin, und wenn mal
etwas schiefläuft, ist sie auch in der
Mittagspause da. „Alles muss straff
organisiert sein, ich muss mich kümmern, vom Einkaufen über die Personalplanung und Arztbesuche bis zur
Medikamentenversorgung.“ Höchstens fünf Tage am Stück hat sie in den
letzten zwölf Jahren zur Erholung an
der Ostsee verbracht.
Ausgabe 3.2016
Fotos: wdv/O. Szekely
Beate Grabow
Leben
Ohne Scheu
Eldin Hodzic ist Altenpfleger.
Für kein Geld der Welt würde
er seinen Job eintauschen.
iese Dankbarkeit und Freude
der Bewohner muss man selbst
erlebt haben.“ Wenn Eldin Hodzic von seinem Beruf erzählt, spürt
man: Da hat jemand seinen Traumjob
gefunden. Der 28-Jährige ist im
dritten Ausbildungsjahr zum Altenpfleger im Kaiserin-Friedrich-Haus
im hessischen Kronberg. Berührungsängste mit der Pflege hatte er
keine, Hodzics Großvater litt an
Demenz. „Zusammen mit meinem
Vater habe ich ihn bis zu seinem Tod
gepflegt. Anfangs konnte ich mir nicht
vorstellen, dass ich das schaffe. Und
habe dann gemerkt: Es geht doch.“ So
kam ihm die Idee, dass der Beruf des
Altenpflegers das Richtige für ihn
sein könnte.
Hodzic stammt aus Bosnien. Als
Jugendlicher lebte er eine Zeitlang in
Frankfurt am Main, die deutsche
Sprache beherrschte er also bereits.
Als er hörte, dass in Deutschland
Fotos: wdv/O. Szekely
D
Ausgabe 3.2016
Altenpfleger gesucht werden, überlegte er nicht lange. In der Kronberger Pflegeeinrichtung fühlte er sich
von Anfang an wohl. „Meine Kollegen haben mich sehr nett aufgenommen und für meine Familie und mich
sogar eine Wohnung organisiert.“
Seine Frau ist mit dem gemeinsamen
kleinen Sohn aus Bosnien nachgekommen. Auch sie plant, nach einem
Freiwilligen Sozialen Jahr eine Ausbildung zur Altenpflegerin zu machen.
Was macht Hodzic in seinem Job
am meisten Spaß? „Für Menschen
da zu sein, die meine Hilfe wirklich
benötigen. Das ist sehr erfüllend.“
Auch wenn der Beruf körperlich anstrengend ist – und der Tod ein ständiger Begleiter. Doch der Auszubildende hat gelernt, professionell damit umzugehen. „Es ist jedes Mal
traurig, wenn ein Bewohner stirbt.
Aber das ist der Lauf des Lebens.“
Ende des Jahres wird Hodzic seine
Ausbildung abschließen, einen Übernahmevertrag hat er bereits in der
Tasche. Langfristig kann er sich verschiedene Weiterbildungen vorstellen. „Wundmanager werden zum
Beispiel verstärkt gebraucht. Oder
ich übernehme irgendwann eine
Wohnbereichsleitung. Im Grunde bin
ich für alles offen.“
» Anfangs habe ich nicht geglaubt, dass ich das schaffe. Und
dann gemerkt: Es geht doch! «
Eldin Hodzic
zukunft jetzt 13
Leben
» Man sollte sich von
Anfang an Hilfe holen. «
Ängste abbauen
Sich Unterstützung bei der Demenzpflege
zu suchen, ist kein Zeichen von Schwäche
wei Frauen, ein gemeinsames
Ziel: die Ängste vor Demenz
abbauen. Seit dem Tod ihrer
Großmutter entwickelt die Ex-Moderatorin Sophie Rosentreter Hilfsmittel für Demenzkranke. In einem
Hamburger Café spricht sie mit Sonja
Schneider-Koch vom Diakonischen
Werk Hamburg über die Entlastung
von Angehörigen im Pflegealltag –
und eine Zukunft, in der Alte und
Junge ganz selbstverständlich zusammenleben.
Z
ZUR PERSON
Sonja Schneider-Koch (47)
ist Krankenschwester und
Juristin. Seit neun Jahren
arbeitet sie als Referentin für
Hospiz- und Palliativarbeit und
Referentin für ambulante
pflegerische Versorgung beim
Diakonischen Werk Hamburg.
16 zukunft jetzt
Frau Rosentreter, Ihre Filme und
Hilfsmittel für Demenzkranke sollen
helfen, der Krankheit „mit Leichtigkeit zu begegnen“. Wie kann das
funktionieren?
Rosentreter: Natürlich darf man Demenz nicht auf die leichte Schulter
nehmen. Trotzdem gibt es eine andere Seite. Und die kann unglaublich
bereichernd sein. Durch die Demenz
konzentriert man sich wieder auf das
Wesentliche, sie zwingt zur Entschleunigung. Deshalb sehe ich die
Krankheit als Chance für unsere Gesellschaft.
Sie haben Ihre Großmutter Ilse neun
Jahre lang bei ihrer Demenzerkrankung begleitet. Was hat das mit Ihnen
gemacht?
Rosentreter: Im Rückblick hat mein
Leben durch den Kontakt mit der Demenz mehr Tiefe bekommen. Damals
wurden meine Mutter und ich nach
der Diagnose aber allein gelassen.
Wir wussten im Grunde all die Zeit
nicht, was wir tun und haben bei der
Pflege vieles falsch gemacht.
Schneider-Koch: Das kann ich bestätigen. Unsere Pflegedienste versorgen
täglich zahlreiche Demenzerkrankte
zu Hause. Da sehen wir, wie viel Unwissenheit herrscht. Beispielsweise
hören wir von Angehörigen oft: „Mein
Mann möchte mich ärgern, er fragt
mich dreißigmal am Tag, was für ein
Datum wir heute haben“. Die Ehefrau
reagiert genervt, was der Mann spürt.
So entsteht eine aggressive Atmosphäre, die gar nicht beabsichtigt war.
Wie kann man als Angehöriger besser reagieren?
Schneider-Koch: Verbessern oder
Bloßstellen hilft nicht weiter. Stattdessen sollte man mit sehr viel
Geduld versuchen, sich in den anderen hineinzuversetzen. Das heißt,
Ausgabe 3.2016
Leben
» Durch den Kontakt
mit Demenz hat mein Leben
mehr Tiefe bekommen. «
gemeinsam andere Gesprächsthemen finden und versuchen, von der
ursprünglichen Frage abzulenken.
Rosentreter: Wenn wir das damals
gewusst hätten ... An ähnliche Situationen mit meiner Omi kann ich mich
auch erinnern. So oft haben wir zu
ihr gesagt: „Denk doch mal nach, wo
du den Schlüssel hingelegt hast“. Wir
wollten nicht wahrhaben, was da mit
ihr passiert und sie zurückholen. Das
war sehr schmerzhaft und kräftezehrend. Wir wollten alles alleine schaffen, schließlich war das unsere
Pflicht als Tochter und Enkelin. Hilfe
von außen zu holen wäre für uns ein
Zeichen von Schwäche gewesen.
Schneider-Koch: Und genau das ist
der Denkfehler vieler Pflegender. Die
Diagnose kommt und die Angehörigen sagen sich: „Das schaffen wir
schon“. Und am Anfang ist das auch
noch kein Thema, weil der Prozess
schleichend beginnt. Aber ständig da
zu sein – das geht nicht. Das schafft
man vielleicht ein Jahr und dann ist
man am Ende. Dann muss sofort eine
Veränderung stattfinden, beispielsweise eine stationäre Aufnahme. Und
das bedeutet für den Demenzerkrankten, dass plötzlich die Bezugspersonen wegbrechen.
Rosentreter: So war das auch bei
meiner Großmutter. Meine Mutter
hat sich sieben Jahre aufgeopfert.
Dann kam Omi plötzlich ins Heim.
Und wir haben uns schuldig gefühlt.
Schneider-Koch: Dabei ist der Umzug
in ein Heim oftmals der richtige
Schritt. Er sollte jedoch möglichst behutsam und planvoll geschehen.
Ausgabe 3.2016
Was empfehlen Sie konkret?
Schneider-Koch: Man sollte sich von
Anfang an Hilfe holen. Das ist kein
Eingeständnis von Unfähigkeit, sondern das einzig Richtige! Die Betreuung kann erst einmal ehrenamtlich,
später dann professionell sein, zum
Beispiel in Form von ambulanten
Pflegediensten. Vieles ist durch die
Pflegeversicherung gedeckt. Die Betreuungsperson verschafft den pflegenden Angehörigen Auszeiten und
kann beraten. So bleibt mehr Zeit für
die schönen Momente mit dem Partner oder dem Elternteil. Man darf nie
vergessen: Nur wenn es mir als Pflegendem gut geht, geht es auch dem
Demenzerkrankten gut.
Woran liegt es, dass sich Angehörige
so selten Hilfe holen?
Rosentreter: Es herrschen viele Vorurteile zu Demenz – Angehörige schämen sich, ziehen sich zurück. Viele
glauben, mit der Diagnose ist es vorbei, der Mensch hat keine Persönlichkeit mehr. Das ist natürlich Quatsch.
Man kann noch viele tolle Momente
miteinander erleben.
Hätten Sie einen Wunsch frei – wie
sollte die Gesellschaft mit Demenzerkrankungen künftig umgehen?
Schneider-Koch: Jeder von uns kennt
jemanden aus dem Bekanntenkreis,
der an Demenz erkrankt ist. Wir müssen anfangen, offen über die Krankheit zu sprechen, um Angehörigen und
Betroffenen zu zeigen: Ihr seid nicht
allein. Denn der größte Pflegedienst
in Deutschland sind die Angehörigen.
ZUR PERSON
Sophie Rosentreter (40)
war Model, MTV-Moderatorin
und Schauspielerin, dann Fernsehproduzentin. Seit dem Tod
ihrer Großmutter produziert sie
Filme und Hilfsmittel für
demenzkranke Menschen.
www.ilsesweitewelt.de
zukunft jetzt 17
Leben
Rosentreter: Es gibt schon viele großartige Projekte, die verschiedene Generationen miteinander verbinden. Ich
will Kommunen, Kindergärten kombiniert mit stationären Einrichtungen,
öffentliche Cafés in Pflegeheimen, um
einen Austausch zu ermöglichen. Nur
so können Hemmungen abgebaut
werden.
Sie beschäftigen sich beide tagtäglich
mit Demenz. Wie groß ist die Angst
davor, selbst zu erkranken?
Rosentreter: Wenn es so ist, dann ist
es so. Ich bin mir aber sicher, dass
ich viel Spaß haben werde. Demenziell Erkrankte erinnern sich gut an
die Zeit zwischen dem fünften und
25. Lebensjahr. Und da hatte ich verdammt viel Spaß (lacht). Ich weiß,
dass Menschen mich auf diesem Weg
begleiten werden und deshalb macht
mir die Vorstellung keine Angst.
Schneider-Koch: Mir geht es ähnlich.
Das Leben ist nicht planbar, meine
tägliche Arbeit macht mich da demütig. Sie zeigt mir aber auch, dass trotz
oder gerade wegen der Demenz das
Leben noch einmal eine andere Tonalität bekommen kann. Daher bin ich
für jeden Tag dankbar.
∏ UMGANG MIT DEMENZ – TIPPS FÜR DEN PFLEGEALLTAG
Gemeinsam Zeit verbringen
Menschen mit Demenz haben weiterhin ihre Hobbys und Interessen –
manchmal kommen noch neue dazu.
Durch Fotos, gemeinsame Ausflüge
und kleine Aufgaben hält man Interessen wach und gibt den Menschen
das Gefühl, gebraucht zu werden. Auf
keinen Fall sollte man in Übervorsorge verfallen.
Gespräche führen Manchmal haben
Betroffene Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden. Umso wichtiger
ist es, mit Geduld und Einfühlungsvermögen zu reagieren. Statt das Wissen
über eine bestimmte Person abzufragen („Schau mal, erkennst du ihn?“),
besser sagen: „Das ist Udo, dein
Sohn!“. Wenn Zusammenhänge von
Demenzerkrankten falsch eingeord-
18 zukunft jetzt
net werden, zum Beispiel die Jahreszeit verwechselt wird, sollte man die
Aussage nicht korrigieren, sondern auf
sie eingehen: „Du hast Recht, der
Sommer ist eine schöne Jahreszeit.“
Wohnung umgestalten Ab einem
bestimmten Zeitpunkt geht Demenzerkrankten die Fähigkeit zum abstrakten Denken verloren. Die Wohnung
sollte dann demenzfreundlicher
gestaltet werden. So wird Weiß auf
Weiß nicht mehr erkannt. Ein weißes
Waschbecken auf weißen Fliesen kann
zum Beispiel mit einem farbigen Band
hervorgehoben werden. Zu viele Reize
verwirren allerdings. Daher beispielsweise beim Essen den Tisch nicht mit
Dekoration überladen und Musik oder
einen laufenden Fernseher im Hintergrund vermeiden.
kompakt
Umfrage zur Altersvorsorge
Die Deutsche Rentenversicherung hat
gemeinsam mit dem Bundessozialministerium eine Studie in Auftrag
gegeben, um bessere Informationen
über die Altersvorsorge in Deutschland zu gewinnen. Bis zum Herbst
2016 werden etwa 10 000 Frauen und
Männer zwischen 40 und 60 Jahren
sowie gegebenenfalls deren Partnerinnen und Partner befragt. Mit ersten
Ergebnissen der Studie rechnet die
Rentenversicherung im Frühjahr 2018.
∏ www.lea-studie.de
Faltblatt für Geflüchtete
Weit mehr als eine Million Menschen
sind seit dem vergangenen Jahr nach
Deutschland geflüchtet. In einem
Faltblatt stellt sich die gesetzliche
Rentenversicherung diesen Menschen jetzt vor und gibt ihnen einen
kurzen Überblick über das System
der sozialen Sicherung in Deutschland. In deutscher, englischer und
arabischer Sprache ist der Flyer in
gedruckter Form und im Internet verfügbar, auf Farsi, Paschto, Tigrinya
und Urdu nur im Internet.
∏ http://bit.ly/1JK8dCh
Solaranlage und die Rente
Einnahmen aus dem Betrieb einer
Solaranlage werden auf eine schon
vor der Regelaltersgrenze gezahlte
Altersrente angerechnet. Sie können
dazu führen, dass bereits gezahlte
Renten zurückgezahlt werden müssen, wenn die Hinzuverdienstgrenze
von derzeit 450 Euro pro Monat überschritten wird. Das entschied das Sozialgericht Mainz (Az.: S 15 R 389/13).
Ausgabe 3.2016
Fotos: D. Theis
Für die beiden war nach
dem Gespräch klar: Es gibt
noch viel zu tun.
Vor Ort
Vorstandsvorsitzender Ludwin Debong begrüßte die Gäste in der modernen Eingangshalle der DRV Schwaben und dankte allen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
125 Jahre im Dienst der Versicherten
Die Rentenversicherung – unverzichtbar seit der Kaiserzeit
ls Geburtsstunde der Sozialversicherung in Deutschland gilt die
Kaiserliche Botschaft Wilhelms I. von
1881. Sie stellte für die Arbeiterklasse eine umfassende Sozialgesetzgebung in Aussicht, die im Jahr 1891
mit dem „Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung“
zum Abschluss gebracht wurde. Für
seine Ausführung wurde im Regierungsbezirk Schwaben und Neuburg
die Versicherungsanstalt für Schwaben und Neuburg zuständig. Sie
nahm vor 125 Jahren in Augsburg
die Arbeit auf, war viele Jahre unter
Landesversicherungsanstalt (LVA)
Schwaben bekannt und firmiert seit
2005 unter Deutsche Rentenversicherung Schwaben.
A
Festakt zum Jubiläum
Am 30. Juni 2016 begrüßte Ludwin
Debong, Vorstandsvorsitzender der
DRV Schwaben, in deren Hauptverwaltung Ehrengäste und Mitarbeiter
zur Jubiläumsfeier „125 Jahre Deutsche Rentenversicherung Schwa20 zukunft jetzt
ben“. Die Entwicklung von 1891 bis
heute machte er visuell am Ort des
Festaktes, der modernen Eingangshalle, fest. „Allein die Optik dieser
Halle symbolisiert schon, wo die LVA
(jetzt DRV) seit 1891 inzwischen
angekommen ist.“ Aus den ehemals
fünf Bediensteten der Anfangszeit
sind mittlerweile in der Hauptverwaltung und den vier Kliniken über
1 600 Mitarbeiter geworden. „Sie
alle haben über die Jahrzehnte hinweg vielfache Rechtsänderungen bis
hin zu großen Reformen gemeistert!“, lobte er ihre Arbeit. Auch hob
er mit Blick auf die vier eigenen
Reha-Kliniken den dort geleisteten
wertvollen Dienst an den Versicherten hervor. Sein Dank im Namen der
Selbstverwaltung richtete sich an
alle Beschäftigten und deren Vorgänger in der Hauptverwaltung und
in den vier Reha-Kliniken.
Grüße aus dem Ministerium
Johannes Hintersberger, Staatssekretär für Arbeit und Soziales, Familie und Integration, überbrachte
Glückwünsche der bayerischen
Staatsministerin Emilia Müller. Er
richtete den Blick auf 125 Jahre
Deutsche Rentenversicherung und
veranschaulichte die Anpassungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung beispielhaft an
den zwei Weltkriegen, der
Inflation der 1920er-Jahre
und der Wiedervereinigung. „125 Jahre gesetzliStaatssekretär Johannes
Hintersberger zeichnete
die Erfolgsgeschichte
der DRV Schwaben nach.
Ausgabe 3.2016
In Ihrer Nähe
Sprechtage vor Ort
che Rentenversicherung zeigen, sie
ist stabil“, so Johannes Hintersberger. In allen Krisen habe sich das
Rentensystem als verlässlich und
als eine unverzichtbare Absicherung präsentiert, die zum sozialen
Frieden in Deutschland beitrage. In
einem Rückblick würdigte der
Staatssekretär auch die Erfolgsgeschichte der DRV Schwaben: „Ihre
Tätigkeit reicht weit über Schwaben
hinaus. Als Verbindungsstelle zu
Italien, Malta, Marokko und Tunesien ist sie auch ein international
tätiger leistungsstarker Träger.“ Mit
eindrucksvollen Zahlen wie beispielsweise der Betreuung von rund
625 000 Rentnern und 800 000 Versicherten im In- und Ausland unterstrich er die Dimensionen.
Bedeutender Arbeitgeber
Auch Dr. Stefan Kiefer, Dritter Bürgermeister der Stadt Augsburg, zog
eine positive Bilanz. Mit über 1 000
Beschäftigten ist die DRV Schwaben
ein wichtiger Arbeitgeber für die
Stadt Augsburg und das Umland.
Als Sozialreferent der Stadt lag es
Dr. Kiefer besonders am Herzen,
den wertvollen Dienst der Rentenversicherung mit ihren Beschäftigten herauszustellen und seinen
Dank dafür auszusprechen.
Szenenspiel statt Festrede
Anstelle einer Festrede wurde der
Anlass in Form einer Theaterszene
gewürdigt. Florian Kreis vom Augsburger „Theater im Leben“ schilderte in einer eindrucksvollen Szene
die schweren Lebensbedingungen
einer Augsburger Arbeiterfamilie im
Jahr 1891 und führte den Gästen
vor Augen, wie notwendig die Einführung der Sozialversicherung und
mit ihr die Invaliden- und Altersversicherung war.
Die DRV Schwaben präsentiert sich
heute als moderne Sozialleistungsbehörde, die nicht nur stolz auf ihre
langjährige Geschichte zurückblickt,
sondern auch selbstbewusst den
Blick in die Zukunft richtet.
Fotos: Deutsche Rentenversicherung Schwaben
Wissen aus erster Hand
Die Deutsche Rentenversicherung
Schwaben bietet in ihrer Auskunfts- und Beratungsstelle in der
Dieselstraße 9, 86154 Augsburg,
kostenlose Vorträge an:
∏ Altersrenten –
Wer? Wann? Wie(viel)?
12.10.2016, 16.30 Uhr
∏ Jeder Monat zählt!
Bausteine für meine Rente
26.10.2016, 16.30 Uhr
∏ Arbeitslos?
Auswirkungen auf die Rente
09.11.2016, 16.30 Uhr
∏ Frauen und Rente:
Wie bin ich abgesichert?
30.11.2016, 16.30 Uhr
Ausgabe 3.2016
∏ Erwerbsgemindert oder
berufsunfähig – was wäre wenn?
07.12.2016, 16.30 Uhr
Interessenten werden gebeten,
sich wegen der begrenzten Teilnehmerzahl vorher anzumelden:
Deutsche Rentenversicherung
Schwaben
Auskunfts- und Beratungsstelle
Dieselstraße 9
86154 Augsburg
Telefon: 0821 500 - 6015
Telefax: 0821 500 - 6050
E-Mail: [email protected]
An folgenden Einzelterminen zum
Sprechtag vor Ort sind unsere Berater
für Sie da. Diese Sprechtage finden in
der Regel in den Räumen der jeweiligen
Stadt- bzw. Gemeindeverwaltung statt.
Sie dauern jeweils von 8.00 – 12.00 Uhr
und 13.20 – 16.00 Uhr, bei * nur vormittags. Ihre Terminwünsche nimmt das
zuständige Rathaus entgegen.
Altenstadt*
Bad Grönenbach
Bad Wörishofen
Bellenberg
Boos*
Buch
Buchloe*
Burgau
Buttenwiesen
Dinkelscherben*
Elchingen
Erkheim
Haldenwang
Harburg*
Ichenhausen
Kirchheim*
Kötz
Legau
Leipheim
Neuburg/Kammel
Oberstdorf
Offingen
Oettingen
Ottobeuren
Rain/Lech
Roggenburg
Schlachters*
Senden
Syrgenstein
Türkheim
Thannhausen
Vöhringen
Wemding
am
am
am
am
am
am
am
am
am
am
am
am
am
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am
am
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am
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am
am
am
am
am
am
am
am
am
am
am
am
am
am
am
21.10.2016
06.10.2016
27.10.2016
08.12.2016
19.10.2016
07.10.2016
11.10.2016
13.12.2016
23.09.2016
28.10.2016
18.11.2016
09.12.2016
18.10.2016
16.11.2016
14.10.2016
16.12.2016
28.11.2016
08.11.2016
20.10.2016
11.11.2016
21.09.2016
30.11.2016
14.10.2016
09.12.2016
11.10.2016
09.11.2016
24.10.2016
30.09.2016*
01.12.2016
22.11.2016
29.11.2016
29.09.2016
08.12.2016
24.11.2016
27.10.2016
15.12.2016
17.11.2016
21.10.2016
16.12.2016
19.10.2016
14.12.2016
18.10.2016
29.11.2016
03.11.2016
09.12.2016*
17.11.2016
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24.11.2016
21.09.2016
14.12.2016
Bitte vereinbaren Sie einen Termin,
um Wartezeiten zu vermeiden.
zukunft jetzt 21
Vor Ort
„Alterssicherung braucht Kontinuität“
Christian Amsinck und Cord Peter Lubinski, alternierende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Rentenversicherung Bund, über Reformen in der Rentenversicherung, ihre Gesundheits- und Beratungsleistungen.
? Momentan wird intensiv über die
Zukunft der Rentenversicherung diskutiert. Gibt es Reformbedarf?
Amsinck: Die Rentenversicherung ist
in guter Verfassung. Sie hat sich in
ihrer 125-jährigen Geschichte als
sehr leistungsfähig erwiesen – und
das auch in Krisenzeiten. Durch
zahlreiche Reformen seit 1992
wurde im Rentensystem auf die
demografischen Herausforderungen
reagiert. Das Drei-Säulen-Modell aus
gesetzlicher Rente, Riester-Rente
und Betriebsrente ist zukunftsfähig.
Die Rentenversicherung muss sich
22 zukunft jetzt
aber auch künftig immer wieder den
gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen. Vor Schnellschüssen kann
ich dabei aber nur warnen. Alterssicherung muss langfristig und verlässlich angelegt sein und braucht
Kontinuität. Man sollte sich daher
sorgfältig anschauen, ob und wo etwas verändert werden muss. Eine
aufgeregte Debatte ohne Berücksichtigung von Daten und Fakten hilft da
aus meiner Sicht nicht weiter.
? Im Zentrum der letzten Rentenreform standen die „Mütterrente“, die
„Rente ab 63“ und Verbesserungen
bei den Erwerbsminderungsrenten.
Wie viele Menschen profitieren davon?
Lubinski: Rund 9,5 Millionen Rentnerinnen kamen im zweiten Halbjahr 2014 in den Genuss der „Mütterrente“. Die Versicherten bekommen hier einen zusätzlichen persönlichen Entgeltpunkt angerechnet für
Kinder, die vor 1992 geboren wurden. Seit Juli 2014 gilt das auch für
alle Neurentner, durch ein zweites
Jahr an Kindererziehung je Kind,
das vor 1992 geboren wurde. Mit
der modifizierten Altersrente ab 63
Ausgabe 3.2016
Vor Ort
für besonders langjährig Versicherte
sind im zweiten Halbjahr 2014 und
im Jahr 2015 insgesamt rund
411 000 Versicherte in Rente gegangen. Von der Reform profitierten bis
Ende 2015 auch rund 158 000
Erwerbsminderungsrentenzugänge,
deren Rente mit Beginn ab Juli 2014
durch die Verlängerung der Zurechnungszeit aufgewertet wurde.
die elektronischen Kommunikationsmittel nutzen, um sich zu informieren und beraten zu lassen. Ausdrücklich hinweisen möchte ich in
diesem Zusammenhang auch
darauf, dass eine Beratung zu Fragen der Rentenversicherung auch
durch die Versichertenberater oder
Versichertenältesten in der Nachbarschaft möglich ist.
?
? Ein neues Angebot der Rentenver-
Die Rentenanpassung im Juli war
ungewöhnlich hoch. Was waren die
Gründe dafür und inwieweit kommt
diese Erhöhung bei den Rentnerinnen und Rentnern an?
Amsinck: Zum 1. Juli sind die Renten im Westen um 4,25 und im
Osten um 5,95 Prozent gestiegen. Es
ist das größte Plus seit 1994. Angesichts der geringen Inflation wird die
Erhöhung bei den Rentnern zu einer
deutlichen Einkommenssteigerung
führen. Das kräftige Rentenplus geht
auf zwei besondere Effekte zurück:
auf die deutlichen Lohnsteigerungen
und auf die Folgen einer Statistikrevision, die die Rentenanpassung
im letzten Jahr gedämpft hat und
jetzt wieder ausgeglichen wird.
Fotos: Laurence Chaperon
? Die Nachfrage nach Beratungsleistungen der Rentenversicherung
ist hoch. Lassen sich hier Trends
erkennen?
Lubinski: Die persönliche Beratung
der Versicherten und Rentner ist uns
sehr wichtig. Allein bei der Deutschen Rentenversicherung Bund
wurden 2015 über zwei Millionen
Anfragen beantwortet. Ein deutlicher Trend lässt sich bei den Anfragen per E-Mail erkennen. Hier gab
es 2015 mit fast 300 000 Anfragen
eine Steigerung von mehr als 25
Prozent gegenüber 2014. Das macht
deutlich, dass unsere Versicherten
und Rentner mehr und mehr auch
Ausgabe 3.2016
sicherung ist der Firmenservice. Was
bringt das den Unternehmen?
Amsinck: Beim Firmenservice kommen speziell geschulte Fachleute
der Deutschen Rentenversicherung
auf Anfrage in die Betriebe. Sie beraten und helfen dabei, die Beschäftigungsfähigkeit von Mitarbeitern zu
sichern und zu erreichen, dass sie
nicht vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden müssen. Ziel ist es,
die Gesundheit der Beschäftigten
präventiv und nachhaltig zu stärken. Das kommt Beschäftigten und
Arbeitgebern zugute. Daneben
erhalten die Firmen auf Wunsch
auch Informationen zu Themen wie
Rente, Sozialversicherungspflicht
und Beitragseinzug.
? Welche Ziele hat Prävention?
Lubinski: Viele Beschäftigte, die aus
gesundheitlichen Gründen vorzeitig
aus dem Erwerbsleben ausscheiden,
könnten noch arbeiten, wenn ihre
Probleme rechtzeitig erkannt würden. Mit einer Präventionsleistung
kann die Rentenversicherung frühzeitig gegensteuern, wenn erste gesundheitliche Probleme bestehen,
etwa bei Diabetes oder Bluthochdruck, bei Herz-Kreislauf-Beschwerden oder psychischen Beeinträchtigungen. Frühzeitig ansetzen und
langfristig zu einem gesünderen
Lebensstil kommen – das ist das Ziel
der Prävention.
? Aktuell wird über die RiesterRente intensiv diskutiert. Kommt die
Förderung auch bei Menschen mit
geringeren Einkommen an?
Amsinck: Ja. Das ist der Fall. Über
63 Prozent der Zulagenempfänger
hatten ein Einkommen von unter
30 000 Euro, fast 25 Prozent sogar
ein Einkommen von weniger als
10 000 Euro. Zum Vergleich: Das
Durchschnittseinkommen in der
Rentenversicherung betrug im Vergleichszeitraum 32 100 Euro.
Christian Amsinck (links) und Cord Peter Lubinski diskutieren
die Situation der gesetzlichen Rentenversicherung.
zukunft jetzt 23
Vorsorge
Eine große Herausforderung
für viele Beschäftigte: die
Pflege eines Angehörigen mit
dem Beruf zu vereinbaren.
Pflege und Job
Wie Beschäftigte Pflege und Beruf vereinbaren können
Wer einen Angehörigen pflegt, kann
eine Auszeit vom Job
nehmen. Welche
Möglichkeiten bestehen, hängt von der
Betriebsgröße ab.
24 zukunft jetzt
enn ein naher Angehöriger erstmals
oder verstärkt Pflege benötigt, haben
betroffene Arbeitnehmer das Recht,
bis zu zehn Arbeitstage von der Arbeit fernzubleiben – und zwar ohne Vorankündigung. Das
nennt sich „kurzzeitige Arbeitsverhinderung“.
Auf die Freistellung haben alle Arbeitnehmer –
auch Minijobber – ab dem ersten Tag ihrer Beschäftigung Anspruch.
Diese Möglichkeit auf Freistellung gibt es
schon seit 2008, allerdings zunächst – wie beim
unbezahlten Urlaub – ohne Lohnausgleich.
Jetzt wird dafür bezahlt, aber nicht vom Arbeit-
W
geber, sondern von der Pflegeversicherung des
Pflegebedürftigen. Sie ersetzt Beschäftigten, die
wegen der Pflegeorganisation kurzzeitig nicht
arbeiten können, auf Antrag rund 90 Prozent
ihres ausgefallenen Lohns. Die Leistung nennt
sich „Pflegeunterstützungsgeld“.
Kurzfristige Auszeit
Wer in einer akuten Pflegesituation die pflegebedingte kurze Auszeit in Anspruch nehmen
möchte, muss dies unverzüglich seinem Arbeitgeber mitteilen. Das sollte – ähnlich wie bei einer eigenen Krankmeldung – spätestens morAusgabe 3.2016
Vorsorge
Pflegende Arbeitnehmer: Worauf haben Sie Anspruch?
Kurzzeitige
pflegebedingte Arbeitsverhinderung
Pflegezeit
Familienpflegezeit
Ankündigungsfrist
keine
zehn Arbeitstage
acht Wochen
Gilt für welche Betriebe?
alle Betriebe
Betriebe mit mehr
als 15 Beschäftigten
Betriebe mit mehr als
25 Beschäftigten
(ohne Auszubildende)
Gilt für welche
Arbeitnehmer?
alle Arbeitnehmer, auch befristet Beschäftigte und Minijobber
Gilt für welche
Angehörigen?
Ehegatten, Lebenspartner, Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft, Großeltern,
Eltern, Geschwister, Kinder, Adoptiv- und Pflegekinder, Enkelkinder sowie Schwiegereltern, Schwiegerkinder, Stiefeltern, Schwäger und Schwägerinnen, gleichgeschlechtliche Partner, auch wenn keine eingetragene Lebenspartnerschaft besteht
Gilt für welche Grade
von Pflegebedürftigkeit?
„voraussichtliche Pflegebedürftigkeit" (nach ärztlicher Bescheinigung)
mindestens Pflegestufe I (nicht bei Pflegestufe 0);
ab 2017 gelten statt der bisher drei Pflegestufen dann
fünf Pflegegrade
Dauer
bis zu zehn Arbeitstage
bis zu sechs Monate
bis zu 24 Monate (einschließlich der Pflegezeit)
Arbeitszeit
Auszeit vom Job
wahlweise Auszeit
oder Teilzeit
nur Teilzeit mit
mindestens 15 Arbeitsstunden pro Woche
Finanzieller Ausgleich
Pflegeunterstützungsgeld
rückzahlbares zinsloses Darlehen, das den
Einkommensverzicht teilweise ausgleicht
Kündigungsschutz
ja, von der Ankündigung
bis zur Beendigung der
Arbeitsverhinderung
ja, von der Ankündigung
bis zur Beendigung der
Pflegezeit
gens bei Arbeitsbeginn telefonisch erfolgen. Dabei sollte man nicht nur
mitteilen, dass man eine Freistellung
nach Paragraf 2 des Pflegezeitgesetzes nehmen will, sondern auch, wie
viele Tage man der Arbeit fernbleiben möchte.
Der Arbeitgeber kann später eine
ärztliche Bescheinigung verlangen,
in der steht, dass der Angehörige
„voraussichtlich pflegebedürftig“ ist
und die Freistellung des Beschäftigten erforderlich ist, um die Pflege zu
Ausgabe 3.2016
organisieren. Der Arbeitgeber muss
die Bescheinigung nicht unbedingt
verlangen. Sie ist aber in jedem Fall
notwendig, um später von der Pflegekasse des Pflegebedürftigen das Pflegeunterstützungsgeld zu bekommen.
Pflege- und
Familienpflegezeit
Wenn Pflegebedürftige für längere
Zeit Hilfe brauchen, können pflegende Angehörige das oft nicht neben ihrem Job leisten. Dann gibt es für sie
ja, von der Ankündigung
bis zur Beendigung
der Familienpflegezeit
zwei Möglichkeiten: Für maximal
sechs Monate können sie „Pflegezeit“
nach Paragraf 3 des Pflegezeitgesetzes nehmen. Der nahe Angehörige
muss in häuslicher Umgebung gepflegt werden. Dieser Rechtsanspruch besteht aber nur für Arbeitnehmer aus Betrieben mit mehr als
15 Beschäftigten. Die Pflegezeit kann
wahlweise als Aus- oder Teilzeit genommen werden. Der ausfallende
Lohn kann teilweise durch ein staatliches Darlehen ersetzt werden.
zukunft jetzt 25
Vorsorge
Dieses Darlehen beantragen Angehörige direkt beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben.
Aber auch sechs Monate Pflegezeit
reichen in vielen Fällen nicht aus.
Darum gibt es zusätzlich noch den
Anspruch auf eine „Familienpflegezeit“. Dabei handelt es sich um eine
pflegebedingte Arbeitszeitreduzierung. Die Arbeitszeit muss mindestens 15 Stunden pro Woche betragen. Dieser Anspruch gilt nur für Beschäftigte aus Unternehmen mit
mehr als 25 Beschäftigten. Auszubildende zählen nicht mit.
Der Nettolohnverlust in beiden Varianten der Pflegezeit kann durch ein
zinsloses Darlehen teilweise ausgeglichen werden, das in Raten zurückgezahlt werden muss. Bei der Darlehenshöhe wird davon ausgegangen,
dass ein Beschäftigter 15 Stunden in
der Woche arbeitet. Das gilt auch
dann, wenn in der sechsmonatigen
Pflegezeit der Job ganz ruht.
Wichtig: Familienpflegezeit und
Pflegezeit dürfen zusammen maxi-
mal 24 Monate dauern. Anspruch
auf beide Varianten besteht nur,
wenn der Angehörige mindestens in
Pflegestufe I (ab 2017: Pflegegrad 1)
eingruppiert ist. 2017 erfolgt eine
Neueinstufung der Pflegebedürftigen
in fünf Pflegegrade. Wer bislang Pflegestufe „0“ hat, „rutscht“ dann automatisch in den neuen Pflegegrad 2.
Die Folge: Die Angehörigen haben
dann Anspruch auf Familienpflegezeit und Pflegezeit.
Unterschiedliche Fristen
Bei den beiden Formen der Pflegezeit
gelten unterschiedliche Ankündigungsfristen gegenüber dem Arbeitgeber. Dabei geht der Gesetzgeber offenbar davon aus, dass zunächst eine
Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz
genommen wird (als „Auszeit“). Dafür ist eine nur zehntägige Ankündigungsfrist gegenüber dem Arbeitgeber vorgesehen. Sie kann damit direkt an die zehntägige Auszeit für das
Krisenmanagement anschließen.
Für die Familienpflegezeit (also die
„Teilzeit-Lösung“) ist dagegen eine
achtwöchige Ankündigungsfrist vorgesehen. Bei direktem Anschluss an
eine vorhergehende „Pflegezeit“ gilt
sogar eine dreimonatige Ankündigungsfrist.
∏ WER ZÄHLT ALS NAHER ANGEHÖRIGER
Nur wer einen „nahen Angehörigen“ betreut, kann kurzfristig von der
Arbeit freigestellt werden oder die Pflege- beziehungsweise Familienpflegezeit beanspruchen. Zu nahen Angehörigen zählen nach dem Gesetz Ehegatten, Lebenspartner, Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft, Großeltern, Eltern, Geschwister, Kinder, Adoptiv- und Pflegekinder, Enkelkinder
sowie Schwiegereltern, Schwiegersöhne oder -töchter und auch Stiefeltern, Schwäger und Schwägerinnen sowie gleichgeschlechtliche Partner
(auch wenn keine eingetragene Lebenspartnerschaft besteht).
26 zukunft jetzt
∏ INFO
Pilotprojekt
in Hessen
Die Deutsche Rentenversicherung
Hessen ist eines von 80 Unternehmen,
das die „Charta zur Vereinbarkeit von
Pflege und Beruf in Hessen“ unterschrieben hat. Zusammen mit dem
hessischen Sozialministerium verpflichten sie sich, Beschäftigte bei der
Pflege von Angehörigen zu unterstützen. Birgit Büttner, Erste Direktorin
der Deutschen Rentenversicherung
Hessen, sagt: „Wir bekennen uns zu
den Pflegeaufgaben unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“
Es soll ein Arbeitsumfeld geschaffen
werden, in dem die Pflege von Angehörigen nicht länger als ein Tabu gilt.
Sie soll vielmehr als gesellschaftlich
wichtige Aufgabe geschätzt werden.
Die Betriebe verpflichten sich zu
einem „lösungsorientierten Umgang“
mit der individuellen Situation pflegender Angehöriger. Außerdem wollen
sie besser über gesetzliche Rahmenbedingungen und Möglichkeiten zur
Unterstützung informieren. Dazu Birgit Büttner: „Gefragt sind intelligente
Vereinbarkeitslösungen wie alternierende Telearbeit, flexible Arbeitszeitmodelle und individuelle Beratung.“
Mit der Charta wollen die Initiatoren
eine Basis schaffen, um betriebliche
Anforderungen und die Bedürfnisse
der Pflegenden zu vereinbaren. Damit
reagieren die beteiligten Unternehmen
auch auf die demografische Entwicklung, die sowohl eine steigende Zahl
an Pflegebedürftigen als auch einen
zunehmenden Mangel an qualifizierten
Arbeitskräften nach sich ziehe.
∏ INFO: www.pflege-in-hessen.de
Ausgabe 3.2016
Fotos: wdv/A. Schwander; wdv/J. Lauer
Welche Möglichkeiten
bestehen, hängt von der
Betriebsgröße ab.
Gesundheit
1
Ja zum „Nein“
Ulrike Baltrusch pflegt alte Menschen. In der Reha
steht sie zum ersten Mal selbst im Mittelpunkt.
Menschen,
die andere pflegen,
brauchen Unterstützung. Die finden
sie in der Reha.
28 zukunft jetzt
ufopfernd – dieses Wort passt gut, wenn
man die Tätigkeit von Altenpflegern oder
pflegenden Angehörigen beschreibt.
Ulrike Baltrusch ist seit über 20 Jahren Altenpflegerin. Das Wort „aufopfernd“ umschreibt
aber auch eine gefährliche Tendenz: Dass man
so lange für Patienten oder Angehörige da ist,
bis man selbst Hilfe benötigt. Überarbeitung,
emotionale Belastungen, Stress und die körperlichen Belastungen bei der Pflege können krank
machen.
Im Fall von Ulrike Baltrusch war es ihr
Hausarzt, der die Reißleine zog. Er empfahl:
„Machen Sie eine Reha!“ Baltrusch leidet an
Arthrose an Wirbelsäule und Hüfte, hat Schmerzen und das beklemmende Gefühl, einfach nicht
mehr zu können. Sie folgt dem Rat ihres Arztes
und fährt in die Hellbachtalklinik der Deutschen
Rentenversicherung Bund nach Mölln – einem
A
kleinen Backstein-Städtchen unweit von Lübeck. Kleine Seen reihen sich wie Perlen an
einer Schnur entlang der Stadtgrenze auf, Birken, Enten und Abstand. Das ist das, was sie
jetzt braucht. Mit 15 Jahren hat die heute
59-Jährige angefangen zu arbeiten, drei Kinder
alleine großgezogen. Die Belastungen haben
Spuren hinterlassen – emotional und physisch.
Körper und Psyche
„Etwa 25 bis 30 Prozent unserer Patienten
kommen aus Pflegeberufen. Auch der Anteil
der pflegenden Angehörigen wächst stark“, erzählt Chefarzt Dr. Christoph Nagel. Kein Wunder, denn die Gesellschaft altert, die Arbeitsverdichtung in der professionellen Altenpflege
ist enorm. Aber auch pflegende Angehörige
sind oft Schwerstarbeiter, viele gehen neben
der Pflege noch arbeiten. Folgerichtig setzt das
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Gesundheit
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3
1 Muskeltraining
Ulrike Baltrusch beim
Training im Schwimmbecken
2 3 Beweglichkeit
Funktionelles Training in
der Turnhalle
4 Entspannung
Manuelle Therapie
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Team der Hellbachtalklinik an zwei
Punkten an: Therapie der körperlichen Leiden gepaart mit psychologischer Beratung – das eine so wichtig
wie das andere.
So steht um 10.30 Uhr auf dem Behandlungsplan von Ulrike Baltrusch
das „Bewegungsbad“: Aus den Lautsprechern schallt laute Popmusik. In
Baltruschs Händen eine Schwimmhilfe. Die Übungen spielen mit dem Auftrieb der bunten Stange. Immer wieder muss sie unter die Oberfläche gedrückt werden oder Baltrusch auf ihr
balancieren.
Das Training im Wasser hat einen
einfachen Hintergrund, wie die leitende Physiotherapeutin Anja-Maria
Peth erklärt: „Die Patienten wiegen
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im Wasser nur ein Siebtel bis ein Achtel ihres Körpergewichts. Sie spüren
also ihr Gewicht kaum, da fällt Sport
leichter. Wir nutzen zudem den Widerstand des Wassers als Training für
die Muskulatur – und der Spaßfaktor
kommt nicht zu kurz.“
Schonhaltung überwinden
Nicht weniger anstrengend ist das
„funktionelle Training“: Hier sitzt
Baltrusch auf einem bunten Gymnastikball und kreist die schmerzende Hüfte. „Viele Übungen mit dem
Gymnastikball dienen der Kräftigung
der Muskeln und der Mobilisation“,
so Bewegungstherapeutin Petra
Lang. Das Problem vieler Patienten
ist eine zunächst hilfreiche „Schon-
haltung“: Um Schmerzen zu vermeiden, nehmen Patienten auf Dauer
ungünstige Haltungen an – sei es bei
der Umlagerung ihrer Patienten oder
dem Abstützen während eines Kleidungswechsels.
„Schonhaltungen
sind gefährlich, weil sie zu MuskelSehnen-Verkürzungen führen“, sagt
Petra Lang. Der Weg raus aus der
Schonhaltung verursacht oft zunächst Schmerzen – bietet aber keine
Alternative. Nur so bleibt der Körper
langfristig leistungsfähig.
Die richtige Haltung ist Schulungsinhalt von Kinästhetik-Einheiten:
Hier werden besonders effektive
rücken- und gelenkschonende Pflegehandgriffe erlernt. Etwa das richtige
Heben, das nicht aus der Beugung
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Gesundheit
»Wir haben zusammen einen
Stundenplan für die Verwirklichung
meiner Bedürfnisse geschrieben.«
Ulrike Baltrusch mit Psychologe Kai Ahlers
des Oberkörpers kommt. Teilnehmer
gehen stattdessen in die Knie und heben mit der Beinkraft Lasten nach
oben. Das entlastet den Rücken.
Wohlige Entspannung
Wer viel trainiert, darf auch entspannen – ein schwieriges Thema für
Ulrike Baltrusch. Mal den Alltag loszulassen, gelingt ihr selten, sagt
sie selbstkritisch. Physiotherapeutin
Corina Warstat schafft es, sie loszureißen. Sie hat „heilende Hände“,
schwärmt Baltrusch. Und tatsächlich
basiert die von Warstat angewendete
manuelle Therapie – vereinfacht ausgedrückt – auf Handauflegen. Ein
sanfter Druck hier, eine leichte Zugkraft dort und schon spürt Ulrike
Baltrusch Wärme in ihrem Bein aufsteigen oder ein wohliges Kribbeln.
„Egal, mit welchem Leiden meine
Patienten kommen, hier können alle
entspannen“, verspricht Warstat.
Gesunder Egoismus
Um die psychischen Leiden kümmert man sich in der Hellbachtalklinik auch: Patienten können Seminare zum Umgang mit Stress oder
Schmerzen, autogenes Training,
progressive
Muskelentspannung
sowie Gruppen- und Einzelgespräche besuchen. Häufiges Thema in
den Einzelgesprächen ist die Überlastung. Dann bringt Psychologe Kai
Ahlers den Patienten das „Neinsagen“ bei: „Das fällt vielen sehr
schwer, denn sie wollen ja helfen.
Oft haben Pflegende einen hohen
Anspruch an ihre Arbeit und wollen
niemanden im Stich lassen.“ Doch
Pflegende müssen auch an sich denken. „Das ist wichtig, um überhaupt
die Kraft zu haben, für andere da zu
sein“, sagt Ahlers.
Deswegen hat Ulrike Baltrusch mit
ihm einen Stundenplan entworfen.
Darin steht, was sie im Laufe einer
Woche für sich macht. Diese Zeiten
wird sie sich künftig nehmen. Und
was steht dick im Stundenplan?
„Schwimmen! Darauf freue ich
mich“, lacht Baltrusch. Und auf den
Job? „Trotz Stress: Ich bleibe in der
Altenpflege. Ich bin dafür geboren.“
zukunft jetzt online
Einen Film über die Hellbachtalklinik finden Sie im
E-Journal auf www.deutscherentenversicherung.de
¿Was sind die typischen Leiden
der Pflegenden?
Oft sind es Beschwerden im Bereich der
Wirbelsäule durch ungünstiges Tragen, Heben oder Transportieren. Häufig sind auch
Beschwerden im Schulter-Nacken-Bereich.
Jeder sechste bis siebte unserer Patienten
gibt zudem an, dass er durch die Pflege eines Angehörigen unter psychischen Belastungen leidet. Häufig klagen sie über soziale
Vereinsamung, weil kaum noch Besuch
kommt. Wir versuchen, die Patienten dann
sowohl körperlich aufzubauen als auch die
seelischen Belastungen aufzufangen.
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¿Ab wann ist der richtige Zeitpunkt
für einen Reha-Antrag?
Wenn der Pflegende innerlich spürt, dass
er so nicht mehr weiterarbeiten kann.
Ein typisches Symptom ist nächtliches
Grübeln. Wir erleben oft, dass RehaAnträge erst spät gestellt werden – etwa
weil Altenpfleger ihr Team oder Angehörige ihre Eltern nicht im Stich lassen wollen.
Dabei ist es besser, früher in Reha zu gehen, als zu warten, bis die Schmerzen
chronisch werden und so stark sind, dass
man sehr lange ausfällt oder vielleicht gar
nicht mehr pflegen kann.
Dr. Christoph Nagel,
Chefarzt der Hellbachtalklinik
des Rehazentrums Mölln,
will Pflegenden früher helfen.
Ausgabe 3.2016
Fotos: D. Theis
»Reha-Anträge werden oft zu spät gestellt«
Gesundheit
Geld und
fachliche Hilfe
Unterstützung bei der Pflege zu Hause
70 Prozent der Pflegebedürftigen leben zu Hause und
werden von Angehörigen
versorgt. Dabei gibt es Hilfen.
Die wichtigsten im Überblick.
Pflegegeld
Je nach Pflegestufe zahlt die Pflegekasse
zwischen 123 Euro und 728 Euro im
Monat an Pflegebedürftige. Diese geben
das Geld dann meist an diejenigen weiter, die sie daheim versorgen.
Um sicherzustellen, dass die alleinige
Pflege durch Angehörige nicht zu einer
Fehlversorgung führt, müssen Bezieher
von Pflegegeld sich einmal halbjährlich
(bei Pflegestufe III: einmal vierteljährlich) zu Hause von fachkundigen Pflegekräften „beraten“ lassen.
Das ist auch sinnvoll, um nützliche
Tipps für die Pflege zu bekommen. Die
Kosten dafür trägt die Pflegekasse. Wer
das Beratungsangebot nicht nutzt, dem
droht die Kürzung oder Streichung des
Pflegegelds.
Pflegesachleistungen
Statt Pflegegeld können Betroffene auch
Leistungen von ambulanten Pflegediensten in Anspruch nehmen. Der
Gesetzgeber spricht hier von Pflegesachleistungen. Dafür gibt es je nach
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Pflegestufe zwischen 231 Euro (bei Stufe 0) und 1 612 Euro (bei Stufe III), in
wenigen Härtefällen 1 995 Euro. Das
Geld wird nicht ausgezahlt, sondern
steht als Budget für Dienstleistungen
von Pflegefachkräften zur Verfügung –
etwa für Hilfen beim Aufstehen, der
Körperpflege, dem Essen und Trinken,
dem Gang zur Toilette oder der hauswirtschaftlichen Versorgung.
Die Pflegedienste rechnen zumeist
nach sogenannten Leistungskomplexen
ab. Zur „Ganzwaschung“ gehört zum
Beispiel neben dem Duschen oder Baden die Mund-, Haut-, Haar- und Nagelpflege, das Rasieren, An- und Auskleiden sowie die Vorbereitung und hinterher das Aufräumen. Die Preise für diese
Leistungen differieren sowohl regional
als auch nach Pflegediensten. Ein Preisvergleich lohnt sich. Anschriften von
Pflegediensten in der Nähe und Preisvergleichslisten gibt es bei den Pflegekassen.
Für eine ausreichende Rundum-Versorgung durch ambulante Dienste reichen die Pflegesachleistungen oft nicht.
Das gilt erst recht, wenn die Dienste
mehrmals am Tag kommen. Was die
Pflegekasse nicht übernimmt, müssen
Pflegebedürftige selbst zuzahlen. Bei finanzieller Bedürftigkeit springen die
Sozialämter mit „Hilfen zur Pflege“ ein.
Kombinationsleistungen
Geld- und Sachleistungen lassen sich
auch kombinieren. Ein Pflegebedürftiger kann montags bis freitags von einem
ambulanten Dienst und am Wochenende von Angehörigen versorgt werden.
Das Pflegegeld wird dann um den Anteil
gekürzt, der für die Sachleistung in Anspruch genommen wird.
Ein Beispiel: In Pflegestufe II beträgt
das monatliche Pflegegeld für Menschen
ohne Demenz 458 Euro und die häusliche Sachleistung 1 144 Euro. Werden
für die Hilfen ambulanter Dienste nur
800,80 Euro – also 70 Prozent des Sachleistungsetats – abgerufen, sind 30 Prozent nicht ausgeschöpft. Folglich können noch 30 Prozent des Pflegegeldes in
Anspruch genommen werden. Das sind
137,40 Euro.
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Gesundheit
kompakt
Mit Erster Hilfe Leben retten
Foto: wdv/J. Lauer
Tagespflege
Hier verbringen Pflegebedürftige einen
Teil des Tages in sogenannten teilstationären Pflegeeinrichtungen. Sie werden zum Beispiel morgens um 8.00
Uhr zur gewählten Tagespflege gebracht. Dort unternehmen sie etwas
zusammen mit anderen Menschen
(Spiele, Spaziergänge, Gymnastik etc.)
und werden dabei von Fachkräften
betreut und gepflegt. Nachmittags gegen 16.00 Uhr werden sie wieder
nach Hause gebracht oder abgeholt.
Tagespflege bietet Pflegebedürftigen
Abwechslung sowie Struktur für den
Tag und entlastet berufstätige Pflegepersonen. In einem Caritas-Altencentrum in Köln kostet ein Tag mit Verpflegung je nach Pflegestufe zwischen
75,05 und 80,21 Euro – dazu kommen
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noch 13 Euro, wenn ein Fahrdienst
die Gäste zu Hause abholt und zurückbringt. Die Pflegekasse übernimmt –
wie bei der häuslichen Pflege – zwischen 231 Euro (bei Pflegestufe 0) und
1 612 Euro (bei Pflegestufe III) im Monat für die Kosten der Tagespflege und
des Hol- und Bringdienstes. Für Verpflegungskosten müssen die Tagespflegegäste selbst aufkommen.
Seit 2015 gibt es die Leistungen der
Pflegeversicherung für die Tagespflege zusätzlich zu Pflegegeld oder Pflegesachleistungen. Ein Demenzkranker mit Pflegestufe II kann so zum
Beispiel monatlich zweimal Leistungen im Wert von je 1 298 Euro in Anspruch nehmen: für die Tagespflege
und für die Betreuung durch einen
Pflegedienst zu Hause.
Eine Situation, die bundesweit täglich
mehrfach eintritt: Ein Mensch bricht
mit einem Herzstillstand zusammen –
und eine Wiederbelebung ist notwendig. Doch statt Erste Hilfe zu leisten,
warten die Umstehenden oft nur auf
den Notarzt. Dabei ist in Deutschland
jedermann zu Erster Hilfe verpflichtet,
wenn ein anderer Mensch in Not gerät
und unverzügliche Hilfe lebensrettend
sein kann. Zudem steigt die Überlebenschance des Hilfebedürftigen erheblich, wenn Augenzeugen sofort
den Notarzt rufen und dann unverzüglich mit einer Herzdruckmassage
beginnen, um den lebenswichtigen
Blutkreislauf aufrechtzuerhalten.
Wie dies geht, zeigt die Internetseite
www.einlebenretten.de, eine Initiative der Deutschen Gesellschaft für
Anästhesiologie und Intensivmedizin
e.V., des Berufsverbands Deutscher
Anästhesisten e.V. und des Deutschen
Rats für Wiederbelebung.
Medikamente und Getränke
Wer morgens Medikamente nehmen
muss, sollte auf die Getränke achten,
mit denen er die Arznei zusammen
nimmt. Mit Milch oder Milchprodukten sollte man zum Beispiel keine
Osteoporosetabletten, Schilddrüsenhormone und bestimmte Antibiotika
einnehmen. Denn Kalzium verhindert,
dass die Wirkstoffe vom Körper richtig aufgenommen werden. Grapefruitsaft verstärkt dagegen die Wirkung
vieler Medikamente, was bei Betablockern, Schmerzmitteln und Antiallergika gefährlich werden kann.
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zukunft NETZ
Durchblick im Haushalt
Helfende Hände im Haushalt
wünschen sich viele, denn
Hausarbeit kann Zeit und
Nerven kosten. Gerade wenn
kleine Kinder zu versorgen
sind oder der Beruf viel abverlangt, ist daheim Unterstützung
gefragt. Minijobber können in vielen
Fällen einspringen und für Entlastung sorgen. Hinter diesen
sogenannten haushaltsnahen Dienstleistungen verbirgt
sich ein breites Angebot – von Babysitten bis Gartenarbeit.
Welche Arbeiten im Einzelnen dazu zählen, erklärt die
Minijob-Zentrale anschaulich in ihrem neuen InternetVideo. Wer schließlich professionelle Hilfe sucht, kann
sie per Klick online bei der Haushaltsjob-Börse der
Minijob-Zentrale finden.
www.youtube.com,
Suchbegriff: „Minijob-Zentrale Dienstleistungen“
Eine Frage der Dauer
In Zeiten von Niedrigzinsen erwägen viele Sparer, Geld in
eine Immobilie zu investieren. Zukünftige Häuslebauer oder
Wohnungskäufer führt der Weg in der Regel zur Bank, um die
Finanzierung zu klären. Zentral ist dabei die Frage der Zinsbindung: Auf den ersten Blick bedeutet eine längere Bindung
mehr Sicherheit – denn nur dann lässt sich fest kalkulieren.
Aber diese Sicherheit kostet grundsätzlich Geld in Form
höherer Zinsen. Die Entscheidung kann der Zinsbindungsrechner der Stiftung Warentest erleichtern. Er erlaubt einen
direkten Vergleich von zwei Darlehensvarianten mit unterschiedlichen Laufzeiten. Dabei spielt neben der Restschuld
speziell der Zinssatz der Anschlussfinanzierung eine wesentliche
Rolle: Der Rechner zeigt an,
wie hoch dieser Zinssatz ausfallen dürfte, damit Käufer mit
der kürzeren Zinsbindung
insgesamt günstiger fahren.
www.test.de, Suchbegriff:
„Rechner Zinsbindung“
Das Pflegestärkungsgesetz bringt
umfangreiche Änderungen mit
sich. Für Patienten und Angehörige
werfen sie zahlreiche Fragen auf:
Wer kann welche Leistungen erhalten
und wie funktioniert das? Wie werden
Patienten in die neuen fünf Pflegegrade eingestuft, die die früheren
drei Pflegestufen ersetzen? Was sind
Kurzzeit- und Verhinderungspflege
und wie lange können sie in Anspruch
genommen werden? Welche Betreuungs- und Entlastungsangebote gibt
es? Für Klarheit sorgen kurze Erklärvideos der „Praxisseiten Pflege“. In
der Filmreihe des Bundesgesundheitsministeriums erläutert NDRModeratorin Susann Kowatsch kurz
und prägnant wesentliche Begriffe
und Zusammenhänge.
www.youtube.com,
Suchbegriff: „Praxisseiten Pflege“
IMPRESSUM
Herausgeber: Deutsche Rentenversicherung Bund. Chefredakteur: Dr. Dirk von der Heide (Deutsche Rentenversicherung Bund,
Ruhrstraße 2, 10709 Berlin). Redaktion: Dr. Heiko Fiedler-Rauer, Christine Rütters (DRV Bund), Michael John, Natascha Krämer,
Dr. Michael Krause, Sabina Ptacnik, Stefan Thissen (wdv OHG). Redaktion der Seiten 20 und 21 „Vor Ort“: Ingrid Högel, Deutsche
Rentenversicherung Schwaben, Dieselstraße 9, 86154 Augsburg.
Verlag: wdv Gesellschaft für Medien & Kommunikation mbH & Co. OHG, HRA 3087 AG Bad Homburg, Dieselstraße 36, 63071 Offenbach,
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Merget, Susanne Weser; Anzeigen: Walter Piezonka. Es gilt Anzeigenpreisliste Nr. 10/2016. Vertrieb: Bernd Kremer. Abo-Service:
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zukunft jetzt erscheint quartalsweise im 11. Jahrgang. Nachdruck – auch auszugsweise – mit Genehmigung des Verlags.
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Ausgabe 3.2016
Fotos: wdv/G. Pfannmüller; wdv/J. Lauer; wdv/F. Blümler
Pflege bewegt