AUSGABE 3.2016 www.deutsche-rentenversicherung.de Das Magazin der Deutschen Rentenversicherung Das Leben meistern Hilfen bei der Pflege nutzen Pflege bei Demenz Warum professioneller Rat zu empfehlen ist Rehabilitation Wenn Pflegende selbst eine Auszeit brauchen Inhalt Der Preis des Alterns Titelfoto: wdv/B. Rüttger; Fotos: Bildarchiv DRV Bund/Laurence Chaperon, wdv/O. Szekely Die Pflege älterer Menschen ist eine der großen Herausforderungen unserer Gesellschaft. Etwa 1,9 Millionen Menschen werden zu Hause von Angehörigen gepflegt. Hunderttausende finden Unterstützung in stationären oder teilstationären Einrichtungen. Die Pflegenden übernehmen eine große Verantwortung – oft neben ihrem Beruf. Dafür gebührt ihnen unsere Anerkennung. Die gesetzliche Rentenversicherung unterstützt Pflegende – etwa bei der Begründung von Rentenanwartschaften oder durch eine Rehabilitation. Informationen dazu finden Sie in dieser Ausgabe. So erklären wir zum Beispiel, welche Rentenansprüche Menschen für ihre Pflegetätigkeit erwerben und welche Änderungen sich ab 2017 ergeben. In einer Reportage geben wir pflegenden Angehörigen und den von ihnen betreuten Menschen ein Gesicht. Und wir zeigen, wie wichtig eine Reha gerade auch für Menschen sein kann, die beruflich andere Menschen pflegen. Dr. Axel Reimann, Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund LEBEN 4 Panorama: Mehr Rente für Pflege 6 Fragen zur Pflege: Tipps für Angehörige 8 Pflegealltag: Was Hilfe rund um die Uhr bedeutet 13 Meine Zukunft: Eldin Hodzic ist gern Altenpfleger 16 Dialog: Sophie Rosentreter im Gespräch über Demenz VOR ORT 20 Jubiläum: 125 Jahre im Dienst der Versicherten 22 Interview: Die Vorstandsvorsitzenden zu Reformen und Gesundheitsleistungen VORSORGE 24 Pflege und Job: Möglichkeiten für Beschäftigte GESUNDHEIT 28 Rehabilitation: Auszeit von der Altenpflege 32 Häusliche Pflege: Welche Leistungen Sie nutzen können 34 zukunft NETZ 34 Impressum Ausgabe 3.2016 zukunft jetzt 3 Leben Mehr Rente für Pflege Ab 2017 werden Rentenbeiträge für pflegende Angehörige nach Pflegegrad statt Pflegestufe gezahlt Neuregelung ab 2017 ie häusliche Sorge um pflegebedürftige Menschen wird ab 2017 neu geordnet. Die bisherige Zuordnung Pflegebedürftiger zu einer von drei Pflegestufen wird durch fünf Pflegegrade ersetzt (siehe Seiten 6/7). Das wirkt sich auch auf die Rentenansprüche der Pflegenden aus. Seit 1995 gibt es für die häusliche Pflege „Bonuspunkte“ in der Rentenversicherung. Wer pflegebedürftige Menschen nicht erwerbsmäßig pflegt, bekommt von der Pflegekasse des oder der D 4 zukunft jetzt Gepflegten Rentenbeiträge gezahlt. Dazu muss man lediglich einen Fragebogen ausfüllen, den es bei der Pflegekasse des Pflegebedürftigen gibt. Zudem gilt: ∏ Die Pflege muss insgesamt mindestens 14 Stunden wöchentlich umfassen. ∏ Die oder der Pflegende („Pflegeperson“) darf nicht mehr als 30 Stunden pro Woche erwerbstätig sein. Die Höhe der gezahlten Rentenbeiträge richtet sich nach dem zeitlichen Pflegeumfang und der Pflegestufe. Ab 1. Januar 2017 treten an die Stelle von drei Pflegestufen fünf Pflegegrade. Dabei werden pflegebedürftige Menschen ohne erneuten Antrag und ohne erneute Begutachtung automatisch in einen ihrer Pflegebedürftigkeit entsprechenden Pflegegrad übergeleitet. Für den Rentenanspruch von Pflegenden („Pflegepersonen“) bedeutet das: Häusliche Pflege steigert künftig die Rente, wenn man einen oder mehrere pflegebedürftige Menschen nicht erwerbsmäßig pflegt (mindestens Pflegegrad 2), und zwar ∏ insgesamt mindestens 10 Stunden wöchentlich, verteilt auf regelmäßig mindestens zwei Tage in der Woche, ∏ und nebenher nicht mehr als 30 Stunden pro Woche arbeitet. Ausgabe 3.2016 Leben AB 2017: PFLEGE-RENTE NACH NEUEN BERECHNUNGSREGELN Der persönliche Rentenanspruch des Pflegenden hängt neben dem Pflegegrad des Pflegebedürftigen auch davon ab, ob dieser Pflegesachleistungen, Kombinationsleistungen oder Pflegegeld erhält (mehr dazu auf den Seiten 32/33). Zum Vergleich: Ist der Pflegebedürftige künftig Pflegegrad 2 zugeordnet, ist der Rentenanspruch des Pflegenden meist etwas niedriger als derzeit bei Pflegestufe I (in die mehr als 60 Prozent der häuslich Gepflegten eingruppiert sind). Der Rentenanspruch bei Pflegegrad 3 entspricht etwa der bisherigen Pflegestufe II. Außerdem gilt unter anderem: Wer am 31.12.2016 einen Pflegebedürftigen in der sogenannten Pflegestufe 0 im genannten zeitlichen Umfang pflegt, ist ab 1.1.2017 ebenfalls rentenversichert. Illustration: R. Schöningh ∏ INFO Weitere Informationen zur Neuregelung der Pflegebedarfsgrade erhalten Sie bei Ihrer Kranken- oder Pflegekassse und unter dem QR-Code in einem Erklärvideo. Ausgabe 3.2016 Rentenanspruch nicht erwerbsmäßiger Pflegepersonen (ab Januar 2017*) Pflegegrad Mindestpflegezeit je Woche Monatliche Rente für ein Jahr Pflege (in Euro) (in Stunden, verteilt auf mindestens zwei Tage pro Woche) * Rentenanspruch auf Basis der Werte für das 2. Halbjahr 2016 West Ost 1 – – 2 a) 10 5,53* 5,18* b) 10 6,72* 6,30* c) 10 7,90* 7,41* 3 a) 10 8,81* 8,26* b) 10 10,70* 10,03* c) 10 12,58* 11,80* 4 a) 10 14,34* 13,44* b) 10 17,41* 16,32* c) 10 20,49* 19,20* 5 a) 10 20,49* 19,20* b) 10 24,88* 23,32* c) 10 29,27* 27,43* – a) wenn der Pflegebedürftige nur Pflegesachleistungen erhält b) wenn der Pflegebedürftige Kombinationsleistungen erhält c) wenn der Pflegebedürftige nur Pflegegeld erhält Quelle: Deutsche Rentenversicherung zukunft jetzt 5 Leben 4 Tipps für den Start in die Pflege Wer einen Angehörigen pflegt, hat vor allem am Anfang jede Menge Fragen. Hilfe gibt es bei der Pflegekasse, im Internet und auch bei der Rentenversicherung. Hier ein Einblick in einige Angebote. 6 zukunft jetzt Pflegegrade statt Pflegestufen Aus drei mach fünf: Ab 2017 werden Pflegebedürftige nicht länger in eine von drei Pflegestufen, sondern in fünf Pflegegrade eingruppiert. Die Einstufung richtet sich nicht mehr nach der für die Pflege notwendigen Zeit, sondern danach, wie selbstständig ein Mensch noch ist. Das wird in einem „Begutachtungsassessment“ ermittelt. Dabei spielen auch geistige oder psychische Einschränkungen eine Rolle. Je nach der in sechs Bereichen vergebenen Punktzahl ergeben sich die Pflegegrade von 1 (geringe Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten) bis 5 (schwerste Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten). INFO: Erklärvideo zur Umstellung auf Pflegegrade im E-Journal unter https://z-j.link/1603pflegegrad Pflegen – aber wie? Wer plötzlich einen Angehörigen zu Hause pflegen muss, steht oft vor der Frage: Wie geht das? Wie lagere ich einen Pflegebedürftigen, wasche, reiche Essen und versorge ich ihn? Antworten auf diese und viele andere Fragen bieten Pflegekurse. Alle Pflegebeziehungsweise Krankenkassen bieten ihren Versicherten kostenlos solche Kurse an. Zu den Inhalten von Basispflegekursen gehören Grundkenntnisse in der Pflege ebenso wie spezielle Informationen zur persönlichen Pflegesituation. Darüber hinaus schaffen die Kurse ein Forum, in dem sich pflegende Angehörige mit anderen in ähnlicher Situation austauschen können. Die Kassen bieten auch Aufbaukurse zu besonderen Themen wie zum Beispiel Demenz. Informationen gibt es auf den Webseiten der Krankenkassen unter dem Stichwort „Pflegekurse“. Ausgabe 3.2016 Leben Demenz-Infos im Internet 1,5 Millionen Menschen in Deutschland sind an Alzheimer oder anderen Formen von Demenz erkrankt. Das Bundesfamilienministerium will sie und ihre Angehörigen mit dem Webangebot www.wegweiser-demenz.de unterstützen. Das Angebot umfasst Informationen von Expertinnen und Experten für Betroffene ebenso wie Weblogs, in denen Erkrankte ihre ganz persönlichen Erfahrungen schildern. Demenzkranke und Angehörige sind ebenso eingeladen, ihre Erlebnisse zu teilen, wie ehrenamtliche und professionelle Pflegekräfte. Darüber hinaus bietet die Seite Informationen und Hilfestellungen von Tipps für Demenzkranke im Frühstadium bis hin zur Pflege in stationären Einrichtungen. INFO: www.wegweiser-demenz.de Fotos: stocksy/Davide Illini; wdv/B. Rüttger; wdv/J. Lauer; privat Leistungen im Überblick Sachleistungen oder Pflegegeld? Ambulante, teilstationäre oder stationäre Pflege? Urlaubsvertretung oder Kurzzeitpflege? Wer die Pflege eines Angehörigen übernimmt, steht vor einer Vielzahl an neuen Begriffen und hat jede Menge Fragen. Einen ersten Überblick zu gesetzlichen Leistungen, Unterstützungs- und Hilfsmöglichkeiten bietet der Ratgeber „Pflegen zu Hause“ des Bundesgesundheitsministeriums. Die 132-seitige Broschüre basiert auf dem 2016 gültigen Rechtsstand. Für 2017 ist eine Neuauflage geplant, die die Änderungen des ab dann gültigen zweiten PflegeINFO: www.bmg.bund.de stärkungsgesetzes berücksichtigt. Suchbegriff: Pflegen zu Hause Ausgabe 3.2016 Hilfe für Pflegende Karola Erhard ist Pflegeberaterin der Knappschaft im Pflegestützpunkt der Stadt Kassel. ¿Was ist die größte Sorge, wenn Angehörige mit der Pflege zu Hause beginnen? Die Sorgen pflegender Angehöriger sind so individuell und vielfältig wie die Lebenssituationen, in denen sie sich befinden. Eine wichtige Frage, die in der Beratung beantwortet werden sollte, ist, ob ihre Lebenssituation es zulässt, die Pflege längerfristig durchzuführen und welche Unterstützung sie dafür benötigen. ¿Was leisten Pflegestützpunkte? Pflegestützpunkte sind zentrale Anlaufstellen bei allen Fragen rund um die Pflege. Menschen mit Unterstützungs- und Pflegebedarf sowie deren Angehörige erhalten hier umfassende, trägerneutrale und kostenlose Information und Beratung auch dann, wenn die Pflegesituation noch nicht eingetreten ist. Die Mitarbeiterinnen helfen unter anderem bei der Beantragung von Leistungen und der Organisation beziehungsweise Koordination der Versorgung. Wir beraten telefonisch, persönlich im Pflegestützpunkt oder im Rahmen eines Hausbesuchs. ¿Wie finde ich einen Stützpunkt in der Nähe? Pflegestützpunkte gibt es in vielen Bundesländern. Allein in Hessen sind es inzwischen 25. Die Kontaktdaten des nächstgelegenen Pflegestützpunktes bekommt man bei der zuständigen Kranken- beziehungsweise Pflegekasse, bei der Stadt- oder Gemeindeverwaltung sowie über Internetportale wie www.bmg.bund.de oder www.zqp.de. zukunft jetzt 7 Leben Marita Warnke ist im Alltag die rechte Hand ihrer Mutter Eva Lauwigi. Unterstützt wird sie an drei Tagen der Woche durch die tagesambulante Pflege in der Diakonie. 8 zukunft jetzt Ausgabe 3.2016 Leben Hilfe rund um die Uhr Der Pflegealltag verlangt Familienangehörigen viel ab. Drei Beispiele aus dem Leben iesen einen Tag, an dem sich alles geändert hat, weil die Mutter zum Pflegefall wurde, gibt es im Leben von Marita Warnke nicht. Mit der zuvor so agilen Eva Lauwigi ging es eher schleichend, aber stetig bergab – bis die heute 79Jährige nur noch im Bett lag und nicht mehr aufstehen wollte. Immer häufiger fuhr Warnke die 260 Kilometer von Kassel nach Köln, um den Vater bei der Betreuung zu unterstützen. An Wochenenden, freien Tagen, im Urlaub – ein Pendeln, das viel Kraft gekostet hat. Zusätzlich zum schweren Rheuma, dem Herzschrittmacher und künstlichen Kniegelenken diagnostizierten die Ärzte nun auch eine beginnende Alzheimer-Erkrankung. Es war der Anfang der Überforderung des Vaters, der mit der Situation nicht umgehen konnte. Einmal musste der D Ausgabe 3.2016 Notarzt gerufen werden. Er stellte eine Dehydrierung fest. Danach hat die Tochter eine Pflegerin der AWO organisiert, die wöchentlich zur Kontrolle vorbeikam und die Mutter bei der Körperpflege unterstützte, die sie „nicht mehr für nötig hielt“, wie es Marita Warnke umschreibt. Wer Eva Lauwigi heute trifft, sieht auf den ersten Blick eine 79-Jährige, die gut ins Bild einer alternden, aber relativ fitten Gesellschaft passt. Der zweite Blick zeigt die Welt, mit der Marita Warnke hautnah konfrontiert ist, seit der Vater an Weihnachten mit 81 Jahren „urplötzlich gestorben ist“. Dieser zweite Blick eröffnet eine Ahnung davon, was es bedeutet, häusliche Pflege mit dem eigenen Leben zu kombinieren. Er zeigt auch die Chancen, wenn ein Teil der Aufgaben an professionelle Helfer delegiert wird. Marita Warnke hat diesen Mix gewählt. An drei Tagen in der Woche ist Eva Lauwigi in der tagesambulanten Pflege, in einem Betrieb der Diakonie. Um kurz nach 7 Uhr wird sie abgeholt, gegen halb sechs abends zurückgebracht. Ein paar Stunden zum Durchschnaufen. Mit ihrem Arbeitgeber hat die 56-jährige Universitätsangestellte ein Arrangement: Von 7 bis 14 Uhr ist sie im Prüfungsbüro vor Ort, die restlichen Stunden arbeitet sie zu Hause. „Ich bin froh, dass es so ist, wie es ist“, sagt sie. Froh über ihre Erholungspausen, froh über die Rückkehr ihrer Mutter in ein soziales Leben. Die Tage in der Ambulanz tun Mutter und Tochter gut. Aktivierung, Förderung von Kreativität und Bewegung in einer klaren Tagesstruktur sind die Säulen des Konzepts der diakonischen Einrichtung. Die meist zukunft jetzt 9 Leben jungen Betreuer bieten ein abwechslungsreiches Programm, ausgerichtet auf die besonderen Bedürfnisse älterer Menschen speziell mit demenzieller Erkrankung. „Ich fühle mich dort wohl“, sagt Eva Lauwigi. Für die Tochter ist es genau die gewünschte Unterstützung. Denn es bleibt genug zu tun. Um 4.30 Uhr klingelt bei Marita Warnke der Wecker. „Sonst schaffe ich das alles nicht“, sagt die 56-Jährige. Der Hund muss raus, der Haushalt wartet, Alltagsbewältigung auf vielen Ebenen. Die Tochter muss der Mutter viel Hilfestellung geben, ist ihre rechte Hand beim Waschen, Duschen, Haaremachen. Sie muss für zwei denken, Arzttermine organisieren und koordinieren, die Medikamenteneinnahme überwachen. An den Tagen ohne ambulanten Pflegedienst weckt sie die Mutter um 9.30 Uhr per Telefon, am späten Vormittag kommt dann eine Freundin zum Frühstück und zur Unterhaltung der Mutter. » Ich kann sie doch nicht allein lassen. « Roland Peter ∏ HILFE FÜR PFLEGENDE ANGEHÖRIGE Ein umfangreiches Beratungs- und Hilfsangebot soll dafür sorgen, das Pflegende vor Überforderung geschützt werden. Beratung Hilfe und Beratung in allen Fragen rund um die Pflege gibt es in bundesweit knapp 400 Pflegestützpunkten, die von Gemeinden, Pflegekassen und Hilfsorganisationen betrieben werden. Eine Suchmöglichkeit im Internet bieten unter anderen folgende Seiten: www.pflegestützpunkteonline.de und www.zqp.de Kurse Pflegen will gelernt sein. Dazu gibt es Pflegekurse, zum Beispiel bei Pflegediensten oder in Altenpflege- 10 zukunft jetzt schulen. Die Kosten übernimmt die Pflegekasse. Die Kurse werden in Gruppen, aber auch individuell zu Hause angeboten. Informationen gibt es bei der Pflegekasse oder einem Pflegestützpunkt vor Ort. Finanzielle Hilfe Es gibt zahlreiche Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung für Pflegebedürftige und Pflegende. Da fällt es nicht leicht, den Überblick zu wahren. Dabei helfen Pflege- und Krankenkassen, aber auch das Ver- sorgungsamt – wenn es zum Beispiel um einen Schwerbehindertenausweis geht. www.versorgungsaemter.de Urlaub Wer pflegt, braucht irgendwann auch mal eine Auszeit. Einige Kranken- und Pflegekassen bieten Pflegenden angesichts ihrer besonderen Belastung spezielle Erholungs- und Urlaubsreisen in geeignete Einrichtungen an, bei denen Pflegebedürftige oder behinderte Kinder teilweise auch fachkundig betreut werden. Verhinderung Auch Pflegende erkranken oder brauchen Urlaub. Dann greift die Verhinderungspflege. Unter bestimmten Voraussetzungen finanziert die Pflegekasse für bis zu sechs Wochen im Jahr in solchen Zeiträumen eine Ersatzpflegekraft – zu Hause oder in einer Pflegeeinrichtung. Informationen dazu gibt es bei der Pflegekasse oder im Pflegestützpunkt vor Ort. Weitere Informationen finden Sie auf den Seiten 24-26 (Pflege und Job) sowie auf den Seiten 32-33 (Geld und fachliche Hilfe). Ausgabe 3.2016 Leben Roland Peter will rund um die Uhr für seine Frau da sein – so lange es geht. So lange es geht Roland Peter weiß seit zehn Jahren, was auf seine Frau zukommt. Und auf ihn. Die Erstdiagnose damals: Posteriore kortikale Atrophie, so der Fachausdruck für langsame Rückbildung des Gehirns. Gehirnzellen sterben ab und sind nicht mehr aktivierbar. Es gibt keine Therapie, keine heilenden Medikamente. „Ein langsamer Prozess, die Kurve zeigt stetig nach unten“, sagt Roland Peter, der seine Frau Irmtraud Tag und Nacht begleitet. Im Sommer 2006 wurde plötzlich alles anders. Seine „Irmi“, die doch immer ein „Arbeitstier“ war, im Vorzimmer des Landrats und im Privatleben, wollte und konnte nicht mehr. Da war sie 55, konnte nicht mehr arbeiten, hatte Probleme beim Autofahren. Nichts ging mehr richtig von der Hand und aus dem Kopf. Der frühere Postler entscheidet sich, in Altersteilzeit zu gehen. Seine Frau brauchte ihn von Tag zu Tag mehr, litt wie er am zunehmenden Verfall, den sie beide nicht beeinflussen konnten. Roland Peter übernimmt die Pflege im Eigenheim in Oberursel. Ausgabe 3.2016 Ihre Stammplätze am Tisch und auf dem Sofa sind wichtig für die letzte Ordnung im Leben von Irmtraud Peter. Heute geht kaum noch etwas. Sehen, schreiben, lesen – nichts. Sie sitzt fast nur noch, der Kopf hängt nach unten, die Augen sind meist geschlossen. Nur die Finger sind unruhig, flattern nervös. Der Fernseher ist die letzte Tür zur Welt. Sie liebt den Sender, der ohne Pause all die Stars der Heimatmusik präsentiert. Da lächelt sie sofort, summt mit und wippt ein wenig mit den Füßen, die Hände wirken für Momente weniger verkrampft. Das TV-Gerät ist auch für ihren Mann der Kontakt nach draußen. Er würde sonst „durchdrehen“, bekennt der 67-Jährige. „Ich bin hier gefesselt“, sagt er, aber niemals würde er sich beklagen. Liebevoll führt er die zittrige Hand seiner Frau mit der Kaffeetasse zum Mund, reicht ihr Plätzchen. Roland Peter macht alles, kocht, putzt, räumt auf. Und ist Pfleger in allen Lebenslagen. Bringt seine Frau in Schwerstarbeit morgens die Treppe vom Schlafzimmer des Reihenhauses herunter, abends wieder hoch. Anziehen, Duschen, Waschen, Betthil- fe – was bei anderen teilweise der Pflegedienst übernimmt, macht er allein. „Ich kann sie doch nicht allein lassen“, sagt er. „Wo biste denn?“, fragt sie schon nach wenigen Minuten pausenlos, wenn er mal im Haus unterwegs ist. Die lichten Momente sind seltener geworden. Einfache Fragen, die einfache Antworten ermöglichen, das schafft Irmtraud Peter noch. Manchmal gehen sie zur Eisdiele um die Ecke, sie liegt schon am Rand des immer engeren Aktionsradius. Vor ein paar Jahren waren sie zuletzt im geliebten Rheingau, vor vier Jahren zum Urlaub in Füssen. Sie weiß es nicht mehr. An den „Tag X“ mag Roland Peter nicht denken. Er weiß, dass er kommt. Wenn nichts mehr ohne professionelle Pflege im Heim geht. Bis dahin wird er rund um die Uhr für seine Frau da sein. zukunft jetzt online Zwei weitere Beispiele für häusliche Pflegesituationen finden Sie im „zukunft jetzt“-E-Paper: www.deutsche-rentenversicherung.de zukunft jetzt 11 Leben » Ich musste immer die Starke sein. « Sibille Schiemann ist nach einem Hirnschaden durch Sauerstoffmangel auf Hilfe angewiesen. Ihre Tochter Beate Grabow kümmert sich neben ihrem Job um sie. Aus Mutter wird Kind Zeit zum Nachdenken hat Beate Grabow nie gehabt. „Ich musste immer die Starke sein“, sagt sie. So einfach ist das. So schwer, wenn sich die Verhältnisse plötzlich drehen. „Jetzt bin ich die Mutti, sie ist das Kind.“ Es klingt nüchtern-sachlich, wenn Beate Grabow das sagt. Die Mutter der 46-jährigen Berlinerin ist erst 62 Jahre alt, aber schon seit 14 Jahren ein Pflegefall. Und die Tochter seit dem Rollentausch ihre Pflegerin. Bis sie selbst eine Therapie braucht. Arbeitsstellen hat sie verloren, Beziehungen sind gescheitert. Beate Grabow musste akzeptieren, auch ein eigenes Leben zu haben. Es geht verloren, als die Mutter kollabiert. Eigentlich ein leichter Herzinfarkt, in Kombination mit einem epileptischen Anfall und weiteren Komplikationen wird daraus ein 12 zukunft jetzt hypoxischer Hirnschaden. Ausgelöst durch Sauerstoffmangel im Gehirn – zu lange dauert die Reanimation. Bei Sibille Schiemann sind mehrere Hirnareale abgestorben, die Ärzte geben ihr kaum Überlebenschancen. Am 10. Tag erwacht sie aus dem Koma, erkennt die Tochter nicht. Alles muss sie neu lernen. Beate Grabow versucht, Arbeit, Alltag und Pflege unter einen Hut zu bringen – eine der vielen Frauen, die den größten Teil der Pflegelast in Deutschland tragen. In neun von zehn Fällen übernehmen Frauen die Pflege im häuslichen Umfeld. 1,9 Millionen Menschen werden so betreut. Bei Beate Grabow war das mehr als ein bisschen Hilfe. Jeden Morgen um 6 Uhr ist sie nach Berlin-Spandau gefahren, um die Mutter fertig zu machen für den Tag in der ambulanten Reha. Waschen, Anzieh- und Essenshilfe, das volle Programm morgens und abends. Ihr Job bei einer Hausverwaltung wurde wegen der vielen Ausfallzeiten gekündigt. Nach der Reha hat sie die Pflege komplett übernommen. „Die Mama konnte doch nicht alleine gelassen werden, brauchte Hilfe bei allem.“ Sibille Schiemann wirkt alt mit ihren 62 Jahren. Meist sitzt sie auf ihrem Lieblingsplatz auf dem Sofa. In der Wohnung darf nichts verändert werden, die Ordnung muss stimmen. Einiges ist zurückgekommen im Laufe der Jahre, aber Feinmotorik und Kurzeitgedächtnis funktionieren nicht. Ein paar Meter mit dem Rollator zur Toilette, das geht noch. Vor die Haustür kommt sie nur mit Rollstuhl und in Begleitung. Seit ihrer Therapie hat Beate Grabow die Pflege der Mutter zum Teil abgegeben und arbeitet wieder rund 30 Stunden als Arzthelferin. Für die Pflege hat sie Hilfskräfte aus dem Freundeskreis engagiert, rund fünf Stunden täglich. Bezahlt werden sie vom Pflegegeld, die Differenz übernimmt das Grundsicherungsamt. Bleibt genug Pflegezeit für die Tochter. Jedes Wochenende übernimmt sie, alle Feiertage und die freien Nachmittage. Den 24-StundenHandydienst ohnehin, und wenn mal etwas schiefläuft, ist sie auch in der Mittagspause da. „Alles muss straff organisiert sein, ich muss mich kümmern, vom Einkaufen über die Personalplanung und Arztbesuche bis zur Medikamentenversorgung.“ Höchstens fünf Tage am Stück hat sie in den letzten zwölf Jahren zur Erholung an der Ostsee verbracht. Ausgabe 3.2016 Fotos: wdv/O. Szekely Beate Grabow Leben Ohne Scheu Eldin Hodzic ist Altenpfleger. Für kein Geld der Welt würde er seinen Job eintauschen. iese Dankbarkeit und Freude der Bewohner muss man selbst erlebt haben.“ Wenn Eldin Hodzic von seinem Beruf erzählt, spürt man: Da hat jemand seinen Traumjob gefunden. Der 28-Jährige ist im dritten Ausbildungsjahr zum Altenpfleger im Kaiserin-Friedrich-Haus im hessischen Kronberg. Berührungsängste mit der Pflege hatte er keine, Hodzics Großvater litt an Demenz. „Zusammen mit meinem Vater habe ich ihn bis zu seinem Tod gepflegt. Anfangs konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich das schaffe. Und habe dann gemerkt: Es geht doch.“ So kam ihm die Idee, dass der Beruf des Altenpflegers das Richtige für ihn sein könnte. Hodzic stammt aus Bosnien. Als Jugendlicher lebte er eine Zeitlang in Frankfurt am Main, die deutsche Sprache beherrschte er also bereits. Als er hörte, dass in Deutschland Fotos: wdv/O. Szekely D Ausgabe 3.2016 Altenpfleger gesucht werden, überlegte er nicht lange. In der Kronberger Pflegeeinrichtung fühlte er sich von Anfang an wohl. „Meine Kollegen haben mich sehr nett aufgenommen und für meine Familie und mich sogar eine Wohnung organisiert.“ Seine Frau ist mit dem gemeinsamen kleinen Sohn aus Bosnien nachgekommen. Auch sie plant, nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr eine Ausbildung zur Altenpflegerin zu machen. Was macht Hodzic in seinem Job am meisten Spaß? „Für Menschen da zu sein, die meine Hilfe wirklich benötigen. Das ist sehr erfüllend.“ Auch wenn der Beruf körperlich anstrengend ist – und der Tod ein ständiger Begleiter. Doch der Auszubildende hat gelernt, professionell damit umzugehen. „Es ist jedes Mal traurig, wenn ein Bewohner stirbt. Aber das ist der Lauf des Lebens.“ Ende des Jahres wird Hodzic seine Ausbildung abschließen, einen Übernahmevertrag hat er bereits in der Tasche. Langfristig kann er sich verschiedene Weiterbildungen vorstellen. „Wundmanager werden zum Beispiel verstärkt gebraucht. Oder ich übernehme irgendwann eine Wohnbereichsleitung. Im Grunde bin ich für alles offen.“ » Anfangs habe ich nicht geglaubt, dass ich das schaffe. Und dann gemerkt: Es geht doch! « Eldin Hodzic zukunft jetzt 13 Leben » Man sollte sich von Anfang an Hilfe holen. « Ängste abbauen Sich Unterstützung bei der Demenzpflege zu suchen, ist kein Zeichen von Schwäche wei Frauen, ein gemeinsames Ziel: die Ängste vor Demenz abbauen. Seit dem Tod ihrer Großmutter entwickelt die Ex-Moderatorin Sophie Rosentreter Hilfsmittel für Demenzkranke. In einem Hamburger Café spricht sie mit Sonja Schneider-Koch vom Diakonischen Werk Hamburg über die Entlastung von Angehörigen im Pflegealltag – und eine Zukunft, in der Alte und Junge ganz selbstverständlich zusammenleben. Z ZUR PERSON Sonja Schneider-Koch (47) ist Krankenschwester und Juristin. Seit neun Jahren arbeitet sie als Referentin für Hospiz- und Palliativarbeit und Referentin für ambulante pflegerische Versorgung beim Diakonischen Werk Hamburg. 16 zukunft jetzt Frau Rosentreter, Ihre Filme und Hilfsmittel für Demenzkranke sollen helfen, der Krankheit „mit Leichtigkeit zu begegnen“. Wie kann das funktionieren? Rosentreter: Natürlich darf man Demenz nicht auf die leichte Schulter nehmen. Trotzdem gibt es eine andere Seite. Und die kann unglaublich bereichernd sein. Durch die Demenz konzentriert man sich wieder auf das Wesentliche, sie zwingt zur Entschleunigung. Deshalb sehe ich die Krankheit als Chance für unsere Gesellschaft. Sie haben Ihre Großmutter Ilse neun Jahre lang bei ihrer Demenzerkrankung begleitet. Was hat das mit Ihnen gemacht? Rosentreter: Im Rückblick hat mein Leben durch den Kontakt mit der Demenz mehr Tiefe bekommen. Damals wurden meine Mutter und ich nach der Diagnose aber allein gelassen. Wir wussten im Grunde all die Zeit nicht, was wir tun und haben bei der Pflege vieles falsch gemacht. Schneider-Koch: Das kann ich bestätigen. Unsere Pflegedienste versorgen täglich zahlreiche Demenzerkrankte zu Hause. Da sehen wir, wie viel Unwissenheit herrscht. Beispielsweise hören wir von Angehörigen oft: „Mein Mann möchte mich ärgern, er fragt mich dreißigmal am Tag, was für ein Datum wir heute haben“. Die Ehefrau reagiert genervt, was der Mann spürt. So entsteht eine aggressive Atmosphäre, die gar nicht beabsichtigt war. Wie kann man als Angehöriger besser reagieren? Schneider-Koch: Verbessern oder Bloßstellen hilft nicht weiter. Stattdessen sollte man mit sehr viel Geduld versuchen, sich in den anderen hineinzuversetzen. Das heißt, Ausgabe 3.2016 Leben » Durch den Kontakt mit Demenz hat mein Leben mehr Tiefe bekommen. « gemeinsam andere Gesprächsthemen finden und versuchen, von der ursprünglichen Frage abzulenken. Rosentreter: Wenn wir das damals gewusst hätten ... An ähnliche Situationen mit meiner Omi kann ich mich auch erinnern. So oft haben wir zu ihr gesagt: „Denk doch mal nach, wo du den Schlüssel hingelegt hast“. Wir wollten nicht wahrhaben, was da mit ihr passiert und sie zurückholen. Das war sehr schmerzhaft und kräftezehrend. Wir wollten alles alleine schaffen, schließlich war das unsere Pflicht als Tochter und Enkelin. Hilfe von außen zu holen wäre für uns ein Zeichen von Schwäche gewesen. Schneider-Koch: Und genau das ist der Denkfehler vieler Pflegender. Die Diagnose kommt und die Angehörigen sagen sich: „Das schaffen wir schon“. Und am Anfang ist das auch noch kein Thema, weil der Prozess schleichend beginnt. Aber ständig da zu sein – das geht nicht. Das schafft man vielleicht ein Jahr und dann ist man am Ende. Dann muss sofort eine Veränderung stattfinden, beispielsweise eine stationäre Aufnahme. Und das bedeutet für den Demenzerkrankten, dass plötzlich die Bezugspersonen wegbrechen. Rosentreter: So war das auch bei meiner Großmutter. Meine Mutter hat sich sieben Jahre aufgeopfert. Dann kam Omi plötzlich ins Heim. Und wir haben uns schuldig gefühlt. Schneider-Koch: Dabei ist der Umzug in ein Heim oftmals der richtige Schritt. Er sollte jedoch möglichst behutsam und planvoll geschehen. Ausgabe 3.2016 Was empfehlen Sie konkret? Schneider-Koch: Man sollte sich von Anfang an Hilfe holen. Das ist kein Eingeständnis von Unfähigkeit, sondern das einzig Richtige! Die Betreuung kann erst einmal ehrenamtlich, später dann professionell sein, zum Beispiel in Form von ambulanten Pflegediensten. Vieles ist durch die Pflegeversicherung gedeckt. Die Betreuungsperson verschafft den pflegenden Angehörigen Auszeiten und kann beraten. So bleibt mehr Zeit für die schönen Momente mit dem Partner oder dem Elternteil. Man darf nie vergessen: Nur wenn es mir als Pflegendem gut geht, geht es auch dem Demenzerkrankten gut. Woran liegt es, dass sich Angehörige so selten Hilfe holen? Rosentreter: Es herrschen viele Vorurteile zu Demenz – Angehörige schämen sich, ziehen sich zurück. Viele glauben, mit der Diagnose ist es vorbei, der Mensch hat keine Persönlichkeit mehr. Das ist natürlich Quatsch. Man kann noch viele tolle Momente miteinander erleben. Hätten Sie einen Wunsch frei – wie sollte die Gesellschaft mit Demenzerkrankungen künftig umgehen? Schneider-Koch: Jeder von uns kennt jemanden aus dem Bekanntenkreis, der an Demenz erkrankt ist. Wir müssen anfangen, offen über die Krankheit zu sprechen, um Angehörigen und Betroffenen zu zeigen: Ihr seid nicht allein. Denn der größte Pflegedienst in Deutschland sind die Angehörigen. ZUR PERSON Sophie Rosentreter (40) war Model, MTV-Moderatorin und Schauspielerin, dann Fernsehproduzentin. Seit dem Tod ihrer Großmutter produziert sie Filme und Hilfsmittel für demenzkranke Menschen. www.ilsesweitewelt.de zukunft jetzt 17 Leben Rosentreter: Es gibt schon viele großartige Projekte, die verschiedene Generationen miteinander verbinden. Ich will Kommunen, Kindergärten kombiniert mit stationären Einrichtungen, öffentliche Cafés in Pflegeheimen, um einen Austausch zu ermöglichen. Nur so können Hemmungen abgebaut werden. Sie beschäftigen sich beide tagtäglich mit Demenz. Wie groß ist die Angst davor, selbst zu erkranken? Rosentreter: Wenn es so ist, dann ist es so. Ich bin mir aber sicher, dass ich viel Spaß haben werde. Demenziell Erkrankte erinnern sich gut an die Zeit zwischen dem fünften und 25. Lebensjahr. Und da hatte ich verdammt viel Spaß (lacht). Ich weiß, dass Menschen mich auf diesem Weg begleiten werden und deshalb macht mir die Vorstellung keine Angst. Schneider-Koch: Mir geht es ähnlich. Das Leben ist nicht planbar, meine tägliche Arbeit macht mich da demütig. Sie zeigt mir aber auch, dass trotz oder gerade wegen der Demenz das Leben noch einmal eine andere Tonalität bekommen kann. Daher bin ich für jeden Tag dankbar. ∏ UMGANG MIT DEMENZ – TIPPS FÜR DEN PFLEGEALLTAG Gemeinsam Zeit verbringen Menschen mit Demenz haben weiterhin ihre Hobbys und Interessen – manchmal kommen noch neue dazu. Durch Fotos, gemeinsame Ausflüge und kleine Aufgaben hält man Interessen wach und gibt den Menschen das Gefühl, gebraucht zu werden. Auf keinen Fall sollte man in Übervorsorge verfallen. Gespräche führen Manchmal haben Betroffene Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden. Umso wichtiger ist es, mit Geduld und Einfühlungsvermögen zu reagieren. Statt das Wissen über eine bestimmte Person abzufragen („Schau mal, erkennst du ihn?“), besser sagen: „Das ist Udo, dein Sohn!“. Wenn Zusammenhänge von Demenzerkrankten falsch eingeord- 18 zukunft jetzt net werden, zum Beispiel die Jahreszeit verwechselt wird, sollte man die Aussage nicht korrigieren, sondern auf sie eingehen: „Du hast Recht, der Sommer ist eine schöne Jahreszeit.“ Wohnung umgestalten Ab einem bestimmten Zeitpunkt geht Demenzerkrankten die Fähigkeit zum abstrakten Denken verloren. Die Wohnung sollte dann demenzfreundlicher gestaltet werden. So wird Weiß auf Weiß nicht mehr erkannt. Ein weißes Waschbecken auf weißen Fliesen kann zum Beispiel mit einem farbigen Band hervorgehoben werden. Zu viele Reize verwirren allerdings. Daher beispielsweise beim Essen den Tisch nicht mit Dekoration überladen und Musik oder einen laufenden Fernseher im Hintergrund vermeiden. kompakt Umfrage zur Altersvorsorge Die Deutsche Rentenversicherung hat gemeinsam mit dem Bundessozialministerium eine Studie in Auftrag gegeben, um bessere Informationen über die Altersvorsorge in Deutschland zu gewinnen. Bis zum Herbst 2016 werden etwa 10 000 Frauen und Männer zwischen 40 und 60 Jahren sowie gegebenenfalls deren Partnerinnen und Partner befragt. Mit ersten Ergebnissen der Studie rechnet die Rentenversicherung im Frühjahr 2018. ∏ www.lea-studie.de Faltblatt für Geflüchtete Weit mehr als eine Million Menschen sind seit dem vergangenen Jahr nach Deutschland geflüchtet. In einem Faltblatt stellt sich die gesetzliche Rentenversicherung diesen Menschen jetzt vor und gibt ihnen einen kurzen Überblick über das System der sozialen Sicherung in Deutschland. In deutscher, englischer und arabischer Sprache ist der Flyer in gedruckter Form und im Internet verfügbar, auf Farsi, Paschto, Tigrinya und Urdu nur im Internet. ∏ http://bit.ly/1JK8dCh Solaranlage und die Rente Einnahmen aus dem Betrieb einer Solaranlage werden auf eine schon vor der Regelaltersgrenze gezahlte Altersrente angerechnet. Sie können dazu führen, dass bereits gezahlte Renten zurückgezahlt werden müssen, wenn die Hinzuverdienstgrenze von derzeit 450 Euro pro Monat überschritten wird. Das entschied das Sozialgericht Mainz (Az.: S 15 R 389/13). Ausgabe 3.2016 Fotos: D. Theis Für die beiden war nach dem Gespräch klar: Es gibt noch viel zu tun. Vor Ort Vorstandsvorsitzender Ludwin Debong begrüßte die Gäste in der modernen Eingangshalle der DRV Schwaben und dankte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. 125 Jahre im Dienst der Versicherten Die Rentenversicherung – unverzichtbar seit der Kaiserzeit ls Geburtsstunde der Sozialversicherung in Deutschland gilt die Kaiserliche Botschaft Wilhelms I. von 1881. Sie stellte für die Arbeiterklasse eine umfassende Sozialgesetzgebung in Aussicht, die im Jahr 1891 mit dem „Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung“ zum Abschluss gebracht wurde. Für seine Ausführung wurde im Regierungsbezirk Schwaben und Neuburg die Versicherungsanstalt für Schwaben und Neuburg zuständig. Sie nahm vor 125 Jahren in Augsburg die Arbeit auf, war viele Jahre unter Landesversicherungsanstalt (LVA) Schwaben bekannt und firmiert seit 2005 unter Deutsche Rentenversicherung Schwaben. A Festakt zum Jubiläum Am 30. Juni 2016 begrüßte Ludwin Debong, Vorstandsvorsitzender der DRV Schwaben, in deren Hauptverwaltung Ehrengäste und Mitarbeiter zur Jubiläumsfeier „125 Jahre Deutsche Rentenversicherung Schwa20 zukunft jetzt ben“. Die Entwicklung von 1891 bis heute machte er visuell am Ort des Festaktes, der modernen Eingangshalle, fest. „Allein die Optik dieser Halle symbolisiert schon, wo die LVA (jetzt DRV) seit 1891 inzwischen angekommen ist.“ Aus den ehemals fünf Bediensteten der Anfangszeit sind mittlerweile in der Hauptverwaltung und den vier Kliniken über 1 600 Mitarbeiter geworden. „Sie alle haben über die Jahrzehnte hinweg vielfache Rechtsänderungen bis hin zu großen Reformen gemeistert!“, lobte er ihre Arbeit. Auch hob er mit Blick auf die vier eigenen Reha-Kliniken den dort geleisteten wertvollen Dienst an den Versicherten hervor. Sein Dank im Namen der Selbstverwaltung richtete sich an alle Beschäftigten und deren Vorgänger in der Hauptverwaltung und in den vier Reha-Kliniken. Grüße aus dem Ministerium Johannes Hintersberger, Staatssekretär für Arbeit und Soziales, Familie und Integration, überbrachte Glückwünsche der bayerischen Staatsministerin Emilia Müller. Er richtete den Blick auf 125 Jahre Deutsche Rentenversicherung und veranschaulichte die Anpassungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung beispielhaft an den zwei Weltkriegen, der Inflation der 1920er-Jahre und der Wiedervereinigung. „125 Jahre gesetzliStaatssekretär Johannes Hintersberger zeichnete die Erfolgsgeschichte der DRV Schwaben nach. Ausgabe 3.2016 In Ihrer Nähe Sprechtage vor Ort che Rentenversicherung zeigen, sie ist stabil“, so Johannes Hintersberger. In allen Krisen habe sich das Rentensystem als verlässlich und als eine unverzichtbare Absicherung präsentiert, die zum sozialen Frieden in Deutschland beitrage. In einem Rückblick würdigte der Staatssekretär auch die Erfolgsgeschichte der DRV Schwaben: „Ihre Tätigkeit reicht weit über Schwaben hinaus. Als Verbindungsstelle zu Italien, Malta, Marokko und Tunesien ist sie auch ein international tätiger leistungsstarker Träger.“ Mit eindrucksvollen Zahlen wie beispielsweise der Betreuung von rund 625 000 Rentnern und 800 000 Versicherten im In- und Ausland unterstrich er die Dimensionen. Bedeutender Arbeitgeber Auch Dr. Stefan Kiefer, Dritter Bürgermeister der Stadt Augsburg, zog eine positive Bilanz. Mit über 1 000 Beschäftigten ist die DRV Schwaben ein wichtiger Arbeitgeber für die Stadt Augsburg und das Umland. Als Sozialreferent der Stadt lag es Dr. Kiefer besonders am Herzen, den wertvollen Dienst der Rentenversicherung mit ihren Beschäftigten herauszustellen und seinen Dank dafür auszusprechen. Szenenspiel statt Festrede Anstelle einer Festrede wurde der Anlass in Form einer Theaterszene gewürdigt. Florian Kreis vom Augsburger „Theater im Leben“ schilderte in einer eindrucksvollen Szene die schweren Lebensbedingungen einer Augsburger Arbeiterfamilie im Jahr 1891 und führte den Gästen vor Augen, wie notwendig die Einführung der Sozialversicherung und mit ihr die Invaliden- und Altersversicherung war. Die DRV Schwaben präsentiert sich heute als moderne Sozialleistungsbehörde, die nicht nur stolz auf ihre langjährige Geschichte zurückblickt, sondern auch selbstbewusst den Blick in die Zukunft richtet. Fotos: Deutsche Rentenversicherung Schwaben Wissen aus erster Hand Die Deutsche Rentenversicherung Schwaben bietet in ihrer Auskunfts- und Beratungsstelle in der Dieselstraße 9, 86154 Augsburg, kostenlose Vorträge an: ∏ Altersrenten – Wer? Wann? Wie(viel)? 12.10.2016, 16.30 Uhr ∏ Jeder Monat zählt! Bausteine für meine Rente 26.10.2016, 16.30 Uhr ∏ Arbeitslos? Auswirkungen auf die Rente 09.11.2016, 16.30 Uhr ∏ Frauen und Rente: Wie bin ich abgesichert? 30.11.2016, 16.30 Uhr Ausgabe 3.2016 ∏ Erwerbsgemindert oder berufsunfähig – was wäre wenn? 07.12.2016, 16.30 Uhr Interessenten werden gebeten, sich wegen der begrenzten Teilnehmerzahl vorher anzumelden: Deutsche Rentenversicherung Schwaben Auskunfts- und Beratungsstelle Dieselstraße 9 86154 Augsburg Telefon: 0821 500 - 6015 Telefax: 0821 500 - 6050 E-Mail: [email protected] An folgenden Einzelterminen zum Sprechtag vor Ort sind unsere Berater für Sie da. Diese Sprechtage finden in der Regel in den Räumen der jeweiligen Stadt- bzw. Gemeindeverwaltung statt. Sie dauern jeweils von 8.00 – 12.00 Uhr und 13.20 – 16.00 Uhr, bei * nur vormittags. Ihre Terminwünsche nimmt das zuständige Rathaus entgegen. Altenstadt* Bad Grönenbach Bad Wörishofen Bellenberg Boos* Buch Buchloe* Burgau Buttenwiesen Dinkelscherben* Elchingen Erkheim Haldenwang Harburg* Ichenhausen Kirchheim* Kötz Legau Leipheim Neuburg/Kammel Oberstdorf Offingen Oettingen Ottobeuren Rain/Lech Roggenburg Schlachters* Senden Syrgenstein Türkheim Thannhausen Vöhringen Wemding am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am am 21.10.2016 06.10.2016 27.10.2016 08.12.2016 19.10.2016 07.10.2016 11.10.2016 13.12.2016 23.09.2016 28.10.2016 18.11.2016 09.12.2016 18.10.2016 16.11.2016 14.10.2016 16.12.2016 28.11.2016 08.11.2016 20.10.2016 11.11.2016 21.09.2016 30.11.2016 14.10.2016 09.12.2016 11.10.2016 09.11.2016 24.10.2016 30.09.2016* 01.12.2016 22.11.2016 29.11.2016 29.09.2016 08.12.2016 24.11.2016 27.10.2016 15.12.2016 17.11.2016 21.10.2016 16.12.2016 19.10.2016 14.12.2016 18.10.2016 29.11.2016 03.11.2016 09.12.2016* 17.11.2016 29.09.2016 24.11.2016 21.09.2016 14.12.2016 Bitte vereinbaren Sie einen Termin, um Wartezeiten zu vermeiden. zukunft jetzt 21 Vor Ort „Alterssicherung braucht Kontinuität“ Christian Amsinck und Cord Peter Lubinski, alternierende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Rentenversicherung Bund, über Reformen in der Rentenversicherung, ihre Gesundheits- und Beratungsleistungen. ? Momentan wird intensiv über die Zukunft der Rentenversicherung diskutiert. Gibt es Reformbedarf? Amsinck: Die Rentenversicherung ist in guter Verfassung. Sie hat sich in ihrer 125-jährigen Geschichte als sehr leistungsfähig erwiesen – und das auch in Krisenzeiten. Durch zahlreiche Reformen seit 1992 wurde im Rentensystem auf die demografischen Herausforderungen reagiert. Das Drei-Säulen-Modell aus gesetzlicher Rente, Riester-Rente und Betriebsrente ist zukunftsfähig. Die Rentenversicherung muss sich 22 zukunft jetzt aber auch künftig immer wieder den gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen. Vor Schnellschüssen kann ich dabei aber nur warnen. Alterssicherung muss langfristig und verlässlich angelegt sein und braucht Kontinuität. Man sollte sich daher sorgfältig anschauen, ob und wo etwas verändert werden muss. Eine aufgeregte Debatte ohne Berücksichtigung von Daten und Fakten hilft da aus meiner Sicht nicht weiter. ? Im Zentrum der letzten Rentenreform standen die „Mütterrente“, die „Rente ab 63“ und Verbesserungen bei den Erwerbsminderungsrenten. Wie viele Menschen profitieren davon? Lubinski: Rund 9,5 Millionen Rentnerinnen kamen im zweiten Halbjahr 2014 in den Genuss der „Mütterrente“. Die Versicherten bekommen hier einen zusätzlichen persönlichen Entgeltpunkt angerechnet für Kinder, die vor 1992 geboren wurden. Seit Juli 2014 gilt das auch für alle Neurentner, durch ein zweites Jahr an Kindererziehung je Kind, das vor 1992 geboren wurde. Mit der modifizierten Altersrente ab 63 Ausgabe 3.2016 Vor Ort für besonders langjährig Versicherte sind im zweiten Halbjahr 2014 und im Jahr 2015 insgesamt rund 411 000 Versicherte in Rente gegangen. Von der Reform profitierten bis Ende 2015 auch rund 158 000 Erwerbsminderungsrentenzugänge, deren Rente mit Beginn ab Juli 2014 durch die Verlängerung der Zurechnungszeit aufgewertet wurde. die elektronischen Kommunikationsmittel nutzen, um sich zu informieren und beraten zu lassen. Ausdrücklich hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang auch darauf, dass eine Beratung zu Fragen der Rentenversicherung auch durch die Versichertenberater oder Versichertenältesten in der Nachbarschaft möglich ist. ? ? Ein neues Angebot der Rentenver- Die Rentenanpassung im Juli war ungewöhnlich hoch. Was waren die Gründe dafür und inwieweit kommt diese Erhöhung bei den Rentnerinnen und Rentnern an? Amsinck: Zum 1. Juli sind die Renten im Westen um 4,25 und im Osten um 5,95 Prozent gestiegen. Es ist das größte Plus seit 1994. Angesichts der geringen Inflation wird die Erhöhung bei den Rentnern zu einer deutlichen Einkommenssteigerung führen. Das kräftige Rentenplus geht auf zwei besondere Effekte zurück: auf die deutlichen Lohnsteigerungen und auf die Folgen einer Statistikrevision, die die Rentenanpassung im letzten Jahr gedämpft hat und jetzt wieder ausgeglichen wird. Fotos: Laurence Chaperon ? Die Nachfrage nach Beratungsleistungen der Rentenversicherung ist hoch. Lassen sich hier Trends erkennen? Lubinski: Die persönliche Beratung der Versicherten und Rentner ist uns sehr wichtig. Allein bei der Deutschen Rentenversicherung Bund wurden 2015 über zwei Millionen Anfragen beantwortet. Ein deutlicher Trend lässt sich bei den Anfragen per E-Mail erkennen. Hier gab es 2015 mit fast 300 000 Anfragen eine Steigerung von mehr als 25 Prozent gegenüber 2014. Das macht deutlich, dass unsere Versicherten und Rentner mehr und mehr auch Ausgabe 3.2016 sicherung ist der Firmenservice. Was bringt das den Unternehmen? Amsinck: Beim Firmenservice kommen speziell geschulte Fachleute der Deutschen Rentenversicherung auf Anfrage in die Betriebe. Sie beraten und helfen dabei, die Beschäftigungsfähigkeit von Mitarbeitern zu sichern und zu erreichen, dass sie nicht vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden müssen. Ziel ist es, die Gesundheit der Beschäftigten präventiv und nachhaltig zu stärken. Das kommt Beschäftigten und Arbeitgebern zugute. Daneben erhalten die Firmen auf Wunsch auch Informationen zu Themen wie Rente, Sozialversicherungspflicht und Beitragseinzug. ? Welche Ziele hat Prävention? Lubinski: Viele Beschäftigte, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden, könnten noch arbeiten, wenn ihre Probleme rechtzeitig erkannt würden. Mit einer Präventionsleistung kann die Rentenversicherung frühzeitig gegensteuern, wenn erste gesundheitliche Probleme bestehen, etwa bei Diabetes oder Bluthochdruck, bei Herz-Kreislauf-Beschwerden oder psychischen Beeinträchtigungen. Frühzeitig ansetzen und langfristig zu einem gesünderen Lebensstil kommen – das ist das Ziel der Prävention. ? Aktuell wird über die RiesterRente intensiv diskutiert. Kommt die Förderung auch bei Menschen mit geringeren Einkommen an? Amsinck: Ja. Das ist der Fall. Über 63 Prozent der Zulagenempfänger hatten ein Einkommen von unter 30 000 Euro, fast 25 Prozent sogar ein Einkommen von weniger als 10 000 Euro. Zum Vergleich: Das Durchschnittseinkommen in der Rentenversicherung betrug im Vergleichszeitraum 32 100 Euro. Christian Amsinck (links) und Cord Peter Lubinski diskutieren die Situation der gesetzlichen Rentenversicherung. zukunft jetzt 23 Vorsorge Eine große Herausforderung für viele Beschäftigte: die Pflege eines Angehörigen mit dem Beruf zu vereinbaren. Pflege und Job Wie Beschäftigte Pflege und Beruf vereinbaren können Wer einen Angehörigen pflegt, kann eine Auszeit vom Job nehmen. Welche Möglichkeiten bestehen, hängt von der Betriebsgröße ab. 24 zukunft jetzt enn ein naher Angehöriger erstmals oder verstärkt Pflege benötigt, haben betroffene Arbeitnehmer das Recht, bis zu zehn Arbeitstage von der Arbeit fernzubleiben – und zwar ohne Vorankündigung. Das nennt sich „kurzzeitige Arbeitsverhinderung“. Auf die Freistellung haben alle Arbeitnehmer – auch Minijobber – ab dem ersten Tag ihrer Beschäftigung Anspruch. Diese Möglichkeit auf Freistellung gibt es schon seit 2008, allerdings zunächst – wie beim unbezahlten Urlaub – ohne Lohnausgleich. Jetzt wird dafür bezahlt, aber nicht vom Arbeit- W geber, sondern von der Pflegeversicherung des Pflegebedürftigen. Sie ersetzt Beschäftigten, die wegen der Pflegeorganisation kurzzeitig nicht arbeiten können, auf Antrag rund 90 Prozent ihres ausgefallenen Lohns. Die Leistung nennt sich „Pflegeunterstützungsgeld“. Kurzfristige Auszeit Wer in einer akuten Pflegesituation die pflegebedingte kurze Auszeit in Anspruch nehmen möchte, muss dies unverzüglich seinem Arbeitgeber mitteilen. Das sollte – ähnlich wie bei einer eigenen Krankmeldung – spätestens morAusgabe 3.2016 Vorsorge Pflegende Arbeitnehmer: Worauf haben Sie Anspruch? Kurzzeitige pflegebedingte Arbeitsverhinderung Pflegezeit Familienpflegezeit Ankündigungsfrist keine zehn Arbeitstage acht Wochen Gilt für welche Betriebe? alle Betriebe Betriebe mit mehr als 15 Beschäftigten Betriebe mit mehr als 25 Beschäftigten (ohne Auszubildende) Gilt für welche Arbeitnehmer? alle Arbeitnehmer, auch befristet Beschäftigte und Minijobber Gilt für welche Angehörigen? Ehegatten, Lebenspartner, Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft, Großeltern, Eltern, Geschwister, Kinder, Adoptiv- und Pflegekinder, Enkelkinder sowie Schwiegereltern, Schwiegerkinder, Stiefeltern, Schwäger und Schwägerinnen, gleichgeschlechtliche Partner, auch wenn keine eingetragene Lebenspartnerschaft besteht Gilt für welche Grade von Pflegebedürftigkeit? „voraussichtliche Pflegebedürftigkeit" (nach ärztlicher Bescheinigung) mindestens Pflegestufe I (nicht bei Pflegestufe 0); ab 2017 gelten statt der bisher drei Pflegestufen dann fünf Pflegegrade Dauer bis zu zehn Arbeitstage bis zu sechs Monate bis zu 24 Monate (einschließlich der Pflegezeit) Arbeitszeit Auszeit vom Job wahlweise Auszeit oder Teilzeit nur Teilzeit mit mindestens 15 Arbeitsstunden pro Woche Finanzieller Ausgleich Pflegeunterstützungsgeld rückzahlbares zinsloses Darlehen, das den Einkommensverzicht teilweise ausgleicht Kündigungsschutz ja, von der Ankündigung bis zur Beendigung der Arbeitsverhinderung ja, von der Ankündigung bis zur Beendigung der Pflegezeit gens bei Arbeitsbeginn telefonisch erfolgen. Dabei sollte man nicht nur mitteilen, dass man eine Freistellung nach Paragraf 2 des Pflegezeitgesetzes nehmen will, sondern auch, wie viele Tage man der Arbeit fernbleiben möchte. Der Arbeitgeber kann später eine ärztliche Bescheinigung verlangen, in der steht, dass der Angehörige „voraussichtlich pflegebedürftig“ ist und die Freistellung des Beschäftigten erforderlich ist, um die Pflege zu Ausgabe 3.2016 organisieren. Der Arbeitgeber muss die Bescheinigung nicht unbedingt verlangen. Sie ist aber in jedem Fall notwendig, um später von der Pflegekasse des Pflegebedürftigen das Pflegeunterstützungsgeld zu bekommen. Pflege- und Familienpflegezeit Wenn Pflegebedürftige für längere Zeit Hilfe brauchen, können pflegende Angehörige das oft nicht neben ihrem Job leisten. Dann gibt es für sie ja, von der Ankündigung bis zur Beendigung der Familienpflegezeit zwei Möglichkeiten: Für maximal sechs Monate können sie „Pflegezeit“ nach Paragraf 3 des Pflegezeitgesetzes nehmen. Der nahe Angehörige muss in häuslicher Umgebung gepflegt werden. Dieser Rechtsanspruch besteht aber nur für Arbeitnehmer aus Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten. Die Pflegezeit kann wahlweise als Aus- oder Teilzeit genommen werden. Der ausfallende Lohn kann teilweise durch ein staatliches Darlehen ersetzt werden. zukunft jetzt 25 Vorsorge Dieses Darlehen beantragen Angehörige direkt beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Aber auch sechs Monate Pflegezeit reichen in vielen Fällen nicht aus. Darum gibt es zusätzlich noch den Anspruch auf eine „Familienpflegezeit“. Dabei handelt es sich um eine pflegebedingte Arbeitszeitreduzierung. Die Arbeitszeit muss mindestens 15 Stunden pro Woche betragen. Dieser Anspruch gilt nur für Beschäftigte aus Unternehmen mit mehr als 25 Beschäftigten. Auszubildende zählen nicht mit. Der Nettolohnverlust in beiden Varianten der Pflegezeit kann durch ein zinsloses Darlehen teilweise ausgeglichen werden, das in Raten zurückgezahlt werden muss. Bei der Darlehenshöhe wird davon ausgegangen, dass ein Beschäftigter 15 Stunden in der Woche arbeitet. Das gilt auch dann, wenn in der sechsmonatigen Pflegezeit der Job ganz ruht. Wichtig: Familienpflegezeit und Pflegezeit dürfen zusammen maxi- mal 24 Monate dauern. Anspruch auf beide Varianten besteht nur, wenn der Angehörige mindestens in Pflegestufe I (ab 2017: Pflegegrad 1) eingruppiert ist. 2017 erfolgt eine Neueinstufung der Pflegebedürftigen in fünf Pflegegrade. Wer bislang Pflegestufe „0“ hat, „rutscht“ dann automatisch in den neuen Pflegegrad 2. Die Folge: Die Angehörigen haben dann Anspruch auf Familienpflegezeit und Pflegezeit. Unterschiedliche Fristen Bei den beiden Formen der Pflegezeit gelten unterschiedliche Ankündigungsfristen gegenüber dem Arbeitgeber. Dabei geht der Gesetzgeber offenbar davon aus, dass zunächst eine Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz genommen wird (als „Auszeit“). Dafür ist eine nur zehntägige Ankündigungsfrist gegenüber dem Arbeitgeber vorgesehen. Sie kann damit direkt an die zehntägige Auszeit für das Krisenmanagement anschließen. Für die Familienpflegezeit (also die „Teilzeit-Lösung“) ist dagegen eine achtwöchige Ankündigungsfrist vorgesehen. Bei direktem Anschluss an eine vorhergehende „Pflegezeit“ gilt sogar eine dreimonatige Ankündigungsfrist. ∏ WER ZÄHLT ALS NAHER ANGEHÖRIGER Nur wer einen „nahen Angehörigen“ betreut, kann kurzfristig von der Arbeit freigestellt werden oder die Pflege- beziehungsweise Familienpflegezeit beanspruchen. Zu nahen Angehörigen zählen nach dem Gesetz Ehegatten, Lebenspartner, Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft, Großeltern, Eltern, Geschwister, Kinder, Adoptiv- und Pflegekinder, Enkelkinder sowie Schwiegereltern, Schwiegersöhne oder -töchter und auch Stiefeltern, Schwäger und Schwägerinnen sowie gleichgeschlechtliche Partner (auch wenn keine eingetragene Lebenspartnerschaft besteht). 26 zukunft jetzt ∏ INFO Pilotprojekt in Hessen Die Deutsche Rentenversicherung Hessen ist eines von 80 Unternehmen, das die „Charta zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf in Hessen“ unterschrieben hat. Zusammen mit dem hessischen Sozialministerium verpflichten sie sich, Beschäftigte bei der Pflege von Angehörigen zu unterstützen. Birgit Büttner, Erste Direktorin der Deutschen Rentenversicherung Hessen, sagt: „Wir bekennen uns zu den Pflegeaufgaben unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ Es soll ein Arbeitsumfeld geschaffen werden, in dem die Pflege von Angehörigen nicht länger als ein Tabu gilt. Sie soll vielmehr als gesellschaftlich wichtige Aufgabe geschätzt werden. Die Betriebe verpflichten sich zu einem „lösungsorientierten Umgang“ mit der individuellen Situation pflegender Angehöriger. Außerdem wollen sie besser über gesetzliche Rahmenbedingungen und Möglichkeiten zur Unterstützung informieren. Dazu Birgit Büttner: „Gefragt sind intelligente Vereinbarkeitslösungen wie alternierende Telearbeit, flexible Arbeitszeitmodelle und individuelle Beratung.“ Mit der Charta wollen die Initiatoren eine Basis schaffen, um betriebliche Anforderungen und die Bedürfnisse der Pflegenden zu vereinbaren. Damit reagieren die beteiligten Unternehmen auch auf die demografische Entwicklung, die sowohl eine steigende Zahl an Pflegebedürftigen als auch einen zunehmenden Mangel an qualifizierten Arbeitskräften nach sich ziehe. ∏ INFO: www.pflege-in-hessen.de Ausgabe 3.2016 Fotos: wdv/A. Schwander; wdv/J. Lauer Welche Möglichkeiten bestehen, hängt von der Betriebsgröße ab. Gesundheit 1 Ja zum „Nein“ Ulrike Baltrusch pflegt alte Menschen. In der Reha steht sie zum ersten Mal selbst im Mittelpunkt. Menschen, die andere pflegen, brauchen Unterstützung. Die finden sie in der Reha. 28 zukunft jetzt ufopfernd – dieses Wort passt gut, wenn man die Tätigkeit von Altenpflegern oder pflegenden Angehörigen beschreibt. Ulrike Baltrusch ist seit über 20 Jahren Altenpflegerin. Das Wort „aufopfernd“ umschreibt aber auch eine gefährliche Tendenz: Dass man so lange für Patienten oder Angehörige da ist, bis man selbst Hilfe benötigt. Überarbeitung, emotionale Belastungen, Stress und die körperlichen Belastungen bei der Pflege können krank machen. Im Fall von Ulrike Baltrusch war es ihr Hausarzt, der die Reißleine zog. Er empfahl: „Machen Sie eine Reha!“ Baltrusch leidet an Arthrose an Wirbelsäule und Hüfte, hat Schmerzen und das beklemmende Gefühl, einfach nicht mehr zu können. Sie folgt dem Rat ihres Arztes und fährt in die Hellbachtalklinik der Deutschen Rentenversicherung Bund nach Mölln – einem A kleinen Backstein-Städtchen unweit von Lübeck. Kleine Seen reihen sich wie Perlen an einer Schnur entlang der Stadtgrenze auf, Birken, Enten und Abstand. Das ist das, was sie jetzt braucht. Mit 15 Jahren hat die heute 59-Jährige angefangen zu arbeiten, drei Kinder alleine großgezogen. Die Belastungen haben Spuren hinterlassen – emotional und physisch. Körper und Psyche „Etwa 25 bis 30 Prozent unserer Patienten kommen aus Pflegeberufen. Auch der Anteil der pflegenden Angehörigen wächst stark“, erzählt Chefarzt Dr. Christoph Nagel. Kein Wunder, denn die Gesellschaft altert, die Arbeitsverdichtung in der professionellen Altenpflege ist enorm. Aber auch pflegende Angehörige sind oft Schwerstarbeiter, viele gehen neben der Pflege noch arbeiten. Folgerichtig setzt das Ausgabe 3.2016 Gesundheit 2 3 1 Muskeltraining Ulrike Baltrusch beim Training im Schwimmbecken 2 3 Beweglichkeit Funktionelles Training in der Turnhalle 4 Entspannung Manuelle Therapie 4 Team der Hellbachtalklinik an zwei Punkten an: Therapie der körperlichen Leiden gepaart mit psychologischer Beratung – das eine so wichtig wie das andere. So steht um 10.30 Uhr auf dem Behandlungsplan von Ulrike Baltrusch das „Bewegungsbad“: Aus den Lautsprechern schallt laute Popmusik. In Baltruschs Händen eine Schwimmhilfe. Die Übungen spielen mit dem Auftrieb der bunten Stange. Immer wieder muss sie unter die Oberfläche gedrückt werden oder Baltrusch auf ihr balancieren. Das Training im Wasser hat einen einfachen Hintergrund, wie die leitende Physiotherapeutin Anja-Maria Peth erklärt: „Die Patienten wiegen Ausgabe 3.2016 im Wasser nur ein Siebtel bis ein Achtel ihres Körpergewichts. Sie spüren also ihr Gewicht kaum, da fällt Sport leichter. Wir nutzen zudem den Widerstand des Wassers als Training für die Muskulatur – und der Spaßfaktor kommt nicht zu kurz.“ Schonhaltung überwinden Nicht weniger anstrengend ist das „funktionelle Training“: Hier sitzt Baltrusch auf einem bunten Gymnastikball und kreist die schmerzende Hüfte. „Viele Übungen mit dem Gymnastikball dienen der Kräftigung der Muskeln und der Mobilisation“, so Bewegungstherapeutin Petra Lang. Das Problem vieler Patienten ist eine zunächst hilfreiche „Schon- haltung“: Um Schmerzen zu vermeiden, nehmen Patienten auf Dauer ungünstige Haltungen an – sei es bei der Umlagerung ihrer Patienten oder dem Abstützen während eines Kleidungswechsels. „Schonhaltungen sind gefährlich, weil sie zu MuskelSehnen-Verkürzungen führen“, sagt Petra Lang. Der Weg raus aus der Schonhaltung verursacht oft zunächst Schmerzen – bietet aber keine Alternative. Nur so bleibt der Körper langfristig leistungsfähig. Die richtige Haltung ist Schulungsinhalt von Kinästhetik-Einheiten: Hier werden besonders effektive rücken- und gelenkschonende Pflegehandgriffe erlernt. Etwa das richtige Heben, das nicht aus der Beugung zukunft jetzt 29 Gesundheit »Wir haben zusammen einen Stundenplan für die Verwirklichung meiner Bedürfnisse geschrieben.« Ulrike Baltrusch mit Psychologe Kai Ahlers des Oberkörpers kommt. Teilnehmer gehen stattdessen in die Knie und heben mit der Beinkraft Lasten nach oben. Das entlastet den Rücken. Wohlige Entspannung Wer viel trainiert, darf auch entspannen – ein schwieriges Thema für Ulrike Baltrusch. Mal den Alltag loszulassen, gelingt ihr selten, sagt sie selbstkritisch. Physiotherapeutin Corina Warstat schafft es, sie loszureißen. Sie hat „heilende Hände“, schwärmt Baltrusch. Und tatsächlich basiert die von Warstat angewendete manuelle Therapie – vereinfacht ausgedrückt – auf Handauflegen. Ein sanfter Druck hier, eine leichte Zugkraft dort und schon spürt Ulrike Baltrusch Wärme in ihrem Bein aufsteigen oder ein wohliges Kribbeln. „Egal, mit welchem Leiden meine Patienten kommen, hier können alle entspannen“, verspricht Warstat. Gesunder Egoismus Um die psychischen Leiden kümmert man sich in der Hellbachtalklinik auch: Patienten können Seminare zum Umgang mit Stress oder Schmerzen, autogenes Training, progressive Muskelentspannung sowie Gruppen- und Einzelgespräche besuchen. Häufiges Thema in den Einzelgesprächen ist die Überlastung. Dann bringt Psychologe Kai Ahlers den Patienten das „Neinsagen“ bei: „Das fällt vielen sehr schwer, denn sie wollen ja helfen. Oft haben Pflegende einen hohen Anspruch an ihre Arbeit und wollen niemanden im Stich lassen.“ Doch Pflegende müssen auch an sich denken. „Das ist wichtig, um überhaupt die Kraft zu haben, für andere da zu sein“, sagt Ahlers. Deswegen hat Ulrike Baltrusch mit ihm einen Stundenplan entworfen. Darin steht, was sie im Laufe einer Woche für sich macht. Diese Zeiten wird sie sich künftig nehmen. Und was steht dick im Stundenplan? „Schwimmen! Darauf freue ich mich“, lacht Baltrusch. Und auf den Job? „Trotz Stress: Ich bleibe in der Altenpflege. Ich bin dafür geboren.“ zukunft jetzt online Einen Film über die Hellbachtalklinik finden Sie im E-Journal auf www.deutscherentenversicherung.de ¿Was sind die typischen Leiden der Pflegenden? Oft sind es Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule durch ungünstiges Tragen, Heben oder Transportieren. Häufig sind auch Beschwerden im Schulter-Nacken-Bereich. Jeder sechste bis siebte unserer Patienten gibt zudem an, dass er durch die Pflege eines Angehörigen unter psychischen Belastungen leidet. Häufig klagen sie über soziale Vereinsamung, weil kaum noch Besuch kommt. Wir versuchen, die Patienten dann sowohl körperlich aufzubauen als auch die seelischen Belastungen aufzufangen. 30 zukunft jetzt ¿Ab wann ist der richtige Zeitpunkt für einen Reha-Antrag? Wenn der Pflegende innerlich spürt, dass er so nicht mehr weiterarbeiten kann. Ein typisches Symptom ist nächtliches Grübeln. Wir erleben oft, dass RehaAnträge erst spät gestellt werden – etwa weil Altenpfleger ihr Team oder Angehörige ihre Eltern nicht im Stich lassen wollen. Dabei ist es besser, früher in Reha zu gehen, als zu warten, bis die Schmerzen chronisch werden und so stark sind, dass man sehr lange ausfällt oder vielleicht gar nicht mehr pflegen kann. Dr. Christoph Nagel, Chefarzt der Hellbachtalklinik des Rehazentrums Mölln, will Pflegenden früher helfen. Ausgabe 3.2016 Fotos: D. Theis »Reha-Anträge werden oft zu spät gestellt« Gesundheit Geld und fachliche Hilfe Unterstützung bei der Pflege zu Hause 70 Prozent der Pflegebedürftigen leben zu Hause und werden von Angehörigen versorgt. Dabei gibt es Hilfen. Die wichtigsten im Überblick. Pflegegeld Je nach Pflegestufe zahlt die Pflegekasse zwischen 123 Euro und 728 Euro im Monat an Pflegebedürftige. Diese geben das Geld dann meist an diejenigen weiter, die sie daheim versorgen. Um sicherzustellen, dass die alleinige Pflege durch Angehörige nicht zu einer Fehlversorgung führt, müssen Bezieher von Pflegegeld sich einmal halbjährlich (bei Pflegestufe III: einmal vierteljährlich) zu Hause von fachkundigen Pflegekräften „beraten“ lassen. Das ist auch sinnvoll, um nützliche Tipps für die Pflege zu bekommen. Die Kosten dafür trägt die Pflegekasse. Wer das Beratungsangebot nicht nutzt, dem droht die Kürzung oder Streichung des Pflegegelds. Pflegesachleistungen Statt Pflegegeld können Betroffene auch Leistungen von ambulanten Pflegediensten in Anspruch nehmen. Der Gesetzgeber spricht hier von Pflegesachleistungen. Dafür gibt es je nach 32 zukunft jetzt Pflegestufe zwischen 231 Euro (bei Stufe 0) und 1 612 Euro (bei Stufe III), in wenigen Härtefällen 1 995 Euro. Das Geld wird nicht ausgezahlt, sondern steht als Budget für Dienstleistungen von Pflegefachkräften zur Verfügung – etwa für Hilfen beim Aufstehen, der Körperpflege, dem Essen und Trinken, dem Gang zur Toilette oder der hauswirtschaftlichen Versorgung. Die Pflegedienste rechnen zumeist nach sogenannten Leistungskomplexen ab. Zur „Ganzwaschung“ gehört zum Beispiel neben dem Duschen oder Baden die Mund-, Haut-, Haar- und Nagelpflege, das Rasieren, An- und Auskleiden sowie die Vorbereitung und hinterher das Aufräumen. Die Preise für diese Leistungen differieren sowohl regional als auch nach Pflegediensten. Ein Preisvergleich lohnt sich. Anschriften von Pflegediensten in der Nähe und Preisvergleichslisten gibt es bei den Pflegekassen. Für eine ausreichende Rundum-Versorgung durch ambulante Dienste reichen die Pflegesachleistungen oft nicht. Das gilt erst recht, wenn die Dienste mehrmals am Tag kommen. Was die Pflegekasse nicht übernimmt, müssen Pflegebedürftige selbst zuzahlen. Bei finanzieller Bedürftigkeit springen die Sozialämter mit „Hilfen zur Pflege“ ein. Kombinationsleistungen Geld- und Sachleistungen lassen sich auch kombinieren. Ein Pflegebedürftiger kann montags bis freitags von einem ambulanten Dienst und am Wochenende von Angehörigen versorgt werden. Das Pflegegeld wird dann um den Anteil gekürzt, der für die Sachleistung in Anspruch genommen wird. Ein Beispiel: In Pflegestufe II beträgt das monatliche Pflegegeld für Menschen ohne Demenz 458 Euro und die häusliche Sachleistung 1 144 Euro. Werden für die Hilfen ambulanter Dienste nur 800,80 Euro – also 70 Prozent des Sachleistungsetats – abgerufen, sind 30 Prozent nicht ausgeschöpft. Folglich können noch 30 Prozent des Pflegegeldes in Anspruch genommen werden. Das sind 137,40 Euro. Ausgabe 3.2016 Gesundheit kompakt Mit Erster Hilfe Leben retten Foto: wdv/J. Lauer Tagespflege Hier verbringen Pflegebedürftige einen Teil des Tages in sogenannten teilstationären Pflegeeinrichtungen. Sie werden zum Beispiel morgens um 8.00 Uhr zur gewählten Tagespflege gebracht. Dort unternehmen sie etwas zusammen mit anderen Menschen (Spiele, Spaziergänge, Gymnastik etc.) und werden dabei von Fachkräften betreut und gepflegt. Nachmittags gegen 16.00 Uhr werden sie wieder nach Hause gebracht oder abgeholt. Tagespflege bietet Pflegebedürftigen Abwechslung sowie Struktur für den Tag und entlastet berufstätige Pflegepersonen. In einem Caritas-Altencentrum in Köln kostet ein Tag mit Verpflegung je nach Pflegestufe zwischen 75,05 und 80,21 Euro – dazu kommen Ausgabe 3.2016 noch 13 Euro, wenn ein Fahrdienst die Gäste zu Hause abholt und zurückbringt. Die Pflegekasse übernimmt – wie bei der häuslichen Pflege – zwischen 231 Euro (bei Pflegestufe 0) und 1 612 Euro (bei Pflegestufe III) im Monat für die Kosten der Tagespflege und des Hol- und Bringdienstes. Für Verpflegungskosten müssen die Tagespflegegäste selbst aufkommen. Seit 2015 gibt es die Leistungen der Pflegeversicherung für die Tagespflege zusätzlich zu Pflegegeld oder Pflegesachleistungen. Ein Demenzkranker mit Pflegestufe II kann so zum Beispiel monatlich zweimal Leistungen im Wert von je 1 298 Euro in Anspruch nehmen: für die Tagespflege und für die Betreuung durch einen Pflegedienst zu Hause. Eine Situation, die bundesweit täglich mehrfach eintritt: Ein Mensch bricht mit einem Herzstillstand zusammen – und eine Wiederbelebung ist notwendig. Doch statt Erste Hilfe zu leisten, warten die Umstehenden oft nur auf den Notarzt. Dabei ist in Deutschland jedermann zu Erster Hilfe verpflichtet, wenn ein anderer Mensch in Not gerät und unverzügliche Hilfe lebensrettend sein kann. Zudem steigt die Überlebenschance des Hilfebedürftigen erheblich, wenn Augenzeugen sofort den Notarzt rufen und dann unverzüglich mit einer Herzdruckmassage beginnen, um den lebenswichtigen Blutkreislauf aufrechtzuerhalten. Wie dies geht, zeigt die Internetseite www.einlebenretten.de, eine Initiative der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V., des Berufsverbands Deutscher Anästhesisten e.V. und des Deutschen Rats für Wiederbelebung. Medikamente und Getränke Wer morgens Medikamente nehmen muss, sollte auf die Getränke achten, mit denen er die Arznei zusammen nimmt. Mit Milch oder Milchprodukten sollte man zum Beispiel keine Osteoporosetabletten, Schilddrüsenhormone und bestimmte Antibiotika einnehmen. Denn Kalzium verhindert, dass die Wirkstoffe vom Körper richtig aufgenommen werden. Grapefruitsaft verstärkt dagegen die Wirkung vieler Medikamente, was bei Betablockern, Schmerzmitteln und Antiallergika gefährlich werden kann. zukunft jetzt 33 zukunft NETZ Durchblick im Haushalt Helfende Hände im Haushalt wünschen sich viele, denn Hausarbeit kann Zeit und Nerven kosten. Gerade wenn kleine Kinder zu versorgen sind oder der Beruf viel abverlangt, ist daheim Unterstützung gefragt. Minijobber können in vielen Fällen einspringen und für Entlastung sorgen. Hinter diesen sogenannten haushaltsnahen Dienstleistungen verbirgt sich ein breites Angebot – von Babysitten bis Gartenarbeit. Welche Arbeiten im Einzelnen dazu zählen, erklärt die Minijob-Zentrale anschaulich in ihrem neuen InternetVideo. Wer schließlich professionelle Hilfe sucht, kann sie per Klick online bei der Haushaltsjob-Börse der Minijob-Zentrale finden. www.youtube.com, Suchbegriff: „Minijob-Zentrale Dienstleistungen“ Eine Frage der Dauer In Zeiten von Niedrigzinsen erwägen viele Sparer, Geld in eine Immobilie zu investieren. Zukünftige Häuslebauer oder Wohnungskäufer führt der Weg in der Regel zur Bank, um die Finanzierung zu klären. Zentral ist dabei die Frage der Zinsbindung: Auf den ersten Blick bedeutet eine längere Bindung mehr Sicherheit – denn nur dann lässt sich fest kalkulieren. Aber diese Sicherheit kostet grundsätzlich Geld in Form höherer Zinsen. Die Entscheidung kann der Zinsbindungsrechner der Stiftung Warentest erleichtern. Er erlaubt einen direkten Vergleich von zwei Darlehensvarianten mit unterschiedlichen Laufzeiten. Dabei spielt neben der Restschuld speziell der Zinssatz der Anschlussfinanzierung eine wesentliche Rolle: Der Rechner zeigt an, wie hoch dieser Zinssatz ausfallen dürfte, damit Käufer mit der kürzeren Zinsbindung insgesamt günstiger fahren. www.test.de, Suchbegriff: „Rechner Zinsbindung“ Das Pflegestärkungsgesetz bringt umfangreiche Änderungen mit sich. Für Patienten und Angehörige werfen sie zahlreiche Fragen auf: Wer kann welche Leistungen erhalten und wie funktioniert das? Wie werden Patienten in die neuen fünf Pflegegrade eingestuft, die die früheren drei Pflegestufen ersetzen? Was sind Kurzzeit- und Verhinderungspflege und wie lange können sie in Anspruch genommen werden? Welche Betreuungs- und Entlastungsangebote gibt es? Für Klarheit sorgen kurze Erklärvideos der „Praxisseiten Pflege“. In der Filmreihe des Bundesgesundheitsministeriums erläutert NDRModeratorin Susann Kowatsch kurz und prägnant wesentliche Begriffe und Zusammenhänge. www.youtube.com, Suchbegriff: „Praxisseiten Pflege“ IMPRESSUM Herausgeber: Deutsche Rentenversicherung Bund. Chefredakteur: Dr. Dirk von der Heide (Deutsche Rentenversicherung Bund, Ruhrstraße 2, 10709 Berlin). Redaktion: Dr. Heiko Fiedler-Rauer, Christine Rütters (DRV Bund), Michael John, Natascha Krämer, Dr. Michael Krause, Sabina Ptacnik, Stefan Thissen (wdv OHG). Redaktion der Seiten 20 und 21 „Vor Ort“: Ingrid Högel, Deutsche Rentenversicherung Schwaben, Dieselstraße 9, 86154 Augsburg. Verlag: wdv Gesellschaft für Medien & Kommunikation mbH & Co. OHG, HRA 3087 AG Bad Homburg, Dieselstraße 36, 63071 Offenbach, Telefon: 069 981 904-0, Fax: 069 981 904-896, E-Mail: [email protected]. Bildredaktion: Achim Hubener; Gestaltung: Jochen Merget, Susanne Weser; Anzeigen: Walter Piezonka. Es gilt Anzeigenpreisliste Nr. 10/2016. Vertrieb: Bernd Kremer. Abo-Service: Nurgül Kalkandelen. Kostenfreies Abo: zukunft jetzt, Dieselstraße 36, 63071 Offenbach, Telefon: 069 981 904-821, Fax: 069 981 904-896, E-Mail: [email protected]. Druck: Mohn Media Mohndruck GmbH, Carl-Bertelsmann-Straße 161M, 33311 Gütersloh. zukunft jetzt erscheint quartalsweise im 11. Jahrgang. Nachdruck – auch auszugsweise – mit Genehmigung des Verlags. 34 zukunft jetzt ∏ Beilagenhinweis: Die in zukunft jetzt veröffentlichten Anzeigen und Beilagen stellen weder ein Leistungsangebot noch die Meinung oder eine Empfehlung der Deutschen Rentenversicherung dar. Ausgabe 3.2016 Fotos: wdv/G. Pfannmüller; wdv/J. Lauer; wdv/F. Blümler Pflege bewegt
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